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Zehntes Kapitel

Müde von den Anstrengungen des Tages lag Toby neben mir in schwerem Schlummer; mich hinderte der Schmerz am Schlafen, und lebhaft drängte sich mir die furchtbare Gefährlichkeit unserer Lage auf. Es war kein Zweifel mehr darüber möglich, daß wir uns im Tal der schrecklichen Taïpis befanden, und der Gedanke machte mich schaudern. Welches Schicksal lag vor uns? Gewiß waren wir bisher nicht nur nicht verletzt, sondern sogar freundlich aufgenommen und gastlich bewirtet worden; aber wer kann sich auf diese leidenschaftlichen Wilden verlassen? Ihre Verräterei war sprichwörtlich. Konnte sich nicht hinter dem schönen Schein eine treulose Absicht verbergen, auf den freundlichen Empfang eine schauerliche Katastrophe folgen? Düstere Ahnungen erfüllten mich, als ich ruhelos auf meinem Lager von Matten lag und rings um mich die im Dunkel nur ungewiß sichtbaren Gestalten der gefürchteten Feinde liegen sah.

Aus der schrecklichen Erregung sank ich gegen Morgen in einen unruhigen Schlaf, und als ich aus einem entsetzlichen Traum emporfuhr, sah ich in eifrige Gesichter, die sich über mich beugten. Es war heller Tag, das ganze Haus angefüllt von jungen Frauenzimmern, die phantastisch mit Blumen geschmückt waren, und deren Gesichter, als ich mich erhob, kindisches Entzücken und lebhafteste Neugier ausdrückten. Nachdem sie auch Toby geweckt hatten, setzten sie sich im Kreise um uns auf die Matten und ließen sich mit jener Forschungslust gehen, die dem reizenden Geschlecht seit unvordenklichen Zeiten nachgesagt wird. Diese von Kultur unbeleckten jungen Geschöpfe waren von keiner Duenna begleitet, sie hielten sich an keine Form, kannten keine künstliche Zurückhaltung. Sie beehrten uns mit den eingehendsten Untersuchungen und lachten dabei so laut und stürmisch, daß ich mir sehr schafsmäßig vorkam, während Toby über die Vertraulichkeiten, die sie sich gestatteten, aufs höchste empört war.

Dabei waren diese lebhaften jungen Damen zu gleicher Zeit überraschend höflich und menschlich; sie fächelten uns die Insekten fort, die uns gelegentlich ins Gesicht flogen, sie boten uns Nahrung und hatten für meine Schmerzen die mitleidigsten Blicke. Aber so liebenswürdig sie waren, meine Begriffe von Anstand verletzten sie entschieden, denn die Grenzen, die in Europa weiblicher Zurückhaltung vorgeschrieben werden, überschritten sie durchaus.

Als sie sich nach Herzenslust unterhalten hatten, zogen unsere jungen Besucherinnen sich zurück und räumten Scharen von Männern den Platz, die bis gegen Mittag unaufhörlich ins Haus strömten; um diese Zeit hatte sich zweifellos der größte Teil der Talbewohner an unserem Anblick gelabt.

Als ihre Zahl endlich geringer wurde, trat ein prachtvoll aussehender Krieger ein; er mußte sich bücken, um mit den wehenden Federn seines Hauptschmucks durch die niedrige Tür zu gelangen. Ich sah sogleich, daß er eine hervorragende Persönlichkeit sein mußte, denn die Eingeborenen behandelten ihn mit größter Ehrfurcht und räumten ihm den Platz, sowie er herantrat.

