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Drittes Kapitel

Unsere Ankunft auf der Insel fand im Sommer 1842 statt, und unser Schiff war noch nicht viele Tage in der Bucht von Nukuhiva, als ich den Entschluß faßte, es zu verlassen.

Man wird mir glauben, daß meine Gründe zahlreich und gewichtig waren, wenn ich mich lieber unter die wilden Bewohner der Insel wagen als noch eine Fahrt an Bord der »Dolly« mitmachen wollte. Um es in der geraden Seemannssprache zu sagen, ich war entschlossen »auszureißen«. Und da dieses Wort im allgemeinen eine wenig schmeichelhafte Bedeutung hat, so bin ich es mir wohl selber schuldig, mein Verhalten zu erklären.

Als ich mich für die »Dolly« heuern ließ, unterschrieb ich natürlich die Schiffsartikel und verpflichtete mich dadurch freiwillig und band mich gesetzlich für die volle Dauer der Fahrt; und unter gewöhnlichen Umständen hätte ich meine Pflicht auch erfüllen müssen. Wenn aber ein Teil seine Vertragspflichten nicht erfüllt, wird wohl auch der andere frei. Selbst die in den Schiffsartikeln besonders genannten Bedingungen waren unzählige Male verletzt worden. Die Behandlung an Bord war eine tyrannische; die Kranken wurden in unmenschlicher Weise vernachlässigt; die Nahrung wurde aufs spärlichste zugeteilt, die Kreuzerfahrten sinnlos ausgedehnt und verlängert. Schuld an alledem war der Kapitän, und es wäre töricht gewesen, zu erwarten, daß er sein Verfahren ändern würde. Man konnte nicht gewalttätiger und wilder vorgehen als er. Auf alle Klagen und Vorstellungen hatte er nur eine einzige rasche Antwort, die er mit dem dicken Ende einer Handspake gab, und die den Beschwerdeführer aufs überzeugendste und wirksamste zum Schweigen brachte.

Und wir konnten uns an niemanden um Abhilfe wenden. Gesetz und Recht hatten wir hinter uns gelassen, sobald wir Kap Horn umschifft hatten; die Mannschaft war, mit wenigen Ausnahmen, aus dem gemeinsten und völlig herabgekommenen Gesindel zusammengesetzt, überdies waren sie unter sich in Streit und nur darin einig, daß alle die Tyrannei des Schiffers widerstandslos ertrugen. Es wäre Wahnsinn gewesen, wenn zwei oder drei von uns allein den Versuch gemacht hätten, uns gegen die Mißbräuche und Mißhandlungen aufzulehnen. Wir würden nur die besondere Rache dessen heraufbeschworen haben, der für uns Herr über Leben und Tod war, und die übrige Mannschaft wäre noch schlimmer behandelt worden.

Schließlich hätten wir das alles eine Weile ausgehalten, wenn wir nur die Hoffnung gehabt hätten, die Reise in vernünftiger Zeit zu vollenden und unserer Sklaverei ledig zu werden. Aber gerade darin waren die Aussichten fürchterlich. Die lange Dauer der Walfischfahrten um Kap Horn ist sprichwörtlich. Häufig dauert so eine Fahrt vier oder fünf Jahre. So mancher junge Kerl mit langem Haar und bloßem Halse, der von Not und Abenteuerlust getrieben, sich in Nantucket einschifft, um, wie er meint, einen vergnüglichen Ausflug nach dem Stillen Ozean zu unternehmen, und dem die besorgte Mutter noch ein paar gut verkorkte Milchflaschen mitgibt, kommt als ein Mann von mittleren Jahren zurück.

