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Dreißigstes Kapitel

Ich erwähne noch einige bemerkenswerte Züge, die ich bei den Taïpis beobachtete, so wie sie mir der Reihe nach einfallen.

Im Hause des alten Marheyo konnte ich eine seltsame Sitte beobachten, die mich oft in Erstaunen setzte. Jede Nacht, ehe sie sich schlafen legten, versammelten sich die Einwohner des Hauses auf den Matten, und mit gekreuzten Beinen sitzend, wie es allgemeiner Brauch auf den Inseln ist, begannen sie einen leisen, eintönigen, trübseligen Singsang und begleiteten ihn mit einer Art Instrumentalmusik – wenn man das so nennen kann –, indem jede Person ein paar halbverfaulte Stöcke in der Hand hielt und sie langsam aneinanderschlug. Das dauerte ein bis zwei Stunden, und manchmal noch länger. Ich lag im Dunkeln am anderen Ende des Hauses, und in dem Flackerlicht der Armornußfackeln sah ich die wilden Gesichter sich von dem düsteren Hintergrund abheben. Es war kein erfreuliches Schauspiel; manchmal schlummerte ich ein und erwachte plötzlich wieder und hörte sie noch immer ihr Klagelied leiern, sah die wild aussehenden, so seltsam beschäftigten Menschen mit ihren nackten tätowierten Gliedern und geschorenen Köpfen im Kreise sitzen, und mir war, als blickte ich auf eine Schar böser Geister, die irgendeine schauerliche Beschwörung vornahmen.

Was der Sinn oder der Zweck dieses Brauches war, ob sie es nur der Unterhaltung wegen taten, ob es eine Andachtsübung, eine Art Familiengebet war, habe ich nie herausbekommen. Die Töne waren die allerseltsamsten; und wenn ich nicht dabeigewesen wäre, ich hätte nie geglaubt, daß menschliche Wesen ein so sonderbares Geräusch hervorbringen können.

Man schreibt den Wilden im allgemeinen Kehllaute zu. Dies ist aber nicht immer der Fall, besonders bei den Bewohnern des polynesischen Archipels. Die Taïpi-Mädchen sprechen in der Regel mit den Lippen; sie verlängern die letzte Silbe jedes Satzes zu einem wohlklingenden Singsang, und manche Worte zirpen sie geradezu wie die Vögel, und es klingt entzückend. Die Sprache der Männer ist nicht ganz so lieblich, und sie verfallen, wenn sie aufgeregt sind, in eine Art Sprechparoxysmus, bei dem sie alle möglichen rauhen Töne mit einer Gewalt und Schnelligkeit hervorstoßen, daß es geradezu erstaunlich ist.

Obschon diese Wilden sehr gerne Töne vor sich hinleiern, scheinen sie vom wirklichen Singen, wenigstens von dem, was andere Völker darunter verstehen, keine Ahnung zu haben.

Ich werde nie vergessen, wie ich das erstemal in Mehivis Gegenwart die Strophe eines Liedes hinausschmetterte. Es war eine Strophe aus dem »Bayerischen Besenhändler«. Seine Majestät und der ganze Hof starrten mich erstaunt an, als hätte ich plötzlich eine übernatürliche Fähigkeit gezeigt, die der Himmel ihnen versagt hatte. Dem König gefielen die Verse, aber der Refrain setzte ihn geradezu in Verzückung. Auf seine Bitte sang ich ihn immer wieder, und nichts war komischer als seine vergeblichen Versuche, Melodie und Worte nachzusingen. Er machte die sonderbarsten Versuche, verzog sein ganzes Gesicht gegen die Nasenspitze, dennoch gelang es ihm nicht, er gab den Versuch schließlich auf und tröstete sich damit, daß er mich das Lied etwa fünfzigmal vorsingen ließ.

Bis dahin hatte ich nie geahnt, daß ich etwas von einer Nachtigall hatte; nun aber wurde ich zum Hofsänger ernannt und mußte in dieser Eigenschaft fast fortwährend Dienst tun.

Die Taïpis haben außer jenen Stöcken und den Trommeln keinerlei musikalische Instrumente, ausgenommen eines, das man eine Nasenflöte nennen könnte. Es ist etwas länger als eine gewöhnliche Querpfeife, wird aus einem wunderschönen scharlachfarbenen Rohr geschnitten, hat vier oder fünf Löcher und eine große Öffnung nahe an dem einen Ende, die unter das linke Nasenloch gehalten wird. Das andere Nasenloch wird durch eine besondere Muskelbewegung geschlossen, der Atem ins Rohr geblasen, und es entsteht ein leiser süßer Ton, der dadurch variiert wird, daß die Finger beliebig über die Öffnungen gleiten. Besonders die Frauen unterhalten sich gerne damit, und Fayaweh spielte es sehr gut. So sonderbar dieses Instrument scheinen mag, in Fayawehs zarten kleinen Händen sah es reizend aus.