Er sah imponierend aus. Die leuchtenden, lang herabhängenden Schwanzfedern des Tropenvogels, mit farbigen Hahnenfedern abwechselnd, standen in einem mächtigen Halbkreis aufrecht um seinen Kopf; an ihrem unteren Ende waren sie in einem Halbmond von Glasperlen befestigt, der seine Stirne umspannte. Um seinen Hals hingen mehrere gewaltige Ketten von Eberzähnen, die glatt wie Elfenbein und so angeordnet waren, daß die längsten und größten auf seiner breiten Brust lagen. In seinen großen Ohrlöchern staken zwei kleine fein geformte Pottwalzähne, mit den Höhlungen, in denen frisch gepflückte Blätter staken, nach vorn, während sie am anderen Ende zu seltsamen kleinen Bildern und Zeichen geschnitzt waren. So vom Ohr herunterhängend, glichen diese barbarischen Schmuckstücke einem Paar von Füllhörnern. Die Lenden des Kriegers waren mit schweren Falten von dunkelfarbigem Tappa gegürtet, wobei vorn und hinten Büschel von geflochtenen Quasten hingen; Hals- und Knöchelringe aus gelocktem Menschenhaar vollendeten sein eigenartiges Kostüm. In der rechten Hand trug er einen schön geschnitzten Ruderspeer von beinahe fünfzehn Fuß Länge aus glänzendem Koarholz, der an dem einen Ende scharf zugespitzt und am anderen abgeflacht wie ein Ruder war. Schräg von seinem Gürtel hing in einer Schlinge aus Flechtwerk eine reich verzierte Pfeife. Das dünne Rohr, das den Stiel bildete, war rot gefärbt, und rings um ihn, sowie um den als Götzen geschnitzten Kopf, flatterten kleine Streifen von dünnstem Tappastoff.

Aber was an dem prachtvollen Menschen am auffälligsten erschien, das war die sorgfältige Tätowierung seiner herrlichen Glieder. Alle erdenklichen Linien, Kreise und Figuren waren auf seinen ganzen Körper gezeichnet, die in ihrer grotesken Buntheit und Überfülle an die seltsam gehäuften Muster kostbarer alter Spitzen erinnerten. Die einfachsten und auffälligsten zugleich zierten sein Gesicht. Zwei breite tätowierte Streifen, die von der Mitte seines kahl geschorenen Schädels ausgingen, liefen schräg über beide Augen, so daß sie die Lider färbten, und vereinten sich unter jedem Ohr mit einem anderen Streifen, der in gerader Linie die Lippen entlang lief und die Basis dieses Dreiecks bildete. Der Krieger war so wundervoll gebaut, daß man sagen konnte, die Natur habe ihn adlig gestaltet, und die Linien in seinem Gesicht bezeichneten vielleicht seinen hohen Rang.

Er setzte sich in einiger Entfernung von der Stelle nieder, wo Toby und ich ruhten, und die übrigen Wilden sahen bald ihn, bald uns an, als erwarteten sie etwas, das immer noch nicht kam. Als ich den Häuptling aufmerksam betrachtete, schienen mir seine Züge bekannt, und sowie er mir sein Gesicht voll zuwandte und ich dem seltsamen Blick begegnete, der sich in der Nacht vorher auf mich geheftet hatte, erkannte ich trotz der Veränderung in seiner Tracht den edlen Mehivi. Als ich ihn ansprach, kam er herzlich auf mich zu, begrüßte mich warm und schien den Eindruck, den sein barbarisches Kostüm auf mich gemacht hatte, nicht wenig zu genießen.

Ich beschloß sogleich, mir womöglich sein Wohlwollen zu sichern, da ich wohl erkannte, daß er großes Ansehen in seinem Stamme besaß und auf unser späteres Schicksal mächtigen Einfluß üben konnte.

Ich tat es mit Erfolg. Die Freundlichkeit, die er mir und meinem Genossen zeigte, hätte nicht größer sein können. Er streckte seine stämmigen Glieder neben uns aus und suchte uns begreiflich zu machen, wie groß sein Wohlwollen für uns war, und daß die Verständigung fast unübersteigliche Schwierigkeiten bot, ärgerte ihn nicht wenig. Er wünschte vor allem über die Sitten und Eigentümlichkeiten des fernen Landes unterrichtet zu werden, aus dem wir kamen, und das er immer wieder »Manikah« nannte.

