Karl Philipp Moritz
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Karl Philipp Moritz

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Elias

Die Züge dieses Namens schienen noch nicht ganz verweht zu sein, als Hartknopf am folgenden Morgen bei seiner Rückkehr von dem Herrn von G. wieder auf denselben Fleck in dem Fichtenwald kam, wo er mit seinem Stabe Figuren in den Staub schrieb.

Eine süße Ahnung kam in Hartknopfs Seele. Es war ihm noch aufbewahrt, unter dem Hochgericht von Gellenhausen den alten Rektor Emeritus wiederzusehen; denn dieser war sein Lehrer und Meister, sein Elias –

Es war der einzige Freund seiner Jugend, an dessen Hand er zuerst den Felsen erstieg, an Abgründen wandelte, dem Wasserfalle horchte, dem kommenden Sturme entgegen ging und in der einsamen Hütte sich vor dem Regen barg.

Wenn schwarze Gewitterwolken hinter der Stadt sich auftürmten wie ein Berg, und die Sonne mit ihrem Glänze dicht auf dieser Dunkelheit ruhte, so eilten Hartknopf und sein Lehrer mit ein paar Schritten hinaus ins Freie und standen wie das erste Menschenpaar auf dem einsamen Erdkreis vor der mächtigen Erscheinung im dämmernden Licht da.

Dann war wie ein Traum in des Knaben Seele seine Kindheit, sein Beginnen, sein Wandeln an seines Führers Hand. Es deuchte ihm Täuschung, und doch wirklich. Die süße Täuschung währte, so lange das Licht die Nacht umsäumte; war aber die Sonne hinter dem Wolkenberg ganz versunken, so war auf einmal wieder alles so gewöhnlich: auf dem Turm schlug der Seiger; man eilte durch den Garten in die Stube; da waren die weißen Wände, das Tintenfaß und der Bücherschrank; man setzte sich an den Tisch und lernte Sprachen.

Wenn aber Himmel und Erde mit Macht in des Knaben Seele sich spiegelten und die zarte aufschießende Knospe auseinanderdrängten, so hing sein schmachtendes Auge am Auge seines Lehrers, das ihn allein verstand.

Wenn dann im Glänze des Vollmondes die kleine Stadt mit dem spitzen Turm vor ihnen lag und Berge und Täler rund umher, und das Entfernteste wie ein Gewölke sich am Horizont gelagert hatte, so saß Elias auf dem abgehauenen Stamm der Eiche, und der wunderbare Knabe stand vor ihm und horchte auf die göttlichen Lehren, die wie Honigtau von den Lippen träufelten und, von des Knaben Seele aufgefaßt, wie ein Kleinod in das Innerste seines Busens verschlossen wurden. –

In der nächtlichen Stille erhob Elias seine Stimme und sprach:

»Die unendliche Erde, die dich trägt, verschmäht den Kuß deines Fußes nicht, denn dein Scheitel ist ihre Krone. »

Hier legte er seine Hand auf des Knaben Haupt und ließ sie an seinen Locken hinuntergleiten.

»Dein leisester Fußtritt bebt in ihre innersten Tiefen.

»Sie lockt den steigenden Vogel und den befiederten Pfeil mit sanftem Zuge an ihre Brust zurück.

»Aus ihr strömt Lebenskraft in deine Adern, wenn du aufrecht stehst und wenn du wandelst.

»Sieh diesen Baum und jene wallenden Saaten.

»Sie gab deinem Körper die Biegsamkeit des Halmes, vereint mit der Stärke des Baumstammes – und deine Fingerspitzen pflücken Blumen, die ihrem Schoß entsprießen.

»Dein Blick schaut himmelwärts – sie aber heftet ihn wieder auf das Kraut und auf das Steinchen zu deinen Füßen.

»Sie ist die Allesernährerin, Große, Geheimnisvolle.

»Wer sich an sie schmiegt, der sitzt im Rat der Götter.

»Sie hat mit dir geredet und grüßt dich mit dem Kusse meines Mundes.«


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