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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Die ganze Bevölkerung des Tales schien im Hain versammelt. In der Ferne sah man die lange Frontseite des Tais, den ungeheuren Vorplatz voll von Männern in den verschiedenartigsten und phantastischsten Kostümen, die alle laut und mit lebhaftem Gebärdenspiel durcheinander sprachen, während der ganze weite Raum zwischen dem Gebäude und der Stelle, an der ich stand, von Gruppen blumengeschmückter Frauen belebt war, die tanzten, sprangen und wilde Rufe ausstießen. Sowie sie mich erblickten, stießen sie einen Ruf des Willkommens aus; eine ganze Schar tanzte auf mich zu, und sie sangen irgendein wildes Rezitativ dabei. Die Veränderung in meiner Tracht schien sie zu entzücken, sie sammelten sich um mich von allen Seiten und begleiteten mich zum Tai. Allerdings, als wir uns ihm näherten, blieben die fröhlichen Nymphen stehen, wichen auseinander und öffneten mir einen Weg in das menschengefüllte Gebäude.

Sowie ich das Pai-Pai erstiegen hatte, sah ich, daß die Schmauserei bereits im Gange war. Es herrschte eine verschwenderische Fülle. Warwick, der sein Gefolge mit Rindfleisch und hellem Bier bewirtete, war ein Knauser neben dem edlen Mehivi! Längs dem Vorplatz des Tais waren schön geschnitzte Gefäße angereiht, wie Kanus geformt und manche bis zu zwanzig Fuß lang, die alle mit frisch bereitetem Poï-Poï gefüllt und durch breite Bananenblätter gegen die Sonne geschützt waren. Dazwischen lagen Haufen von grüner Brotfrucht in Pyramiden, so wie die regelmäßigen Haufen schwerer Stückkugeln im Hof eines Arsenals. In die Spalten zwischen den großen Steinen, die das Pai-Pai bildeten, waren mächtige Baumzweige gesteckt, von deren Zweigen, durch das Laub vor der Sonne geschützt, massenhaft kleine Pakete hingen. In ihren blättrigen Hüllen war das Fleisch der unzähligen für das Fest geschlachteten Schweine verpackt und aufgehängt, so daß die Gäste nur zuzugreifen brauchten. Am Geländer des Vorplatzes lehnte eine ungeheure Menge langer schwerer Bambusstämme, die am unteren Ende zugestopft und an ihrer vorspringenden Mündung mit einem Blätterpfropfen geschlossen waren. Sie waren mit Wasser aus dem Flusse gefüllt, und jedes Gefäß mochte etwa fünfzehn bis zwanzig Liter enthalten.

Die Tafel war gedeckt, man brauchte sich nur zu bedienen. In einem Augenblick waren die eingesetzten Bäumchen geplündert und ihre ungewohnte Frucht verteilt; Kalebassen von Poï-Poï wurden immer wieder aus den Riesengefäßen auf dem Vorplatz gefüllt, und eine Menge kleiner Feuer brannte um das Tai, um die Brotfrucht zu rösten. Das Innere des Gebäudes bot ein außerordentliches Schauspiel. Der riesige mit Matten belegte Raum zwischen den beiden parallelen Kokosnußstämmen, der durch das ganze Haus lief und mindestens zweihundert Fuß maß, war von ruhenden Häuptlingen und Kriegern besetzt, die mächtig schmausten oder die Sorgen des polynesischen Lebens durch Tabakgenuß linderten. Sie rauchten aus großen Pfeifen, deren Köpfe aus kleinen Kokosnußschalen verfertigt und zu seltsamen heidnischen Bildern geschnitzt waren. Sie gingen von Mund zu Mund, jeder der liegenden Raucher tat zwei oder drei mächtige Züge und reichte die Pfeife dem Nachbar, wobei er sich gelegentlich über den Körper eines Schlummernden beugte, den die anstrengende Tätigkeit an der Tafel bereits in Schlaf versenkt hatte.

Der Tabak, den die Taïpis rauchten, hatte ein besonders mildes und angenehmes Aroma; ich habe ihn stets nur in Blättern gesehen, und die Eingeborenen schienen reichlich damit versorgt. Ich nahm daher an, daß er im Tal wuchs. Kory-Kory bestätigte mir dies auch; ich habe indessen nie eine Tabakspflanze auf der Insel gesehen. In Nukuhiva und, soviel ich weiß, auch in den anderen Tälern ist das Kraut spärlich, man bekommt es in geringen Mengen von den Ausländern, und das Rauchen ist daher dort für die Einwohner ein großer Luxus. Woher die Taïpis so reichlich damit versehen waren, ahne ich nicht. Tabak zu bauen waren sie, meiner Meinung nach, zu träge; in der Tat gab es, soweit meine Beobachtungen reichten, keinen Zoll breit Erde, der nicht von Regen und Sonnenschein allein gepflegt und fruchtbar gemacht wurde. Aber vielleicht mochte die Tabakspflanze wie das Zuckerrohr in irgendeinem abgelegenen Teil des Tales wild wachsen.

