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Zweiundvierzigstes Kapitel

Die aufgehende Sonne verscheuchte die Wolken, und die Hitze wurde übermächtig. In welcher Lage wären wir jetzt gewesen, wenn es nicht dem Himmel gefallen hätte, uns zu erfrischen?

Da nun der Durst gestillt war, traten die Anforderungen des Hungers um so gebieterischer hervor, weßhalb jedem Mann eine rohe Kartoffel zur Speise gereicht wurde. Der Tag entschwand, deßgleichen auch der dritte, der vierte, und wir begannen bereits, die Hoffnung aufzugeben, als ich in der Dämmerung des fünften Morgens ein Segel im Westen erspähte. Der Wind war leicht, aber das Fahrzeug kam augenscheinlich gegen uns herunter, und noch vor Mittag erkannten wir, daß es der Kutter war.

Wir setzten uns auf die Brüstungen, und hielten unsere weißen Hemden in die Höhe, um durch dieses Signal die Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Als der Kutter etwa noch drei Meilen von uns entfernt war, holte er, augenscheinlich uns nicht bemerkend, um und ließ uns zwei Stunden lang in einem Zustande wahnsinnig machender Angst und Spannung. Endlich gewahrten wir, daß er abfiel und wieder auf uns zusteuerte. Wir waren also doch einmal gesehen worden, und sobald sich das Fahrzeug uns auf drei Kabelslängen genähert hatte, würde das Boot niedergelassen, um uns aufzunehmen. Eine dreimalige Ladung brachte uns Alle an Bord, und wir schickten jetzt innige Dankgebete für unsere Rettung zum Himmel.

Der Lieutenant des Kutters sagte uns, daß er Anfangs durch die Sonne verhindert worden sei, uns zu sehen, was ich ihm wohl glauben konnte; dann versicherte er aber, es sei ihm nicht entfernt der Gedanke gekommen, daß wir Schiffbruch gelitten hätten, obgleich dieß bei der Dryade der Fall gewesen sein müsse, denn er habe einen Mast schwimmen sehen, und als er ein Boot danach ausgeschickt, um ihn zu untersuchen, sei ihr Name auf den Kreuzhölzern gefunden worden. Wir waren übrigens zu erschöpft, um uns in eine weitläufige Unterhaltung einzulassen. Sobald wir mit Nahrung erquickt waren, wurden uns die Hängematten der Mannschaft abgetreten, und der erste Lieutenant überließ mir seine Bettstelle. Nach einem langen Schlafe stand ich sehr erfrischt wieder auf, ohne mehr viel von dem, was ich durchgemacht hatte, zu empfinden, und setzte mich des andern Mittags mit gutem Appetit zum Frühstück nieder. Meiner Weisung zufolge steuerte der Kutter nach der Insel Helgoland, wo wir Mittel finden konnten, nach England zurückzukehren.

»Ich habe Briefe für Sie, Kapitän Keene,« sagte der Lieutenant, »wenn Sie sich wohl genug befinden, sie zu lesen.«

»Danke Ihnen Mr. D–; ich bin ganz wohl und kann sie daher gleich jetzt vornehmen.«

Der Lieutenant brachte mir ein großes Packet und ging dann wieder auf das Deck, während ich mich auf dem Sopha ausstreckte, um gemächlich lesen zu können. Zuerst öffnete ich die dienstlichen Schreiben – sie hatten natürlich jetzt, da ich mein Schiff verloren, wenig Interesse für mich, weßhalb ich sie nur leichthin überflog, und dann einen nach dem andern auf den Tisch warf. Dann befanden sich auch drei Privatbriefe von England in dem Packet, deren einer von Lord de Versely überschrieben war: diesen öffnete ich zuerst. Er war kurz, aber in sehr wohlwollenden Ausdrücken abgefaßt; zugleich enthielt er die Nachricht, daß sich Seine Herrlichkeit in der letzten Zeit nicht ganz wohl befunden habe. Der zweite war von meiner Mutter – er enthielt nichts besonders Wichtiges. Dann nahm ich den dritten auf, der mit einem schwarzen Siegel versehen war. Ich öffnete ihn und fand, daß er von Mr. Warden kam, welcher mir mittheilte, daß Lord de Versely auf dem Rückwege aus dem Hause der Lords plötzlich an einer Verknöcherung des Herzens gestorben sei.

