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Sechstes Kapitel

Ich war nun nicht wenig neugierig, was wir auf der anderen Seite der Höhen sehen würden; ich hatte wie Toby erwartet, daß, sowie wir den Gipfel erreichten, wir sogleich die weiten Buchten von Happar und Taïpi auf der anderen Seite zu unseren Füßen sehen würden, so wie Nukuhiva vor uns ausgebreitet lag. Aber wir erlebten eine Enttäuschung. Während wir gedacht hatten, daß der Berg, den wir erstiegen, auf der anderen Seite sich in breiten Tälern zum Meer senken würde, schienen wir auf einem Hochland zu sein, das sich weit vor uns erstreckte und das, soweit das Auge reichte, aus einer Reihe von Kämmen und steilen Klüften dazwischen bestand; die jähen Wände waren vom glänzendsten Grün bedeckt, während hier und da das dichtere Laub eines Waldstreifens sich zeigte; nur daß wir nirgends jene Bäume fanden, auf deren Früchte wir so sicher gerechnet hatten. Das war eine höchst unerwartete Entdeckung, die unseren ganzen Plan zum Scheitern zu bringen drohte; denn wir konnten nicht daran denken, noch einmal nach Nukuhiva hinabzusteigen, um uns mit Nahrung zu versorgen. Wir wären zweifellos Eingeborenen begegnet, die, wenn sie nichts Schlimmeres taten, uns sicherlich aufs Schiff zurückgebracht hätten, um die Belohnung, die der Schiffer zweifellos dafür ausgesetzt hatte, zu verdienen.

Was sollten wir tun? Es konnten noch zehn Tage vergehen, ehe die »Dolly« absegelte, und wie sollten wir inzwischen leben? Bitter bereute ich unsere Unvorsichtigkeit, daß wir uns nicht hinreichend mit Zwieback versehen hatten, was uns doch so leicht gewesen wäre. Mit kläglicher Miene dachte ich an die spärliche Handvoll Brot, die ich in den Bausch meiner Jacke gestopft hatte. Ich schlug Toby vor, allen Vorrat, den wir aus dem Schiff mitgebracht hatten, gemeinsam zu untersuchen. Wir setzten uns ins Gras; ich sah, daß auch er seine Jacke ähnlich angefüllt hatte wie ich die meine, und bat ihn zu beginnen. Er schob die Hand hinein und brachte zunächst ein Pfund Tabak zum Vorschein, das einen festen Klumpen bildete, an dem außen die weichen Brotkrümel klebten. Zudem war es so triefend naß, als ob er es gerade vom Seegrund geholt hätte. Es war für uns im Augenblick ganz ohne Wert, und ich fragte eifrig, welche Nahrungsmittel er bei sich hätte; er griff noch einmal unter die Jacke und brachte eine kleine Handvoll von etwas, das so weich, schwammig und farblos war, daß wir zunächst beide nicht wußten, was sich da im Innern seiner Jacke gebildet hatte. Es war ein Gemisch von aufgeweichtem Brot und Tabak, von Schweiß und Regenwasser so getränkt, daß es eine zähe Masse bildete. So widerwärtig es zu anderer Zeit gewesen wäre, jetzt erschien es uns unschätzbar, und mit größter Sorgfalt legte ich diese Teigmasse auf ein breites Blatt, das ich von einem Busch neben uns abgerissen hatte. Toby hatte am Morgen zwei Zwiebackstücke eingesteckt, um, wenn er Lust bekäme, während der Flucht daran zu kauen; aus diesen war die merkwürdige Masse entstanden, die ich eben auf das Blatt gelegt hatte.

Ein weiterer Griff in die Jacke brachte vier oder fünf Ellen bedruckten Kalikos zum Vorschein, dessen hübsches Muster durch gelbe Tabakflecke einigermaßen entstellt war. Wie Toby den Stoff so zollweise hervorzog, sah er aus wie ein Taschenspieler, der endloses Band produziert. Dann kam ein kleiner Matrosenbeutel mit Nadeln, Zwirn und anderem Nähzeug; dann ein Rasierzeug und noch zwei oder drei Klumpen Tabak, die am Grunde der nun geleerten Jacke lagen.

