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Achtzehntes Kapitel

Die Erfahrung, die ich an diesem Tage gemacht hatte, ging mir sehr nahe. Marnu war zweifellos ein Mann, der dank seiner höheren Bildung und seiner Kenntnis von den Ereignissen, die sich in den anderen Buchten der Insel vollzogen, von den Bewohnern des Tales hoch geschätzt wurde. Er war aufs herzlichste empfangen worden. Die Eingeborenen hingen an seinem Munde, und jeder hatte sich aufs höchste geschmeichelt gezeigt, wenn er von ihm besonders bemerkt wurde. Aber einige wenige Worte, die er für meine Freilassung gesprochen, hatten nicht nur genügt, alle Eintracht und alles Wohlwollen zu verbannen, sondern, wenn ich seinen Worten glauben durfte, sogar seine persönliche Sicherheit zu gefährden.

Wie tief mußte der Entschluß der Taïpis sein und wie plötzlich waren ihre Leidenschaften entflammt! Der bloße Gedanke meines Fortgehens hatte mir Mehivi, der der einflußreichste unter den Häuptlingen war und der mir so viele Beweise seiner Freundschaft gegeben hatte, wenigstens für den Augenblick entfremdet. Auch die übrigen Eingeborenen zeigten sich meinen Wünschen durchaus abgeneigt und selbst Kory-Kory schien die allgemeine Mißbilligung zu teilen.

Vergeblich zermarterte ich mir den Kopf, weshalb die Leute mich durchaus hierbehalten wollten; ich konnte keinen Grund dafür finden.

Aber jedenfalls bewies mir dieser Vorfall, wie gefährlich es war und wie verhängnisvoll es werden konnte, sich den Wünschen des launischen und leidenschaftlichen Volkes zu widersetzen und es herauszufordern. Mir blieb nichts übrig, als die Eingeborenen glauben zu machen, daß ich mich in mein Schicksal fügte und gerne bei ihnen bleiben wollte, und durch ein ruhiges, fröhliches Verhalten den Verdacht, den ich unglücklicherweise geweckt hatte, wieder zu zerstören. Wenn ihr Vertrauen wiederhergestellt war, würden sie vermutlich in ihrer Wachsamkeit lässiger werden, und ich war dann besser in der Lage, mich einer Gelegenheit zur Flucht zu bedienen. Ich beschloß daher gute Miene zum bösen Spiel zu machen und, was auch geschehen mochte, männlich zu ertragen. Und darin hatte ich mehr Erfolg, als ich erwartete. Als Marnu seinen Besuch machte, war ich schätzungsweise etwa zwei Monate im Tal. Obschon meine unerklärliche Krankheit noch nicht völlig geheilt war und noch irgendwie in mir steckte, hatte ich doch keine Schmerzen und konnte mich bewegen. Ich durfte erwarten, vollkommen gesund zu werden. Da ich diese Befürchtung los war und im übrigen der Zukunft entschlossen ins Auge sah, überließ ich mich wieder all dem geselligen Vergnügen im Tal und suchte allen Kummer, alle Erinnerungen an mein früheres Leben mit den wilden Genüssen, die es bot, zu betäuben.

Je besser ich auf meinen Wanderungen die Bewohner des Tales kennenlernte, desto größeren Eindruck machte mir die leichtherzige Fröhlichkeit, die allenthalben herrschte. Diese einfachen Wilden, deren Seelen keine ernsteren Sorgen kannten, vermochten sich an den kleinsten Dingen, die in einem intelligenteren Gemeinwesen unbeachtet bleiben würden, aufs äußerste zu entzücken. All ihre Freuden entsprangen winzigen Vorfällen des flüchtigen Augenblicks; aber all diese Kleinigkeiten zusammen schwollen zu einer Fülle des Glücks, wie sie gebildetere Menschen selten genießen.

Wo würden zum Beispiel gebildete Menschen sich am Abschießen von Knallbüchsen erfreuen? Der bloße Gedanke würde sie ärgerlich machen, während die ganze Bevölkerung von Taïpi durch zehn Tage kaum etwas anderes tat, als sich diesem kindlichen Vergnügen hinzugeben, und vor Entzücken darüber schrie.

Eines Tages scherzte ich mit einem lebhaften kleinen Bengel, der etwa sechs Jahre alt war, er jagte mich mit einem etwa drei Fuß langen Bambusstöckchen und bearbeitete mich gelegentlich damit. Dabei entriß ich ihm den Stock und hatte den glücklichen Einfall, dem Jungen aus dem dünnen Rohr eines jener Kindergewehre zu machen, mit denen ich die Knaben bei uns oft hatte spielen sehen. Ich schnitt mit meinem Messer zwei parallele und mehrere Zoll lange Schlitze in das Rohr, schnitt den elastischen Streifen zwischen ihnen an einem Ende los, zog ihn zurück und mit dem Ende über eine kleine Kerbe, die ich zu diesem Zweck gemacht hatte. Jeder kleine Gegenstand, den ich darauf legte, mußte mit beträchtlicher Kraft aus dem Rohr geschleudert werden, wenn man den elastischen Streifen aus der Kerbe schnellen ließ.

