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Vierundzwanzigstes Kapitel

Obschon ich über vieles, was mich interessierte, bei dem letzten Fest keine Aufklärung hatte erhalten können, so waren doch meine allgemeinen Kenntnisse von den Inselbewohnern bedeutend vermehrt worden.

Was mir besonderen Eindruck machte, war ihre außerordentliche Körperkraft und Schönheit; sie übertrafen darin die Bewohner der benachbarten Bucht von Nukuhiva bei weitem: auch die großen Unterschiede in ihrer Hautfarbe fielen mir auf.

An Schönheit und Gestalt übertrafen sie alles, was ich je gesehen. In der Menge, die an dem Schmause teilnahm, sah ich keine einzige Mißgestalt. Ich sah wohl gelegentlich an den Männern Narben, die von im Kampf erhaltenen Wunden herrührten, und manchmal, wenn auch selten, hatte einer aus der gleichen Ursache einen Finger, ein Auge oder einen Arm verloren. Davon abgesehen, waren alle wundervoll gebaut und ohne körperliche Fehler, und beinahe jeder hätte einem Bildhauer zum Modell dienen können.

Im Geist verglich ich diese nackten Inselbewohner mit den eleganten Herren, die so tadellos auf unseren Promenaden erscheinen: wenn man sie dessen beraubte, was sie der Kunst des Schneiders verdanken, und sie im paradiesischen Gewande dastünden, was für einen traurigen Eindruck würden diese rundrückigen, dürrschenkeligen, dünnhalsigen Herren machen! Wie bedauerlich würden sie ohne künstliche Waden, ausgestopfte Brust und wunderbar geschnittene Hosen aussehen!

Was mir an den Insulanern besonders auffiel, war die Weiße ihrer Zähne. Sie waren herrlicher als Elfenbein. Die der ältesten Graubärte waren besser erhalten als die junger Leute in zivilisierten Ländern; die der jungen Leute und der Männer in mittleren Jahren waren einfach blendend. Diese wunderbare Weiße ihrer Zähne kommt von der reinen Pflanzenkost und der herrlichen Gesundheit, die sie ihrer natürlichen Lebensweise verdanken.

Die Männer sind fast alle sehr groß, kaum einer weniger als sechs Fuß hoch, während das andere Geschlecht ungewöhnlich klein ist. Es muß auch erwähnt werden, wie früh die Menschen in dem reichen tropischen Klima zur Reife gelangen. Ein kleines Ding, das noch nicht über dreizehn Jahre alt ist und als ein bloßes Kind gelten könnte, nährt oft bereits ihr Baby; und Jungen, die unter rauherem Himmel noch auf der Schulbank säßen, sind Familienväter.

Als ich das Taïpi-Tal zuerst betrat, war mir sogleich der große Unterschied zwischen seinen Bewohnern und denen der anderen Buchten aufgefallen. In Nukuhiva waren mir die Männer keineswegs schön erschienen, wenn mir auch die Frauen, von einigen traurigen Ausnahmen abgesehen, außerordentlich gefallen hatten.

Auch aus anderen Gründen möchte ich annehmen, daß es sich um zwei ganz verschiedene Stämme, wenn nicht zwei Rassen handelt. Wer nur die Bucht von Nukuhiva berührt hat, ohne andere Teile der Insel zu besuchen, würde es kaum glauben, wie verschieden die kleinen Stämme sind, die diesen winzigen Fleck Erde bewohnen. Vielleicht erklärt die Erbfeindschaft, die seit vielen Generationen zwischen ihnen besteht, diese Erscheinung.

Nicht so leicht dürfte es sein, für die unendliche Verschiedenheit der Hautfarbe, die man im Taïpi-Tal beobachten kann, eine Erklärung zu finden. Bei dem Feste hatte ich mehrere junge Weiber gesehen, deren Hautfarbe fast so weiß wie die angelsächsischer Damen war; ein kleiner Stich ins Bräunliche war der ganze Unterschied. Diese verhältnismäßig helle Hautfarbe ist zwar wesentlich Natur, aber zum Teil auch das Ergebnis künstlicher Behandlung. Der Saft der »Pepa«-Wurzel, die sich im oberen Talende reichlich findet, wird als Schönheitsmittel sehr geschätzt, und viele Weiber reiben täglich den ganzen Körper damit ein. Ihr Gebrauch macht die Haut weiß und verschönert sie. Die jungen Mädchen, die auf diese Weise ihre Reize zu vermehren suchen, setzen sich auch niemals den Sonnenstrahlen aus; das macht keinerlei Schwierigkeiten, da es nur wenige unbewohnte Strecken im Tale gibt, die nicht von einem weiten Laubdach überschattet wären, so daß man ohne Umweg von Haus zu Haus gehen kann, ohne jemals seinen eigenen Schatten zu sehen.

