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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Wenn auch meine Versuche, den Ursprung des Kalebassen-Festes zu erfahren, vergeblich blieben, so war es mir doch klar, daß es wesentlich, wenn nicht ganz und gar religiösen Charakter hatte.

Aber trotz allem, was ich dabei beobachtete, muß ich gestehen, daß ich über die Theologie der Taïpis keine Aufklärungen zu geben vermag. Ich bezweifle, daß sie selber dies vermöchten. Sie sind zu träge oder zu klug, um sich mit abstrakten, religiösen Fragen und Dogmen zu quälen. Solange ich unter ihnen war, fanden niemals Synoden oder andere Versammlungen statt, auf denen sie die Grundsätze ihres Glaubens erörtert hätten. Völlige Gewissensfreiheit schien im Tal zu herrschen. Wer wollte, durfte an einen greulichen Gott mit einer mächtigen Nase und unförmig fetten, über der Brust gekreuzten Armen glauben, während andere ein Bild verehrten, das keinem Ding unter dem Himmel oder auf Erden gleichsah und das man kaum einen Götzen nennen konnte. Da die Eingeborenen niemals indiskret nach meinen religiösen Ansichten fragten, so hätte ich es für höchst unfein gehalten, nach ihren zu forschen.

Obschon also meine Kenntnis der Taïpi-Religion eine sehr beschränkte blieb, lernte ich doch einen ihrer abergläubischen Gebräuche kennen, der mich sehr interessierte.

In einem der verborgensten Teile des Tals, etwa einen Steinwurf von Fayawehs See entfernt – so hatte ich den Schauplatz unserer Segelfahrten getauft – und dicht bei einer Gruppe von Palmen, die zu beiden Ufern des Flusses standen, befand sich das Mausoleum eines verstorbenen Häuptlings und Kriegers. Wie alle beträchtlicheren Bauten war es auf einem kleinen Pai-Pai aus Steinen errichtet, das ungewöhnlich hoch und daher weithin sichtbar war. Ein leichtes Dach von gebleichten Zwergpalmblättern hing wie ein frei in der Luft schwebender Baldachin darüber; erst wenn man ganz nahe kam, bemerkte man, daß es von vier dünnen Bambussäulen getragen wurde, die sich an den vier Ecken etwa über Mannshöhe erhoben. Ein freier Platz von geringem Durchmesser umgab das Pai-Pai und war von vier Kokospalmenstämmen eingeschlossen, die an den Ecken auf massiven Steinblöcken ruhten. Die Stelle war geheiligt. Das Zeichen des geheimnisvollen Tabu war in Form einer mystischen Rolle von weißem Tappa sichtbar, die an einer geflochtenen Schnur aus gleichem Stoff von der Spitze einer dünnen Stange innerhalb der Umzäunung hing. Weiß scheint die geheiligte Farbe auf den Marquesas zu sein. Die heilige Stelle war offenbar nie verletzt oder entweiht worden. Eine Grabesstille herrschte, und die friedliche Einsamkeit ringsumher hatte etwas Ergreifendes. Der sanfte Schatten hoher Palmen – ich sehe sie noch vor mir – lag über dem kleinen Tempel, wie um das störende Licht der Sonne fernzuhalten.

Von welcher Seite man sich auch der schweigsamen Stelle näherte, immer sah man das Bild des toten Häuptlings am Steuerende in einem Kanu sitzen, das auf einem leichten Gestell wenige Zoll über dem Boden des Pai-Pais stand. Das Kanu war etwa sieben Fuß lang, aus reichem dunkelfarbigen Holz schön geschnitzt und an vielen Stellen mit Gewinden von buntem Rohrgeflecht geschmückt, in das glänzende Muscheln geschickt eingesetzt waren; ein Gürtel von solchen Muscheln umgab es in seiner ganzen Länge. Der Körper der Figur war unter einem schweren Kleid aus braunem Tappa verborgen, nur die Hände und der Kopf waren sichtbar, der letztere trefflich aus Holz geschnitzt und mit einer prächtigen Federnkrone geschmückt. Diese Federn blieben keinen Augenblick in Ruhe, sondern nickten und bewegten sich im schwachen Luftzug über der Stirn des Häuptlings hin und her. Zwischen den langen überhängenden Palmblättern sah man den Krieger, wie er, vorgebeugt und das Haupt gesenkt, das Ruder mit beiden Händen zu bewegen schien, als hätte er Eile, seine Reise zu vollenden. Von der Spitze des Kanus starrte ihm unaufhörlich ein sauber geglätteter menschlicher Schädel ins Gesicht. Dieser gespenstische Schmuck war umgekehrt angebracht, so daß er zurücksah und der ungeduldigen Bemühung des Kriegers zu spotten schien.

