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Neunzehntes Kapitel

Die Tage folgen einander still und einer nach dem anderen vergeht in Behagen und Glück, und die Geschichte eines Tages ist die Geschichte eines Lebens.

Man stand nicht allzufrüh auf. Die Sonne schoß ihre goldenen Strahlen über den Berg von Happar, ehe ich meine Tappadecke abwarf, meine lange Tunika umgürtete und mit Fayaweh und Kory-Kory und allen anderen im Hause zum Fluß hinabschlenderte. Hier fanden wir bereits alle versammelt, die in unserem Teil des Tales wohnten, und badeten mit ihnen. Die frische Morgenluft und das kühlfließende Wasser brachten Seele und Leib in Glut, und wenn wir uns etwa eine halbe Stunde so erfrischt hatten, schlenderten wir wieder zum Hause zurück. Teinor und Maheyo sammelten auf dem Wege trockene Zweige, um Feuer zu machen; einige der jungen Leute holten im Vorübergehen ein paar Früchte von den Kokosnußbäumen; Kory-Kory trieb seine seltsamen Possen, um mich zu unterhalten, und Fayaweh und ich gingen, nicht Arm in Arm, aber doch manchmal Hand in Hand, die freundlichsten Gefühle für die ganze Welt und besonderes Wohlwollen füreinander im Herzen.

Unser Frühstück war bald bereit. Die Inselbewohner sind bei dieser Mahlzeit ziemlich enthaltsam und heben sich ihren kräftigen Appetit für eine spätere Tageszeit auf. Ich aß – immer mit Hilfe meines Dieners – eine mäßige Portion Poï-Poï, das mit dem milchigen Fleisch reifer Kokosnüsse gemischt nur für mich bereitet wurde. Ein Stück gerösteter Brotfrucht, ein kleiner Emarkuchen, ein Gericht Koku, zwei oder drei Bananen oder ein Mami-Apfel; eine Annui oder sonst eine angenehme und nahrhafte Frucht gaben dem Frühstück eine gewisse Abwechslung; zum Beschluß trank ich den Saft von ein oder zwei Kokosnüssen aus.

Dieses einfache Mahl nahmen die Bewohner von Marheyos Haus in altrömischer Weise in Gruppen auf dem Mattendiwan liegend zu sich, während fröhliche Gespräche die Verdauung förderten.

Nach dem Frühstück wurden die Pfeifen angezündet, darunter meine eigene besondere Pfeife, ein Geschenk des ritterlichen Mehivi. Die Inselbewohner, die immer nur in langen Zwischenräumen ein oder zwei Züge tun, und ihre Pfeifen beständig von Hand zu Hand gehen lassen, fanden meine Art, systematisch vier oder fünf voll gestopfte Pfeifen hintereinander zu rauchen, einfach wunderbar. Wenn zwei oder drei Pfeifen umhergereicht und ausgeraucht waren, brach die Gesellschaft allmählich auf. Marheyo begab sich zu der kleinen Hütte, an der er ewig baute. Teinor begann ihre Tapparollen nachzusehen oder flocht mit geschäftigen Fingern Grasmatten. Die Mädchen salbten einander mit ihren duftenden Ölen, flochten ihr Haar oder sahen ihren Putz nach und verglichen ihre Elfenbeinschmuckstücke, die aus Eberhauern oder Walfischzähnen geschnitzt waren. Die jungen Männer und Kinder nahmen ihre Ruder, Keulen, Kanugeräte und Kriegsmuscheln vor und beschäftigten sich damit, vermittels spitzer Muschelstücke oder Feuersteins alle Arten von Figuren hinein zu schnitzen und sie, besonders die Kriegsmuscheln, mit Quasten aus geflochtener Rinde und Büscheln von Menschenhaar zu verzieren. Manche warfen sich sogleich nach dem Essen wieder auf die einladenden Matten und nahmen die Beschäftigung der Nacht wieder auf, das heißt sie schliefen wieder ein, und so fest, als ob sie wochenlang kein Auge geschlossen hätten. Andere schlenderten in die Haine hinaus, um Früchte oder Rindenfasern und Blätter zu sammeln; beides wurde beständig gebraucht und zu hunderterlei Zwecken verwendet. Einige der Mädchen verschwanden vielleicht in den Wäldern, um Blumen zu suchen oder trugen kleine Kalebassen und Kokosschalen zum Fluß hinab, um sie durch Reiben im Wasser mit einem, glatten Stein zu polieren. Das unschuldige Völkchen wußte sich immer einen Zeitvertreib, und es wäre nicht leicht, alle ihre Beschäftigungen oder vielmehr all ihre Vergnügungen aufzuzählen.