Als ich an meine eigenen Vorräte ging, fand ich sie in einer ebenso traurigen Verfassung und zu einer Quantität verringert, die für einen Hungrigen, der nichts gegen Tabak einzuwenden hatte, ein halbes Dutzend Bissen gegeben hätte: ein paar Stücke Brot, ein oder zwei Faden weißen Wolltuchs und mehrere Pfund Tabakrollen war alles, was ich hatte.

Aus dem Stoff und dem Tabak machten wir ein festes Bündel, das wir abwechselnd tragen wollten. Mit den traurigen Überbleibseln des Zwiebacks gingen wir nicht so summarisch um; wir fühlten, daß unser Schicksal von ihnen abhing. Eine kurze Erörterung ergab, daß wir beide völlig entschlossen waren, vor der Abfahrt des Schiffes nicht nach Nukuhiva zurückzukehren. Ich schnitt daher das Brot in sechs gleiche Teile, dann nahm ich mein seidenes Halstuch ab, zerschnitt es gleichfalls und wickelte die sechs Brotstücke, die je eine Tagesration für uns beide bilden sollten, hinein. Toby wollte erst die Tabakkrümel, die an der teigigen Masse hafteten, davon ablesen, aber diese Feinschmeckerei, bei der die Quantität gelitten hätte, schien mir nicht zeitgemäß, und ich ließ sie nicht zu. Eine Tagesration war kaum mehr als ein Eßlöffel voll. Die sechs kleinen Seidenpakete vertraute ich Toby mit vielen Mahnungen und Warnungen an. Da wir heute schon ein Frühstück hinter uns hatten, beschlossen wir, den Rest des Tages zu fasten.

Wir erhoben uns wieder und sahen uns nach einem geschützten Lagerplatz für die Nacht um, die nach dem Aussehen des Himmels stürmisch und dunkel zu werden versprach. Da wir in der Nähe keine geeignete Stelle fanden, kehrten wir Nukuhiva den Rücken und begannen die andere Seite des Berges zu erforschen.

Soweit das Auge reichte, sahen wir kein Zeichen von Leben, nichts, das auch nur die vorübergehende Anwesenheit eines Menschen hätte erkennen lassen. Die ganze Landschaft schien eine vollkommene Einöde und das Innere der Insel offenbar unbewohnt seit dem ersten Schöpfungstage. Und wie wir so durch die Wildnis schritten, klangen unsere eigenen Stimmen seltsam in unseren Ohren, als ob menschliche Töne noch niemals die furchtbare Stille der Gegend aufgestört hätten, in der nur das leise Rauschen ferner Wasserfälle vernehmbar war.

Daß wir die verschiedenen Früchte nicht fanden, an denen wir uns während unseres Aufenthalts in der Wildnis zu laben gedacht hatten, schmerzte uns nicht so sehr, weil eben darum auch die Gefahr einer zufälligen Begegnung mit den wilden Stämmen verringert wurde, die, wie wir wußten, sich stets im Schatten der fruchtspendenden Bäume aufhielten. Wir wanderten daher weiter, in jeden Busch spähend, an dem wir vorüberkamen, bis ich, gerade als wir einen der vielen Kämme erstiegen hatten, von denen die Höhe durchzogen war, im Grase einen undeutlichen Fußweg sah, der den Kamm entlang zu führen und sich mit ihm in eine tiefe Schlucht zu senken schien, die etwa eine halbe Meile vor uns sichtbar war.

Sicherlich war Robinson Crusoe über die unerwarteten Fußspuren im Sande nicht mehr erschrocken als wir bei dieser unerwünschten Entdeckung. Mein erster Impuls war, so rasch als möglich umzukehren und eine andere Richtung einzuschlagen, aber die Neugier trieb uns, dem Pfad zu folgen, um zu sehen, wohin er führte. Je weiter wir schritten, desto deutlicher wurde er, bis er uns an den Rand der Schlucht führte, wo er plötzlich ein Ende nahm.