Als ich diesen seltsamen Platz mit Kory-Kory zum erstenmal besuchte, sagte er mir – oder ich verstand ihn wenigstens so –, daß der Häuptling nach den »Reichen des Segens und der Brotfrucht«, dem polynesischen Paradies, rudere, wo die reifen Brotfrüchte unaufhörlich von den Bäumen fielen, wo es Kokosnüsse und Bananen in unendlicher Fülle gab; dort ruhten sie die lange Ewigkeit hindurch auf viel weicheren und schöneren Matten, als die von Taïpi waren, und badeten ihre heißen Glieder täglich in Flüssen von Kokosöl. In jenem glücklichen Lande gab es Federn, Eber- und Walfischzähne im Überfluß, weit schöner als all die leuchtenden Schmuckstücke und bunten Tappas der weißen Männer, und was das beste war, weit lieblichere Frauen als die Töchter der Erde in Unmenge. »Ein sehr angenehmer Ort,« sagte Kory-Kory, »aber schließlich – seiner Meinung nach – nicht sehr viel besser als Taïpi.« Wünschte er also nicht, den Krieger zu begleiten?, fragte ich ihn. O nein; er sei da vollkommen zufrieden, wo er sich befinde; er vermutete aber, daß er eines Tages, früher oder später, in seinem eigenen Kanu dahin reisen würde.

Soweit, denke ich, verstand ich Kory-Kory ganz gut, aber er fügte damals eine merkwürdige Äußerung hinzu, der er mit einer ebenso merkwürdigen Gebärde Nachdruck gab. Ich hätte viel gegeben, deren Sinn zu verstehen. Ich vermute, daß es ein Sprichwort war, denn ich habe ihn dieselben Worte später noch öfter und, wie mir schien, in ähnlichem Sinne wiederholen hören. Kory-Kory verfügte über eine ganze Menge kurzer, gescheit klingender Aussprüche, mit denen er das Gespräch belebte, und er gebrauchte sie mit einer Miene, die deutlich bewies, daß sie seines Erachtens die Frage, um die es sich eben handelte, erledigten.

Wollte er mir vielleicht auf die Frage, ob er nach diesem Himmel von Brotfrucht, Kokosnüssen und jungen Damen, den er mir beschrieben hatte, zu kommen wünsche, eine Antwort geben, die unserem Satz »Ein Sperling in der Hand ist besser als eine Taube auf dem Dach« entsprach? Dann war Kory-Kory ein verständiger Bursche, und ich muß seinen Scharfsinn loben.

So oft ich auf meinen Wanderungen durch das Tal in die Nähe dieses Mausoleums kam, wich ich immer vom Wege ab, um es zu besuchen. Die Stelle hatte einen eigenen Reiz für mich; ich weiß kaum warum. Wenn ich über das Geländer lehnend auf das seltsame Bild blickte und das Spiel seines gefiederten Hauptschmucks beobachtete, wie er unaufhörlich von dem Luftzug bewegt wurde, der leise durch die hohen Wipfel der Palmen hauchte, dann gab ich mich dem phantastischen Glauben der Eingeborenen hin und glaubte fast selber, daß der finstere Krieger nach seinem Himmel reise. Und wenn ich wieder wegging, bot ich ihm »Gute Fahrt in Gottes Hut«. Rudere nur, tapferer Häuptling, nach dem Geisterland! Für das körperliche Auge kommst du nicht weit, aber mit den Augen des Glaubens seh' ich dein Kanu die glänzenden Wogen teilen, die am fernen Strand des Paradieses sich glätten.

