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Sechsundvierzigstes Kapitel

Der Inhalt vorstehenden Briefes fiel mir ungemein schmerzlich. Ich konnte mich der Ueberzeugung nicht erwehren, daß ich den schönen, mir bestimmten Landsitz, im Fall er an einen Andern überging, hauptsächlich durch die Täuschung verlor, welche ich mir wegen des angeblichen Todes meiner Mutter hatte zu Schulden kommen lassen – ein Verlust, in dem ich also nur eine gerechte Strafe erkennen mußte. Zu gleicher Zeit fühlte ich mich nicht wenig über Obrist Delmar's Betragen entrüstet. Es war mir jetzt klar, warum er damals mit Mr. Warden's Schreiber gesprochen – ebenso, daß er zu Portsmouth von meiner Lage Vortheil gezogen, mein Pult geöffnet und die Briefe meiner Mutter gestohlen hatte. Für Letzteres sollte er mir unter allen Umständen (das heißt, möchte nun ich oder er die alte Dame beerben) Rede stehen, sobald ich mit ihm zusammentraf. Es fiel mir nicht entfernt ein, das schöne Besitzthum, das ich jetzt wahrscheinlich verlieren sollte, zu verschmähen; aber doch wurde meine Thätigkeit zur Sicherung der mir vielleicht schon entrissenen Ansprüche noch unendlich durch meine Feindschaft gegen diesen Elenden gesteigert, und ich faßte alsbald einen Entschluß.

Da ich noch außer Stande war, zu reisen, und zudem Hamburg nicht verlassen wollte, ohne Minnie als Gattin mitzunehmen, so schickte ich nach Croß, theilte demselben in wenigen Worten das Vorgefallene mit, und fragte ihn, ob er wohl geneigt sei, augenblicklich nach England aufzubrechen, wozu er sich bereitwillig finden ließ.

»Die alte Dame verlangt, wie mir scheint, Lord de Versely's eigenhändige schriftliche Anerkennung, daß ich sein Sohn bin, und zum Glück bin ich im Besitze eines derartigen Dokuments. Nehmen Sie daher dieß, und sobald sie in England anlangen, eilen Sie zu Mr. Warden, um es persönlich demselben zu überbringen.«

Mit diesen Worten knüpfte ich den Beutel aus Seehundsfell ab, der Lord de Versely's Brief an meine Mutter enthielt, und vertraute ihn seiner Besorgung. Auch erklärte ich mich in einem langen Schreiben an den Sachwalter über die muthmaßlichen Mittel, welche der Obrist angewendet hatte, um sich in den Besitz der Briefe zu setzen, und über den Grund, der mich bewogen, Seiner Herrlichkeit den Glauben beizubringen, daß meine Mutter todt sei. Ich versuchte nicht, mein Benehmen zu beschönigen, sondern machte mir wegen der Täuschung ernstliche Vorwürfe, und gab zu, daß es nicht mehr als verdiente Strafe wäre, wenn ich die Besitzung verlöre.

Croß segelte schon am nächsten Morgen ab. Nachdem ich diese Angelegenheit gehörig in Gang gebracht hatte, blieb mir weiter nichts zu thun übrig, als alle meine Gedanken Minnie zu weihen. Zwei Wochen später war ich vollkommen genesen, und nun drängte ich Mr. Vanderwelt, unsere Vermählung zu beschleunigen. Er hatte nichts dagegen, und so wurde denn abgemacht, daß ich nach acht Tagen Minnie zum Altare führen sollte. Ich meinte, die Woche wolle kein Ende nehmen; aber wie alle andern starb auch sie endlich eines natürlichen Todes, und wir waren vereinigt. Als uns nach Beendigung des Festmahles die Hochzeitgäste verlassen hatten und ich mit meiner schönen Minnie, die ich in den Armen hielt, allein war, brachte mir Mr. Vanderwelt einen Brief aus England. Da er von Mr. Warden kam, so öffnete ich ihn hastig. Minnie theilte meine Ungeduld, und las über meine Schulter weg folgendes Schreiben: –

»Mein lieber Kapitän Keene!

»Es war ein großes Glück für Sie, daß Sie den mir übermachten Brief aufbewahrt haben; doch ich will nicht vorgreifen. Sobald mir Croß das Schreiben übergeben, begab ich mich sogleich zu der alten Dame und legte es ihr vor; nicht minder theilte ich ihr auch aus Ihrem an mich gerichteten Briefe die Gründe mit, warum Sie Lord de Versely glauben machten, daß Ihre Mutter todt wäre. Die Miß Delmar, mit derem geistigen Vermögen es schon sehr weit gekommen ist, konnte mich kaum verstehen; doch machte die Handschrift ihres Neffen einigen Eindruck, und sie sagte: ›Nun, nun – ich sehe – ich will mir's überlegen. Vor der Hand kann ich mich noch nicht entscheiden, denn ich muß zuvor hören, was der Obrist sagt.‹ Dieß war nun aber, was ich lieber verhindert hätte; sie benahm sich jedoch sehr positiv, und so mußte ich mir's eben gefallen lassen. Der Obrist wurde berufen; doch kann ich keine Auskunft geben über das Resultat der Besprechung – oder vielmehr über das, was das Resultat derselben geworden wäre, wenn sich das Glück nicht auf höchst wunderbare Weise zu Ihren Gunsten in's Mittel gelegt hätte.