»Es scheint also,« sagte Toby, in den Abgrund spähend, »daß jeder, der auf diesem Weg geht, hier hinunterspringt?«

»Nicht doch,« sagte ich, »ich glaube, man könnte auch so hinunterkommen; was meinst du, sollen wir es versuchen?«

»Und was, bei allen Höllengruben, können wir denn da unten tun, als uns den Hals brechen? Das Loch sieht schwärzer aus als unser Schiffsraum, und das Brüllen der Wasserfälle da unten könnte einem das Hirn zerbrechen.«

»Nein, nein,« rief ich lachend, »etwas muß drunten los sein, sonst wäre hier kein Weg, und ich möchte ausfindig machen, was es ist.«

»Ich werde dir etwas sagen, mein netter Junge,« erwiderte Toby, »wenn du hier überall hineingucken willst, wo deine Neugier erweckt wird, so wirst du unglaublich schnell eins über den Schädel bekommen; es ist todsicher, daß du bei deinen Entdeckungsreisen auf einen Haufen Wilder stoßen wirst, und ich zweifle, ob dir das besondere Freude machen würde. Hör' einmal auf meinen Rat; wir wollen wenden und in eine andere Richtung steuern; außerdem wird es spät, und wir müssen uns irgendwo über Nacht vor Anker legen.«

»Gerade daran denke ich,« erwiderte ich, »und ich meine, diese Schlucht ist gerade das richtige, sie ist geräumig, abgeschlossen, mit Wasser versehen und kann uns vor dem Wetter schützen.«

»Ja, und auch vor Schlaf, und außerdem werden wir uns Heiserkeit und Rheumatismus drin holen«, rief Toby, dem die Sache offenbar nicht gefiel.

»Oh, ganz gut, mein Junge,« sagte ich, »wenn du mich nicht begleiten willst, gehe ich eben allein. Auf Wiedersehen morgen früh!« Damit trat ich an den Felsrand und begann mich an den dichten und verworrenen Wurzeln, die aus allen Spalten der Felswand hingen, hinunterzulassen. Wie ich vorausgesehen hatte, folgte Toby trotz seinem Widerspruch meinem Beispiel; mit der Behendigkeit eines Eichhörnchens ließ er sich von Vorsprung zu Vorsprung fallen, so daß er mich schnell überholte und am Grunde war, ehe ich zwei Drittel des Abstiegs vollbracht hatte.

Den Anblick, der sich uns bot, werde ich nie vergessen. Fünf schäumende Bäche, die durch ebenso viele Schluchten brachen, vom Regen geschwellt und reißend geworden, vereinigten sich in einem wahnsinnigen Sturz von nahezu achtzig Fuß Höhe; mit wildem Tosen fielen sie in einen tiefen schwarzen Teich, den sie aus den düsteren Felsen, die ringsumher gehäuft lagen, ausgewaschen hatten, und schossen von da aus in einer gemeinsamen Masse einen engen abschüssigen Gang hinab, der ins Innere der Erde zu führen schien. Zu Häupten hingen gewaltige Baumwurzeln von den Wänden der Schlucht herab, die von Feuchtigkeit troffen und infolge der donnernden Erschütterung des Wasserfalls beständig zitterten. Es war Sonnenuntergang, und das ungewisse schwache Licht, das in diese Höhlen und Waldestiefen drang, erhöhte ihr seltsames Aussehen noch und erinnerte uns daran, daß wir bald in tiefer Finsternis sein mußten.

Ich wunderte mich nur, daß das, was ein Weg schien, uns an einen so sonderbaren Ort geführt haben sollte, und ich begann zu vermuten, daß es vielleicht doch eine Täuschung gewesen war, als ich einen von den Inselbewohnern ausgetretenen Pfad zu sehen glaubte. Dieser Gedanke war uns sehr angenehm, um so weniger brauchten wir zu fürchten, zufällig auf sie zu stoßen, und ich kam auf den Einfall, daß wir hier das sicherste Versteck gefunden hatten. Toby war der gleichen Meinung, und wir begannen die herumliegenden Äste zusammenzutragen, um uns eine Art Schutzhütte für die Nacht zu errichten. Wir mußten sie dicht am Fuß des Wasserfalls anlegen, weil der Strom die Schlucht fast ausfüllte. Die wenigen Augenblicke, die wir noch Licht hatten, verwendeten wir dazu, unser Dach mit einem Gras aus flachen Halmen zu bedecken, das aus jeder Spalte der Felsen wuchs. Unsere Hütte, wenn man sie so nennen konnte, bestand aus sechs oder acht möglichst geraden Ästen, die wir schief gegen die steile Felswand gelehnt hatten, die unteren Enden nur einen Fuß vom Wasserlauf entfernt. In den so abgedeckten Raum krochen wir hinein und brachten unsere müden Glieder darin unter, so gut es eben ging.