Aber was ihn mehr als alles andere beschäftigte, das war das Vorgehen der »Frenih« – so nannte er die Franzosen – in der Bai von Nukuhiva. Darüber wurde er nicht müde uns zu befragen, aber alles, was uns ihm mitzuteilen gelang, war wenig mehr, als daß wir sechs Kriegsschiffe in der feindlichen Bucht liegen sehen hatten, als wir sie verließen. Sowie er dies hörte, begann Mehivi mit Hilfe seiner Finger eine lange Berechnung; er schien die Zahl der Franzosen abzuschätzen, die das Geschwader mit sich führen mochte.

Er schien gerade damit fertig geworden zu sein, als er die Schwellung meines Beines bemerkte. Er untersuchte es sogleich mit größter Aufmerksamkeit, dann schickte er einen Jungen, der gerade dastand, mit irgendeiner Botschaft weg. Wenige Augenblicke später kehrte der Bursche mit einem alten Manne zurück. Sein Kopf war kahl wie eine polierte Kokosnußschale, der er auch in Farbe und Glätte glich; ein langer silberweißer Bart reichte ihm fast bis zu dem Rindengürtel, den er trug. Um seine Schläfen lief ein Band aus geflochtenen Blättern des Omubaumes, das so über seinen Brauen lag, daß es seine schwachen Augen vor dem Sonnenglanz schützte. Er ging mit schwankenden Schritten an einem langen dünnen Stecken; in der einen Hand trug er einen frisch geflochtenen Fächer aus jungen grünen Kokosblättern. Ein flutendes Gewand aus Tappa, das über der Schulter zusammengeknüpft war, fiel in losen Falten um seine gebeugte Gestalt und ließ ihn noch ehrwürdiger erscheinen.

Mehivi grüßte diesen alten Herrn, bedeutete ihm, sich zwischen uns zu setzen, dann entblößte er mein Bein und bat ihn, es zu untersuchen. Der Wundarzt sah mich und Toby aufmerksam an, dann ging er ans Werk. Nachdem er das schmerzende Glied sorgfältig untersucht hatte, begann er die Behandlung; er schien anzunehmen, daß es gefühllos geworden war, denn er begann es in einer Weise zu kneten und zu hämmern, daß ich vor Schmerz brüllte. Vergeblich suchte ich Widerstand zu leisten; es schien nicht leicht, den Fängen des alten Hexenmeisters zu entgehen; er hielt das Bein fest, als wäre es ein Schatz, und während er eine Art Beschwörung murmelte, fuhr er mit seiner Behandlung fort, so daß ich beinahe wahnsinnig wurde; Mehivi aber hielt mich mit gewaltigem Griff fest, etwa wie eine liebevolle Mutter ein sich wehrendes Kind im Stuhle des Zahnarztes festhält, und feuerte den Kerl noch an, die Folter fortzusetzen. Beinahe verrückt vor Schmerz und Wut, brüllte ich wie ein Wahnsinniger, während Toby, alle Stellungen eines hervorragenden Mimikers annehmend, vergeblich versuchte, die Eingeborenen durch Zeichen und Gebärden von ihrem Tun abzubringen. Es sah absolut so aus, als ob er das Taubstummenalphabet vorgeführt hätte, und ob der alte Folterknecht Tobys Bitten nachgab oder aus purer Erschöpfung innehielt, weiß ich nicht; jedenfalls hörte er plötzlich mit der Behandlung auf, der Häuptling ließ mich los, und ich sank erschöpft und schwer atmend auf das Lager zurück. Mein Bein sah beinahe aus wie ein Rinderbraten, den die Köchin geklopft hat, ehe sie mit dem Schmoren beginnt. Der Arzt aber nahm nun einige Kräuter aus einem kleinen Beutel, der an seiner Seite hing, befeuchtete sie mit Wasser und legte sie auf die entzündete Stelle; dabei beugte er sich wieder darüber und flüsterte Zaubersprüche, wenn es nicht etwa ein vertrauliches Gespräch mit einem Dämon war, den er in meiner Wade vermutete. Dann wurde das Bein ganz in einen Verband aus Blättern gewickelt; ich dankte der Vorsehung für die Einstellung der Feindseligkeiten und hatte nun Ruhe.