»Als ich mich entfernen wollte, sah ich zwei Herren in einer Postchaise anlangen. Der eine davon schien sehr unwohl und schwach zu sein, da er kaum die Treppe hinauszugehen im Stande war. Sie fragten nach Obrist Delmar und wurden in ein Zimmer gewiesen, wo sie warten sollten, bis er von der alten Dame zurückkehrte. Ich sah ihn herauskommen; es lag so viel Selbstzufriedenheit in seinem Gesichte, daß ich mich überzeugt fühlte, er habe das Feld behauptet. Nun begab ich mich nach Hause, fest entschlossen, das noch nicht unterzeichnete neue Testament zu verbrennen, wäre es auch nur, um Zeit zu gewinnen, bis ich es auf's Neue abgefaßt hätte. Am andern Morgen beschied mich ein Expresser augenblicklich nach der Halle. Ich leistete Folge, nahm aber das neue Testament nicht mit, da ich nicht anders glaubte, als daß es in diesem Falle am gleichen Tag noch unterzeichnet werden würde. Ich war jedoch im Irrthum, denn man hatte mich wegen des Obrist Delmar's Tod berufen, der am nämlichen Morgen in einem Duell mit Major Stapleton – demselben, mit dem auch Sie Kugeln gewechselt – gefallen war. Es scheint, daß Kapitän Green dem Major die Schmähung hinterbrachte, welche der Obrist ausgestoßen, als er Major S. für todt hielt, und daß der Major, der seitdem immer sehr krank gewesen, nur warten wollte, bis er sich gehörig erholt hatte, um den Obrist zur Rechenschaft zu ziehen. Die beiden Herren, welche ich Tags zuvor in der Halle gesehen, waren Niemand anders, als der Major und sein Sekundant gewesen. Sie bestellten sich auf Sonnenaufgang, und beide fielen; der Major lebte indeß noch lange genug, um das Bekenntniß abzulegen, daß die Duellgeschichte mit Ihnen ein zwischen ihm und dem Obrist verabredeter Handel gewesen sei. Auf eine Nachricht hin, welche Letzterer von meinem Schreiber erhalten, sollte er Sie aus dem Weg räumen, und wenn es ihm gelang, Sie in eine andere Welt zu schicken, war ihm von dem Obrist eine schöne Belohnung verheißen. Hieraus läßt sich vermuthen, daß die Vogelflinte in dem Verhau nicht ganz so zufällig losging, als man damals glaubte. Indeß ist jetzt von dem Obristen nichts mehr für Sie zu befahren; sein Tod hat auf die alte Dame so erschütternd eingewirkt, daß man nicht zu fürchten hat, sie werde ihr Testament ändern. Selbst wenn sie es versuchen wollte, so zweifle ich, ob ein derartiges Testament gültig sein würde, da ihr Geistesvermögen jetzt ganz irre geworden ist. Ich habe deßhalb das nicht unterzeichnete Papier vernichtet, und zweifle nicht, daß ich Ihnen in einigen Wochen zur Erbfolge in dem Besitzthume Glück wünschen kann. Ich möchte Ihnen rathen, Ihre Heimkehr zu beschleunigen und Ihr Quartier zu Madeline-Hall aufzuschlagen, denn der Besitzer hat neun Zehntheile des Rechts für sich, und Sie sind dann in der Lage, alle Eindringlinge abzuhalten.

Ihr
getreuer F. Warden

»Nun, liebe Minnie, da werde ich dich wohl bald als Grundherrin auf Madeline-Hall begrüßen können,« sagte ich, indem ich den Brief zusammenlegte.

»Ja, Percival; aber auf der Kehrseite ist noch eine Nachschrift, die du nicht gelesen hast.«

Ich blickte abermals in den Brief.

»N. S. Ich habe ganz vergessen, daß Ihrer Besitznahme der Güter eine Bedingung angeheftet ist, gegen die Sie, da dieselbe auf Lord de Versely's außerordentliches Verlangen eingeschaltet worden, vermuthlich nichts einzuwenden haben – Sie sollen nämlich den Namen und das Wappen der Familie Delmar annehmen.«


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