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Sechsunddreißigstes Kapitel

Des andern Tages, am ersten September, waren wir Alle sehr beschäftigt, und wir ergingen uns eine Woche lang jeden Tag auf der Jagd. Nun hielt ich es aber für Zeit, wieder nach Portsmouth zurückzukehren. Ich theilte Lord de Versely meine Absicht mit, wurde aber gedrängt (es war Dienstag), bis zum nächsten Sonnabend zu bleiben. Am Mittwoch erschien Mr. Warden, in Begleitung seines Schreibers, der einen großen Pack Papiere mit sich brachte. Er verweilte eine halbe Stunde und ging dann wieder nach Hause; ehe er sich aber entfernte, bat er mich für den folgenden Tag zum Diner, was ich zusagte.

Als wir des andern Tages von der Jagd heimkehrten, wechselte ich meine Kleider und schlug, nachdem ich dem Kellermeister mitgetheilt hatte, daß ich auswärts speisen würde, den Weg über die Felder ein. Ich ging ruhig neben einer hohen Hecke im Grase weiter, als ich auf der andern Seite zwei Männer bemerkte. In dem einen erkannte ich Obrist Delmar, aus dem andern wußte ich aber Anfangs nichts zu machen, und erst als ich näher kam, entdeckte ich, daß sich der Obrist mit Mr. Warden's Schreiber unterhielt. Ich kam an ihnen vorbei, ohne daß sie mich bemerkten, denn sie waren in sehr angelegentlichem Gespräch begriffen. Was sie sagten verstand ich nicht, aber doch fiel es mir auf, daß ein so stolzer Mann, als Obrist Delmar war, sich mit dem untergeordneten Gehülfen eines Sachwalters einließ. Nach einiger Erwägung fand ich jedoch nichts sonderlich Ueberraschendes mehr in dem Umstande, daß sich Obrist Delmar mit einem Manne aus der Gegend besprach, denn ihre Unterhaltung konnte sich ja auf die Jagdgründe oder hundert andere Dinge beziehen.

Bei Mr. Warden nahm ich ein sehr freundliches Mahl ein; auch gab er mir nach dem Diner den Wink, daß mir die Tags zuvor unterzeichneten Papiere keinen Schaden gebracht hätten. Indeß sprach er sich nicht mit Bestimmtheit aus, da dieß von seiner Seite ein Vertrauensbruch gewesen wäre. Als ich ihm mittheilte, daß ich bald wieder zur See gehen würde, bemerkte er gegen mich, daß er nicht ermangeln werde, während meiner Abwesenheit über meine Interessen in der Halle zu wachen; auch bat er mich, ich möchte ihm schreiben und ihn als meinen aufrichtigen Freund betrachten. »Natürlich kann ich nicht verlangen, mein lieber Kapitän Keene, daß Sie mir jetzt schon ihr ganzes Vertrauen schenken, aber ich hoffe, Sie werden's thun, wenn Sie mich erst kennen, und namentlich dann, wenn Ihnen mein Rath von Nutzen sein kann. Ich habe eine Schuld der Dankbarkeit gegen Sie abzutragen, und werde mich höchst glücklich schätzen, Ihnen meine Erkenntlichkeit zu beweisen, so weit es in meinen Kräften steht!«

Ich dankte Mr. Warden für sein freundliches Anerbieten, versprach ihm, desselben eingedenk zu sein, und dann schieden wir als Freunde.