Bald darauf erhob Mehivi sich, aber ehe er ging, sprach er gebieterisch zu einem der Eingeborenen, den er Kory-Kory nannte; und aus dem wenigen, was ich davon verstand, entnahm ich, daß er ihm das besondere Amt, für mich zu sorgen, übertrug. Ich weiß nicht einmal, ob ich das sogleich verstand, aber das Verhalten dieses meines wackeren Leib- und Kammerdieners in der Folge machte mir klar, daß es so gemeint war.

Sehr amüsant war, daß der Häuptling nunmehr eine Ansprache an mich hielt und wenigstens fünfzehn bis zwanzig Minuten so ruhig zu mir redete, als ob ich jedes Wort verstehen müßte. Ich habe dies nachher noch oft bei vielen anderen Bewohnern der Insel erlebt.

Als Mehivi gegangen war und der Hausarzt uns gleichfalls verlassen hatte, blieben wir – es war gegen Sonnenuntergang – mit den zwölf Eingeborenen zurück, die, wie ich inzwischen festgestellt hatte, den Haushalt bildeten, zu dem Toby und ich nunmehr gehörten.

Das Haus, in das ich zuerst geführt worden war, blieb auch meine ständige Wohnung während meines Aufenthaltes im Tale; es glich den meisten anderen Wohnstätten und läßt sich etwa in folgender Weise beschreiben:

Nahe der Talseite und etwa auf halber Höhe eines ziemlich steil ansteigenden, mit dem reichsten Grün bewachsenen Abhanges war eine Anzahl großer Steine bis zu etwa acht Fuß Höhe geschichtet, so daß sie eine ebene Fläche bildeten, auf der dann das Wohnhaus aufgeführt wurde. Vorn blieb ein schmaler Raum auf der Steinschicht – die die Eingeborenen »Pai-Pai« nennen – frei, der, mit einem kleinen Rohrzaun umgeben, eine Art Veranda bildete. Das eigentliche Gestell des Hauses besteht aus dicken, aufrecht eingesetzten Bambusstäben, die in Zwischenräumen durch Querstäbe aus dem leichten Holz des Hybiscus gesichert sind, die wiederum mit Riemen aus Baumrinde verknotet werden. Die Wände sind aus aneinandergebundenen Kokoszweigen zusammengefügt, deren Blätter sehr geschickt miteinander verflochten sind; die Rückseite ist ein wenig geneigt, sie erhebt sich vom äußersten Ende des Pai-Pais etwa zwanzig Fuß; das vorspringende Dach, das mit langen spitzen Zwergpalmblättern gedeckt ist, neigt sich stark geschrägt bis etwa fünf Fuß über den Boden; über die Fassade hängen quastengleiche Büschel herunter. Diese bestand aus schlanken, eleganten Rohrstäben, die eine Art Gitterwerk bildeten, das mit Gebinden, die es zusammenhielten, geschmackvoll verziert war. Die Seitenwände des Hauses waren in gleicher Weise angelegt, so daß die Luft von drei Seiten frei durchziehen konnte, während das Innere vor Regen völlig geschützt war.

Die Länge dieser malerischen Wohnstätte betrug etwa zwölf Ellen, die Breite kaum mehr als ebensoviel Fuß. Von außen erinnerte es mich mit seinen rohrgeflochtenen, metalldrahtgleichen Stäben an ein riesiges Vogelhaus.

