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Nachtrag. Die Geschichte Tobys

Der Verfasser von »Taïpi« blieb nach seiner Flucht aus dem Tale, von der wir im letzten Kapitel berichtet haben, mehr als zwei Jahre in der Südsee, dann kehrte er nach Amerika zurück und veröffentlichte einige Zeit später die vorstehende Erzählung. Niemand ahnte damals, daß diese Veröffentlichung die Auffindung Tobys, den man längst verloren glaubte, zur Folge haben würde. Dennoch war es so. Die Geschichte seiner Flucht bildet den natürlichen Abschluß seiner Abenteuer. Wir lassen die Erzählung, wie sie der Verfasser von Toby selbst gehört hat, hier folgen.

An dem Morgen, an dem mein Kamerad mich verließ, war er von einem großen Trupp Eingeborener begleitet, von denen einige Früchte und Schweine trugen, um Tauschhandel zu treiben, da sich die Nachricht verbreitet hatte, daß Boote die Bucht berührt hätten.

Auf ihrem Wege durch die bewohnten Teile des Tales schlossen sich ihnen von allen Seiten neue Scharen an, die mit lebhaftem Geschrei aus den Wäldchen auftauchten; alle waren so eifrig und erregt, daß Toby, den es selbst so sehr zum Strande zog, kaum mit ihnen Schritt halten konnte. Sie liefen mehr als sie gingen, die vordersten blieben hier und da einen Augenblick stehen und schwangen ihre Waffen, um die anderen zur Eile anzufeuern, und das Tal hallte von ihrem Geschrei wider.

Sie waren an einer Stelle angekommen, wo der Pfad durch den Fluß führte, der hier eine Krümmung bildete, da hörte man einen seltsamen Ton aus der Tiefe des Haines am anderen Ufer, und die Eingeborenen machten halt: Moh-Moh, der einäugige Häuptling, der den anderen vorausgeeilt war, schlug mit seiner schweren Lanze gegen einen hohlen Ast.

Das war ein Alarmsignal; von allen Seiten hörte man den Ruf »Happar! Happar!« Die Krieger legten ihre Speere ein oder schwangen sie in der Luft; Weiber und Kinder schrien einander zu und sammelten Steine im Flußbett. Einen Augenblick später kamen Moh-Moh und zwei oder drei andere Häuptlinge aus dem Hain gelaufen, und der Lärm wurde noch zehnmal so groß.

Nun, dachte Toby, heißt es raufen; da er waffenlos war, bat er einen der jungen Männer, die bei Marheyo wohnten, ihm seinen Speer zu leihen. Der aber weigerte sich und sagte ihm schelmisch, für ihn, den Taïpi, sei das eine sehr gute Waffe, aber ein weißer Mann könnte ja viel besser mit den Fäusten kämpfen.

Auch die anderen Krieger schienen die gute Laune dieses jungen Spaßvogels zu teilen, denn trotz ihrem kriegerischen Geschrei und ihrer wilden Gebärden tanzten sie umher und lachten, als ob es die lustigste Sache der Welt wäre, wenn jeden Augenblick drei Dutzend Happar-Wurfspeere aus einem Hinterhalt im Dickicht fliegen konnten.

Während Toby sich vergeblich ihr Verhalten zu erklären suchte, trennte sich ein guter Teil der Eingeborenen von den übrigen und lief in den Hain, der auf der einen Seite lag, während die anderen sich vollkommen ruhig verhielten, als ob sie das Ergebnis abwarteten. Nach einer kleinen Weile machte ihnen Moh-Moh, der voraus war, ein Zeichen, leise heranzukommen, und sie kamen, beinahe ohne daß ein Blatt geraschelt hätte. Etwa zehn oder fünfzehn Minuten krochen und schlichen sie weiter, wobei sie jeden Augenblick anhielten, um zu lauschen. Toby gefiel dieses Anschleichen keineswegs; wenn schon gekämpft werden sollte, wünschte er draufloszugehen. Aber alles kommt zu seiner Zeit – sie waren gerade im tiefsten Dickicht, als von allen Seiten schreckliches Geheul erscholl und Pfeile und Steine massenhaft über den Weg flogen. Aber kein Feind war zu sehen und nicht ein einziger Mann fiel, obgleich die Steine wie Hagel durch die Blätter sausten.