Schon die Vorbereitungen für solch eine Expedition können einen erschrecken. Da das Schiff keine Ladung führt, wird der Schiffsraum lediglich mit Vorräten gefüllt. Die Lieferanten sind die Schiffseigentümer, und sie füllen die Speisekammer mit Leckerbissen besonderer Art: hauptsächlich Schnitten von Rind- und Schweinefleisch, die den merkwürdigsten Teilen des Tieres entnommen, sorgfältig eingesalzen und in Fässer verpackt, im Grad der Zähigkeit und des Salzgehaltes wirklich eine unendliche Abwechslung bieten. Sonst allerdings keine. Dazu das feinste alte Wasser in mächtigen Tonnen, das viele Monate lang aufbewahrt wird und von dem jeder an Bord täglich zwei Pinten voll erhält. Ein reicher Vorrat an Schiffszwieback, der vorher schon sorgfältig zu Stein gehärtet wird, offenbar um ihn vor Verfall oder Verderb zu schützen, bietet der Mannschaft einen weiteren Genuß. Die Menge, in der diese herrlichen Nahrungsmittel an Bord gebracht werden, ist unglaublich. Manchmal, wenn ich im Schiffsraum die unendlichen Reihen von Fässern und Tonnen aufgeschichtet sah, die wir im Verlauf der Reise leer essen sollten, verlor ich allen Mut.

Im allgemeinen hört ein Schiff, das kein Glück gehabt und nicht viel Wale getroffen hat, nicht auf, nach ihnen zu kreuzen, bis ihm kaum genug Mundvorrat bleibt, um nach Hause zu gelangen, dann wendet es und macht sich auf die Heimfahrt, wie es eben geht. Es gibt aber Beispiele, in denen besonders hartköpfige Schiffer sich auch davon nicht bewegen ließen, sondern die Frucht ihrer schweren Arbeit in den Häfen von Chile oder Peru gegen neuen Mundvorrat eintauschten und die Reise munter von neuem begannen. Vergeblich schreiben die Reeder ihm dringende Briefe und fordern ihn auf, um ihretwillen das Schiff heimzusteuern, da er offensichtlich keine Ladung schaffen kann. Das kümmert ihn nicht. Er hat ein Gelübde getan: er wird sein Schiff mit gutem Walrat füllen, und wenn es ihm nicht gelingt, niemals mehr Yankeeland ansteuern.

Der Seemannswitz erzählt von einem Walfischfänger, der nach langen Jahren verlorengegeben wurde; das letzte, was man von ihm gehört, war ein unsicherer Bericht, daß er eine jener schwimmenden Inseln in der fernsten Südsee berührte, deren seltsame Wanderungen in jeder neuen Ausgabe der Seekarten sorgfältig verzeichnet werden. Nach langer Zeit hörte man plötzlich wieder, die »Perseverance« – so hieß das Schiff – sei irgendwo am Ende der Welt gesehen worden, wo sie so munter kreuzte wie je, die Segel alle geflickt und mit Kabelgarn gestopft, die Spieren mit alten Röhren verschalt, das Tauwerk ganz verknotet und versplißt. Die Mannschaft bestand aus etwa zwanzig ehrwürdigen alten Teerjacken, die wie Pensionäre aus einem Seemannsheim aussahen und gerade noch über Deck humpeln konnten. Die Enden alles laufenden Guts, mit Ausnahme der Signalfallen und der Treiberschot am Schanzdeck, waren über Blöcke geschoren und führten zu Gang- und Ankerspillen; keine Rahe wurde gebraßt, kein Segel gesetzt, ohne diese Maschinerie zu verwenden. Der Rumpf war mit Muscheln so besetzt, daß er wie in einem Futteral stak. Drei zahme Haie folgten ihr im Kielwasser und wurden aus dem Mülleimer des Schiffkochs gefüttert, dessen Inhalt täglich über den Schiffsrand geleert wurde. Ein mächtiger Zug von weißen und gestreiften Thunfischen folgten ihr auf ihren Fahrten.

Was aus dem Schiff geworden, habe ich nie erfahren; es ist jedenfalls nie heimgekommen; vielleicht wendet es heute noch regelmäßig zweimal in vierundzwanzig Stunden irgendwo auf der Höhe der Buggerryinsel oder der Teufelschwanzspitze.