Man mußte sich ein wenig bücken, um durch die schmale Öffnung an der Vorderseite einzutreten; zwei lange, vollkommen gerade und sorgfältig geglättete Kokosbaumstämme lagen in der ganzen Länge des Hauses, der eine an der Rückwand, der andere, etwa vier Schritte entfernt, parallel dazu; zwischen beiden Stämmen war eine Menge bunt geflochtener Matten gebreitet, beinahe jede mit einem anderen Muster. Dieser Raum bildete den gemeinsamen Lager- und Aufenthaltsplatz der Eingeborenen, etwa dem Diwan im Orient entsprechend. Hier schlummerten sie in der Nacht, hier lagen sie genießerisch den größten Teil des Tages. Der übrige Teil des Fußbodens zeigte nur die kalte glänzende Fläche der breiten Steine des Pai-Pai. Von der großen Querstange unter dem Dach des Hauses hing eine Anzahl von Bündeln herab, die in grobes Tappa gehüllt waren; einige davon enthielten Festgewänder und andere Kleidungsstücke. Mit Hilfe einer Schnur, die über die große Stange lief und mit dem einen Ende je an einem Bündel, mit dem anderen an der Wand festgemacht war, konnte man sie nach Belieben herunterlassen oder zur Decke hinaufziehen.

An der Rückseite des Hauses waren eine Menge Spieße, Wurfspeere und anderes Kriegsgerät geschmackvoll angeordnet. Außerhalb der Wohnung auf dem freien Platz davor befand sich ein kleiner Schuppen, der als eine Art Speisekammer gebraucht wurde und in dem die verschiedensten Gegenstände, die im Haushalt und sonst nötig waren, aufbewahrt wurden.

Wenige Schritte von dem Pai-Pai entfernt, befand sich ein großer Schuppen aus Kokoszweigen, in dem das »Poï-Poï« bereitet wurde und der überhaupt als Küche diente.

Ein bequemeres und für das Klima und die Leute geeigneteres Haus hätte man nicht erdenken können. Es war kühl, ließ überall Luft einströmen, war äußerst sauber gehalten und durch den steinernen Unterbau vor der Feuchtigkeit und allen Unsauberkeiten des Bodens geschützt.

Was die Bewohner betrifft, so hat mein treuer Diener Kory-Kory das Recht auf den ersten Platz. Sein Charakter wird im Laufe der Erzählung klar werden; hier sei nur sein Äußeres geschildert. Kory-Kory war der hingebungsvollste und gutmütigste Pfleger der Welt, aber leider scheußlich anzusehen. Er war etwa fünfundzwanzig Jahre alt, ungefähr sechs Fuß hoch, wohlgebaut und kräftig, dennoch bot er einen erstaunlichen Anblick. Der Kopf war sorgfältig kahl geschoren bis auf zwei kreisrunde große Flecke nahe dem Scheitel, an denen das Haar, das er an diesen Stellen erstaunlich lang wachsen ließ, zu zwei abstehenden Knoten geflochten war, die ihm geradezu ein gehörntes Aussehen gaben. Desgleichen war der Bart fast im ganzen Gesicht sorgfältig ausgerupft, nur zwei lange haarige Strähnen hingen von seiner Oberlippe, und zwei andere befanden sich am Kinn. Um sich weiter zu verschönern, hatte Kory-Kory sein Gesicht mit drei breiten Querstreifen tätowiert, die seine Nase überquerten, in die Augenhöhlen hinabstiegen und sich um seinen Mund zogen. Alle drei umspannten sein ganzes Gesicht: der eine verlief in Augenhöhe, der andere kreuzte das Gesicht in der Nähe der Nase, der dritte zog sich die Lippen entlang von einem Ohr zum anderen. So dreigeteilt schien sein Gesicht immerfort hinter Gefängnisstäben hervorzusehen, während der übrige Körper meines wackeren wilden Dieners über und über mit Darstellungen von Vögeln und Fischen und anderen ganz unbegreiflichen Geschöpfen bedeckt, an eine mittelalterliche Naturgeschichte erinnerte.