Dieser Schlag war zu viel für meinen geschwächten Zustand; ich wurde ohnmächtig. Wie lange ich besinnungslos dagelegen, kann ich nicht sagen; als ich aber wieder zu mir kam, befand ich mich noch immer in der Kajüte. Ich sammelte mich, so gut es gehen wollte, brauchte aber einige Zeit, ehe ich es über mich gewann, den Brief wieder aufzunehmen, und ihn zu Ende zu lesen. Mr. Warden theilte mir mit, daß mir Seine Herrlichkeit sein ganzes Privatvermögen (das einzige, worüber er verfügen konnte) vermacht habe – daß die Bibliothek und die Weine von einigem Werth wären, und daß nach Abzug der Beerdigungskosten, wie auch der Tilgungsmittel für die vorhandenen Schulden, ungefähr tausend Pfund bei dem Banquier lägen.

»O!« rief ich, »hätte er mir nur seinen Familiennamen hinterlassen, so wären alle meine Wünsche erfüllt gewesen! Mein Vater, mein gütiger Vater! Wahrlich, ich kann wohl sagen, wer wird deinen Verlust bejammern, wenn nicht ich!«

Ich warf mich auf das Sophapolster und vergoß geraume Zeit bittere Thränen. Freilich muß ich zugeben, daß sie aus keiner ganz uneigennützigen Quelle flößen, denn mein Gram wurde noch dadurch erhöht, daß ich für immer die Aussicht verloren hatte, das große Ziel meiner Wünsche zu erreichen.

Der Lieutenant des Kutters kam in die Kajüte herunter, und ich sah mich genöthigt, die Aufregung meiner Gefühle zu verbergen. Ich beklagte mich über Kopfweh und Mattigkeit, nahm die Briefe zusammen, legte mich auf das Bett, dessen Vorhänge ich vorzog, und überließ mich meinen Betrachtungen. Mein Geist war jedoch in einer kläglichen Verwirrung. Ich konnte nicht für einen Moment meine Gedanken an irgend einem bestimmten Gegenstande festhalten, und befand mich in einer wahrhaft fieberischen Aufregung. Endlich schmerzte mich mein Kopf dermaßen, daß ich nicht mehr denken konnte. Zum Glücke sank ich aus Erschöpfung in einen tiefen Schlaf, aus dem ich vor dem nächsten Morgen nicht wieder erwachte. Nun mußte ich mich aber erst erinnern, wo ich war, und was sich zugetragen hatte. Ich wußte, daß ein schreckliches Ereigniß eingetreten war, und endlich zuckte es in meinem Erinnerungsvermögen auf. Lord de Versely war tobt! Ich ächzte und sank auf das Kissen zurück.

»Fühlen's denn sich so gar unwohl, Kapitän Keene?« fragte eine Stimme dicht neben mir.

Ich öffnete die Vorhänge und bemerkte, daß Croß neben meinem Bette stand.

»O freilich, Croß, sehr unwohl; ich habe schlimme Nachrichten erhalten. Lord de Versely ist todt.«

»Das ist ja eine schlimme Neuigkeit, Sir,« versetzte Croß. »Eine sehr schlimme Neuigkeit – schlimmer als der Verlust der Fregatte. Aber, Kapitän Keene, diese Welt will einmal ihr Neigen und Steigen haben. Das Glück ist Ihnen so lang' nachgelaufen, daß Sie sich nicht wundern dürfen, wenn es einmal auch seinen Wankelmuth zeigt. Es ist allerdings hart, zu gleicher Zeit eine Fregatte und den Vater zu verlieren, aber Sie sind doch mit dem Leben davongekommen, und das ist schon Etwas, wofür man dankbar sein darf.«

Ich wandte mich ab, denn mein Herz war voll Bitterkeit. Croß bemerkte meine Verstimmung und entfernte sich, mich in einem Zustande verdrießlicher Gleichgültigkeit zurücklassend, die mich bewog, die ganze Zeit meines Anbordseins nicht von meinem Bette aufzustehen.

Am zweiten Tag langten wir zu Helgoland an, wo mich der Gouverneur ersuchte, mein Quartier bei ihm zu nehmen, bis sich eine Gelegenheit für mich darböte, nach England zurückzukehren. Mein Geist war jedoch so niedergedrückt, daß ich mich durchaus nicht zu fassen vermochte. Ich brütete über meinem Mißgeschick und meinte, jetzt sei die Zeit gekommen, in der das Glück für die mir früher erwiesene Gunst Rache nehmen wollte.