Einen Augenblick stand alles still, dann stürzten sich die Taïpis mit wildem Geschrei und mit eingelegten Speeren ins Dickicht. Toby blieb nicht zurück; er hatte einen alten Groll gegen die Leute von Happar und war einer der ersten, der auf sie losstürzte. Er bahnte sich einen Weg durch das Unterholz und suchte gleichzeitig einem jungen Häuptling seinen Speer zu entreißen – aber auf einmal hörte das Schlachtgeschrei plötzlich auf und der Wald lag in Totenstille. Im nächsten Augenblick stürzte die Schar, die sie vorher verlassen hatte, hinter Bäumen und Büschen hervor, und alle lachten laut und lustig.

Es war alles ein Schwindel gewesen, und Toby, der vor Erregung ganz außer Atem war, war wütend, daß sie ihn so zum Narren gehalten hatten.

Sie hatten die ganze Geschichte verabredet, um ihn zum besten zu halten, und er war über diesen Jungenstreich um so erbitterter, als viel Zeit damit verlorengegangen war und jeder Augenblick kostbar schien. Vielleicht hatten sie es gerade darum getan; denn als wieder aufgebrochen wurde, fiel ihm auf, daß sie es nicht mehr so eilig hatten, wie vorher.

Sie waren wieder ein Stück weitergekommen – Toby fürchtete die ganze Zeit, sie würden das Meer überhaupt nicht mehr erreichen –, als zwei Männer auf sie zugelaufen kamen; wieder wurde haltgemacht, und eine lärmende Erörterung fand statt, in der Tobys Name oft genannt wurde. Er wollte nun erst recht wissen, was am Strand eigentlich vorging; aber vergeblich drängte er vorwärts; die Eingeborenen hielten ihn zurück.

Als die Besprechung zu Ende war, liefen viele in der Richtung nach der See weiter, die anderen blieben und baten Toby, »Moï« zu machen, das heißt, sich niederzusetzen und auszuruhen. Um die Aufforderung verlockender zu machen, wurden mehrere Kalebassen mit Nahrungsmitteln, die man mitgenommen hatte, auf die Erde gesetzt und geöffnet und Pfeifen angezündet. Eine Weile zügelte Toby seine Ungeduld; zuletzt sprang er auf und stürmte wieder weiter. Er war bald eingeholt und umringt, aber man hielt ihn nicht mehr zurück und alles begab sich zum Meer hinab.

Sie kamen auf eine helle, grüne Fläche zwischen Wald und Wasser, dicht am Fuß des Happar-Berges; ein Pfad war sichtbar, der sich in den Windungen einer Schlucht verlor.

Nirgends war etwas von einem Boot zu sehen; nur eine lärmende Menge von Männern und Weibern, in deren Mitte jemand stand, der ernsthaft auf sie einsprach. Als Toby sich näherte, trat der, der gesprochen hatte, aus der Menge auf ihn zu, und es zeigte sich, daß er kein Fremder war. Es war ein alter grauhaariger Seemann, den wir beide oft in Nukuhiva gesehen hatten, wo er im Haushalt Moanas, des Königs, lässig dahinlebte. Man nannte ihn »Jimmy«. Er war der Günstling des Königs und führte in dessen Rat das große Wort. Er trug einen Manilahut und eine Art Schlafrock aus Tappa, den er so lose und nachlässig umgehängt hatte, daß man einen Vers aus einem Liede, der auf seine Brust tätowiert war, und eine Reihe anderer geistreicher Schnittzeichnungen eingeborener Künstler an verschiedenen Stellen seines Körpers sehen konnte. Er hielt eine Angelrute in der Hand und trug eine schmutzige alte Pfeife an einem Bande um den Hals.