Es war eine schauerliche Nacht. Toby sprach kaum ein Wort; die ganze lange Nacht lag er vor Kälte zitternd, die Knie zum Kinn hinaufgezogen, den Rücken an die triefende Felswand gelehnt. Der Regen brach sogleich wieder in solchen Strömen los, daß unser Schutzdach einfach lächerlich wurde. Vergeblich suchte ich dem eindringenden Wasser zu entgehen; brachte ich eine Stelle in Sicherheit, so wurde die andere um so mehr durchnäßt. Ich bin im Leben oft getaucht worden, und es hat mir nie viel ausgemacht; aber die Schrecken dieser Nacht, die Todeskälte, die furchtbare Finsternis und das unheimliche Gefühl vollkommener Verlassenheit raubten mir fast allen Mut.

Sobald ich nur den schwächsten Schimmer von Tageslicht bemerkte, schüttelte ich meinen Gefährten am Arm und sagte ihm, es sei Sonnenaufgang. Der arme Toby hob den Kopf und sagte nach einer Weile mit heiserer Stimme: »Dann, Maat, sind meine Oberlichter ausgegangen, denn es scheint mir bei offenen Augen noch dunkler als bei geschlossenen.«

»Unsinn!« rief ich, »du bist nur noch nicht recht wach.«

»Wach!« brüllte Toby in Wut, »wach! Wagst du vielleicht zu behaupten, daß ich geschlafen habe? Es ist eine unerhörte Zumutung, daß ein Mensch an einem solchen Ort schlafen könnte.«

Ich entschuldigte mich bei meinem Freunde, daß ich sein Schweigen mißverstanden; es wurde etwas heller, und wir krochen aus unserer Lagerstatt. Der Regen hatte aufgehört, aber alles um uns troff von Feuchtigkeit. Wir zogen unsere durchnäßten Kleider ab und wanden sie aus, so gut es ging. Wir rieben unsere erstarrten Glieder kräftig mit den Händen, daß das Blut wieder in Umlauf kam, und nachdem wir uns im Strome gewaschen und unsere noch nassen Kleider wieder angezogen hatten, gingen wir daran, unser langes Fasten zu unterbrechen. Wir hatten vierundzwanzig Stunden nichts genossen.

Eine Tagesration wurde hervorgeholt, wir setzten uns auf ein Felsstück, teilten die Ration in gleiche Teile, wickelten den einen für den Abend ein, teilten den Rest in möglichst gleiche Hälften und losten darum. Ich hätte meinen Bissen auf einen Finger legen können, dennoch kaute ich sorgfältig zehn Minuten daran, ehe ich das letzte Stückchen verschluckte.

»Hunger ist der beste Koch.« Das winzige bißchen Nahrung hatte einen Wohlgeschmack, wie ihn der feinste Braten nicht besser hätte haben können. Ein tüchtiger Schluck von dem reinen Wasser, das zu unseren Füßen floß, vollendete die Mahlzeit, dann standen wir wirklich erfrischt auf und bereiteten uns zu weiteren Abenteuern vor.

Zunächst untersuchten wir die Schlucht sorgfältig, in der wir die Nacht verbracht hatten. Wir durchschritten den Wasserlauf, so daß wir an die andere Seite des dunklen Teiches gelangten, und fanden dort Beweise, daß der Ort kurz vorher von Menschen besucht worden war. Bei weiterer Beobachtung erkannten wir, daß er regelmäßig besucht sein mußte, und wir schlossen später aus besonderen Anzeichen, daß die Eingeborenen sich hier eine Wurzel holten, aus der sie eine Salbe gewannen.

Diese Entdeckung bewog uns, den Platz sofort zu verlassen, den wir ja nur der Sicherheit wegen aufgesucht hatten; sonst war er wahrhaftig nicht verlockend. Nach einigem Ausschauen fanden wir eine gangbare Stelle, und nach halbstündiger Mühe waren wir wieder auf der Höhe des Felsens, von der wir am Abend vorher niedergestiegen waren.

Ich machte nun den Vorschlag, daß wir, anstatt durch die Insel zu irren und uns jeden Augenblick einer Entdeckung auszusetzen, uns irgendeinen Platz zum Wohnsitz für so lange Zeit, wie unsere Nahrung reichte, wählen, eine bequeme Hütte bauen und so vorsichtig wie möglich zu Werke gehen sollten. Mein Gefährte war einverstanden.