Der plötzliche Tod des Lord de Versely in einem Alter von sechsundfünfzig Jahren ließ mich ohne Beschützer und hatte alle meine Hoffnungen, deren Mittelpunkt er gewesen, vernichtet. Das Ziel meines Ehrgeizes schien mir für immer entrückt zu sein, denn welche Aussicht hatte ich jetzt, als Glied seiner Familie anerkannt zu werden? Und dann der Verlust einer so schönen Fregatte – eines so wackeren und edlen Schiffvolks. Ich zweifelte zwar nicht, daß ich von einem Kriegsgericht ehrenvoll freigesprochen werden würde, aber ich hatte keine Hoffnung zu künftiger Anstellung, da ich, seit Lord de Versely todt war, Niemand hatte, um meine Ansprüche zu unterstützen. Meine Aussichten im Dienst waren also dahin – geplatzt, wie die träumerischen Seifenblasen, in denen ich bisher geschwelgt hatte. Einige Freude machte mir's allerdings, daß mir Lord de Versely sein Privatvermögen vermacht hatte – es war doch ein Beweis seiner väterlichen Liebe; aber ich hatte mich nach seinem Familiennamen gesehnt, und würde das Recht, ihn zu tragen, einer Rente von Tausenden vorgezogen haben. Den zweiten Tag nach unserer Ankunft machte mir Croß einen Besuch. Da er mich sehr niedergeschlagen fand, so versuchte er Alles, um mich aufzuheitern. Endlich sagte er:

»Was den Verlust der Fregatte betrifft, Kapitän Keene, so hätt' sie keine menschliche Macht zu retten vermocht; auch würde keiner seine Schuldigkeit besser gethan haben, als Sie, was sich vor dem Kriegsgericht ausweisen wird. Indeß, Sir, meine ich doch, es sei passend, jetzt zu zeigen, daß Ihr Eifer für den Dienst nicht nachgelassen hat.«

»Und wie sollte ich das, Croß?«

»Je nun, Sir, Sie wissen so gut, als ich, wie es mit den Franzosen den Krebsgang nimmt, daß sie aus Rußland hinausgepeitscht wurden und daß sie sich allenthalben zurückziehen. Sie sollen Hamburg verlassen haben, und dem Vernehmen nach machen die Kanonenbriggen morgen oder übermorgen einen Ausflug, um die Batterien von Cuxhaven zu stürmen und so eine Diversion zu veranlassen, wie sie's nennen – und 's ist wahrhaftig eine recht hübsche Diversion, diesen französischen Kujonen auf die Nähte zu gehen. Erlauben's mir daher, Kapitän Keene, zu sagen, wär's wohl nicht eben so gut, Sie nähmen so viele von unseren Leuten, als gehen können, und schlößen sich der Sturmpartie an? 's ist doch weit besser, als den ganzen Tag melancholisch hier zu sitzen, um nichts zu thun.«

»Das ist das erste Wort, das ich davon höre, Croß. Wissen Sie auch gewiß, daß sich's so verhält?«

»Wie sollten's auch Etwas hören, Sir, wenn Sie sich hier einschließen und Niemand vor sich lassen? 's ist wahr genug, Sir. Man hat, ehe ich herauskam, die Mannschaft ausgezählt, und ich glaub', daß schon morgen mit Tagesanbruch abgefahren wird.«

»Ich will mir die Sache überlegen, Croß, und Sie, wenn Sie in einer halben Stunde wieder vorsprechen, meine Meinung wissen lassen.«

Croß entfernte sich, und ich war noch immer unschlüssig, als mir der Gouverneur einen Besuch machte. Nachdem die ersten Begrüßungen gewechselt waren, fragte ich ihn, ob das Gerücht von einer Expedition nach Cuxhaven wahr sei. Er antwortete, die Russen seien in dem am eilften von den Franzosen geräumten Hamburg eingezogen, und da die französischen Garnisonen zu Cuxhaven dem Vernehmen nach sich nicht zu helfen wüßten, so hätten der Blazer und eine andere Kanonenbrigg den Austrag, die Forts anzugreifen.

Hamburg! dachte ich. Ist nicht Minnie Vanderwelt mit Ihrem Vater in Hamburg? Ich will gehen und versuchen, ob ich nicht nach Hamburg kommen kann. Der Gedanke an Minnie wurde für mich zu einem neuen Aufregungsmittel und spornte meine Thatkraft. Ich sagte daher dem Gouverneur, daß ich einige unbeschäftigte Leute bei mir hätte, weßhalb ich mich der Expedition als Freiwilliger anschließen wolle. Der Gouverneur dankte mir für meinen Eifer und ging hinunter, um dem kommandirenden Offizier der Kanonenbrigg meine Absichten mitzutheilen, welcher darauf erwiederte, daß er sich durch meinen Beistand und meine Mitwirkung sehr geehrt fühle.

*

 


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