Er war ein alter Herumstreicher, der sich für seinen Lebensabend in Nukuhiva niedergelassen hatte; er konnte die Sprache der Insel reden und wurde von den Franzosen häufig als Dolmetscher verwendet. Er war ein unverbesserlicher alter Schwätzer, und er kam in seinem Kanu zu allen Schiffen, die in der Bucht lagen, erzählte der Mannschaft den neuesten Hofklatsch, so zum Beispiel ein skandalöses Verhältnis Seiner Majestät mit einer Happar-Dame, die bei den Schmausereien als Tänzerin auftrat, und die unglaublichsten anderen Geschichten. So erzählte er der Mannschaft der »Dolly« ein vollkommenes Ammenmärchen von zwei Naturwundern, die auf der Insel wären. In einer Höhle in den Bergen sollte ein altes Ungetüm von einem Eremiten leben, der im Geruch großer Heiligkeit stand und als berüchtigter Zauberer galt; er verbarg sich in jener Höhle, weil ihm ein gewaltiges Paar Hörner an den Schläfen gewachsen war. Trotz seiner Frömmigkeit war der scheußliche alte Kerl der Schrecken der ganzen Insel, denn es hieß, daß er jede dunkle Nacht seinen Schlupfwinkel verließ und auf die Menschenjagd ging. Irgend jemand, der natürlich ungenannt blieb, war einmal in den Bergen an seine Höhle gekommen, hatte einen Blick hineingeworfen und sie voll von menschlichen Knochen gesehen. Das war das eine Ungeheuer. Das andere Wunderwesen, von dem Jimmy erzählt hatte, war der jüngere Sohn eines Häuptlings, der, kaum zehn Jahre alt, zum Priester geweiht worden war, weil seine abergläubischen Landsleute ihn dazu besonders geeignet und bestimmt glaubten, da er einen Hahnenkamm auf dem Kopfe trug. Das war noch nicht genug. Der Junge hatte auch die Stimme eines Hahns und krähte und war auf seinen sonderbaren Kopfschmuck nicht wenig stolz.

Sowie Toby den alten Herumstreicher am Strande sah, eilte er auf ihn zu, und die Menge bildete einen Kreis um sie.

Jimmy begrüßte ihn sehr freundlich, sagte ihm, daß er alles wüßte, wie wir vom Schiff ausgerissen und nun unter den Taïpis wären. Moana, der König, hätte ihn wiederholt gedrängt, einmal ins Tal herüberzugehen, seine Freunde daselbst zu besuchen und uns mitzubringen, da seinem königlichen Herrn sehr viel daran gelegen wäre, einen Anteil an der Belohnung zu erhalten, die für den, der uns einfangen und bringen würde, ausgesetzt war. Er aber – so versicherte er Toby – hätte diese Zumutung mit Entrüstung zurückgewiesen.

Mein Kamerad war nicht wenig erstaunt, denn wir hatten nie geahnt, daß ein weißer Mann den Taïpis jemals einen freundlichen Besuch machen könnte. Jimmy aber versicherte ihn, es wäre doch so, wenn er auch selten und kaum jemals weiter als an den Strand käme. Einer der Priester des Tales, der mit einem tätowierten alten Theologen von Nukuhiva in irgendeinem Zusammenhang stand, wäre ein Freund von ihm, und dadurch wäre er »Tabu«. Er werde auch manchmal in die Bucht herübergeschickt, um Früchte für Schiffe einzuhandeln, die in Nukuhiva lagen. Mit solch einem Auftrag sei er eben hier und gerade über Happar durch die Berge gekommen. Bis zum nächsten Mittag sollten die Früchte am Strande aufgestapelt sein, und er werde dann mit Booten in die Bucht kommen, um sie zu holen. Er fragte Toby, ob er die Insel zu verlassen wünsche: drüben im Hafen läge ein Schiff, das Leute brauche; er würde ihn gerne hinüberführen und noch heute an Bord bringen.