Dabei erscheint es mir fast herzlos, so von dem Armen zu sprechen, dessen unablässiger Pflege ich vermutlich mein Leben verdanke. Sein Anblick, mir so ungewohnt, entsprach nur der Sitte seines Landes.

Sein Vater war ein Eingeborener von riesiger Größe, der einmal ungeheuere Kräfte besessen hatte; jetzt war seine mächtige Gestalt von der Last der Jahre gebeugt, obwohl der alte Krieger niemals im Leben krank gewesen zu sein schien. Marheyo, so hieß er, schien sich von aller Teilnahme am Leben des Tales zurückgezogen zu haben; selten oder nie begleitete er die anderen auf ihren Zügen; den größten Teil der Zeit beschäftigte er sich mit der Errichtung eines kleines Schuppens neben dem Hause, an dem er, soweit ich weiß, vier Monate arbeitete, ohne sichtbare Fortschritte zu machen. Vermutlich befand er sich im Zustand greisenhaften Schwachsinns. Er hatte ein Paar auserwählter Ohrschmuckstücke, die aus den Zähnen irgendeines Seeungeheuers geschnitzt waren. Diese legte er wohl mindestens fünfzigmal am Tage an und nahm sie wieder ab, wobei er jedesmal still aus seiner kleinen Hütte ins Haus und wieder dahin zurückging. Manchmal, wenn er den Schmuck in die Ohren gesteckt, ergriff er seinen Speer, der lang und dünn war wie eine Angelrute, und schritt damit in den benachbarten Hainen auf und ab, als erwartete er irgendeinen Kannibalenritter zum Zweikampf. Aber bald kam er wieder zurück, barg seine Waffe unter dem vorspringenden Dach, wickelte seine plumpen Schmuckstücke sorgfältig in ein Stück Tappa und nahm seine friedliche Arbeit am Schuppen wieder auf. Bei alledem war er ein väterlicher, warmherziger alter Mensch, und glich darin durchaus seinem Sohne. Kory-Korys Mutter war die Herrin des Hauses, eine großartige Hausfrau und überhaupt eine höchst tätige alte Dame. Wenn sie auch nicht Marmeladen, Teekuchen und Puddings zu machen verstand, so war sie dafür vollkommen in die Geheimnisse, wie man »Emar«, »Poï-Poï«, »Koku« und andere kräftige Gerichte bereitet, eingeweiht. Sie war immer geschäftig; schoß um das Haus herum, wie die Besitzerin eines Wirtshauses auf dem Land, in das unerwartete Gäste gekommen sind; unaufhörlich gab sie den jungen Mädchen Aufträge, die diese nachlässigen Frauenzimmerchen oft genug nicht ausführten; jetzt schoß sie in diese Ecke, jetzt in jene, suchte in den Bündeln aus altem Tappa herum oder machte ein erstaunliches Geklapper mit ihren Kalebassen. Dann sah ich sie wieder mit gekreuzten Beinen vor einem ungeheueren hölzernen Becken sitzen, und ein gewaltiges Poï-Poï kneten oder mit dem Steinmörser hämmern, daß das Gefäß in Stücke zu gehen schien, dann lief sie wieder durch das Tal, um eine besondere Art Blätter zu finden, die sie zu ihren geheimnisvollen Künsten brauchte und kam keuchend und schwitzend nach Hause, und hatte ein Bündel aufgeladen, das die meisten Frauen nicht hätten tragen können.

