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Achtundzwanzigstes Kapitel

Es gab einige merkwürdig aussehende Hunde im Tale; das heißt, wenn man das Hunde nennen konnte. Es schienen eher große unbehaarte Ratten zu sein; sie hatten ein glattes, glänzendes, geflecktes Fell, waren fett, mit häßlichen Köpfen. Woher sie nur kommen mochten? Daß sie in der Gegend nicht heimisch waren, scheint mir sicher. Sie schienen selber zu wissen, daß sie nicht hergehörten, sahen aus, als schämten sie sich, und verkrochen sich in die dunkelsten Winkel. Es waren ekelhafte Köter, die ich nicht ausstehen konnte, und nichts wäre mir lieber gewesen, als sie sämtlich auszurotten. Einmal deutete ich Mehivi an, wie nützlich ein Hundekreuzzug wäre, aber der gutmütige König wollte nichts davon wissen. Er hörte mich geduldig an, aber dann schüttelte er den Kopf und sagte mir im Vertrauen, daß sie »Tabu« seien.

Nie werde ich den Tag vergessen, an dem ich eines Mittags im Hause lag; alle anderen um mich her in tiefem Schlaf: ich schlug zufällig die Augen auf und begegnete denen einer großen gespenstischen schwarzen Katze, die aufrecht in der Türe saß und mich mit ihren schrecklichen kuglig-großen Augen anstarrte, gleich einem jener Höllengeister, die die alten Heiligen bedrängten.

Nun war mir der Anblick dieser Tiere zu allen Zeiten unerträglich; die plötzliche Erscheinung der Katze in Taïpi verstörte mich geradezu. Als ich mich ein wenig erholt hatte, sprang ich auf, die Katze ergriff die Flucht; ihre Flucht machte mich kühn, ich stürzte aus dem Hause, um sie zu verfolgen; aber sie war verschwunden. Es war das einzige Mal, daß ich eine Katze in dem Tal sah, und wie sie dahingekommen war, begreife ich nicht. Vielleicht war sie aus einem Schiff in Nukuhiva entwichen. Von den Eingeborenen konnte ich nichts erfahren, keiner hatte das Tier gesehen, dessen Erscheinen mir noch heute ein Rätsel ist.

Unter den wenigen Tieren, die es in Taïpi gibt, interessierte mich am meisten eine wunderschöne goldfarbene Eidechsenart. Sie war vom Kopf bis zur Schwanzspitze vielleicht fünf Zoll lang und von anmutigstem Bau. Man sah sie in großer Zahl auf den Hausdächern sich sonnen, sah ihre glitzernden Körper zu jeder Tageszeit im Grase hin und her huschen oder scharenweise an den hohen Stämmen der Kokospalmen auf und ab laufen. Diese kleinen zierlichen Tiere waren vollkommen zahm und kannten keine Furcht. Oft, wenn ich mich während der heißen Stunden des Tages an irgendeiner schattigen Stelle auf den Boden setzte, liefen sie von allen Seiten an mir herauf. Wenn ich eine vom Arm streifen wollte, sprang sie mir ins Haar, wenn ich sie sachte an einem Beine faßte, um sie von dort zu verscheuchen, schlüpfte sie mir zahm in die Hand.

Auch die Vögel in diesem Lande sind merkwürdig zahm. Wenn man einen in Armeslänge auf einem Zweig sitzen sah und auf ihn zuging, flog er nicht gleich fort, sondern blieb ruhig sitzen und sah einen an, bis man ihn fast greifen konnte; dann flog er langsam auf, und es sah aus, als täte er es weniger aus Furcht, als um nicht länger zu stören.

Auf einer unbewohnten Insel der Gallipagos hatte sich einmal ein Vogel auf meinen ausgestreckten Arm gesetzt, während das Weibchen – oder Männchen – von einem benachbarten Baum zwitscherte. Ich war damals von solcher Zahmheit entzückt, und mit ähnlicher Freude sah ich später die Vögel und Eidechsen des Taïpi-Tales das gleiche Vertrauen in die Gutartigkeit der Menschen setzen.

Eines der zahlreichen Übel, das die Europäer den Eingeborenen der Südsee gebracht haben, war, daß sie, wenn auch zufällig und unabsichtlich, jene ewigen Störenfriede und Quäler, die Moskitos, einführten. Auf den Sandwich-Inseln und auf zwei oder drei der Gesellschaftsinseln gibt es ganze Kolonien dieser Insekten, die dort glänzend gedeihen und die heimischen Sandfliegen über kurz oder lang verdrängt haben werden. Sie stechen, summen und quälen das ganze Jahr hindurch, verärgern die Eingeborenen und hemmen die Tätigkeit der Missionare.