»Nein,« sagte Toby, »ich kann die Insel nicht verlassen, wenn mein Kamerad nicht mit mir kommt. Ich habe ihn im Tal zurückgelassen, weil sie ihn nicht mit mir herabkommen lassen wollten. Wir wollen gehen und ihn holen.«

»Aber wie soll er mit uns über den Berg kommen,« erwiderte Jimmy, »selbst wenn wir ihn bis an den Strand schaffen? Es ist besser, wir lassen ihn bis morgen, wo er ist, und dann hole ich ihn mit den Booten ab und bringe ihn nach Nukuhiva.«

»Nein, das geht nicht,« sagte Toby, »aber kommt Ihr jetzt mit mir und bringen wir ihn jedenfalls heute noch herunter an den Strand;« und ungestüm wollte er sogleich ins Tal zurück. Aber ein Dutzend Hände hielten ihn fest.

Er wehrte sich vergeblich; sie wollten ihn nicht einen Schritt vom Ufer tun lassen. Unglücklich und erbittert beschwor Toby den Alten, mich allein zu holen. Aber Jimmy erwiderte, in der Stimmung, in der die Taïpis wären, würden sie es ihm nicht gestatten, wenn sie ihm auch gewiß nichts zuleide tun würden.

Viel später erst kam Toby der Verdacht, daß dieser Jimmy ein herzloser Schuft war, der die Eingeborenen schlau beredet hatte, ihn festzuhalten, als er mich holen wollte. Der Alte mußte auch wissen, daß die Eingeborenen uns niemals beide weglassen würden. Und er hatte seine Gründe, Toby allein mitzunehmen. Von alledem ahnte mein Kamerad damals noch nichts.

Er rang noch mit den Insulanern, als Jimmy auf ihn zutrat und ihn warnte, sie zu reizen, er mache es ja nur schlimmer für uns beide, und wenn sie in Wut gerieten, könnte es ein böses Ende nehmen. Er veranlaßte Toby schließlich, sich auf ein zerbrochenes Kanu neben einem Steinhaufen zu setzen, auf dem ein verfallenes altes Tempelchen stand; es war von vier senkrecht in die Erde gesteckten Rudern getragen und vorne zum Teil durch ein Netz geschützt. Wenn die Fischer vom Meer hereinkamen, brachten sie hier ihre Opfergaben dar und legten sie vor ein Götzenbild im Innern auf einen glatten schwarzen Stein. Die Stelle, sagte Jimmy, sei »Tabu«, und niemand würde ihn belästigen oder ihm nahekommen, solange er im Schatten des Tempelchens bliebe. Nun begann der alte Seemann ernsthaft mit Moh-Moh und einigen anderen Häuptlingen zu reden; die anderen bildeten einen Kreis um den Tabu-Platz, sprachen unaufhörlich miteinander und sahen Toby dabei beständig an.

Trotz allem, was Jimmy ihm gesagt hatte, kam jetzt ein altes Weib auf meinen Kameraden zu und setzte sich neben ihn auf das Kanu.

»Taïpi mortarkih?« sagte sie.

»Mortarkih muih«, sagte Toby.

Darauf fragte sie ihn, ob er nach Nukuhiva ginge. Er nickte; sie stieß einen klagenden Ton aus, ihre Augen füllten sich mit Tränen, dann stand sie auf und verließ ihn.

Dies alte Weib war, wie Jimmy ihm später sagte, die Frau eines bejahrten Königs in einem kleinen Tal im Innern der Insel, das durch einen tiefen Paß mit dem Taïpi-Land verbunden war. Die Bewohner der beiden Täler waren blutsverwandt und führten den gleichen Namen. Die alte Frau war tags vorher ins Taïpi-Tal gekommen; sie machte mit drei Häuptlingen, ihren Söhnen, ihren Verwandten einen Besuch. Als die alte Königin ihn verließ, trat Jimmy wieder zu Toby und sagte ihm, er hätte die ganze Sache nun mit den Eingeborenen durchgesprochen, und es gäbe nur einen Weg. Sie wollten ihm nicht erlauben, ins Tal zurückzukehren, und beide würden in schlimme Gefahr kommen, wenn er länger am Strande bliebe. »Am besten,« schloß er, »Ihr und ich gehen jetzt zu Lande nach Nukuhiva zurück, und morgen hole ich Tommo, wie sie ihn nennen, zu Wasser; sie haben versprochen, ihn morgen früh ans Meer herabzutragen, so entsteht also gar kein Aufschub.«

»Nein, nein,« sagte Toby verzweifelt, »ich verlasse ihn nicht; wir müssen zusammen fort.«

»Dann bleibt keine Hoffnung,« rief der Seemann, »wenn ich Euch jetzt hier am Strande verlasse, dann tragen sie Euch, sowie ich fort bin, ins Tal zurück, und keiner von euch beiden wird jemals wieder das Meer erblicken.« Und er schwur ihm zu, wenn er nur heute mit ihm nach Nukuhiva käme, morgen würde er mich bestimmt hinüberholen.