Des nächsten Tages, am Freitag, erhielt unsere Jagdgesellschaft einen großen Zuwachs. Ich befand mich noch kaum eine Stunde im Felde und stand eben neben Lord de Versely, welcher sein Gewehr wieder lud, als ganz in der Nähe ein Schuß fiel, und ich wie todt vor Seiner Herrlichkeit Füßen zusammenstürzte. Ein Wildhüter, der bei uns war, eilte fort, um zu sehen, wer das Gewehr abgeschossen hatte: es war Obrist Delmar gewesen, der jetzt hastig auf uns zukam und unter Ausdrücken des schmerzlichsten Bedauerns sich gegen Lord de Versely entschuldigte, weil seine Flinte zufällig losgegangen sei, als er eben ein Zündhütchen aufgesetzt hätte. Ich erfuhr nachher, daß Lord de Versely an meiner Seite niederkniete und den größten Kummer an den Tag legte. Mein Hut war abgeflogen und voll Blut, auch die Hinterseite meines Kopfes von dem Schusse sehr beschädigt. Ich blieb besinnungslos, obgleich mein Athem noch schwer fortging. Man nahm ein Thor aus seinen Angeln, legte mich darauf und brachte mich nach der Halle.

Vor der Ankunft des Wundarztes war ich bereits wieder zu mir gekommen. Die Untersuchung zeigte, daß ich nur mit knapper Noth entkommen war, denn der größere Theil der Ladung war in den hintern Theil meines Kopfes eingedrungen, obgleich glücklicher Weise keiner der Schrote die Schädelknochen durchbohrt hatte. Man war eine Stunde, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, mit Ausschneiden der Schrotkörner beschäftigt, worauf mein Kopf verbunden und ich nach meinem Bette zur Ruhe gebracht wurde. Ich muß sagen, daß Lord de Versely und Obrist Delmar in ihrer Aufmerksamkeit gegen mich wetteiferten; namentlich wich der Letztere den größten Theil des Tages nicht von meinem Lager, wobei er sich unablässig als den Urheber dieses Unglücks anklagte.

Dieser Zufall verzögerte meine Abreise, denn es währte drei Wochen, bis ich so weit hergestellt war, um mein Zimmer verlassen zu können. In der Zwischenzeit war Lord de Versely, den man versichert hatte, daß ich außer aller Gefahr sei, wieder nach London zurückgekehrt. Der Obrist befand sich jedoch noch immer in der Halle. Seine Freundlichkeit und Aufmerksamkeit freute mich sehr, und wir wurden sehr vertraut mit einander. Er hatte sich erboten, mich nach Portsmouth zu begleiten – eine Gesellschaft, die ich mir mit großem Vergnügen gefallen ließ. Während meiner Krankheit hatte die ehrenwerthe Miß Delmar die größte Besorgniß um mich gezeigt, deßgleichen auch Mr. Warden, der oft in die Halle kam, um mich zu besuchen. Ueberhaupt nahmen sich so viele wohlwollende Freunde meiner an, daß ich meinen Unfall kaum beklagte.

Am Ende der fünften Woche war ich wieder so weit hergestellt, um nach Portsmouth zurückkehren zu können. Ich sehnte mich nach meinem Bestimmungsorte, da die Circe vom Stapel gelassen war und bereits ihre unteren Masten erhalten hatte. Miß Delmar ersuchte mich beim Abschiede, bald wieder nach Madeline-Hall zurückzukehren, und dann brach ich in Obrist Delmar's Begleitung nach Portsmouth auf, wo ich mich abermals in Billetts Hotel einquartierte.

Bob Croß war der erste, der mich besuchte, denn ich hatte ihm geschrieben, daß ich zurückzukehren beabsichtigte. Mein Unfall war auch zu seiner Kunde gekommen, da die Zeitungen Notiz davon genommen halten, und nach den ersten Begrüßungen ging er auf die zwar unbedeutenden, aber doch sachgemäßen amtlichen Meldungen über. Mit der Fregatte stand Alles recht, denn sie saß auf dem Wasser wie eine Ente, war in ihrer Takelage sehr weit gediehen, und die Offiziere schienen gediegene Leute zu sein. Auch mit seinen Ehestandsangelegenheiten hatte sich Alles gut gemacht, denn sein Weib hätte er nicht besser wünschen können, der alte Gentleman war so süß wie Syrup, und außerdem hatte er noch den Kiel zu einem jungen Croß gelegt. Wir ergingen uns dann weiter in Geschäftsangelegenheiten, indem ich ihm einige Weisungen hinsichtlich der Auftakelung gab, und dann entfernte er sich.

