Karl Philipp Moritz
61-107
Karl Philipp Moritz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Geschwister

In Ribbeckenäuchen war vor der Kirchentüre ein geringer Platz, mit Blumen bepflanzt, da spielten die Knaben im Dorfe.

Gegenüber war ein bequemes Haus mit Garten und Zubehör.

Der grüne Platz vor der Kirche mit dem artigen Häuschen gegenüber gab dem Dörfchen, das nur aus wenig Feuerstellen bestand, ein heiteres, lachendes Ansehn. Das Haus selbst aber, welches dem grünen Kirchhof gegenüberlag, schloß zwei dem Leibe und der Seele nach verwandte Seelen ein, die hier ein stilles Glück genossen, weil ihre erste Tugend Genügsamkeit war.

Es war nämlich der Pächter in diesem Dorfe, der seit fünf Jahren mit seiner Schwester zusammenwohnte, welche, zwanzig Jahre alt, zu ihm gezogen war, und seit der Zeit noch keine eigentlich mißvergnügte Stunde zählte. Denn alles Unangenehme übertrug sich in den unnennbaren Reiz der Teilnahme des einen an des anderen Ruhe, und löste sich in den schönen Gleichmut auf, in welchem dieses große Ganze wie in seinem Mittelpunkte sich vollendet –

– wo alle Stürme schweigen, das Toben der Elemente aufhört, und die Sonne im stillen See sich spiegelt –

– wo das Labyrinth der Schicksale seinen Endpunkt erreicht, an dem es sich mit einem Blick durchschauen läßt und enthüllt vor unseren Augen liegt.

Diese Gleichheit der Gemüter, welche verschwisterte Seelen aneinanderknüpft, schafft mit einem mächtigen Wort auf jedem Fleck der Erde noch nie gekannte Freuden um sich her, läßt Blumen auf dürrem Boden wachsen und wandelt den Krainberg und das Torfmoor von Ribbeckenau zu weinbekränzten Hügeln und lachenden Fluren um.

Wo dieser Gleichmut der Gemüter weilt, da drückt er unverkennbar seine Spur in Aug und Wange, und zeichnet sich auf der freien und unumwölkten Stirne. – Da wohnt der Unmut und die finstere Sorge nicht; da fesselt kein Zwang den leisesten Laut der Empfindung; da schämt das Wort sich des Gedankens, die Miene des Wortes, das Wort der Tat sich nicht.

Dies war nun der Fall bei dem Küster Ehrenpreiß und dem verstorbenen Pfarrer in Ribbeckenau, bei denen sich auch das Wort des Gedankens, die Miene des Wortes, und das Wort der Tat nicht schämte, wenn ihr düsterer, richtender Blick und ihre lispelnde, tötende Zunge über alle Ketzer und Irrgläubigen aus ihrer Nachbarschaft das unwiderrufliche Urteil sprach und über manchem nicht nur in jener, sondern schon in dieser Welt durch hämische Anklagen den Stab brach. –

Waren dies nicht auch verschwisterte, ineinandergeschlungene Seelen? – Brachten sie nicht auch bis Mitternacht in vertrauten Gesprächen zu? Warum soll ihr Gleichlaut kein Wohlklang sein?

Gehören nicht die gröbsten und dunkelsten Vibrationen der Saiten ebenso wie die feinsten und hellsten zu dem vollstimmigen Konzert?

Der frohe Blick hält sich gern an dem frohen, der düstere an dem düsteren fest, so wie das trübe Auge dem trüben zu begegnen wünscht. –

Der Küster Ehrenpreiß fand sich verwaist, als sein Pfarrer tot war. Seine Klagen aber waren nicht sanft; oder vielmehr es waren keine Klagen, sondern ein finsterer Unmut, eine verdrießliche Unbehaglichkeit, die er in seinem ganzen Wesen fühlte, und immer auf etwas anderes, auf irgendeine Kleinigkeit schon, die ihm in den Weg kam. –

Wie konnten auch die Klagen über die Trennung sanft und edel sein, da die Verbindung selbst rauh und grob gewesen war und auf Bitterkeit, Grobheit und Rauheit sich gegründet hatte!

Dessen ungeachtet aber war es auch eine Verbindung und ein Gleichlaut, der, solange er dauerte, in der Reihe der Töne sein Recht behauptete, und zwar in grobe Selbstzufriedenheit, aber doch auch, so wie die feinste und zarteste, in Selbstzufriedenheit einwiegte. –

Auch war es gar kein unangenehmes Schauspiel zu sehen, wie die schwarzen Augenbrauen des Pfarrers und des Küsters Ehrenpreiß sich freundlich einander zunickten. –

Aber freilich zeichnete sich die Übereinstimmung auf Stirn und Wangen nicht so schön wie bei dem Geschwisterpaar in Ribbeckenäuchen, das nun zum ersten Male Hartknopfs Predigt besuchte und unter dem Turm mit Schindeln bedeckt, in einem grün ausgeschlagenen Kirchenstuhle gerade der Kanzel gegenüber seinen Platz nahm.


 << zurück weiter >>