Angesichts der Dauer dieser Fahrten hatte die unsere erst begonnen, denn wir waren kaum fünfzehn Monate unterwegs; ich sah daher trübe in die Zukunft, um so mehr, als ich immer eine Vorahnung hatte, daß wir Unglück haben würden, und meine Erwartung bisher nur bestätigt worden war. Ich habe auch nachher gehört, als ich nach manchen Abenteuern heimkam, daß das Schiff sich noch auf dem Stillen Ozean befand und wenig Jagderfolg gehabt hatte. Der größte Teil der Mannschaft hatte es verlassen; die ganze Reise dauerte über fünf Jahre.

Ich hatte also beschlossen auszureißen; ein ruhmreiches Unternehmen war dies nicht; ich konnte mich nicht einmal für all das Unrecht rächen, das ich an Bord erfahren hatte, aber was blieb mir übrig?

Ich versuchte zunächst, soviel wie irgend möglich über die Insel und ihre Bewohner zu erfahren, um meinen Plan danach einzurichten. Und ich erfuhr folgendes: die Bucht von Nukuhiva, in der wir lagen, hat die Form eines Hufeisens; der Umfang beträgt etwa neun Seemeilen. Man fährt durch eine schmale Öffnung ein, zu beiden Seiten der Einfahrt liegen zwei kleine Zwillingsinseln, die kegelförmig aus dem Wasser bis zu einer Höhe von etwa fünfhundert Fuß ansteigen. Dann weicht der Strand beiderseits zurück und beschreibt einen tiefen Halbkreis. Vom Ufer der Bucht steigt das Land nach allen Seiten gleichförmig an, bis es von sanften grünen Hügelabhängen und mäßigen Erhebungen unmerklich sich zu majestätischen Höhen erhebt, deren blaue Umrisse den Blick von allen Seiten schließen. Tiefe Schluchten, die sich in fast gleichmäßigen Entfernungen zum Ufer senken und offenbar alle von einem gemeinsamen Mittelpunkt ausstrahlen, erhöhen die romantische Schönheit der Landschaft. Ihr oberes Ende verliert sich im Schatten der hohen Berge. Durch jedes dieser engen Täler fließt ein klarer Bach, der hier und da über einen Felsen fällt, dann unsichtbar weiterschleicht, bis er in größeren brausenden Wasserfällen wieder sichtbar wird und zuletzt still zum Meere hinab sich schlängelt.

Unregelmäßig in diesen Tälern verstreut, unter schattigen Zweigen der Kokosnußbäume, liegen die Häuser der Eingeborenen, aus gelbem Bambus erbaut, dessen Stäbe mit einer Art von Weidengeflecht geschickt und geschmackvoll verbunden sind. Das Dach besteht aus den langen spitzen Blättern der Zwergpalme.

Von unserem Schiff aus gesehen, das etwa in der Mitte der Reede vor Anker lag, glich die Landschaft um die Bucht einem weiten natürlichen Amphitheater, das in Verfall geraten und mit wildem Wein überwachsen schien, während die tiefen Schluchten ungeheuren Rissen glichen, die durch die zerstörende Wirkung der Zeit entstanden waren. Oft, wenn ich bewundernd vor soviel Schönheit stand, tat es mir leid, daß ein so bezauberndes Bild so vor aller Welt verborgen in jenen fernen Meeren lag.

Außerhalb der Bai ist das Ufer der Insel von vielen Buchten gezahnt, zu denen breite grüne Täler niedersteigen. Sie sind von ebenso vielen verschiedenen wilden Stämmen bewohnt, die zwar verwandte Dialekte der gleichen Sprache sprechen, dieselbe Religion und dieselben Gebräuche haben, aber dennoch seit undenklichen Zeiten in Erbfeindschaft und ewigem Kampfe leben. Die Berge, die sie trennen, und die sich zumeist zwei- bis dreitausend Fuß über dem Meeresspiegel erheben, bilden auch die Grenzen dieser feindlichen Stämme, die sie nie überschreiten, außer um einen Kriegs- oder Beutezug zu unternehmen. Dicht bei Nukuhiva, nur durch die Berge, die man von der Bucht aus sieht, getrennt, liegt das liebliche Tal von Happar, dessen Bewohner mit denen von Nukuhiva den freundlichsten Verkehr pflegen. Jenseits von Happar liegt, dicht daran grenzend, ein herrliches Tal, in dem die gefürchteten Taïpis wohnen, die mit beiden Stämmen in unversöhnlicher Feindschaft leben.