Man läßt das Pepa mehrere Stunden auf der Haut; es hat eine hellgrüne Farbe und gibt dem Teint mit der Zeit die gleiche Schattierung. Nichts kann sonderbarer sein, als wenn man eines dieser nahezu nackten Dämchen, unmittelbar nachdem sie sich damit eingerieben haben, erblickt. Sie sehen wie unreife, grüne Pflanzen aus, die man zum Reifen in die Sonne legen möchte, während sie gerade im Schatten bleiben wollen.

Das Salben ist allgemein Sitte; die Frauen bevorzugen »Ekar« oder »Pepa«, die Männer nehmen Kokosnußöl. Mehivi liebte es, sich damit einzureiben. Manchmal dampfte sein ganzer Leib von dem duftenden Nußöl, und er sah aus, als ob er eben dem Kessel eines Seifensieders entstiegen wäre oder sich in Talgmasse getaucht hätte. Davon sowie von dem vielen Baden und ihrer außerordentlichen Reinlichkeit haben die Eingeborenen eine so wunderbar reine und glatte Haut.

Die vorherrschende Hautfarbe der Frauen des Tales war ein helles Oliv; Fayaweh war das schönste Beispiel. Andere waren dunkler, nicht wenige geradezu goldfarben und einige hatten eine schwärzliche Haut.

Schon Mendaña, ihr erster Entdecker, schildert die Eingeborenen der Marquesas in seinem Bericht als »wunderbar schön zu schauen und den Bewohnern Südeuropas ähnelnd«. Die erste der Inseln, die Mendaña erblickte, war La Madelena, die nicht weit von Nukuhiva liegt und deren Bewohner denen der anderen Inseln der Gruppe in jeder Hinsicht gleichen. Figueroa, der Chronist, der die Reise Mendanas beschrieb, erzählt, daß an dem Morgen, als das Land in Sicht kam und die Spanier sich dem Ufer näherten, etwa sechzig Kanus herauskamen, während gleichzeitig viele Eingeborene – ich vermute, die Frauen – auf die Schiffe zuschwammen. Er fügt hinzu, daß sie »von nahezu weißer Farbe, stattlichem Bau und wohlgestaltet waren; auf ihren Gesichtern und Körpern waren Bilder von Fischen und andere Ornamente gezeichnet«. Und der alte Don fährt fort: »Unter anderem kamen zwei Burschen in ihrem Kanu, die ihre Blicke auf das Schiff hefteten; sie waren schön von Angesicht und hatten ein vielversprechendes Mienenspiel; ihr ganzes Wesen war so anmutig, daß Quiros, der Oberlotse, erklärte, nichts im Leben habe ihm so leid getan, als daß er so schöne Geschöpfe in diesem Lande zurücklassen mußte, wo sie doch verloren waren.«

Einige der Eingeborenen, die beim Fest der Kalebassen gewesen waren, hatten ein paar europäische Kleidungsstücke besessen, die sie jedoch in ihrer eigenen Weise am Leibe trugen. Ich entdeckte auch die zwei Stücke Wollstoff, die der arme Toby und ich unseren jugendlichen Führern an dem Nachmittag geschenkt hatten, an dem wir ins Tal gekommen waren. Sie wurden offenbar für hohe Festtage aufgespart, und während jenes Festes verschafften sie den jungen Leuten, die sie trugen, beträchtliches Ansehen. Die geringe Zahl derer, die ähnlich herausgeputzt waren, und der große Wert, den sie auf die gewöhnlichsten und unbedeutendsten Gegenstände legten, bewies zur Genüge, wie gering ihr Verkehr mit den fremden Schiffen war, die das Eiland berührten. Einige wenige Baumwolltücher, die um den Hals gebunden waren und über die Schultern fielen, und Streifen gemusterten Kalikos, der um die Lenden gewickelt wurde, waren fast alles, was ich sah.

Im ganzen Tal gab es nur sehr wenig Gegenstände europäischer Herkunft. Außer den eben erwähnten Tüchern weiß ich nur von den sechs Musketen, die im Tai aufbewahrt wurden, und von drei oder vier ähnlichen Kriegswaffen, die in anderen Häusern hingen, sowie einigen kleinen Beuteln aus Segeltuch, die zum Teil Kugeln und Pulver enthielten; ich sah auch ein halbes Dutzend alter Beilschneiden, aber so stumpf und schartig, daß sie völlig wertlos waren. Auch die Eingeborenen schienen das zu wissen; denn sie nahmen sie mehrmals vor mir zur Hand und warfen sie mit einer Gebärde des Ekels weg, ohne zu ahnen, wie leicht man sie wieder brauchbar machen konnte.