»Aber woher wißt Ihr, daß sie ihn morgen an den Strand herabbringen werden, wenn sie es heute durchaus nicht tun wollen?« fragte Toby. Der Seemann sagte ihm viele Gründe, die mit den geheimnisvollen Gebräuchen der Eingeborenen so viel zu tun hatten, daß er nichts davon begriff. Ihr ganzes Verhalten, besonders daß sie ihn nicht ins Tal zurückkehren lassen wollten, war ihm völlig unerklärlich; dazu kam der bittere Gedanke, daß der Alte ihn möglicherweise betrog. Dann dachte er wieder an mich, der ich allein und krank bei den Eingeborenen zurückblieb. Wenn er mit Jimmy ging, durfte er wenigstens hoffen, mir Hilfe zu bringen. Wie aber, wenn die Wilden, deren Verhalten so sonderbar war, mich fortschafften, ehe er wiederkam? Und wenn er blieb, ließen sie ihn vielleicht nicht ins Tal zu mir zurückgehen.

Kurz, mein armer Kamerad war in der schwierigsten Lage; er wußte nicht, was er tun sollte, und all sein Mut nützte ihm nichts. Da saß er allein auf dem zerbrochenen Kanu, und die Eingeborenen umstanden ihn in geringer Entfernung und sahen ihn an.

»Es wird spät«, sagte Jimmy, der hinter den Eingeborenen stand. »Nukuhiva ist weit und bei Nacht kann ich nicht durch Happar wandern. Entweder Ihr kommt mit mir und alles wird gut; wenn nicht, verlaßt Euch darauf, wird keiner von euch je davonkommen.«

»Es bleibt nichts übrig«, sagte Toby zuletzt mit schwerem Herzen. »Ich muß Euch wohl trauen«, und er trat aus dem Schatten des kleinen Tempels und warf einen langen Blick auf das Tal.

»Nun haltet Euch dicht an meiner Seite,« sagte Jimmy, »und gehen wir schnell.«

Eben erschienen Teinor und Fayaweh; die gutherzige alte Frau umfing Tobys Knie unter einem Strom von Tränen; Fayaweh, kaum weniger ergriffen, sagte ein paar englische Worte, die sie gelernt hatte, und hielt drei Finger in die Höhe: in so vielen Tagen hatte er versprochen, zurückzukehren.

Schließlich zog Jimmy Toby mit sich fort, rief einem jungen Taïpi, der ein Ferkel auf den Armen trug, und alle drei schritten auf die Berge zu.

»Ich habe ihnen gesagt, daß Ihr bald wiederkommt,« sagte der Alte lachend, als sie die Höhe hinanstiegen, »aber die können lange warten.« Toby wandte sich um und sah die Eingeborenen alle in Bewegung: die Mädchen winkten mit ihren Tappatüchern zum Abschied und die Männer mit ihren Speeren. Als der letzte im Walde verschwand, den einen Arm und drei Finger erhoben, wurde ihm wieder schwer ums Herz.

Vielleicht hatten die Eingeborenen oder wenigstens einige von ihnen wirklich auf seine schnelle Rückkehr gerechnet, als sie ihn schließlich gehen ließen; wahrscheinlich dachten sie – und er hatte ihnen das ja auch auf dem Wege durchs Tal gesagt –, daß er nur die Heilmittel bringen wollte, die ich brauchte. Das hatte wohl auch Jimmy ihnen gesagt. Und so wie damals, als mein Kamerad mir zuliebe seine gefährliche Reise nach Nukuhiva unternahm, betrachteten sie uns als unzertrennlich und glaubten, daß ich in seiner Abwesenheit eine sichere Gewähr seines Wiederkommens sei. Dies ist übrigens nur meine Vermutung; im Grunde ist ihr ganzes Verhalten mir immer noch ein Rätsel.

