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Einundzwanzigstes Kapitel

Seitdem ich nicht mehr so lahm war, hatte ich täglich Mehivi im Tai besucht, der mich auch stets aufs herzlichste empfing. Fayaweh und der nie fehlende Kory-Kory begleiteten mich auf diesen Gängen. Sobald wir in die Nähe des Tai kamen, das dem ganzen weiblichen Geschlecht durch ein strenges Tabu verschlossen war, zog Fayaweh sich in eine benachbarte Hütte zurück, als ob sie aus weiblichem Zartgefühl einer Stätte fernbliebe, die man als eine Art Junggesellenheim betrachten konnte.

Denn obschon es der dauernde Aufenthaltsort mehrerer angesehener Häuptlinge, insbesondere der Mehivis war, so war es doch auch zu gewissen Zeiten der Ort, den alle fröhlichen, gesprächigen, älteren Wilden des Tales aufsuchten, genau wie solche Leute in zivilisierten Ländern ins Wirtshaus gehen. Stundenlang blieben sie dort, schwatzten, rauchten, aßen Poï-Poï oder schliefen zur Erhaltung ihrer Gesundheit.

Das Gebäude war gewissermaßen das Hauptquartier des Tales; alle Gerüchte gelangten dorthin; und wenn man es so von einer eingeborenen Menge, natürlich lauter Männern, gefüllt sah, und die erregten Gruppen sich unterhielten, während immer neue Scharen zuströmten oder abzogen, dann hätte man es für eine Art Börse halten können, auf der das Steigen und Fallen der polynesischen Aktien erörtert wurde.

Mehivi schien der Gebieter des Tai zu sein und verbrachte den größten Teil seiner Zeit dort; und wenn es zu bestimmten Stunden des Tages fast völlig verlassen lag und nur die hundertjährigen Greise, die aus grüner Bronze schienen und die zum Hause gehörten, sich noch darin befanden, den Häuptling selbst konnte man immer dort treffen und sein »otium cum dignitate« auf den bequemen Matten, die den Boden bedeckten, genießen sehen. So oft ich erschien, stand er unfehlbar auf, machte in vornehmster Weise den Wirt, bat mich Platz zu nehmen, wo es mir beliebte, und rief »Tammarih! – Junge!« Ein kleiner Bursche erschien, verschwand und kehrte mit irgendeinem schmackhaften Gericht wieder, zu dem der Häuptling mich nötigte. Die Wahrheit zu sagen, verdankte Mehivi der Vortrefflichkeit seiner Fleischspeisen die Ehre meines häufigen Besuchs. In der ganzen Welt sind Junggesellen dafür bekannt, daß sie die beste Küche führen.

Eines Tages bemerkte ich, daß außerordentliche Vorbereitungen im Tai im Gange waren, daß also ein Fest bevorstehen mußte. Es war beinahe, wie wenn in einem großen Hotel ein großartiges Jubiläumsessen stattfinden soll. Die Eingeborenen eilten dahin und dorthin, mit den mannigfachsten Aufträgen; einige schleppten ungeheure hohle Bambus zum Fluß hinab, um sie mit Wasser zu füllen; andere jagten zornige Schweine durch die Büsche, die sie fangen wollten; und sehr viele waren damit beschäftigt, Berge von Poï-Poï in gewaltigen Holzgefäßen zu kneten.

Eine Weile sah ich dem lebhaften Treiben zu, da hörte ich aus einem benachbarten Hain schreckliches Quieken. Als ich an Ort und Stelle kam, sah ich, wie mehrere Eingeborene ein großes Schwein am Boden festhielten, während ein kräftiger, mit einem Knüttel bewaffneter Kerl sich vergeblich bemühte, den Schädel des unglücklichen Borstenviehs mit einem tödlichen Streich zu treffen. Immer wieder verfehlte er sein sich windendes und sträubendes Opfer, arbeitete keuchend weiter und hatte schon eine hinreichende Zahl von Streichen geführt, um einem ganzen Trieb Ochsen den Garaus zu machen, als es ihm endlich gelang, mit einem krachenden Hieb das Tier zu töten.

Ohne daß man erst das Blut abfließen ließ, wurde es augenblicklich an ein in der Nähe angezündetes Feuer getragen; vier Wilde hoben es an den Beinen in die Höhe und zogen es rasch über den Flammen hin und her. Der Geruch versengter Borsten sagte, zu welchem Zweck. Dann wurde der Körper ausgeweidet und mit Wasser gründlich gewaschen, die Eingeweide wurden zu besonderer Verwendung beiseitegelegt. Nun wurde ein großes grünes Tuch, das aus den dicken Blättern einer Palmenart bestand, die geschickt mit kleinen Bambusnadeln zusammengeheftet waren, auf den Boden gebreitet, der Körper sorgfältig eingerollt und dann zu einem vorher bereiteten Ofen getragen. Hier wurde er sogleich auf die heißen Steine gelegt, mit einer dichten Lage von Blättern bedeckt und über dem Ganzen rasch die Erde aufgeschüttet.