Ich muß allerdings sagen, daß Kory-Korys Mutter die einzige derart geschäftige und tätige Person im ganzen Tale war; wenn sie eine kräftige und mittellose Witwe mit einer zahlreichen Kinderschar im trostlosesten Teil der zivilisierten Welt gewesen wäre, sie hätte nicht tätiger sein können. Hier auf der Insel aber war der größte Teil ihrer Arbeit vollkommen unnötig; die alte Dame schien einem unwiderstehlichen Zwang zu folgen; sie konnte einfach nicht in Ruhe bleiben. Dabei war sie nicht etwa ein Hausdrache oder sonst eine bösartige Person; sie hatte das gütigste Herz, und mich besonders behandelte sie wahrhaft mütterlich. Immer wieder brachte sie mir irgendeinen Leckerbissen, eine süße Speise, ein besonderes Gebäck der polynesischen Küche, genau wie bei uns eine verliebte Mutter ihrem kranken Jungen verzuckerte Pflaumen bringt. Ich habe an die gute, liebevolle, alte Teinor die wärmsten und dankbarsten Erinnerungen.

Außer den Genannten gehörten noch drei junge Leute zum Haushalt; liederliche, nichtsnutzige, lärmende Bengel, die entweder ihren Liebesangelegenheiten mit den Jungfrauen des Stammes nachgingen oder sich in der Gesellschaft verwandter Seelen, der größten Tunichtgute des Tales, mit »Arwa« betranken oder Tabak rauchten.

Ferner wohnten im Hause einige liebliche Fräulein, die zwar nicht wie aufgeklärtere junge Damen Piano spielten oder Romane lasen, dafür aber schönen Tappastoff webten, den größten Teil ihrer Zeit jedoch von einem Haus zum anderen hüpften, um mit ihren Bekannten zu plaudern und zu klatschen.

Ich muß indessen für die wunderschöne Fayaweh, meinen besonderen Liebling, eine Ausnahme machen. Ihre biegsame Gestalt war von vollkommener weiblicher Anmut und Schönheit. Ihre Hautfarbe war ein reiches Oliv, und wenn ihre Wangen glühten, dann war es, als ob sich unter einem durchsichtigen Email ein zartes Erröten zeigte. Das Gesicht des Mädchens war ein gerundetes Oval und jeder Zug so vollkommen, wie die Phantasie eines Mannes es nur träumen konnte. Wenn sie lächelte, dann zeigten ihre vollen Lippen blendend weiße Zähne, und wenn sie ihren rosigen Mund zu hellem Lachen öffnete, dann glichen sie den milchweißen Samenkörnern der »Arta«, einer Frucht des Tales, die, wenn man sie spaltet, diese Samenkörner in zwei Reihen, in rotem, saftigem Fleisch eingebettet, zeigt. Ihr tief braunes Haar, in der Mitte unregelmäßig geteilt, fiel in natürlichen Locken über ihre Schultern, oder, wenn sie sich vorbeugte, über ihre zarte Brust. Wenn sie nachdenklich war und ich in die Tiefe ihrer seltsamen blauen Augen sah, dann schienen sie ebenso sanft wie unergründlich. Wenn sie lebhaft bewegt war, funkelten sie wie Sterne. Fayawehs Hände waren so zart und fein wie die einer jungen Gräfin, denn durch ihre ganze Mädchenzeit und Jugend sind die Taïpi-Frauen von jeder härteren Arbeit befreit. Ihre stets bloßen Füße waren so klein und wohlgestaltet, wie sie unter dem Kleidersaum der Damen von Lima nicht zierlicher hervorsehen. Ihre Haut war durch das beständige Baden und den Gebrauch heilsamer Salben unsagbar zart und weich.

Damit sind wohl einige besondere Züge ihrer Schönheit hervorgehoben, aber die ganze Anmut ihrer Erscheinung vermag ich nicht entfernt zu schildern. Die freie, ungelernte, ungewollte Anmut solch eines Naturkindes, das seit seiner Geburt die Lüfte eines ewigen Sommers atmet und sich von den einfachen Früchten der Erde nährt, das frei und sorglos und unberührt von irgendwelchen Schädigungen dahinlebt, macht einen Eindruck, den man nicht wiedergeben kann. Man glaube mir, ich schildere kein Phantasiebild. Ich versuche lebendigste Erinnerung zu zeichnen.