Dagegen wurden die Musketen, Pulver und Blei mit übertriebener Wertschätzung behandelt. Die ersteren waren so alt und seltsam, daß sie in einen Antiquitätenladen gepaßt hätten. Ich erinnere mich besonders einer, die im Tai hing und die mir Mehivi eines Tags übergab, weil er offenbar dachte, daß ich sie reparieren könnte. Es war eine jener schwerfälligen und altmodischen englischen Hakenschloßflinten, die man bei uns als Museumsstücke vom Tower kennt, und die vielleicht noch von Wallace, Carteret, Cook oder Vancouver herrührten. Der Schaft war halb verfault und wurmstichig; das Schloß war ganz verrostet und für seinen Zweck so geeignet wie eine alte Türangel; die Schraubengewinde am Hahn waren völlig ausgeleiert, das Rohr saß nicht mehr fest im Holz. Da ich weder ein gelernter Waffenschmied war, noch die nötigen Werkzeuge hatte, mußte ich dem Häuptling, wenn auch ungern, gestehen, daß ich nichts damit machen konnte. Mehivi sah mich einen Augenblick an, als argwöhnte er, daß ich eine mindere Art weißen Manns sei, nicht viel klüger als ein Taïpi. Durch eine sehr mühsame Erklärung machte ich ihm zuletzt begreiflich, wie außerordentlich schwierig die Sache war. Immerhin ging er nur halb befriedigt und beinahe empört mit der veralteten Waffe davon, als wollte er sie meinen ungeschickten Händen nicht anvertrauen.

Während des Festes hatte ich vor allem die Einfachheit, die Ungezwungenheit und – bis zu einem gewissen Grad – die Gleichheit der Eingeborenen beobachtet. Niemand schien sich irgendeinen Vorzug anzumaßen oder besondere Ansprüche zu machen. Nur geringe Unterschiede in der Tracht zeichneten die Häuptlinge vor den anderen aus. Alle schienen frei und rückhaltlos miteinander zu verkehren; ich bemerkte jedoch, daß der Wunsch eines Häuptlings, und wenn er im sanftesten Ton ausgesprochen wurde, ebenso augenblicklichen Gehorsam fand, wie man ihn anderswo einem strengen Befehl geleistet hätte. Wie weit die Autorität der Häuptlinge über die anderen Mitglieder des Stammes reichte, vermag ich nicht zu sagen, aber nach allem, was ich während meines Aufenthalts sah, muß ich annehmen, daß sie in Fragen des Gemeinwohls nur eine sehr beschränkte ist. Aber man behandelte sie mit williger Ehrerbietung, und da ihre Autorität sich vom Vater auf den Sohn vererbte, so bezweifle ich nicht, daß hier wie anderswo einer hohen Geburt Achtung und Gehorsam erwiesen wurde.

Die Rangabstufung unter den einzelnen Taïpi-Häuptlingen wurde mir nicht immer klar. Vor dem Kalebassen-Fest hatte ich mir oft den Kopf darüber zerbrochen, welche Stellung Mehivi eigentlich einnahm. Die Rolle, die er auf dem Fest spielte, hatte mich davon überzeugt, daß niemand im Tal höheren Rang hatte als er. Ich hatte schon immer bemerkt, daß alle, mit denen ich ihn sah, ihm eine gewisse Ehrerbietung erwiesen, aber wenn ich bedachte, daß ich nur in einem bestimmten Teil des Tales umhergekommen war, daß gegen das Meer zu noch hervorragende Häuptlinge wohnten, von denen einige mich in Marheyos Haus besucht hatten, die ich aber bis zum Fest nie in Mehivis Gesellschaft gesehen, so war ich geneigt, zu glauben, daß sein Rang kein so besonders hoher sein mochte.

Bei den Schmausereien aber waren all die Krieger zusammengekommen, die ich vorher einzeln oder in Gruppen bei verschiedenen Gelegenheiten kennengelernt hatte. Mehivi bewegte sich unter ihnen mit einer sicheren Überlegenheit, die unverkennbar war, und er, den ich bisher nur für den gastlichen Hausherrn des Tai und einen der kriegerischen Führer des Stammes gehalten hatte, erschien mir jetzt in königlicher Stellung. Seine auffallende Tracht und seine gebieterische Erscheinung ließen ihn hervorstechen. In dem türmenden Federhelm, den er trug, überragte er alle, die ihn umgaben, und wenn einige auch eine ähnliche Zier besaßen, so war ihr Federschmuck bei weitem nicht so lang und üppig wie der seine.

Mehivi also war der größte Häuptling, das Oberhaupt des Clan, der Gebieter des Tales, und es bewies nur die Einfachheit der Sitten und der sozialen Einrichtungen dieses Volkes, daß ich mehrere Wochen im Tale gelebt und fast täglich mit Mehivi verkehrt und doch bis zum Fest nichts von seiner königlichen Würde geahnt hatte. Jetzt ging mir ein neues Licht auf. Der Tai war der königliche Palast und Mehivi der König. Beide waren allerdings von einfachster patriarchalischer Art, und von dem Pomp und dem Zeremoniell, die sonst den Purpurträger umgeben, war nichts zu bemerken.

Als ich diese Entdeckung gemacht hatte, konnte ich nicht umhin, mich zu beglückwünschen, daß Mehivi mich von Anfang an gleichsam in seinen königlichen Schutz genommen, und daß er auch weiterhin die wärmste Zuneigung zu mir hatte, soviel ich zumindest aus dem Anschein schließen konnte. Ich nahm mir vor, mich hinfort weiter so beliebt wie möglich zu machen, in der Hoffnung, möglicherweise durch ihn einst zur Freiheit zu gelangen.


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