Meine eigenen Vormittage verbrachte ich in mannigfachster Weise. Manchmal wanderte ich von Haus zu Haus, überall eines herzlichen Willkommens gewiß, oder zog von Kory-Kory und Fayaweh und einer ganzen Bande vergnügter junger Müßiggänger begleitet, von Hain zu Hain und von einer schattigen Stelle zur anderen. Manchmal war ich zu träge, um mir Bewegung zu machen und nahm daher eine der vielen Einladungen an, die ich beständig erhielt, streckte mich auf die Matten irgendeines gastlichen Hauses und unterhielt mich damit, das Treiben der anderen zu beobachten oder selbst daran teilzunehmen. Wenn ich das letztere vorzog, kannte das Entzücken der Eingeborenen keine Grenzen, und immer gab es eine Menge von Bewerbern um die Ehre, mich irgendeine besondere Fertigkeit lehren zu dürfen. Ich war bald ein geschickter Arbeiter, der sich auf die Zubereitung von Tappa verstand; ich wußte eine Grasschlinge zu flechten so gut wie irgendeiner, und eines Tages schnitzte ich mit meinem Messer den Schaft eines Wurfspeers so vortrefflich, daß ich überzeugt bin, Karnunu, sein Besitzer, bewahrt ihn noch heute als besondere Probe meines Könnens auf. Wenn es gegen Mittag ging, kehrten alle, die das Haus verlassen hatten, der Reihe nach zurück, und wenn die Sonne wirklich in Mittagshöhe stand, hörte man im ganzen Tal kaum mehr einen Laut, denn alles lag in tiefem Schlaf. Diese genußvolle Siesta fiel kaum jemals aus, nur der alte Marheyo war von so exzentrischem Wesen, daß er sich an keine feste Gewohnheit hielt, sondern je nach der Laune des Augenblicks schlief, aß oder an seiner Hütte herumzimmerte, ohne sich um Zeit oder Ort zu kümmern. Manchmal hielt er sein Schläfchen draußen in der Mittagssonne oder nahm um Mitternacht ein Bad im Fluß. Einmal sah ich ihn achtzig Fuß über dem Erdboden im Wipfel eines Kokosnußbaumes sitzen und rauchen, und manchmal wieder bis zur Brust im Wasser stehen, damit beschäftigt, seine wenigen Barthaare auszurupfen, wobei er ein paar Muschelschalen als Zange verwendete.

Der Mittagsschlummer dauerte gewöhnlich anderthalb Stunden, oft auch länger; wenn die Schläfer sich von ihren Matten erhoben, griffen sie wieder zu ihren Pfeifen und trafen dann ihre Vorbereitungen für die Hauptmahlzeit des Tages.

Ich aber, gleich jenen wohlhabenden Herren, die zu Hause frühstücken und im Klub speisen, nahm, wenn ich gesund war, die Nachmittagsmahlzeit in der Regel mit den unverheirateten Häuptlingen im Tai, die sich immer freuten, mich zu sehen und mir alle guten Dinge verschwenderisch vorsetzten, die ihre Speisekammer bot. Mehivi tischte neben anderen Leckerbissen zumeist gebackenes Schweinefleisch auf, das, wie ich zu vermuten allen Grund habe, lediglich für meinen Genuß besorgt wurde.

Der Tai war ein sehr vergnüglicher Ort. Es tat meiner Seele wie meinem Leibe wohl, in ihm zu verweilen. Vor weiblichen Störungen sicher, ließen die Krieger sich in ungehemmter Heiterkeit gehen, genau wie die Herren in Europa, wenn die Tafel aufgehoben wird und die Damen sich zurückziehen.

Nachdem ich einen beträchtlichen Teil des Nachmittags im Tai verbracht, pflegte ich in der Kühle des Abends entweder mit Fayaweh auf dem kleinen See umherzusegeln oder mit den Wilden im Flusse zu baden, die zu dieser Stunde fast immer dort zu finden waren. Wenn die Schatten der Nacht sich senkten, versammelte Marheyos Haushalt sich wieder unter seinem Dach; Fackeln wurden angezündet, lange seltsame Lieder gesungen und endlose Geschichten erzählt – aus denen allerdings einer der Anwesenden nicht recht klug wurde – und mit geselligen Vergnügungen jeder Art die Zeit vertrieben.

Oft tanzten die jungen Mädchen im Mondlicht vor ihren Häusern. Es gab eine Menge verschiedener Tänze, aber nie sah ich die Männer daran teilnehmen. Alle bestehen aus lebhaften, ausgelassenen und mutwilligen Bewegungen, an denen alle Gliedmaßen beteiligt sind. Die Marquesas-Mädchen tanzen gleichsam mit dem ganzen Körper; nicht nur ihre Füße, sondern auch ihre Arme, Hände, Finger, ja ihre Augen scheinen mitzutanzen. Die Dämchen tragen dabei lediglich Blumen und ihre kurzen Galaröckchen, manchmal schmücken sie sich mit Federn.

Wenn kein besonderes Fest im Gange war, zog man sich in Marheyos Haus ziemlich früh zurück. Aber nicht für die ganze Nacht, denn nach kurzem, leichtem Schlummer standen alle wieder auf, zündeten die Fackeln an und nahmen die dritte und letzte Mahlzeit ein, bei der nur Poï-Poï gegessen wurde, dann taten sie noch einen Zug aus einer Pfeife und machten sich für die große Arbeit der Nacht, den Schlaf bereit. Man kann wirklich sagen, für die Bewohner der Marquesas ist der Schlaf das Hauptgeschäft ihres Lebens, denn den größten Teil ihrer Zeit verbringen sie in seinen Armen. Die angeborene Kraft ihrer Konstitution zeigte sich in nichts so sehr, wie in der Menge von Schlaf, die sie vertragen. Für viele von ihnen ist das Leben wirklich nur ein oft unterbrochener, wolllüstiger Schlummer.


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