Diese berühmten Krieger flößten den übrigen Inselbewohnern unsagbaren Schrecken ein. Schon ihr Name ist entsetzlich, denn das Wort »Taïpi« bedeutet in der Marquesas-Sprache »Menschenfresser«. Es ist allerdings sonderbar, daß gerade sie allein diesen Namen erhielten, da die Eingeborenen der ganzen Gruppe unverbesserliche Kannibalen sind. Vielleicht wurde ihnen der Name gegeben, um die besondere Wildheit des Stammes zu kennzeichnen und sie zu brandmarken. Denn die Taïpis sind auf der ganzen Inselgruppe berüchtigt. Die Eingeborenen von Nukuhiva schilderten unserer Schiffsmannschaft oft mit lebhaften Gebärden ihre schrecklichen Taten und zeigten uns die Wundnarben, die sie in wilden Kämpfen mit ihnen davongetragen hatten. Wenn wir auf dem Lande waren, versuchten sie uns manchmal zu erschrecken, indem sie auf einen ihrer eigenen Leute zeigten und ihn einen Taïpi nannten, und wunderten sich, daß wir dann nicht augenblicklich die Flucht ergriffen. Ganz amüsant war zu beobachten, mit welchem Ernst sie alle Neigung zum Kannibalismus ihrerseits leugneten, während sie ihre Feinde, die Taïpis, einer eingewurzelten Vorliebe für Menschenfleisch bezichtigten; aber darüber werde ich noch öfters zu sprechen Gelegenheit haben. Jedenfalls, obwohl ich überzeugt war, daß die Bewohner der Bucht genau so eingefleischte Kannibalen waren wie die anderen Stämme der Insel, fühlte ich doch einen besonderen und unbeschreiblichen Widerwillen gegen die Taïpis. Noch ehe ich selbst nach den Marquesas gekommen war, hatte ich von Leuten, die die Gruppe auf früheren Reisen berührt hatten, schauderhafte Geschichten über diese Wilden gehört; noch ganz frisch in meiner Erinnerung stand das Abenteuer des Schiffers der »Katharine«, der erst vor wenigen Monaten, als er sich in einem bewaffneten Boot unvorsichtig in jene Bucht gewagt hatte, um Tauschhandel zu treiben, von den Eingeborenen ergriffen, in ihr Tal geschleppt und vor einem grausamen Tode nur durch ein Mädchen gerettet wurde, das ihm des Nachts zur Flucht den Strand entlang nach Nukuhiva verhalf.

Ich hatte auch von einem englischen Schiff gehört, das vor vielen Jahren nach einer langen ermüdenden Fahrt den Eingang der Bucht von Nukuhiva gesucht hatte, und etwa zwei oder drei Meilen von der Küste einem großen Kanu voll von Eingeborenen begegnete, die sich erboten, ihnen den Weg zu zeigen. Der Kapitän, der die Insel nicht kannte, nahm den Vorschlag freudig an; das Kanu paddelte weiter und das Schiff folgte; es wurde nach einer herrlichen Bucht geführt und warf im Schatten des hohen Ufers den Anker aus. Noch in derselben Nacht kamen die treulosen Taïpis, die sie so in ihre Todesbucht gelockt hatten, zu Hunderten an Bord des verlorenen Schiffs, und auf ein gegebenes Zeichen ermordeten sie die gesamte Besatzung bis auf den letzten Mann.


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