Karl Philipp Moritz
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Karl Philipp Moritz

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Mein Abschied von Hartknopf, als er aus Erfurt ging

Da saßen wir auf der großen Treppe vor dem Dom und sprachen von Ribbeckenau, wie weit es sei, und wie bald und wie oft ich ihn dort besuchen könnte, und von der Verschiedenheit der Rettiche, welche in Erfurt vorzüglich gut sind und eine von Hartknopfs Lieblingsspeisen waren, wobei er gewissermaßen mit Leib und Seele genoß, wenn er die geheimnisvollen Salzkörner auf die runden Scheiben streute und dann auf seiner Zunge das innere Wesen dieser edlen Bestandteile in ihrer feinsten Auflösung schmeckte.

Seine Gedanken beschäftigten sich in diesem Augenblick ganz mit der Anpflanzung von Erfurter Rettichen in Ribbeckenau, und ich versprach ihm heilig, Rettichsamen aus Erfurt zu schicken.

Wir gingen alsdann noch auf die Kirschlache spazieren, wo wir uns eine ganze Weile an ein Geländer stellten und ins Wasser blickten.

Ich begleitete ihn vors Tor hinaus, wo wir in einem Wirtshaus einkehrten. Hier setzte er sich mir gegenüber und sprach; Ich gehe nun nach Ribbeckenau (bei dem Namen erhielt seine Miene einen sehr verdrießlichen Zug), um das Evangelium zu predigen, und du bleibst in Erfurt, um das Evangelium noch eine Zeitlang predigen zu lernen. Du weißt nun den Hörsaal, wo man das lernt; und kennst den Mann, welcher diesen erhabenen Lehrstuhl bekleidet – halte dich fest an ihn und übe dich im fertigen Nachschreiben, suche ihm die Worte aus dem Munde zu stehlen, noch ehe er sie ausgesprochen hat, und bediene dich der Abbreviaturen, die deiner Hand und deinem Gedächtnis geläufig sind. – Schreibe auch die unterlaufenden Sätze mit auf, denn sie stehen nie am unrechten Ort und werden dir eine angenehme Erinnerung sein, wenn du die Vorlesung zum zweiten Male hören solltest. Hüte dich sehr Backelaureus oder Magister der Weltweisheit zu werden; und wenn du dich im Predigen übst, so stelle dich an einen rauschenden Wasserfall, wo keines Menschen Ohr den Laut deiner Worte vernimmt. Fahre fort, fleißig Kirchengeschichte zu studieren, und nun laß uns noch einen Rettich zusammen essen.

Der Rettich wurde auf einem Teller gebracht. Mit einer feierlichen Miene schälte Hartknopf ihn ab, schnitt runde Scheiben davon, und indem er langsam und nachdenkend die Salzkörner daraufstreute und die erste Scheibe mir darreichte, blickte er mich ernsthaft an und sagte: sooft ihr solches tut, so tuts zu meinem Gedächtnis!

Als wir nun hinausgingen, gab ich ihm noch folgende Verse, die ich auf seinen Abschied gemacht hatte:

Du gehst nach Ribbeckenau
In Erfurt bleibt dein Freund
Die Ferne dämmert grau . . .
Das trübe Auge weint . . .

Doch ist nun über mir
Der Himmel wieder blau
Denk ich, er lächelt dir
Doch auch in Ribbeckenau

Als ich diese Verse noch an Hartknopf übergeben hatte, steckte er sie ohne sie zu lesen in die Tasche und sagte; ich möchte den Rettichsamen nicht vergessen, er wünsche mir wohl zu leben, und ich möchte ihm nun die Liebe tun und nach Erfurt zurückkehren, welches ich dann tat, und weil wir auf einer Anhöhe Abschied genommen hatten, ihn sogleich aus dem Gesicht verlor.


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