Von dieser Plage waren die Taïpis noch frei; aber leider werden die Stechmücken dort einigermaßen durch eine winzige Fliegenart ersetzt, die zwar nicht sticht, aber doch zu einer lästigen Qual wird. Denn die Zahmheit der Vögel und Eidechsen ist nichts im Vergleich zur furchtlosen Zudringlichkeit dieser Insekten. Sie setzen sich auf die Augenwimpern und bleiben dort, wenn man sie nicht vertreibt, oder drängen sich einem ins Haar, oder klettern die Nasenhöhlen hinauf, als wollten sie einem ins Gehirn gucken. Einmal war ich so unvorsichtig und gähnte, als diese Tiere um mich herum flogen. Sogleich flog mir ein halbes Dutzend in die Mundhöhle und marschierte auf meinem Gaumen umher; es war ein schauderhaftes Gefühl. Wilde Tiere gibt es auf der Insel nicht. In den Gebirgen im Innern herrscht lautlose Einsamkeit, die nie vom Gebrüll der Raubtiere unterbrochen wird. Selbst vom Dasein kleiner und kleinster Tiere findet man nur geringe Spuren. Giftige Reptilien, Schlangen irgendwelcher Art sind in keinem der Täler zu finden.

Für die Eingeborenen der Marquesas bildet das Wetter keinen Gesprächsstoff. Es wechselt so gut wie gar nicht. Wohl bringt die Regenzeit häufige Schauer, aber sie sind erfrischend und halten nicht an. Kein Inselbewohner, der einen Ausgang vorhat, denkt, wenn er des Morgens aufsteht, daran, zu schauen, wie der Himmel aussieht oder woher der Wind weht. Ein schöner Tag ist ihm immer gewiß, und die Aussicht auf ein paar tüchtige Regengüsse begrüßt er mit Freude. Er hat nie Gelegenheit, sich über ein besonders schönes Wetter zu wundern oder davon zu erzählen; es gibt keine plötzlichen Umschläge in der Atmosphäre, keinen Frost, keinen Schneesturm: Tag folgt auf Tag in ewigem Sommer und Sonnenschein, und das ganze Jahr ist ein langer tropischer Juni, der eben in den Juli übergeht.

Diesem herrlichen Klima verdanken die Kokosnüsse ihr Gedeihen. Diese unschätzbare Frucht reift nirgends zu solcher Vollkommenheit wie auf dem reichen Boden der Marquesas. Man sollte glauben, daß sie auf ihrer stattlichen Säule, in mehr als hundert Fuß Höhe, für die Eingeborenen kaum erreichbar wäre. Der schlanke, glatte Stamm, an dem es keinen Ast, keinen Knoten, nichts gibt, was das Klettern erleichtert, scheint unersteiglich, und nur die erstaunliche Behendigkeit und Geschicklichkeit der Eingeborenen vermag es dennoch. Man sollte auch glauben, daß sie aus Trägheit geduldig die Reifezeit der Nüsse und ihr allmähliches Abfallen erwarten, und sie würden das auch tun, wenn sie nicht gerade die junge Frucht in ihrer weichen grünen Schale als einen besonderen Leckerbissen betrachteten. Das Fleisch bildet sich erst in ihr und liegt wie eine gallertige Haut an; dafür enthält sie den herrlichsten Saft. Sie haben mindestens zwanzig Ausdrücke, um die verschiedenen Reifestadien der Kokosnuß zu bezeichnen. Manche von ihnen essen die Frucht überhaupt nur in einem ganz bestimmten Reifezustand, und so unglaublich es scheinen mag, sie vermögen den Augenblick, in dem die Nuß diesen Zustand erreicht, auf die Stunde anzugeben. Andere sind noch wählerischer; sie sammeln einen Haufen von Nüssen jeden Alters, zapfen alle geschickt an und kosten eine nach der anderen, wie ein empfindlicher alter Weinbeißer mit dem Glas in der Hand die verstaubten Fässer der verschiedenen Lesen prüft.

Einige der jungen Leute, die noch geschmeidiger waren als die anderen und vielleicht auch mutiger, hatten eine Art, an dem Stamm der Kokosnußbäume hinaufzulaufen, die mir einfach wunderbar schien, und wenn ich ihnen dabei zusah, staunte ich, wie wenn ein Kind zum erstenmal eine Fliege an der Zimmerdecke kriechen sieht.

Wenn Narmi, ein vornehmer junger Häuptling, manchmal, um mir damit ein Vergnügen zu machen, diese Leistung vollbrachte, dann führte er vorher ein ganzes Theater auf. Wir standen vor einem Baum, und ich wies ihm die junge Frucht, die ich gerne haben wollte: der hübsche Wilde sah mich zunächst überrascht an, wie erstaunt über die vollkommene Sinnlosigkeit meiner Bitte. So blieb er einen Augenblick, dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck und ward der eines Menschen, der einem anderen mit gutmütiger Resignation nachgibt. Sehnsüchtig blickte er zu den Laubkronen des Baumes empor, stellte sich auf die Zehenspitzen, streckte den Hals und hob die Arme über den Kopf, als wollte er die Frucht vom Boden aus erreichen. Da dies vergeblich bleibt, wirft er sich zur Erde und schlägt sich in Verzweiflung die Brust; dann springt er plötzlich wieder auf, wirft den Kopf zurück und hebt beide Hände, als wollte er eine der Nüsse beim Fallen auffangen. Auch dies hat keinen Erfolg, und er bekommt einen neuen Verzweiflungsanfall, so heftig, daß er es nicht aushält und einfach wegläuft. In einer Entfernung von sechzig bis achtzig Schritten bleibt er stehen und guckt nach dem Baum, ein wahres Bild des Jammers. Da, plötzlich scheint ihm eine Erleuchtung zu kommen, er stürzt auf den Baum zu, umfaßt den Stamm mit beiden Armen, wobei er den einen etwas höher ansetzt als den anderen, drückt beide Fußsohlen dicht nebeneinander gegen den Baum, streckt die Beine, bis sie fast wagrecht stehen und sein Körper einen Bogen bildet; dann, Hand über Hand und Fuß vor Fuß setzend, erhebt er sich blitzschnell vom Boden und, ehe man überhaupt recht begriffen hat, was er tut, ist er schon hoch oben in der Krone, wo die Nüsse hängen, und wirft jubelnd die Früchte herunter.