Dieser seltsame Aberglaube beweist wieder, daß der unwissende Mensch allenthalben in sich etwas Unsterbliches fühlt, das nach einer unbekannten Zukunft Verlangen trägt.

Obschon die religiösen Ansichten der Insel mir ein Geheimnis blieben, ihr praktischer täglicher Gottesdienst war deutlich sichtbar. Häufig kam ich an den kleinen Tempeln im Schatten der Tabu-Haine vorüber und sah die Opfergaben: verfaulende Früchte, die auf dem rauh gezimmerten Altar lagen oder in halb verfallenen Körben um irgendein ungeschlachtes, drollig aussehendes Götzenbild hingen. Ich war bei dem großen Feste gewesen, die grinsenden Götzenbilder in Reih' und Glied auf dem Hulah-Hulah-Grund sah ich täglich, und oft begegnete ich den Leuten, die ich für Priester hielt. Aber die Tempel lagen einsam; das Fest war nichts als ein fröhliches Gelage des ganzen Stammes gewesen; die Götzenbilder waren so harmlos wie andere Holzblöcke, und die Priester waren die vergnügtesten Kerle im Tal.

Kurz, die religiösen Angelegenheiten spielten in Taïpi keine große Rolle. Sie gingen den gedankenlosen Einwohnern nicht tief; und in der Feier ihrer seltsamen Gebräuche schienen sie nur eine kindische Unterhaltung zu suchen.

Einen merkwürdigen Beweis hierfür bot eine seltsame Zeremonie, an der ich Mehivi und andere Häuptlinge und Krieger wiederholt teilnehmen sah, aber niemals ein Weib.

Unter denen, die ich für die Priesterschaft des Tales hielt, war ein Mensch mir besonders aufgefallen, den ich für ihr Oberhaupt halten mußte. Es war ein vornehm aussehender Mann in den besten Jahren und mit dem gütigsten Ausdruck. Er hieß Kolori, und die Autorität, die er über die anderen auszuüben schien, die bischöfliche Rolle, die er beim Fest der Kalebassen spielte, sein glattes, wohlgefälliges Aussehen, die mystischen Zeichen, die auf seiner Brust tätowiert waren, und vor allem die mitraähnliche Kopfbedeckung, die er häufig trug – ein türmender Hauptschmuck aus einem Kokoszweige, dessen Stiel senkrecht über seiner Stirne stand, während die Blätter über die Schläfen und hinter den Ohren herabhingen–, all dies bewies, daß er der Fürst-Primas von Taïpi war. Kolori war eine Art Tempelritter, ein kriegerischer Priester; denn oft trug er die Tracht eines Marquesas-Kriegers und immer einen langen Speer, nur daß dieser nicht am unteren Ende nach der gebräuchlichen Art in ein Ruder ausging, sondern gekrümmt und zu einem heidnischen kleinen Bilde geschnitzt war. Vielleicht war dieser Speer das Emblem seiner doppelten Bestallung: mit dem einen Ende durchbohrte er die Feinde seines Stammes im fleischlichen Kampf; das andere war sein pastoraler Krummstab, mit dem er seine geistliche Herde in Ordnung hielt.