 

Nicht nur durch meinen Gesang vermochte ich Mehivi und seine leicht befriedigten Untertanen zu unterhalten: es war für sie ein hohes Vergnügen, wenn ich die Stellungen eines Boxkämpfers annahm. Da keiner der Eingeborenen die Courage hatte, sich mir zu stellen wie ein Mann, und mich auf ihn loshämmern zu lassen, mußte ich mit einem eingebildeten Gegner kämpfen, den ich am Schlusse stets überlegen zur Strecke brachte. Manchmal, wenn der verprügelte Schatten sich eilends auf eine Gruppe der Wilden zurückzog und ich bei der Verfolgung unter sie stürzte und nach rechts und links Hiebe austeilte, liefen sie nach allen Richtungen davon, was Mehivi, die Häuptlinge und sie selbst nicht wenig belustigte.

Sie schienen die edle Kunst der Selbstverteidigung als eine besondere Gabe des weißen Mannes anzusehen und zeigten keine Lust, sie zu lernen.

 

Eines Tages war ich mit Kory-Kory zum Fluß gegangen, als ich ein Weib auf einem Felsen mitten in der Strömung sitzen sah, die irgendein Geschöpf mit lebhaftem Interesse beobachtete, das im Wasser spielte und das ich zuerst für eine ungewöhnlich große Froschart hielt. Als ich auf die Stelle zuwatete, traute ich meinen Augen nicht, als ich ein kleines Kind, das unmöglich mehr als einige Tage alt sein konnte, im Wasser herumpaddeln sah, als wäre es darin geboren. Manchmal, wenn das kleine Wesen einen schwachen Laut von sich gab, seine winzigen Gliederchen streckte und dem Felsen zuschwamm, streckte die entzückte Mutter die Hand aus, holte es aus dem Wasser und schloß es an die Brust. Dies geschah wieder und wieder, und jedesmal blieb das Baby etwa eine Minute lang im Wasser. Ein- oder zweimal schnitt es Gesichter, wenn es einen Mundvoll Wasser schluckte, und spuckte und hustete, als müßte es ersticken. Dann fing die Mutter es sogleich auf und zwang es, das Wasser wieder auszuspeien. Durch Wochen hindurch beobachtete ich die Frau, wie sie regelmäßig jeden Tag ihr Kind zum Flusse brachte, in der Morgenkühle und wieder am Abend, und es baden ließ. Kein Wunder, daß die Südseeinsulaner eine so amphibische Rasse sind, wenn sie ins Wasser gesetzt werden, sowie sie das Licht der Welt erblickt haben. Ich weiß jetzt, daß der Mensch von Natur aus ebenso schwimmt wie eine Ente. Und dennoch, wieviel kräftige Leute sterben bei uns infolge der sinnlosesten Unfälle, wie junge Katzen, die man ersäuft.

 

Die langen, üppigen, dunkelglänzenden Flechten der Taïpi-Damen erregten gar oft meine Bewunderung. Reiches, schönes Haar ist der Stolz und die Freude jeden Weibes. Ob es, gegen den Willen der Vorsehung, oben auf dem Kopf zusammengelegt und aufgebunden, ob es mit Kämmen und Nadeln aufgetürmt oder in glatten Flechten niedergestrichen wird, ob es in natürlichen Locken über die Schultern fallen darf, immer ist es der Stolz der Besitzerin und ihr höchster Schmuck.

Die Taïpi-Mädchen verbringen einen guten Teil ihrer Zeit mit der Pflege ihres Haares und ihrer üppigen Locken. Nach dem Baden – und sie baden oft fünf- und sechsmal am Tag – wird das Haar sorgfältig getrocknet, und wenn sie im Meer gebadet haben, jedesmal in Süßwasser gewaschen und mit einem duftenden Öl gesalbt, das aus der Kokosnuß gewonnen wird.

Der Prozeß ist sehr einfach. Ein großes Holzgefäß mit durchlöchertem Boden wird mit dem gestoßenen Fleisch der Nuß gefüllt und der Sonne ausgesetzt. Die ölige Masse wird ausgeschwitzt und tropft durch die Löcher in eine Kalebasse mit weiter Öffnung, die sich unter dem Holzgefäß befindet. Wenn sich genug Öl angesammelt hat, wird es gereinigt und dann in die kleinen kugligen Schalen der Nüsse des Omubaumes geschüttet, die man vorher ausgehöhlt hat. Die Nüsse werden dann mit einem Gummiharz luftdicht verschlossen, und der Duft ihrer grünen Schale verleiht dem Öl einen entzückenden Geruch. Nach ein paar Wochen wird die äußere Schale der Nüsse trocken und hart, und ihre Farbe ein schönes Rosa. Wenn man sie dann öffnet, findet man sie zu zwei Dritteln mit einer hellgelben Salbe gefüllt, die den süßesten Duft ausstreut. Die elegante kleine wohlriechende Kugel würde auf dem Toilettentisch einer Königin nicht schlecht stehen. Auf das Haar hat das Präparat jedenfalls den wohltätigsten Einfluß. Es macht es seidenzart und gibt ihm einen herrlichen Glanz.


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