Diese Art, den Baum hinaufzugehen, ist nur möglich, wenn der Stamm beträchtlich von der Senkrechten abweicht; aber das ist fast immer der Fall; manche dieser völlig geraden Stämme wachsen in einem Winkel von dreißig Grad.

Minder energische Leute und viele Kinder des Tales haben eine andere Methode. Sie nehmen ein breites, festes Stück Baumrinde, das sie mit beiden Enden an ihren Knöcheln befestigen, so daß sie die Füße nur etwa zwölf Zoll weit spreizen können. Dadurch wird das Klettern außerordentlich erleichtert. Der Rindenstreif wird an den Baum gedrückt, legt sich fest an und gibt eine gute Stütze; mit den Armen umfassen sie den Stamm und ziehen die Füße um etwa eine Elle nach, worauf sie sofort um ein entsprechendes Stück mit den Händen höher greifen. Ich habe kleine, kaum fünfjährige Kinder in dieser Art furchtlos den schlanken Stamm eines jungen Kokosbaumes hinaufklettern sehen; dann hingen sie vielleicht fünfzig Fuß über dem Boden, während unten ihre Eltern Beifall klatschten und sie ermunterten, noch höher zu steigen.

Als ich zum erstenmal solch eine Leistung sah, fragte ich mich, was wohl eine nervöse amerikanische oder englische Mutter zu ähnlichen Mutproben eines ihrer Kinder sagen würde? Vielleicht hätten die Spartaner sie gepriesen; aber die meisten modernen Damen würden wohl hysterische Anfälle bekommen.

Die zahlreichen Zweige, die an der Spitze der Kokospalme nach allen Seiten wachsen, bildeten oben gleichsam einen grünen wogenden Korb, und man kann die in dichten Büscheln stehenden Nüsse gerade noch zwischen den Blättern erkennen; auf höheren Bäumen scheinen sie, von unten gesehen, nicht größer als Weintrauben.

Ich erinnere mich eines waghalsigen kleinen Kerls – Tu-Tu hieß der Halunke –, der sich in der Krone eines Baumes, nahe bei Marheyos Wohnung, eine Art luftigen Häuschens zurechtgemacht hatte. Stundenlang saß er dort oben, ließ die Zweige rascheln und rauschen und schrie vor Entzücken jedesmal, wenn die starken Windstöße vom Bergeshang die lange biegsame Säule, auf deren Spitze er saß, hin und her schaukelte. So oft ich Tu-Tus musikalische Stimme aus dieser steilen Höhe seltsam an mein Ohr klingen hörte, und ihn aus seinem laubigen Versteck herabgucken sah, fielen mir stets Dibdins Verse ein:

»Ein kleiner Engel sitzt hoch oben
Und guckt, und guckt nach dem armen Hans.«

Wunderschöne Vögel fliegen durch das Tal. Man sieht sie hoch oben auf den unbeweglichen Ästen gewaltiger Brotfruchtbäume sitzen oder sanft auf den biegsamen Zweigen des Omubaumes schaukeln, über die Zwergpalmendächer der Rohrhütten streifen, wie geflügelte Geister durch die schattigen Haine flattern und manchmal in glänzendem Flug von den Bergen tief ins Tal hinunterschießen. Ihr Gefieder ist blau und purpurfarben, weiß und tiefrot, schwarz und golden; sie haben Schnäbel von jeder Farbe: blutrot, tiefschwarz und elfenbeinweiß. Ihre Augen sind hell und funkelnd, sie segeln durch die Luft wie eine Schar von Sternschnuppen; aber ach, sie sind sämtlich stumm, wie verzaubert – nicht ein einziger Singvogel ist im Tal!

Ich weiß nicht warum, aber der Anblick dieser Vögel, der doch sonst so fröhlich stimmt, machte mich jedesmal traurig. Wenn sie mich auf meinen Wegen durch den Hain in ihrer stummen Schönheit umflatterten, oder mich mit ruhigen, neugierigen Augen aus den Büschen ansahen, dann bildete ich mir fast ein, sie wüßten, daß sie einen Fremden schauten, und bemitleideten ihn.


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