Aber von Kolori habe ich noch mehr zu sagen. Seine kriegerischen Gnaden trugen auch manchmal etwas, was wie die eine Hälfte einer zerbrochenen Keule aussah. Es war in Fetzen von weißem Tappa gewickelt und das obere Ende, das ein menschliches Haupt darstellen sollte, war mit einem Streifen aus Scharlachtuch von europäischer Herkunft verschönt. Es bedurfte keines großen Scharfsinns, um zu erkennen, daß dieser seltsame Gegenstand als Gott verehrt wurde. Neben den mächtigen Bildern, die vor den Altären des Hulah-Hulah-Grundes Schildwache standen, schien es ein bloßer Zwerg in Lumpen. Aber der Schein trügt überall. Kleine Leute sind manchmal sehr kräftig, und Fetzen bedecken manchmal große Ansprüche. Tatsächlich war dieses drollige kleine Ding der »feinste« Gott der Insel, er herrschte über all die hölzernen Kerle, die so grimmig und schrecklich dreinsahen, und sein Name war »Moa Artua«. Das Wort »Artua« hat zwar auch einige andere Bedeutungen, wird aber in fast allen polynesischen Dialekten als allgemeine Bezeichnung für die Götter gebraucht. Zu Ehren Moa Artuas und zur Unterhaltung derer, die an ihn glaubten, fand die merkwürdige Feierlichkeit statt, die ich schildern werde:

Mehivi und die Häuptlinge im Tai haben sich eben von ihrem Mittagsschlaf erhoben. Staatsgeschäfte sind nicht zu erledigen; und da sie im Laufe des Vormittags bereits zwei- oder dreimal gefrühstückt haben, fühlen die Großen des Tales noch keinen Appetit zum Mittagessen. Womit also sollen sie ihre Mußezeit ausfüllen? Sie rauchen, sie schwatzen und zuletzt macht einer einen Vorschlag, dem die anderen freudig zustimmen, worauf der erste aus dem Hause stürzt, zum Pai-Pai hinabspringt und im Hain verschwindet. Bald sieht man ihn mit Kolori wiederkommen, der den Gott Moa Artua in den Armen trägt und in einer Hand ein schmales Gefäß hält, das wie ein Kanu ausgehöhlt ist. Der Priester kommt, seinen Gott schaukelnd, daher, als ob dieser ein weinerliches Kind wäre, das er in gute Laune zu bringen wünscht. Jetzt betritt er den Tai und setzt sich auf die Matten, so unbewegt wie ein Taschenspieler, ehe er seine Künste zum besten gibt; die Häuptlinge sitzen im Kreise um ihn, und er beginnt mit seinem Hokuspokus.

Zunächst umarmt er Moa Artua liebevoll, legt ihn zärtlich an seine Brust und flüstert ihm zuletzt etwas ins Ohr. Alle warten begierig auf die Antwort, aber der kleine Gott ist taub oder stumm, vielleicht beides, denn er sagt kein Wort. Jetzt spricht Kolori ein wenig lauter, er wird böse und schreit ihn an, ganz wie ein cholerischer Herr, der sich vergeblich bemüht hat, einem Tauben ein Geheimnis mitzuteilen, in Wut gerät und es so laut herausschreit, daß jeder es hören kann. Aber Moa Artua verharrt in Schweigen, und Kolori, der sich anscheinend vor Zorn nicht mehr zu lassen weiß, haut ihm eins über den Kopf, reißt ihm sein Tappa und sein rotes Tuch herab, legt ihn nackt in den kleinen Trog und deckt etwas darüber. Alle Anwesenden begrüßen dieses Verfahren mit lautem Beifall und rufen immer wieder »Mortarkih!« mit nachdrücklichster Betonung. Dennoch fragt Kolori jeden einzelnen, ob er unter diesen Umständen nicht völlig das Richtige getan. Die Antwort ist stets »Ea! Ea!« – »ja, ja!« – und sie wird so oft und in einem Ton wiederholt, daß auch der Gewissenhafteste sich dabei beruhigen kann. Nach wenigen Augenblicken holt Kolori seine Puppe wieder hervor, bekleidet sie sorgfältig mit ihrem Tappa und dem roten Tuch und beginnt nun, sie bald zärtlich zu behandeln und bald zu schelten. Sobald der Gott völlig angezogen ist, spricht er nochmals laut zu ihm. Die ganze Gesellschaft lauscht gespannt, während der Priester Moa Artua an sein Ohr hält und ihnen verkündet, was der Gott ihm vertraulich mitgeteilt hat. Manches in dieser Mitteilung scheint auf alle einen außerordentlichen Eindruck zu machen, denn der eine klatscht entzückt in die Hände, ein anderer lacht vergnügt auf, der dritte springt empor und tanzt wie verrückt umher.