»Ihr seht, was für ein Tabu-Mann ich bin«, sagte der Alte, als sie eine Weile schweigend dem Pfad gefolgt waren, der den Berg hinaufführte. »Moh-Moh hat mir dies kleine Schwein geschenkt, und der Mann, der es trägt, wird mit uns geradeswegs durch Happar und nach Nukuhiva hinunterkommen. Solange wie er mit mir ist, ist er sicher, und so auch Ihr und morgen Tommo. Seid also guten Muts und verlaßt Euch auf mich, morgen früh seht Ihr ihn wieder.«

Der Anstieg war nicht schwer, da sie nahe am Meere waren, wo die Kämme verhältnismäßig niedrig sind; auch der Weg war gut, und in kurzer Zeit standen alle drei auf der Höhe und sahen beide Täler zu ihren Füßen liegen. Die weißen Wasserfälle im Grün am oberen Ende des Taïpi-Tals waren deutlich sichtbar; auch Marheyos Haus konnte er leicht ausfindig machen.

Als sie mit Jimmy den Kamm entlang gingen, bemerkte Toby, daß das Happar-Tal sich nicht so tief ins Land erstreckte wie das der Taïpis. Dies erklärte unseren Irrtum in jenen Tagen und warum wir in das andere Tal gekommen waren.

Bald zeigte sich ein Fußpfad, der den Berg hinabführte; sie folgten ihm und waren bald tief im Happar-Gebiet. Sie schritten rasch weiter, als Jimmy sagte: »Wir Tabu-Leute haben Weiber in jeder Bucht, und ich werde Euch zwei zeigen, die ich hier habe.«

Als sie zu dem Hause kamen, in dem die Frauen wohnen sollten – es stand dicht am Fuße des Berges in einem schattigen Winkel –, trat er ein und geriet in nicht geringen Zorn, als er es leer fand: die Damen waren ausgegangen. Sie kamen jedoch bald zurück und hießen Jimmy in der Tat sehr herzlich willkommen, desgleichen Toby, den sie neugierig betrachteten. Sie stellten auch viele Fragen; dennoch, als das Gerücht von ihrer Ankunft sich verbreitete und die Happars sich sammelten, erkannte er wohl, daß das Erscheinen eines fremden Weißen hier keineswegs ein so wunderbares Ereignis schien wie in dem Nachbartal.

Der alte Seemann hieß seine Frauen etwas zum Essen bereiten, da er wieder in Nukuhiva sein müßte, ehe es dunkel wurde. Ein Mahl, das aus Fischen, Brotfrucht und Bananen bestand, wurde aufgetragen, und man speiste auf den Matten liegend in zahlreicher Gesellschaft.

Die Happars stellten Jimmy zahlreiche Fragen über Toby, und Toby sah sie scharf an; er suchte den Kerl, der ihm die Wunde beigebracht hatte, an der er noch litt; aber der hitzige Herr, der mit seinem Speer so schnell zur Hand war, schien zartfühlend genug, sich nicht zu zeigen. Einige der müßigen Abendbesucher baten Toby höflich, ein paar Tage bei ihnen in Happar zu verbringen, es stünde ein großes Fest bevor. Er lehnte indessen ab.

Die ganze Zeit heftete sich der junge Taïpi an Jimmy wie sein Schatten, und obschon er sonst so munter war wie nur einer in seinem Stand, war er jetzt zahm wie ein Lämmchen und tat seinen Mund nur auf, um zu essen. Einige der Happars warfen finstere Blicke auf ihn; andere waren höflicher und sie schienen ihn einzuladen und wollten ihm das Tal zeigen. Aber der Taïpi ließ sich nicht verlocken. Er wußte sicher, bis auf den Bruchteil eines Zolles, wieviel Schritte von Jimmy das »Tabu« seine Kraft verlor. Für das Versprechen eines roten Baumwolltuchs und einer Belohnung, die geheim war, hatte der arme Kerl die recht gefährliche Reise gewagt; soweit Toby feststellen konnte, war dies noch nie vorgekommen.

