Dmitrij Mereschkowskij
Der vierzehnte Dezember
Dmitrij Mereschkowskij

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Drittes Kapitel

Der Generalgouverneur Graf Miloradowitsch sprengte an die Schützenkette heran, die vor der Front der Meuterer stand. In goldgestickter Uniform, mit seinen sämtlichen Orden, mit dem blauen Andreasband um die Brust und dem Dreispitz mit weißen Federn auf dem Kopf saß er auf seinem tänzelnden Pferde wie ein junger Held.

Er war auf den Senatsplatz direkt aus der Garderobe der Ballettänzerin Katenjka Teljeschowa gekommen. Sein etwas abgelebtes Gesicht mit den in die Schläfen gekämmten gefärbten Haaren und den öligen Äuglein hatte einen Ausdruck, als würde er alles in einem Nu in Ordnung bringen.

»Halt! Zurück!« schrien ihm die Soldaten zu, und ein stählerner Halbbogen von Bajonetten richtete sich gegen ihn.

›Der russische Bayard, der Kampfgenosse Ssuworows, hat dreißig Schlachten ohne eine einzige Verwundung überstanden und soll jetzt vor diesen dummen Jungen Angst kriegen!‹ dachte sich Miloradowitsch.

»Kinder, – genug gescherzt! Laßt mich durch!« schrie er sie an und trieb das Pferd im Galopp gegen die Bajonette mit der gleichen Kühnheit, mit der er einst auf den Schlachtfeldern im Geschützfeuer seine Pfeife zu rauchen und die Falten an seinem amarantfarbenen Mantel zu ordnen pflegte. ›Mein Gott, für mich ist noch keine Kugel gegossen!‹ war seine ständige Redensart.

Aber die einfachen Augen der einfachen Menschen starrten ihn wie stählerne Bajonette an und schienen zu sagen: ›Ach, du Hanswurst, Prahler, Aufschneider!‹

»Wo wollen Sie hin, Graf! Sie werden Sie umbringen!« rief Obolenskij, auf ihn zulaufend.

»Sie werden mir nichts tun! Es sind doch keine Unmenschen und Verbrecher, sondern grüne Jungen und unglückliche Narren. Man muß mit ihnen Mitleid haben und sie zur Vernunft zu bringen suchen«, antwortete Miloradowitsch, seine weichen, vollen Lippen empfindsam spitzend.

Obolenskij sah dem finsteren Haß in den Gesichtern der Soldaten an, daß sie im nächsten Augenblick den ›Prahler‹ mit den Bajonetten empfangen würden.

»Stillgestanden! Gewehr bei Fuß!« kommandierte Obolenskij und ergriff das Pferd Miloradowitschs am Zaum. »Wollen Sie zurückreiten, Durchlaucht, und die Soldaten in Ruhe lassen!«

Das Pferd schüttelte den Kopf, scheute und wich zurück. Der scharfe Rand des Zaumriemens schnitt Obolenskij die Finger; er fühlte aber den Schmerz nicht und ließ den Riemen nicht los.

Miloradowitschs Adjutant, der blutjunge Leutnant Baschuzkij, lief mit vor Entsetzen verzerrtem Gesicht heran und blieb keuchend neben dem Pferde stehen.

»Sagen Sie es ihm doch, Herr Leutnant, man wird ihn umbringen!« schrie ihm Obolenskij zu.

Baschuzkij winkte nur hoffnungslos mit der Hand.

Miloradowitsch aber sah und hörte nichts mehr. Er gab dem Pferde die Sporen, und das Tier warf sich vor. Die Schützenkette ließ es durch, und der Reiter sprengte gegen die Front der Aufrührer.