Was in aller Welt Moa Artua bei diesen Gelegenheiten Kolori zu sagen hatte, habe ich nie herausgefunden. Ich will auch nicht entscheiden, ob der Priester ehrlich mitteilte, was er von dem Gott zu erfahren glaubte, oder ob er die ganze Zeit den schändlichsten Schwindel trieb. Jedenfalls schien das, was er den Anwesenden im Auftrag des Gottes sagte, im ganzen sehr schmeichelhaft zu sein, was entweder Koloris Schlauheit beweist oder die Liebedienerei und den schwachen Charakter des schlecht behandelten Gottes.

Da Moa Artua nichts mehr zu sagen hat, schaukelt der Priester ihn wieder in den Armen, wird aber alsbald dabei unterbrochen, da einer der Krieger dem Gott eine Frage zu stellen wünscht. Wieder hält Kolori ihn an sein Ohr, lauscht mit großer Aufmerksamkeit und macht abermals den Dolmetscher. Nachdem auf diese Weise eine Menge von Fragen gestellt und zur Befriedigung der Fragesteller beantwortet sind, wird der Gott zärtlich in den Trog gebettet und die ganze Gesellschaft vereinigt sich zu einer langen Litanei, bei der Kolori den Vorsänger macht. Damit ist die ganze Zeremonie beendet, die Häuptlinge erheben sich in bester Laune, und der Erzbischof, nachdem er noch einen Augenblick geplaudert und ein oder zwei Züge aus einer Pfeife geraucht hat, nimmt sein Schifflein unter den Arm und entfernt sich damit.

Das Ganze machte durchaus den Eindruck einer Kinderschar, die mit Puppen spielt. Warum dieser arme kleine Gott, der jetzt Kopfstücke bekam und dann wieder gestreichelt und schließlich in eine Schachtel gelegt wurde, in höheren Ehren gehalten wurde als die ausgewachsenen und würdigen Herrschaften in den Tabu-Hainen, ahne ich nicht. Aber Mehivi und andere Häuptlinge – von dem Primas selber nicht zu reden – versicherten mich unzählige Male, daß Moa Artua der Schutzgott von Taïpi sei und mehr geehrt werden müsse als eine ganze Schar plumper Götzen auf dem Hulah-Hulah-Grund. Auch Kory-Kory, der in der Theologie des Stammes sehr bewandert war, denn er wußte die Namen aller Götzenbilder im Tal und hat sie mir oft aufgezählt, hatte eine bedeutende Vorstellung von der Macht Moa Artuas und den Ansprüchen, die er stellen durfte. Er erklärte mir einmal mit einer Gebärde, die nicht mißzuverstehen war, daß, wenn Moa Artua es wollte, er einen Kokosnußbaum aus seinem – Kory-Korys – Kopf könnte hervorsprießen lassen, und daß es ein Kinderspiel für ihn wäre, die ganze Insel Nukuhiva in den Mund zu nehmen und mit ihr auf den Meeresgrund hinabzutauchen.

In vollem Ernst, ich vermochte die religiösen Anschauungen des Tales nicht zu begreifen. Auch der berühmte Cook fand ja bei seinem Verkehr mit den Südsee-Insulanern ihre heiligen Gebräuche völlig unerklärlich, obschon er bei seinen Forschungen durch Dolmetscher unterstützt wurde. Andere hervorragende Reisende, Carteret, Byron, Kotzebue und Vancouver, haben dies gleichfalls zugegeben.