Wenn man mich allerdings fragt, ob Fayawehs schöne Gestalt aller Tätowierung bar war, müßte ich dies leider verneinen. Aber die barbarischen Künstler, die die muskulösen Glieder ihrer Krieger so mitleidlos behandeln, scheinen zu erkennen, daß die Reize der Mädchen des Tales ihrer Nachhilfe nicht bedürfen. Die Frauen werden sehr wenig tätowiert, und Fayaweh und die anderen jungen Mädchen ihres Alters noch weniger als ihre älteren Schwestern. Warum, wird später erklärt werden. Drei winzige Fleckchen, nicht größer als Stecknadelköpfe, die in geringer Entfernung gar nicht sichtbar waren, zierten ihre Lippen. Über die Neigung der Schulter waren in einem Abstand von etwa einem halben Zoll zwei parallele, etwa drei Zoll lange Linien gezogen, und der Zwischenraum mit zart gezeichneten Figuren ausgefüllt. Diese schmale Tätowierung erinnerte ein wenig an die Streifen von Goldlitze, die unsere Offiziere in kleiner Uniform tragen, um an Stelle der Epauletten den Rang anzudeuten. Nur so weit war Fayaweh tätowiert und nicht mehr.

Ich muß nun noch die Kleidung beschreiben, die diese Nymphe des Tales trug. Und da muß ich gestehen, daß sie zumeist an jener Sommertracht festhielt, die im Paradiese gebräuchlich war. Aber dieses Kostüm stand ihr außerordentlich gut. Bei gewöhnlichen Gelegenheiten war sie genau so gekleidet, wie die zwei jugendlichen Wilden, die wir bei unserem ersten Eintritt ins Tal getroffen hatten. Manchmal, wenn sie in den Hainen spazierenging, oder die Häuser ihrer Bekannten besuchte, trug sie ein Röckchen von weißem Tappa, das vom Gürtel bis unter die Knie reichte; und wenn sie sich für längere Zeit der Sonne aussetzen mußte, dann schützte sie sich stets durch einen einfach umgelegten und frei fallenden Mantel aus dem gleichen Stoff, den sie lose um sich legte. Ihren Festanzug werde ich später beschreiben. So wie die Schönheiten in unseren Ländern sich gerne mit mannigfachem Schmuck aus Goldschmiedearbeit zieren, sie an die Ohren hängen, um den Hals oder ums Handgelenk legen, so pflegten das auch Fayaweh und ihre Gefährtinnen zu tun. Nur, daß Flora ihr Juwelier war. Sie trugen Halsketten aus kleinen roten Blumen, die wie Rubine an einem Tappafaden gereiht waren, oder eine weiße Knospe im Ohr, den Stiel durch die Öffnung gesteckt, so daß vorn die zart gefalteten Blumenblätter wie eine reine Perle sichtbar waren. Oft auch trugen sie Kränze, die in ihrer Anordnung den Krönlein glichen, die die Gattin eines englischen Pairs trägt, und die aus Blättern und Blumen geflochten waren. Auch Armbänder und Knöchelschmuck der gleichen zierlichen Art konnte man häufig sehen. Die Mädchen der Insel liebten Blumen leidenschaftlich und wurden nicht müde, sich damit zu schmücken.

Wenn auch, in meinen Augen wenigstens, Fayaweh unbestreitbar das lieblichste Weib war, das ich in Taïpi sah, so paßt die Schilderung, die ich von ihr gab, in gewissem Grade fast auf die ganze weibliche Jugend des Tales; der Leser mag sich vorstellen, wie schön diese Geschöpfe waren.


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