So wird Schweinefleisch in Taïpi zubereitet und gibt einen Bissen, der auf der Zunge schmilzt, wie das Lächeln auf den Lippen einer jungen Schönheit. Ich empfehle diese Bereitungsart allen Fleischern, Köchen und Hausfrauen.

Noch manch ein wildes Grunzen, manch ein jämmerliches Quieken verriet, was im ganzen Tale vor sich ging: ich glaube, der Erstgeborene jedes Wurfes wurde geopfert, ehe die Sonne sank.

Um den Tai war große Bewegung. Schweine und Poï-Poï-Kuchen wurden in zahlreichen Öfen gebacken, die wie lauter Ameisenhaufen aussahen. Ganze Haufen von Wilden arbeiteten mächtig mit ihren Steinkolben, um Poï-Poï zu bereiten; andere sammelten grüne Brotfrucht und junge Kokosnüsse in den benachbarten Palmenhainen; während eine noch größere Zahl umherstand und nichts tat, aber unaufhörlich gewaltig schrie, um die anderen anzufeuern.

Es ist eine Eigenheit dieses Volkes, daß es bei jeder Beschäftigung einen ungeheuren Radau macht. Es kommt so selten vor, daß sie arbeiten; wenn sie es einmal tun, sorgen sie auch dafür, daß ein so verdienstliches Verhalten nicht unbemerkt bleibt. Wenn sie zum Beispiel einmal einen Stein eine kleine Strecke weit fortzuschaffen haben, den zwei kräftige Männer tragen könnten, dann sammelt sich eine ganze Schar um den Stein; sie halten zunächst ein großes Palaver ab, dann heben sie ihn alle zusammen empor, wobei jeder anzufassen sucht, und tragen ihn unter Brüllen und Keuchen fort, als ob sie etwas Ungeheures leisteten. Es sieht aus, als wenn eine Menge Ameisen sich um das Bein einer toten Fliege sammeln und es nach einem Loch zerren.

Nachdem ich diese Vorbereitungen zu einer fröhlichen Mahlzeit eine Weile mit angesehen, trat ich in den Tai, wo Mehivi saß, wohlgefällig auf das geschäftige Schauspiel hinausblickte und gelegentlich einen Befehl gab. Der Häuptling schien in der besten Laune und bedeutete mir, daß am nächsten Tage in allen Wäldern und besonders im Tai sich große Dinge ereignen würden, und bat mich, ja in der Nähe zu bleiben. Welchem Gedenktag das Fest galt, oder wem zu Ehren es gefeiert wurde, blieb mir unbekannt. Mehivi suchte mich aufzuklären, aber es mißlang ihm gänzlich wie damals, als er mich in die schwierige Geheimlehre des Tabu einführen wollte.

Als wir den Tai verließen, bemerkte Kory-Kory, der mich wie immer begleitete, daß meine Neugier nicht gestillt war, und er beschloß, die Sache zu erledigen. Zu diesem Zweck führte er mich durch die Tabu-Haine, machte mich auf eine Menge von Gegenständen aufmerksam und versuchte mir ihren Sinn mit einem so unbeschreiblichen und unverständlichen Redeschwall zu erklären, daß es mir körperlich wehtat, ihm zuzuhören. Insbesondere führte er mich zu einer Pyramide, die eine Grundfläche von etwa drei Quadratfuß hatte, etwa zehn Fuß hoch war und hauptsächlich aus großen leeren Kalebassen errichtet war; ein Paar geglättete Kokosnußschalen waren auch dabei; sie sah beinahe wie eine Schädelstätte aus. Mein Cicerone bemerkte das Erstaunen, mit dem ich auf dieses Denkmal wilder Kochkunst blickte und begann sogleich wieder, mir seine Bedeutung zu erklären: aber es war alles vergebens; die Sache ist mir bis heute ein vollkommenes Geheimnis geblieben. Da diese Pyramide indessen bei den bevorstehenden Schmausereien eine so bedeutende Rolle zu spielen schien, so habe ich diese für mich das »Fest der Kalebassen« getauft.