»Kinder!« fing er die offenbar schon vorher zurechtgelegte Rede an mit der selbstbewußten Vertraulichkeit eines alten Soldatenvaters. »Diesen selben Degen, seht ihr ihn, mit der Inschrift: ›Meinem Freunde Miloradowitsch‹ schenkte mir als Zeichen der Freundschaft der Zessarewitsch Konstantin Pawlowitsch. Werde ich denn meinen Freund verraten und euch betrügen?«

Kachowskij drängte sich linkisch seitwärts durch die Reihen der Soldaten vor und pflanzte sich wenige Schritte vor Miloradowitsch auf. Mit der linken Hand umspannte er den Griff des Dolches, der im roten Gürtel steckte, – Obolenskij bemerkte, daß von den beiden Pistolen, die er im Gürtel gehabt hatte, eine fehlte – und hielt die Rechte unnatürlich verrenkt im Busen seines Schafpelzes.

»Gibt es denn unter euch keine alten Soldaten Ssuworows? Sind denn hier lauter dumme Jungen und Kanaillen in Fräcken?« fuhr Miloradowitsch mit einem Blick auf Kachowskij fort.

Jener tat aber so, als hörte er aufmerksam zu, und starrte ihm gerade, unbeweglich und unverwandt ins Gesicht. Obolenskij erschrak vor diesem Bild. Fast besinnungslos entriß er einem neben ihm stehenden Soldaten das Gewehr und fing an, das Pferd Miloradowitschs mit dem Bajonett in die Flanke zu stechen.

Kachowskij sah sich nach ihm um, und Obolenskij glaubte in seinem Gesicht ein kaum wahrnehmbares spöttisches Lächeln zu sehen.

Das Pferd bäumte sich. Miloradowitsch hörte einen ihm wohlbekannten Ton: Es klang, wie wenn eine Champagnerflasche entkorkt würde. – »Da ist es!« sagte er sich, hatte aber nicht mehr Zeit hinzuzufügen: »Für mich ist noch keine Kugel gegossen!«

Im weißen Rauchwölkchen schwebte das weiße Röckchen der Ballettänzerin vorbei; zwei rosa Beinchen ragten aus dem Röckchen wie zwei Staubfäden aus einem umgekehrten Blütenkelch. Er spitzte seine vollen Lippen wie ein Greis oder wie ein Säugling, wie er sie im letzten Akt des Balletts zu spitzen pflegte, wenn er händeklatschend schrie: »Bravo, Teljeschowa, bravo!« Katenjka warf ihm die letzte Kußhand zu, und der schwarze Vorhang fiel.

Er warf plötzlich die Arme empor und zappelte wie ein Hampelmann. Der Hut fiel ihm vom Kopf und entblößte die gefärbten Haare, und über die blaue Seide des Andreasbandes rieselte es hellrot.

Obolenskij fühlte, wie das spitze Eisen des Bajonetts in etwas Lebendiges und Weiches eindrang; er wollte es herausziehen, konnte es aber nicht – das Eisen saß zu fest. Als aber das Rauchwölkchen sich zerstreut hatte, sah er, daß Miloradowitsch, vom Pferde gleitend, auf sein Bajonett gefallen war und die Spitze in seinem Rücken zwischen den Rippen steckte.

Endlich zog Obolenskij das Bajonett mit großer Anstrengung heraus.

»Wie ekelhaft!« sagte er sich, und sein Gesicht verzerrte sich ebenso schmerzvoll wie beim Duell mit Swinjin.

Aus dem Karree krachte eine Gewehrsalve, und über den Platz rollte der freudige Schrei: »Hurra, Konstantin!« Sie freuten sich, weil sie fühlten, daß das Richtige erst jetzt beginne, nachdem das erste Blut geflossen war.

Kachowskij kehrte ebenso ungelenk wie vorhin seitwärts ins Karree zurück. Sein Gesicht war ruhig, beinahe nachdenklich. Als die Schreie und Schüsse ertönten, hob er erstaunt den Kopf; er ließ ihn aber gleich wieder sinken und wurde noch nachdenklicher.

›Ja, dieser wird vor nichts stehen bleiben. Wenn der Kaiser herkommt, so ist es um ihn geschehen!‹ dachte sich Golizyn.

 


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