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Vorwort

Der ewige Entdeckungsdrang der Menschen verlangt stets nach neuen Menschen und Ländern. Ein Kolumbus stieß auf seinem Schiffchen nach Westen vor, und die flache Welt wurde zur göttlichen vollendeten Kugel, einer Schwester der Sonne und der Sterne. Wer entdeckt die Literaturen? Wer erforscht, wer eröffnet neue Gebiete der Phantasie, durchschlägt die dünne, unsichtbare Wand, die Sprache von Sprache trennt, läßt neues Licht, neue Farbe, neue Stimmen und Menschen in einer alten Welt wie in einem feierlichen Zuge wandeln? Oft vergessen die Völker einen großen oder eigenartigen Geist, besonders einen, der unzeitgemäß in der Zeit wirkte. Dann kommt endlich die Generation, die ihn versteht und zu der er sprechen kann, und der Mann erwacht wieder zum Leben und nimmt Unsterblichkeit an. So war es mit Herman Melville, einem der originellsten Dichter, die Amerika jemals gebar. Man hat ihn wieder entdeckt, und das Wunder, das sich in ihm offenbarte, wirkt heute mächtiger als je. Seine Stunde ist gekommen, wie auch die Edgar Allan Poes und Walt Whitmans kam.

Unsere Zeit hat eine neue Magie gebracht. Diese Zeit, in der grellste und wildeste Abenteuer allabendlich im weichen Plüschsessel vor leuchtender Leinwand aus zweiter Hand erlebt werden können – die Abenteuer der anderen, die gedichteten und konstruierten. Die Technik des modernen Verkehrs hat ein neues Pathos geschaffen – das Pathos der Nähe, die Tragik der zusammengeschrumpften Welt. Einige Stunden – und der Luxusmensch, noch vom Duft seiner Salons umgeben, vermag im Urwald spazierenzugehen. Die Abenteuer des deutschen Sports, der von der Nachahmung des Fremden ausgehend, zu eigener Form gelangt, ist ein gesunder Ersatz für den Ruhm der Schlachtfeldromantik geworden. Die äußere Welt verengt sich, aber das Reich der echten Erlebnisse dehnt sich ins Unendliche. Da ist das Meer noch offen und uferlos, der Wald steht jungfräulich und voller Geheimnisse da, der Berg hebt sich strahlend in frischem Sonnenglanz wie am ersten Tag.

Dieser unsterblichen Frische und Jugend begegnen wir in der Welt Herman Melvilles. Er ist der Vorgänger der modernen Dichter der unbekannten Weltteile, Meere und Weiten. Er war vor Stevenson, vor Kipling, Conrad und Jack London. Er war der Gefangene dieser Welten, betrat sie aber als Dichter und Entdecker.

Herman Melville war ein Gentleman-Abenteurer aus alter amerikanischer Familie, der das Los eines einfachen Matrosen auf sich nahm. Er war Feuergeist, Dichter und Denker und wurde schließlich nach seinen langen Fahrten Mystiker, denn es floß in ihm von mütterlicher Seite das schwere Blut der Holländer aus dem Stamme Gansevoort. Die bunte Welt, die er auf den farbenprächtigen Inseln der Südsee oder im stahlblauen Reich der Rieseneisberge kennenlernte, hüllte sich kristallhaft in eine leuchtende Metaphysik ein, und der frühere Seemann wurde später zum Faust. Eine solche abenteuerliche, freisinnige und problematische Natur wurde von dem damaligen Amerika nicht verstanden – man sah seine Haltung als eine geistige Verwirrung an. Seine Mitbürger verdammten ihn dazu, als kleiner Zollbeamter seinen Lebensunterhalt im Hafen von New York zu verdienen, wie sie Poe durch die Redaktionsstuben und dann zur Verzweiflung trieben, und den elementaren Whitman in ein Amtszimmer in Washington bureaukratisch einsperrten. Er war in seiner Zeit nicht unbekannt und nicht ungeehrt, aber er war vor seiner Zeit, und die englisch sprechende Welt mußte ihm erst entgegenreifen.

Jetzt sind die Jahre von ihm abgefallen, und er steht als ein ganz Großer und Eigenartiger da. Durch den tiefen Zug im Wesen dieses Mannes der Tat und durch den Unterton des Übersinnlichen, der in seinen Worten liegt, wird er vielleicht lauter und eindringlicher zum deutschen Geiste reden, als er selbst durch seinen spielerischen Humor, seine phantastische Ironie zum Angelsachsen sprach. Die Magie, die uns in unserer Kindheit aus dem Robinson Crusoe entgegenströmt, ist wieder erwacht.

Herman Melville wurde in New York im Jahre 1819 geboren. Nach dem Tode seines Vaters schiffte er sich mit siebzehn Jahren als Schiffsjunge nach Liverpool ein, mit achtzehn war er Matrose auf dem Walfischfahrer »Acuschnet« aus New Bedford. Nach zwölf Jahren Wanderfahrten, darunter einer Reise auf einem Kriegsschiff »The United States«, ließ er sich als Schriftsteller in New York nieder, siedelte später nach Pittsfield (Massachusetts) über, pflegte eine Freundschaft mit dem Dichter Nathaniel Hawthorne und erlebte seinen literarischen Ruhm, den er dann wieder selbst durch seinen intensiven Individualismus, seinen satirischen Ausfällen gegen die Missionare und seinen zunehmenden Mystizismus vernichtete. So starb er halb vergessen in New York im Jahre 1891.

In diesem Band »Taïpi«, der im Original »Typee« heißt, führt uns Melville in das Paradies der königlichen Kannibalen ein, unter denen er gelebt und deren Leben und Wesen er studiert hat. Hier weht uns der Atem einer jungen Urwelt entgegen – in dieser Odyssee lebt wieder der ursprüngliche Zauber der Marquesas-Inseln auf mit seinen herrlichen, braunen Naturkindern und dem goldenen Zeitalter, das jetzt schon längst dem Untergang durch die Seuche der weißen Zivilisation geweiht ist.

Welch eine Kraft durchströmt, welch ein Feuer durchglüht dieses Werk, das unter seiner eigenen Asche lebendig begraben war! Magisch rollt diese polynesische Welt weiter im Buch »Omu« (»Omoo«), das bald diesem ersten Band in den »Romanen der Welt« folgen wird, um bald darauf von Melvilles Meisterwerk, »Moby Dick« – einem der genialsten und ungeheuerlichsten Werke der modernen Literatur, dem Epos des Kampfes mit dem uralten unheimlichen weißen Walfisch, der in grandioser Dichtung das ganze Leben, die ganze Natur und ihre Kräfte verkörpert, gekrönt zu werden. Manches andere Werk Melvilles ist schon in Vorbereitung. Mit »Taïpi« sei Herman Melville einem großen deutschen Leserkreis zum ersten Male vorgestellt. Das Schiff dieses Dichters ist nach langer Fahrt endlich in einem neuen Heimathafen eingelaufen. Es bringt eine kostbare Fracht. Und von irgendwoher ertönt eine seltsame Musik, die sich in deutschen Herzen einschleichen wird. Und alle diese Herzen werden fühlen, daß das Schiff ihnen etwas von der Jugend bringt, die das Alter überdauert hat und die dem Frühling einer neuen Welt entstammt.

Herman George Scheffauer


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