Wenn ich nur im entferntesten geahnt hätte, welche Sensation diese ballistische Erfindung machen würde, ich hätte sicherlich ein Patent darauf genommen. Der Junge sprang halb verrückt vor Freude davon, und zwanzig Minuten, später war ich von einer lärmenden Menge umringt, ehrwürdigen Graubärten, würdigen Familienvätern, tapferen Kriegern, älteren Frauen, jungen Männern, Mädchen und Kindern, die alle Bambusstöckchen in den Händen hielten und von denen jeder schrie, daß ich ihn zuerst vornehmen sollte.

Drei oder vier Stunden war ich damit beschäftigt, derartige Büchsen zu fabrizieren; schließlich überließ ich das ganze Geschäft einem begabten Jüngling, den ich in das Geheimnis der Kunst einweihte.

Peng! Peng! Peng! tönte es durch das ganze Tal; Duelle, Scharmützel, Schlachten und allgemeine Gefechte wurden ausgefochten. Man konnte nicht durchs Dickicht gehen, ohne in einen Hinterhalt zu geraten und das Ziel für eine Schar von Musketieren zu werden, deren tätowierte Glieder man gerade noch im Laubwerk erspähen konnte. Dort wurde man von der kriegerischen Garnison eines Hauses angegriffen, deren Bambusrohre zwischen den Rohrstangen der Wände sichtbar wurden. An der nächsten Biegung des Weges war man dem Feuer einer Abteilung von Scharfschützen ausgesetzt, die auf einem Pai-Pai Posten gefaßt hatten.

Peng! Peng! Peng! Grüne Guajavas, Samenkörner und Beeren aller Art flogen nach allen Richtungen. So gefährlich wurde die Sache, daß ich beinahe fürchtete, wie der Mann, der den ehernen Stier erfunden, das Opfer meiner genialen Idee zu werden. Aber wie alles, nahm auch diese Aufregung allmählich ab, wenn man auch noch immer gelegentlich die Knallbüchsen hören konnte.

Es war gegen das Ende dieser kriegerischen Tage, daß mich ein seltsamer und komischer Einfall Marheyos unendlich belustigte.

Ich hatte, als ich das Schiff verließ, ein Paar feste Schuhe getragen, die bei unserem Felsenklettern und in Schluchten hinabgleiten so mitgenommen waren, daß sie nahezu unbrauchbar schienen. Aber Gegenstände, die für einen Zweck unbrauchbar sind, können einem anderen dienen, wenn man nur genug Erfindungsgabe hat, und diese Erfindungsgabe besaß Marheyo im höchsten Grad. Er bewies es durch den Gebrauch, den er von diesen zerrissenen alten Schuhen zu machen wußte. Die Eingeborenen schienen jeden noch so geringwertigen Gegenstand, der mir gehörte, als geheiligt zu betrachten, und so blieben auch die alten Schuhe mehrere Tage, nachdem ich ins Haus gekommen war, unberührt dort liegen, wo ich sie zuerst hingeworfen hatte. Ich erinnerte mich später, daß ich sie dann nicht mehr dort gesehen hatte, und nahm an, daß Teinor als ordentliche Hausfrau das wertlose alte Zeug weggeschmissen hätte. Aber ich wurde bald eines anderen belehrt.

Eines Tages bemerkte ich, daß der alte Marheyo sich mit ungewohnter Lebhaftigkeit um mich beschäftigte und Kory-Kory ablösen zu wollen, schien. Er erbot sich, mich nach dem Flusse zu tragen, und als ich das ablehnte, fuhr er fort, wie ein bejahrter Haushund mich gleichsam zu umwedeln. Ich konnte ums Leben nicht herausbekommen, was der alte Herr hatte, bis er plötzlich die zeitweilige Abwesenheit aller übrigen benützte und mit den unmöglichsten Gebärden eifrig auf meine Füße und dann wieder auf ein kleines Bündel wies, das oben an der Stange hing. Ich glaubte ihn endlich zu begreifen und bedeutete ihm, das Paket herunterzulassen. Er tat dies sogleich, entfaltete ein Stück Tappa, und mit Staunen erblickte ich die alten Schuhe, die ich längst im Kehricht vermutete.

Ich verstand seinen Wunsch und schenkte sie ihm großmütig; sie waren bereits verschimmelt, und ich ahnte nicht, wozu er sie brauchen konnte. Aber noch am selben Nachmittag sah ich den ehrwürdigen Krieger mit gemessenen Schritten auf das Haus zukommen, den Speer in der Hand, die Ohrringe im Ohr, während dieses herrliche Paar Schuhe an einer Rindenschnur um seinen Hals hing und auf seiner breiten Männerbrust hin und her baumelte. Von da an bildeten diese kalbledernen Anhänger das Hauptstück in Marheyos Galaanzug.