Vielen im Tai schien der Tabak kein hinreichend kräftiges Reizmittel. Diese hielten sich an »Arwa«. Arwa ist eine Wurzel, die man in der Südsee ziemlich allgemein findet und aus der ein Saft gewonnen wird, dessen Wirkung zunächst eine mäßig anregende ist; sehr bald aber übt es einen narkotischen Einfluß und erzeugt wonnigen Schlummer. Im Tal wurde das Getränk auf folgende Weise bereitet: ein halbes Dutzend junger Burschen setzte sich in einem Kreis um ein leeres Holzgefäß, neben jedem lag ein Haufen in kleine Stücke zerteilter Arwawurzeln im Gras. Eine Kokosnußschale mit Wasser wurde in der jugendlichen Gesellschaft herumgereicht; sie spülten ihren Mund und gingen an die Arbeit, die darin bestand, daß sie die Arwa gründlich zerkauten und dann einen Mundvoll nach dem anderen in das Gefäß warfen. Wenn eine genügende Menge darin war, wurde Wasser darauf gegossen, die Masse mit dem Zeigefinger der rechten Hand umgerührt, und das Getränk war so ziemlich fertig.

Arwa hat auch heilkräftige Wirkungen. Auf den Sandwich-Inseln hat man sie mit Erfolg zur Behandlung der Skrofulose verwendet und zur Bekämpfung einer Krankheit, die durch Jahre jene schönen Inseln entvölkert hat. Die Bewohner des Taïpi-Tales, die von diesen Plagen noch nicht heimgesucht sind, verwenden die Arwa in der Regel nur, um die geselligen Freuden zu erhöhen, und eine Kalebasse davon kreist bei ihnen, wie die Flasche bei uns.

Mehivi, der über die Veränderung meiner Tracht sehr erfreut war, hieß mich willkommen. Er hatte mir eine herrliche Schüssel »Koku« aufgehoben, denn er wußte, wie gern ich dieses Gericht aß; und hatte außerdem, drei oder vier junge Kokosnüsse, mehrere geröstete Brotfrüchte und ein prächtiges Büschel Bananen für meinen besonderen Genuß beiseitegelegt. All dies wurde mir sogleich vorgesetzt, aber Kory-Kory hielt das Menü für völlig ungenügend, ehe er mich nicht mit einem der Blätterpakete mit Schweinefleisch versorgt hatte, das, wie primitiv die Zubereitung sein mochte, überraschend weich und zart und außerordentlich wohlschmeckend war.

Da Schweinefleisch auf den Marquesas kein regelmäßiges Nahrungsmittel ist, kümmern sich die Einwohner wenig um die Aufzucht der Tiere. Die Schweine laufen frei in den Hainen herum, in denen die Kokosnüsse, die beständig von den Bäumen fallen, einen guten Teil ihrer Nahrung bilden. Allerdings haben die hungrigen Tiere eine unendliche Arbeit mit den Zotten und den Schalen, ehe sie an das Fleisch gelangen. Ich habe oft belustigt zugesehen, wie ein Schwein, nachdem es die Nuß lange Zeit erfolglos mit den Zähnen bearbeitet hatte, endlich in wilde Wut geriet, die Erde unter ihr aufwühlte und sie mit der Schnauze fortschleuderte. Dann folgte es ihr, biß wieder wild darauf, schleuderte sie wieder zur Seite und blieb dann stehen, als wunderte es sich, wo sie hingekommen war. Manchmal treibt das Tier eine Nuß so durch das halbe Tal.

Der zweite Tag des Kalebassen-Festes begann womöglich mit noch größerem Lärm als der erste. Unzählige Kalbsfelle schienen unter den Schlägen einer Armee von Trommlern zu erdröhnen. Durch das Wirbeln aus dem Schlaf geschreckt, sprang ich auf und fand den ganzen Haushalt zum Aufbruch bereit. Neugierig, was für seltsame Ereignisse diese neuartigen Töne verkünden mochten, sowie die Instrumente zu sehen, die einen so schrecklichen Lärm erzeugten, begleitete ich die Eingeborenen nach den Tabu-Hainen.

Der verhältnismäßig freie Raum zwischen dem Tai und dem Felsen war jetzt, sowie das Gebäude selbst, von den Männern völlig verlassen; der ganze Platz war von Scharen von Frauen besetzt, die in irgendeiner sonderbaren Aufregung schrien und tanzten.