Obschon kaum ein Tag verging, ohne daß ich Zeuge irgendeiner religiösen Handlung wurde, so war es für mich doch nicht anders, als ob ich eine Gesellschaft von Freimaurern einander geheime Zeichen hätte machen sehen: ich sah alles, aber ich verstand nichts. Im ganzen möchte ich glauben, daß die Inselbewohner der Südsee überhaupt keine klaren und bestimmten religiösen Ansichten haben. Ich bin überzeugt, daß Kolori in große Verlegenheit kommen würde, wenn er seine Glaubensartikel aufsetzen und den Glauben, durch den er selig zu werden hoffte, hätte erklären sollen. Soweit ich beobachten konnte, gehorchten die Taïpis keinem Gesetz, das geheimnisvolle Tabu immer ausgenommen. Die »Wählerschaft« des Tales ließ sich weder von Häuptlingen und Priestern noch von Götzenbildern und Teufeln imponieren. Was die unglücklichen Götzenbilder betrifft, so bekamen sie mehr Schläge als sonst etwas. Ihre Anbeter waren so ehrfurchtslos, daß man nie wissen konnte, ob sie einen Götzen nicht demnächst umwerfen, zerbrechen und auf seinem Altar verbrennen, die Brotfruchtopfergaben in seinem eigenen Feuer rösten und frech aufessen würden.

Wie wenig Ehrfurcht die Eingeborenen vor diesen unglücklichen Gottheiten hatten, konnte ich bei einer Gelegenheit besonders deutlich sehen. Ich ging einmal mit Kory-Kory in den Wäldern umher, als ich auf ein seltsam aussehendes Götzenbild von etwa sechs Fuß Höhe stieß, das ursprünglich aufrecht vor einem niederen Pai-Pai mit einem verfallenen Bambustempel gestanden hatte, das aber schwach in den Knien geworden war und nur noch an der Steinwand lehnte. Zum Teil vom Laubwerk eines nahen Baumes überwachsen, bestand es aus einem grotesk geformten Block, so zurecht geschnitzt, daß er eine Ähnlichkeit mit einem stattlichen nackten Mann hatte, der die Arme über den Kopf hielt, die Kinnladen weit geöffnet hatte, während seine dicken, unförmigen, krummen Beine einen Bogen bildeten. Es war schon recht verwittert; der untere Teil war mit hellem, seidigen Moos überzogen; dünne Grashalme wuchsen aus dem aufgesperrten Mund und bildeten Fransen um Kopf und Arme. Alle Ecken und Spitzen waren abgebrochen oder abgefault. Die Nase war verschwunden, und der Kopf sah so aus, als hätte der hölzerne Gott, verzweifelt über die Vernachlässigung, versucht, sich an einem der nahen Bäume den Schädel einzurennen.

Ich trat näher, um das seltsame Ding genauer zu betrachten, blieb aber ehrfurchtsvoll in einer Entfernung von zwei oder drei Schritten stehen, um die religiösen Empfindungen meines Dieners zu schonen. Sowie aber Kory-Kory meine Wißbegierde bemerkte, eilte er auf das Bild zu, schob es von der Steinwand, an der es lehnte, fort und versuchte es auf die Beine zu stellen. Aber die Gottheit hatte ihren Gebrauch verlernt; während Kory-Kory es mit einem Stock zu stützen suchte, den er an das Pai-Pai lehnte, fiel das Ungetüm schwerfällig zu Boden und würde sich zweifellos den Hals gebrochen haben, wenn Kory-Kory es nicht, allerdings unabsichtlich, aufgefangen hätte; denn es war mit seinem ganzen Gewicht ihm, wie er gebückt dastand, auf den Rücken gefallen. Nie noch hatte ich den ehrlichen Burschen in solcher Wut gesehen. Rasend sprang er auf, faßte den Stock und begann das arme Götzenbild damit zu verprügeln, wobei er immer wieder innehielt und es aufs heftigste anschrie. Als er sich ein wenig beruhigt hatte, wirbelte er das Idol in gottlosester Weise herum, damit ich es von allen Seiten betrachten konnte. Ich hätte mir nie solche Freiheiten mit dem Gott erlaubt, und Kory-Korys Ruchlosigkeit machte mir einen sehr schlechten Eindruck.


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