Am Schluß des Mahles wurde der heimische Punsch der Insel, Arwa, hereingebracht und in flachen Kalebassen gereicht.

Nun wurde meinem Kameraden, während er in dem Happar-Hause saß, wieder bitter zumute bei dem Gedanken, daß er mich verlassen hatte, ja, er wurde so traurig darüber, daß er davon sprach, ins Taïpi-Tal zurückzukehren, und von Jimmy verlangte, ihn bis zu den Bergen zu begleiten. Aber der alte Seemann wollte nichts davon hören, und um ihn zu zerstreuen, drängte er ihn, von dem Arwa zu trinken. Da er die berauschende Wirkung kannte, weigerte er sich, aber Jimmy sagte, er würde etwas dareinmischen lassen, wodurch es ein ganz unschuldiges Getränk werde, das sie nur für den Rest ihres Weges anregen würde. So ließ Toby sich bereden, davon zu trinken, und es war in der Tat, wie der Alte gesagt hatte: er fühlte sich augenblicklich erfrischt und alle trüben Gedanken wichen von ihm.

Der alte Herumstreicher begann jetzt seine wahre Natur zu zeigen, obschon Toby immer noch keinen Verdacht schöpfte. »Wenn ich Euch auf ein Schiff bringe,« sagte er, »werdet Ihr einem armen Mann doch wohl etwas für Eure Rettung geben?« Und ehe sie das Haus verließen, hatte er Toby das Versprechen abgenommen, ihm fünf spanische Taler zu geben, wenn es gelingen sollte, von dem Schiff, an dessen Bord sie am anderen Tage gehen wollten, einen Vorschuß auf seine Heuer zu bekommen; überdies verpflichtete sich Toby, ihn für meine Befreiung noch besonders zu belohnen.

Bald nachher brachen sie auf, von vielen Eingeborenen begleitet; sie schritten das Tal aufwärts; beinahe an seinem Ende zweigte sich ein steiler Pfad ab, der nach Nukuhiva führte. Hier blieben die Happars zurück und sahen ihnen nach, als sie den Berg hinaufstiegen; mehrere bösartig aussehende Kerle schwangen ihre Speere und warfen drohende Blicke auf den armen Taïpi, dessen Herz und Füße bedeutend leichter schienen, als er von oben auf sie heruntersah.

Als sie auf der Höhe waren, führte der Weg sie über mehrere Kämme, die mit ungeheurem Farnkraut besetzt waren. Endlich kamen sie zu einem bewaldeten Landstrich und überholten einen Trupp von Nukuhiva-Leuten, die alle wohlbewaffnet waren und Bündel von langen Stangen trugen. Jimmy schien alle gut zu kennen und blieb eine Weile stehen und sprach mit ihnen über die »Wuih-Wuihs«, wie die Nukuhiva-Leute die Monsieurs nennen. Es waren Leute des Königs Moana, die in seinem Auftrag in den Schluchten die Stangen für seine Verbündeten, die Franzosen, gesammelt hatten.

Sie ließen die Leute mit ihrer Last hinter sich und schritten rascher vorwärts, da die Sonne schon tief im Westen stand. So gelangten sie in die Täler von Nukuhiva auf der einen Seite der Bucht, wo das Hochland sich mählich zum Meer senkt. Die Kriegsschiffe lagen noch in dem Hafen, und als Toby auf sie heruntersah, schienen all die seltsamen Ereignisse, die er indessen erlebt hatte, wie ein Traum.

Sie waren bald unten am Strande und gelangten zu Jimmys Haus, noch ehe es völlig dunkel war. Hier wurde er von den Nukuhiva-Frauen des Alten bewillkommnet, sie nahmen einige Erfrischungen, Poï-Poï und Kokosmilch zu sich, dann setzten sie sich in ein Kanu, der Taïpi natürlich mit ihnen, und paddelten zu einem Walfischfänger, der nahe dem Strand vor Anker lag. Dies war das Schiff, das Leute brauchte. Das unsere war einige Zeit vorher abgesegelt. Der Schiffer zeigte sich sehr erfreut, als er Toby sah, meinte aber, nach seinem erschöpften Aussehen würde er wohl kaum dienstfähig sein. Immerhin erklärte er sich bereit, ihn zu heuern und seinen Kameraden, wenn er kommen sollte, gleichfalls.