Besonders komisch schienen mir vier oder fünf alte Weiber, die völlig nackt, die Arme flach an die Seiten gepreßt, in vollkommen gerader Haltung steif in die Luft sprangen, genau wie Stöcke, die man senkrecht ins Wasser stößt, kerzengerade wieder an die Oberfläche kommen. Dabei blieb ihr Gesicht völlig ernst, und sie unterbrachen diese sonderbare Bewegung keinen Augenblick. Die Menge schien sie nicht zu beachten, ich aber starrte sie verblüfft an. Fragend wendete ich mich an Kory-Kory, und der unterrichtete Taïpi erklärte mir die Sache sogleich umständlich. Aber alles, was ich davon verstehen konnte, war, daß die springenden alten Damen Witwen waren, die ihre Ehegenossen vor manchen Monden in der Schlacht verloren hatten, und die bei jedem Fest ihrer Trauer auf diese Weise öffentlichen Ausdruck gaben. Kory-Kory schien darin auch eine ausreichende Erklärung zu sehen; mein Anstandsgefühl, muß ich sagen, blieb verletzt.

Wir gingen nun nach dem Hulah-Hulah-Grund. Die ganze Bevölkerung des Tales schien in dem geräumigen Viereck versammelt: und bot einen merkwürdigen Anblick. Unter Bambushütten, die sich nach der Mitte des Platzes zu öffneten, lagerten die obersten Häuptlinge und Krieger, während eine bunte Menge es sich unter den riesigen Bäumen bequem machte, die ein majestätisches Laubdach über sie breiteten. Auf den Terrassen der gewaltigen Altäre, an jedem Ende des Platzes, waren Körbe aus Kokosblättern voll grüner Brotfrucht, breite Rollen von Tappa, Büschel weißer Bananen, Mammi-Äpfel, die goldfarbige Frucht des Artubaumes, gebackenes Schweinefleisch auf breiten hölzernen Tranchierbrettern, die mit frisch gepflückten Blättern geziert waren, niedergelegt, während Waffen und rohe Kriegswerkzeuge verschiedenster Art in wirren Haufen vor den scheußlichen Götzenbildern aufgeschichtet lagen. Längs der unteren Terrassen beider Altäre waren in regelmäßigen Zwischenräumen Stangen senkrecht eingepflanzt, an denen Laubkörbe mit Früchten verschiedener Art hingen. An ihrem Fuße standen zwei Reihen ungeschlachter Trommeln, die aus mächtigen hohlen Baumstämmen gemacht und etwa fünfzehn Fuß hoch waren. Oben waren sie mit Haifischhaut bespannt, und die Stämme außen mit vielen verschiedenartigen seltsamen Bildern und Ornamenten in Schnitzwerk verziert. In regelmäßigen Zwischenräumen waren sie mit bunten Bändern aus Rohrgeflecht umwunden und da und dort mit Streifen des heimischen Tuchs besetzt. Hinter diesen Instrumenten waren leichte Plattformen errichtet, auf denen eine Anzahl junger Leute stand, die heftig mit den flachen Händen auf das Trommelfell schlugen und den fürchterlichen Lärm machten, der mich geweckt hatte. Alle paar Minuten hüpften diese Musikanten herab unter die Menge, während andere sogleich ihre Stelle einnahmen. Ein unaufhörlicher Höllenlärm war die Folge.

Genau in der Mitte des Vierecks waren hundert oder mehr dünne, frisch geschnittene und geschälte Stangen senkrecht in den Boden gepflanzt, von deren Ende je ein Wimpel von weißem Tappa flatterte; rings um die Stangen lief ein kleiner Rohrzaun. Wozu diese Flaggenstangen dienten, konnte ich nicht erfahren.

Ferner fielen mir etwa zwanzig alte Männer auf, die mit gekreuzten Beinen auf den kleinen Kanzeln saßen, die die ungeheuren Baumstämme in der Mitte des Geheges umgaben. Diese ehrwürdigen Herren, die vermutlich die Priester waren, leierten eine ununterbrochene eintönige Litanei ab, die von dem Trommellärm beinahe völlig übertönt wurde. In der rechten Hand hielten sie schön gewebte Grasfächer an schweren schwarzen, merkwürdig gemeißelten Holzgriffen, und bewegten diese Fächer unaufhörlich hin und her.

Dabei schien niemand weder auf die Trommler noch auf die alten Priester zu achten; die Menge schwatzte, lachte, rauchte, trank und aß, und das ganze wilde Orchester hätte den ungeheuerlichen Lärm, den es verursachte, ebensogut unterlassen können.

Vergeblich fragte ich Kory-Kory und andere Eingeborene, was all diese seltsamen Dinge bedeuteten; ihre Erklärungen wurden mir in so unverständlichem Kauderwelsch und mit so seltsamen Gebärden gegeben, daß ich den Versuch verzweifelt aufgab. Den ganzen Tag tönten die Trommeln, psalmodierten die Priester, und die Menge schmauste und brüllte bis Sonnenuntergang; dann zerstreute sich das Gewühl und die Tabu-Haine lagen wieder in Ruhe. Am nächsten Tag wiederholte sich das gleiche Schauspiel bis in die Nacht, und dann war das merkwürdige Fest zu Ende.


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