Am nächsten Morgen erwachte ich ziemlich spät und sah Marheyos ganze Familie eifrig mit den Festvorbereitungen beschäftigt. Der alte Krieger ordnete die zwei grauen Haarlocken, die auf seinem Schädel geduldet waren, zu kugelförmigen Knoten. Seine Ohrringe und sein Speer lagen, sorgfältig geputzt und geglättet, neben ihm, während das prächtige Paar Schuhe, das seinen Halsschmuck bildete, an einem Rohr hing, das aus der Hauswand hervorragte. Die jungen Leute waren ähnlich beschäftigt; und die schönen Fräulein, auch Fayaweh, salbten sich mit »Eka«, ordneten ihre langen Haarflechten und waren sonst mit ihrer Toilette beschäftigt.

Als sie fertig waren, zeigten die Mädchen sich in ihrem Galaanzug; das Wesentliche war eine Halskette aus weißen Blüten, von denen die Stiele entfernt und die an einer Tappafaser aufgereiht waren. Ähnlichen Schmuck trugen sie in den Ohren und geflochtene Kränze auf den Köpfen. Um den Leib ein kurzes Röckchen aus fleckenlosem weißen Tappa, und manche legten noch einen Mantel aus demselben Stoff um, der über der linken Schulter zu einer schönen Schleife gebunden war und in malerischen Falten die ganze Gestalt umhüllte.

So geschmückt hätte ich die reizende Fayaweh jeder Schönheit der Welt gegenüberzustellen gewagt.

Die Leute mögen über den Geschmack unserer eleganten Damen sagen, was sie wollen. Ihre Juwelen, ihre Federn, ihre Seidenkleider und Falbeln würden neben der wunderbaren Einfachheit des Anzugs, den die Mädchen des Tales bei dieser festlichen Gelegenheit tragen, sich kläglich ausgenommen haben. Ich möchte einmal eine ganze Galerie unserer Schönheiten, wie sie bei einer Krönung in der Westminster-Abtei versammelt sind, neben einer Schar dieser Inselmädchen sehen. Wie steif, wie gezwungen und affektiert würden sie vor der natürlichen Lebhaftigkeit und unbefangenen Anmut dieser wilden Jungfrauen erscheinen! Wie die Mediceische Venus neben einer Gliederpuppe!

Schließlich waren nur noch Kory-Kory und ich im Haus, alle anderen waren bereits nach den Tabu-Hainen aufgebrochen. Mein Diener verging vor Ungeduld und meine Langsamkeit verdroß ihn. Er benahm sich genau wie jemand bei uns, der zu einem Diner geladen ist und am Fuß der Treppe auf einen Begleiter wartet, der nicht fertig wird. Schließlich machten wir uns auf den Weg. Alle Häuser in den Hainen, durch die unsere Straße ging, waren vollkommen verlassen.

Als wir an den Felsen kamen, an dem der Pfad jäh endete, und der die festliche Szene unseren Blicken verbarg, konnte ich aus dem wilden Geschrei und dem verworrenen Stimmengeräusch erkennen, daß bereits eine große Menge versammelt war. Ehe Kory-Kory die Anhöhe hinanstieg, hielt er einen Augenblick an, wie ein eleganter Tänzer im Foyer eines Ballsaales, um seiner Toilette die letzte Vollendung zu geben. Dabei fiel mir ein, daß es gut sein könnte, wenn auch ich mich ein wenig um meine Erscheinung kümmerte. Da ich keinen Feiertagsanzug besaß, wußte ich nicht recht, was ich tun sollte. Aber ich wollte nun einmal Sensation erregen; ich wußte, daß ich den Wilden mit nichts mehr Freude machen konnte, als wenn ich mich nach ihrer Art richtete; ich legte daher das weite Tappakleid ab, das ich über den Schultern trug, wenn ich ins Freie ging, und behielt nur einen kurzen Rock an, der mir von der Mitte bis zu den Knien ging.

Mein Diener, der meine Absicht sofort begriff, wußte das Kompliment zu schätzen und ging daran, die Falten des einzigen Kleidungsstückes, das ich noch trug, besser zu ordnen. Während er dies tat, sah ich eine Schar junger Mädchen, die in unserer Nähe im Grase unter Haufen von Blumen saßen, die sie zu Kränzen wanden. Ich winkte ihnen, mir welche zu bringen, und im nächsten Augenblick wurde mir ein Dutzend Kränze zur Verfügung gestellt. Einen davon wand ich um den Hutersatz, den ich mir aus Zwergpalmblättern angefertigt hatte, aus mehreren anderen machte ich einen prachtvollen Gürtel. Sobald ich fertig war, stieg ich mit den langsamen und gemessenen Schritten eines eleganten Herrn im Frack den Felsenhügel hinan.


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