Toby bat ihn sehr, ihn in einem bewaffneten Boot nach Taïpi hinüberzuschicken, daß er mich befreien könnte:, da er sich auf Jimmy nicht verließ. Aber davon wollte der Kapitän nichts hören, sondern sagte ihm, er möge doch nur Geduld haben, Jimmy werde schon sein Wort halten. Auch als er die fünf Silbertaler für Jimmy verlangte, rückte der Schiffer nicht gerne damit heraus. Aber Toby bestand darauf, denn es kam ihm vor, als ob es Jimmy wohl nur aufs Geld ankäme und er sicher nicht Wort halten würde, wenn er nicht pünktlich bezahlt wurde. So gab er ihm nicht nur das Geld, sondern versicherte ihn wieder und wieder, daß er eine noch größere Summe erhalten würde, sobald er mich an Bord brächte.

Am nächsten Tage vor Sonnenaufgang wurden zwei Boote des Schiffes mit Eingeborenen bemannt, die Tabu waren, und Jimmy und der Taïpi fuhren darin ab. Toby wollte natürlich mit, aber der Alte sagte ihm, das würde alles verderben; so mußte er zurückbleiben, wie schwer es ihm auch ankam. Gegen Abend war er auf dem Ausguck und sah die Boote ums Vorgebirge wenden und in die Bucht einfahren. Er strengte seine Augen an und glaubte mich auch zu sehen; dann aber war ich doch nicht mitgekommen. Halb wahnsinnig kletterte er vom Mast herunter, packte Jimmy, sowie er das Deck betrat, und brüllte ihn an: »Wo ist Tommo?« Der Alte erschrak und stammelte etwas, ermannte sich aber bald wieder und suchte ihn auf jede Weise zu beruhigen; er versicherte, es sei ganz unmöglich gewesen, mich an diesem Morgen an den Strand hinabzubekommen; er führte durchaus glaubliche Gründe an und fügte hinzu, daß er früh am nächsten Morgen in einem französischen Boot wieder nach der Bucht fahren werde, und wenn er mich dann nicht am Strande finden sollte – obwohl er es bestimmt erwartete –, würde er einfach ins Tal hineinmarschieren und mich holen, koste es, was es wolle. Aber daß Toby ihn dabei begleitete, wollte er wieder unter keinen Umständen zugeben.

Machtlos, wie Toby war, mußte er sich im Augenblick an Jimmy halten, und es blieb ihm nichts übrig, als sich bei dem zu beruhigen, was der Alte ihm sagte.

Am nächsten Morgen sah er wirklich das französische Boot mit Jimmy ausfahren. Also heute abend sehe ich ihn, dachte Toby; aber manch ein langer Tag verging, ehe er Tommo wiedersah. Denn kaum war das Boot außer Sicht, als der Kapitän nach dem Vorderschiff kam und die Anker zu lichten befahl; er stach in See.

Alles Toben und Schreien Tobys war umsonst; niemand kümmerte sich darum; als er zu sich kam, waren alle Segel beigesetzt und das Schiff in voller Fahrt vom Lande.

 

»Oh!« sagte er, als wir uns trafen, »wieviel Nächte lag ich schlaflos, wie oft fuhr ich aus meiner Hängematte auf, weil ich geträumt hatte, du stündest vor mir und hieltest mir vor, daß ich dich verlassen hätte!«

Es bleibt nicht mehr viel zu berichten. Toby verließ das Schiff in Neuseeland und kam nach einigen weiteren Abenteuern, weniger als zwei Jahre, nachdem er die Marquesas verlassen, in die Heimat zurück. Er hielt mich für tot; ich hatte allen Grund, auch ihn nicht mehr unter den Lebenden zu vermuten; dennoch sollten wir uns auf so sonderbare Weise finden – ein Wiedersehen, bei dem Toby ein Stein vom Herzen fiel.


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