Wir untersuchten nun erfolglos eine kleine Senkung in unserer Nähe, überschritten mehrere der Kämme und befanden uns gegen Mittag beim Aufstieg über einem weiten Abhang; aber einen geeigneten Platz hatten wir nicht gefunden. Schwere, tiefe Wolken verkündeten ein nahes Unwetter, und wir beeilten uns, wenigstens in einem dichten Gebüsch Schutz zu finden, das wir am Ende der Steigung sahen. An der Windseite dieser Büsche warfen wir uns nieder, bedeckten uns so gut wie möglich mit dem langen Grase, das umherwuchs, und erwarteten den Schauer. Der kam aber nicht so bald, wie wir gedacht hatten, und nach wenigen Minuten war mein Kamerad fest eingeschlafen. Ich war allmählich auch im Begriff, in glückliche Vergessenheit zu versinken, als der Regen mit einer Heftigkeit niederstürzte, die jeden Gedanken an Schlummer verscheuchte. Wieder wurden unsere Kleider vollkommen durchnäßt; dies war ärgerlich genug, nachdem wir uns solche Mühe gegeben hatten, sie zu trocknen. Aber da war nichts zu tun. Und ich rate allen abenteuerlichen Jünglingen, die in der Regenzeit auf romantischen Inseln ihr Schiff verlassen, sich mit wasserdichten Mänteln und Regenschirmen zu versehen.

Nach einer Stunde war der Schauer vorüber. Mein Kamerad hatte die ganze Zeit geschlafen oder schien doch zu schlafen, und ich hatte nicht das Herz, ihn zu wecken. Ich lag auf dem Rücken, die Glieder im hohen Gras, die belaubten Zweige über mir, und dachte. Da begannen sich die Folgen der vergangenen Nacht zu zeigen. Ich fühlte abwechselnd kalte Schauer und heißes Fieber, während mir das eine Bein so anschwoll und solche Schmerzen verursachte, daß ich beinahe vermutete, es müsse irgendein giftiges Tier mich gebissen haben, das die Schlucht bewohnte. Ich möchte hier bemerken, daß, wie ich später erfuhr, alle Polynesischen Inseln gleich Irland im Rufe stehen, keine Giftschlangen zu beherbergen.

Da das Fieber zunahm und ich meinen schlummernden Gefährten nicht stören wollte, rückte ich zwei oder drei Ellen von ihm fort. Dabei schob ich zufällig einen Zweig zur Seite, und dadurch enthüllte sich mir plötzlich ein Anblick, den ich heute noch mit aller Lebhaftigkeit vor mir sehe. Ein Blick ins Paradies hätte mich nicht mehr entzücken können. Ich sah in die Tiefe eines Tales hinab, das sich in langen Hügelwellen bis zu den fernen blauen Wassern hinzog. Auf halbem Wege zum Meer leuchteten die mit Blättern der Zwergpalme bedeckten Häuser der Einwohner da und dort aus dem Grün; ihre Dächer hatte die Sonne zu blendendem Weiß gebleicht. Das Tal war über drei Meilen lang und an der weitesten Stelle etwa eine Meile breit. Zu beiden Seiten war es von steilen grünen Abhängen eingeschlossen, die sich nahe der Stelle, an der ich lag, vereinten und einen steilen Halbkreis von grasbewachsenen Felsen und viel hundert Fuß tiefen Abgründen bildeten, über die zahllose kleine Wasserfälle niederschossen. Aber die krönende Schönheit der Landschaft war ihr leuchtendes Grün, das den Zauber Polynesiens bildet. Überall unter mir, vom Fuß des Abgrunds, an dessen Rand ich ahnungslos geruht hatte, bis zum Ozean wogte ein grünes Meer. Dazwischen hingen die schweigenden Wasserfälle wie zarte silberne Fäden an der Bergwand und verloren sich unten in dem reichen Teppich des Tales. Über dem Ganzen lag die tiefste Ruhe, die ich fast zu stören fürchtete, als könnte wie in einem Märchen der geringste Laut den Zauber verschwinden machen. Lange Zeit vergaß ich meine Lage und die Nähe meines schlafenden Freundes und lag und blickte um mich und begriff kaum, wie ich dazu gekommen war, all diese Herrlichkeit zu schauen.


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