Um von anderem und Wichtigerem zu reden: obschon das Leben der Talbewohner fast völlig frei von Mühe und Arbeit verlief, gab es doch einige leichte Beschäftigungen, die, obwohl sie eher vergnüglich und unterhaltend als mühselig waren, zu ihrem Wohlbefinden beitrugen. Die wichtigste war die Bereitung des Eingeborenentuches – »Tappa« –, das in verschiedenen Formen fast im ganzen polynesischen Archipel wohlbekannt ist. Man weiß, daß dieser nützliche und oft recht elegante Stoff aus der Rinde verschiedener Bäume hergestellt wird. Die Bereitung aber ist, glaube ich, noch nie geschildert worden.

Um das schöne weiße Tappa herzustellen, das auf den Marquesas-Inseln zumeist getragen wird, werden zunächst junge Zweige des Tuchbaumes in entsprechender Anzahl eingesammelt. Die äußere grüne Rinde wird als wertlos abgeschält, dann kommt eine dünne faserige Masse, die sorgfältig vom inneren Holz, an dem sie festsitzt, abgestreift wird. Wenn man genug davon beisammen hat, werden die Streifen in große Blätter eingewickelt, die die Eingeborenen genau wie Packpapier benützen, und mit einer Schnur, die ein paarmal herumgeschlungen wird, zugebunden. Das ganze Paket wird in fließendes Wasser gelegt und mit einem großen Stein beschwert, damit es nicht von der Strömung fortgetrieben werde. Nach zwei oder drei Tagen wird es herausgenommen und für eine kurze Zeit der freien Luft ausgesetzt, wobei jedes Stück genau untersucht wird, ob die Behandlung bereits die nötige Wirkung hervorgerufen hat. Dies wird solange wiederholt, bis die Masse im richtigen Zustand ist. Es ist ein Zustand beginnender Zersetzung; die Fasern sind weich und nachgiebig und vollkommen knetbar. Jetzt werden die einzelnen Streifen nebeneinander auf einer glatten Fläche, zumeist auf einem liegenden Kokosnußstamm, ausgebreitet, in verschiedenen Lagen aufeinandergeschichtet und der ganze Haufen jedesmal, so oft eine neue Lage aufgetragen wird, mit einer Art hölzernen Klöppel sacht bearbeitet. Der Klöppel ist aus einem harten schweren Holz gemacht, das an Ebenholz erinnert, etwa zwölf Zoll lang und zwei breit, hat an einem Ende einen runden Griff und sieht genau wie einer unserer vierseitigen Streichriemen aus. Die Seitenflächen des Instrumentes sind parallel flach gezahnt, und zwar sind die Zähne an den einzelnen Seiten verschieden groß, so daß sie sich für die verschiedenen Stadien der Behandlung eignen. Dadurch entstehen die cordähnlichen Streifen, die in dem fertigen Tappa sichtbar sind. Durch dieses Klopfen wird das ganze zu einer einheitlichen Masse, die gelegentlich mit Wasser angefeuchtet, allmählich durch ein Verfahren, das an die Goldschlägerei erinnert, bis zu jedem beliebigen Grad der Feinheit flach geklopft werden kann. So wird Tuch von jeder Stärke und Dicke hergestellt, je nach dem Zweck, zu dem es verwendet werden soll. Wenn es soweit ist, wird das frische Tappa auf dem Gras zum Bleichen und Trocknen ausgebreitet und wird sehr bald blendend weiß. Manchmal wird es gleich in den ersten Stadien der Zubereitung mit einem Pflanzensaft durchtränkt, der ihm eine haltbare Farbe gibt. Man sieht so gelegentlich ein reiches Braun oder ein glänzendes Gelb, aber der einfache Geschmack der Taïpi-Leute zieht meist die Naturfarbe vor.

Die bemerkenswert gescheite und geschickte Frau Kammahammahas, des berühmten Eroberers und Königs der Sandwich-Inseln, pflegte auf die Kunst stolz zu sein, mit der sie ihr Tappa mit den verschiedensten Farben und in regelmäßigen Mustern einfärbte; trotzdem wurde sie in ihren letzten Lebensjahren als eine altmodische Dame angesehen, da sie an dem heimischen Tuch festhielt und es dem bereits allgemein eingeführten Flitterkram europäischer Kalikos vorzog. Diese Kunst, das Tappa mit Mustern zu bedrucken, ist auf den Marquesas unbekannt.

Wenn ich durch das Tal ging, blieb ich oft stehen und lauschte dem Klopfen der Tappa bereitenden Frauen. Das harte schwere Klöppelholz gibt einen hellen, klingenden, musikalischen Ton, der auf weite Entfernung hörbar ist. Wenn mehrere Klöppel zugleich in nächster Nähe in Tätigkeit sind, so ist die Wirkung auf das Ohr äußerst angenehm.


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