Karl Philipp Moritz
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Karl Philipp Moritz

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Die Wiederholung

Hartknopf hob nun aufs neue wieder seinen Spruch an; im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, usw., als auf einmal aus dem Kirchenstuhle unter dem Turm wie aus einem heiligen Dunkel die freundlichen Blicke des Pächters Heil den seinigen begegneten, während dessen Schwester ihre lebhaften Augen noch sanft niederschlug und der weiblichen Neugier, die sich in ihrem Busen regte, mit zarter Tugend noch ein Weilchen widerstand.

Sie war einfach und nicht ohne Geschmack gekleidet, ihr Haar hing in ländlichen Locken herunter; ein Hütchen trat über ihre Stirne hervor und verdeckte den Strahl, der aus ihren Augen schoß, sobald sie sich niederbückte.

Nicht lange aber, so schlug sie die Augen auf, um Hartknopf, den Prediger, anzublicken, dessen Stimme und Laut der Worte sie schon irgendwo gehört zu haben glaubte, und sich doch auf keine Weise zu erinnern wußte, wo und wann? –

Es war, als ob sie in eine dunkle Ferne blickte; als würden Erinnerungen in ihr aufgeweckt an etwas, das einen Augenblick vor ihrer Seele schwebte und plötzlich wieder verschwunden war.

Sie hing dem nicht mit ihren Gedanken nach, und in wenigen Augenblicken waren diese Regungen ganz verschwunden.

Hartknopfs Auge und Seele ruhte während der ganzen Predigt auf dem Antlitz des Pächters Heil und seiner Schwester Sophie Erdmuth. In diesen beiden Ovalen fand er die ruhige Stimmung seiner Seele, den harmonischen Kreislauf der Dinge, den heiteren Himmel, die lachenden Fluren und jeden Reiz dieser schönen Umgebung wieder, worin wir leben, weben und sind.

Denn diese Umrisse waren bezeichnend und bedeutend; die höhere Menschheit leuchtete aus ihren Zügen mit sanftem Schimmer hervor. – Es war der Tagesanbruch, die ersten Streifen der dämmernden Morgenröte.

Die übrigen Gesichter waren mehr oder weniger durch Brutalität entstellt; es war eine chaotische Masse, das wandernde Auge des Menschenforschers fand keinen Platz, auf dem es ruhen konnte. Es war, als wäre über die Bildungen eine Furche hingezogen, die sie alle gleich machte. Das Bezeichnende und Bedeutende war entstellt, zerrissen. – Eine neue Schöpfung mußte hier vorgehen, um diese erstorbene zur Erde gesunkene Masse zu belehren, und dann mit dem Neubelebten Worte und Blicke zu wechseln.

Die Taube flog aus, und fand keinen Ölzweig, auf dem sie ruhen konnte.

Hier aber schwebte keine Taubengestalt unglückbringend über Hartknopfs Haupt. Kein hölzernes Schnitzwerk entstellte diese Kanzel und diese Wände. Hier wiederholte Hartknopf seine erste Predigt beinahe von Wort zu Wort.

Er holte gleichsam jedes verlorene Wort, jeden verschwundenen Gedanken wieder. Was auf der Kanzel in Ribbeckenau von seinen Lippen verweht war, fand sich hier in schönerer Ordnung wieder zusammen.

Denn die Höhe und Tiefe war einmal durch feste Punkte auf horizontalen Linien und jeder Takt durch einen senkrechten Strich bezeichnet. Das Ganze wiederholte sich daher, wie eine wohlgesetzte Musik, welche des Aufwands von Kunst und Mühe nicht wert wäre, wenn sie nur einmal tönen und dann in der Luft verweht sein sollte. Durch wiederholte Schläge, pflegte Hartknopf wie im Sprichwort zu sagen, fällt der Baum unter der Axt, und das Eisen schmiegt sich unter den Hammer. –

Was ist das Leben in der ganzen Natur, der Wechsel der Jahreszeiten, was jeder Pulsschlag, jeder Atemzug, als eine immerwährende Wiederholung ihrer selbst? Die Wiederholung des Schönen erweckt nicht Überdruß, sondern vielfältigen Reiz für den, welcher anfängt, seine Spur zu ahnden, und sooft es ihm sich wieder darstellt, seine Spur verfolgt. –

So war Hartknopfs Antrittspredigt ein vollendetes unvergängliches Werk, das in sich selber seinen Wert hatte, den kein Zufall ihm rauben konnte. Und obgleich die Gemeinde in Ribbeckenau sich einmal, und der Küster Ehrenpreiß sich zweimal daran ärgerte, so erreichte sie dennoch ihren Zweck, der in ihr selbst, in ihrem schönen Bau und dem wohlabgemessenen Verhältnis ihrer Teile lag, wodurch das Ganze eine Kraft erhielt, alles Mangelhafte aufzudecken und es in seiner Blöße darzustellen; wodurch die Bauern in Ribbeckenau in ihrer Brutalität sich zeigten und das schadenfrohe Lachen auf ihren Lippen erscheinen mußte. In welchen Mauern das Ganze dieser Predigt ertönte, da prüfte es die Geister – es konnte, wenn es einmal von den Lippen verhallt war, durch nichts anderes ersetzt werden, als durch sich selbst, weil nichts darin war, das sich von seiner Stelle verdrängen ließ. –

Wenn Hartknopfs Predigten einst, dem Buchstaben nach, im Druck erscheinen, so wird sich zeigen, daß seine Antrittspredigt in Ribbeckenau alle übrigen in sich faßt, wie die gefüllte Knospe ihre Blätter; daß alles ein Ganzes ist, welches gleich dem belebenden Atemzuge in jeder Zeile, in jedem Gedanken nur sich selbst wiederholt. –


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