Karl Philipp Moritz
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Karl Philipp Moritz

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Der Umweg

Er fühlte sich angezogen und zurückgestoßen, als er den Turm von Ribbeckenäuchen wieder vor sich sah.

Die Straße ging durch das Dorf, ein Fußweg ging vorbei – sollte er die gerade Straße oder den krummen Fußweg gehen?

Er ging die Straße nicht; denn sein Innerstes war mit sich selbst im Streit. –

Hier war es, wo seine Lebensbahn aus dem Gleise wich; auf diesem Fußweg um das Dorf bildete sich im Kleinen ab, was ihn Jahre hindurch quälen würde.

Für ihn war die breite Heerstraße, welche vom Aufgang bis zum Niedergang die Länder durchschneidet, die von den Menschen nach ihren Zungen und Sprachen benannt sind. – Der Fußweg um das Dorf aber vollendete und verlor sich in sich selber.

Und Hartknopf fühlte durch diese sanfte Krümmung sich unwillkürlich angezogen, von der anderen Seite wieder in das Dorf zurückzukehren.

Die süße Täuschung erhielt in seiner Seele die Oberhand. Das häusliche stille Leben stellte sich ihm in mit seinen reizendsten Farben dar; das wirtbare Stübchen mit dem runden Tischchen; der grüne Kirchplatz, dem Fenster gegenüber, und den spielenden Knaben des Dorfes.

Auf dem krummen Pfad, der sich durch die grünen Saaten schlängelte, malte seine Phantasie das in sich selbst vollendete ruhige Leben aus, das kein höheres Ziel als sich selber kennt und seinen schönen Kreislauf mit jedem kommenden Tage wiederholt.

So wie hier der Weg in die Krümmung sich verlor, verlor sich seine Aussicht in das Leben in süßen Traum vom Erwachen zu frohen Tagen, vom Genuß des Lebens und der Gesundheit bei dem harmonischen Wechsel der Jahreszeiten.

Das Vermiedene stellte sich ihm nun so reizend dar, eben weil er es geflissentlich vermeiden wollte – da rächte es sich an seiner Phantasie mit den Farben des Morgenrots, worin alle seine Bilder und Gedanken sich kleideten; ob es gleich die schwüle zukunftschwangere Mittagstunde war, in welcher er auf einsamem Pfade um das Dorf ging. –

Dieser hohe Mittag lud ihn in den wirtbaren Schatten ein, wo sanfte Kühlung herrschte, wo schon die Blicke ihn willkommen hießen, die ihn gestern so freundlich wiederzukommen baten.

Alles war so still auf dem Felde und im Dorfe. Nur die summende Fliege weckte das Ohr zu horchen, und leise Wünsche stahlen sich in die Seele des Einsamen, der mit schnellen Schritten vorwärts ging, je näher er sich am Ziele sah.

Am Ziele, das im Widerschein der Phantasie sich dicht vor seine Augen hingezaubert hatte und bald, da er es fest zu umfassen glaubte, in die ungemessene Ferne wieder zurückwich. –

Aber auch dieser Wirbel vermochte den Strom nicht in seinem Laufe zu hemmen, welcher Dämme durchbrach und sich sein Bett durch Felsen wühlte.

Die willkommene Tür des Pächters Heil öffnete sich und nahm den Wanderer auf.

Sophie Erdmuth saß in einer Ecke, und nähte, als Hartknopf in die Stube trat; sein erster Blick fiel auf sie. Ihn bewillkommend stand sie auf und erwiderte durch einen sanften Händedruck seinen Blick voll ernster Liebe.

Er aß bei dem Pächter Heil das Mittagsmahl. Als er über das Torfmoor nach Ribbeckenau wieder zu Hause kehrte, ertönte ihm unterwegs folgende Sinfonie.


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