Des andern Morgens machte mir der erste Lieutenant seinen Anstandsbesuch; ich fand aus seinem Aeußern sowohl, als aus seiner Unterhaltung, daß er war, wie man mir ihn geschildert hatte, nämlich ein wackerer Mann, der sich trefflich auf seinen Dienst verstand. Ich begab mich mit ihm nach der Docke, um die Fregatte im Becken zu sehen, dann aber an Bord des Holks, um mir die übrigen Offiziere und die neue Mannschaft vorstellen zu lassen. Ich hatte allen Grund, zufrieden zu sein, und nachdem ich meine Musterung beendigt, kehrte ich nach dem Hotel zurück, um mit Obrist Delmar zu speisen. Dieser schien eine große Zuneigung zu mir gefaßt zu haben, und seit dem Zufalle mit der Flinte, welcher mich beinahe das Leben gekostet hätte, gab er mir ohne Unterlaß die wärmsten Versicherungen seiner treuen Anhänglichkeit. Ich muß gestehen, daß ich's nie mit einem feiner gebildeteren oder angenehmeren Gesellschafter zu thun hatte. Es bildete sich eine innige Freundschaft zwischen uns, und er machte mir ohne Unterlaß werthvolle Geschenke, obschon ich dieselben gerne zurückgewiesen hätte. Hin und wieder, wenn wir allein waren, ließ er wohl auch einen Wink über meine Familie und meine Eltern fallen; doch war dieß ein Gegenstand, über den ich unabänderlich stumm blieb, indem ich dann alsbald auf ein anderes Gesprächsthema überging. Nur ein einziges Mal entgegnete ich ihm, daß ich sowohl Vater als Mutter durch den Tod verloren habe.

Bei meiner Ankunft zu Portsmouth fand ich mehrere Briefe für mich vor, darunter zwei oder drei von meiner Mutter, welche von meinem Unfall in der Zeitung gelesen hatte und natürlich ungemein ängstlich war, bis sie von meiner eigenen Hand las, wie es mit meinem Befinden ging. Hätte ich gedacht, daß sie Kunde davon erhielte, so würde ich zuverlässig von Madeline-Hall aus an meine Großmutter geschrieben haben; ich meinte jedoch, sie wisse nichts von der ganzen Geschichte, bis ich nach meiner Rückkehr nach Portsmouth durch ihre besorgten Briefe von dem Gegentheil belehrt wurde, denn in der Angst ihres Herzens hatte sie ihr Versprechen, nur durch meine Großmutter mit mir zu verkehren, ganz vergessen.

Sobald ich die Briefe gelesen, schloß ich sie in meinem Pulte ein, und beeilte mich sodann, sie zu beantworten, indem ich meine Mutter versicherte, daß ich vollkommen wiederhergestellt sei, sie aber auch zugleich verwarnte, von unserer Uebereinkunft abzugehen, denn wenn ihre Schreiben mir nach Madeline-Hall nachgeschickt worden wären, so hätte ihre Handschrift nothwendig erkannt werden müssen. Der Schluß meiner Antwort lautete, wie folgt:

»Ich muß gestehen, meine liebe Mutter, daß ich jetzt von Herzen den Schritt bereue, zu dem wir unsere Zuflucht genommen haben, als wir dich für todt ausgaben. Ich glaube zwar, daß bisher einiger Vortheil daraus errungen wurde, aber ich habe eine Vorahnung, daß noch Unglück daraus entsprießt. Gebe Gott, daß ich Unrecht habe; hat mich aber meine Ahnung nicht betrogen, so wird es nur die gerechte Strafe für eine zweideutige Handlung sein, die ich seitdem schon so bitter bereut habe.«

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