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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Nach einer dreitägigen Fahrt waren wir in der Breite von Berbice angelangt, und am vierten Morgen lugten die Leute im Mastkorb scharf nach einem fremden Segel aus. Unser Vordertheil war dem Lande zugekehrt, welches um seiner geringen Höhe willen nicht gesehen werden konnte. Der Wind blies leicht, die Oberbramsegel waren beigesetzt, und man hatte eben das Signal zum Frühstück für die Mannschaft gepfiffen, als der Mastkorbwächter vorne und rechts drei Segel meldete. Wir erkannten sie bald für englische Kauffahrteischiffe, die ohne Zweifel gekapert worden waren, denn sie segelten getrennt und flohen vor uns. Dieß stellte sich auch als Wahrheit heraus, als wir sie endlich in unsere Macht bekamen, was übrigens bei dem dritten erst mit Einbruch der Nacht der Fall war.

Als wir die Gefangenen und die paar Engländer, die an Bord der Prisen geblieben waren, in's Verhör nahmen, fanden wir, daß meine Vermuthung richtig gewesen, und daß die drei Kauffahrer von einem französischen Linienschiffe gekapert worden waren, welches die Prisen Abends zuvor an der Küste verlassen hatte. Die Engländer bezeichneten den Franzosen als einen sehr schnellen Segler, den sie zu etwa achtzig Kanonen schätzten – und auch die französischen Gefangenen zogen diese Angabe nicht in Abrede.

Dieß war allerdings eine höchst wichtige Kunde, und Kapitän Delmar ging in tiefem Nachsinnen auf dem Verdeck hin und her, denn er war wirklich sehr verlegen, wie er handeln sollte. Mit einer solchen Macht anders, als unter ganz besonders günstigen Umständen, anbinden zu wollen, wäre Wahnsinn gewesen, während ein Verlassen der Küste und ein Preisgeben unserer Handelsflotte an die geringen Fänge des Feindes eben so sehr unseren Gefühlen als unserer Pflicht zuwider lief. Die Prisen waren bemannt, die Gefangenen an Bord geschafft und die Boote aufgehißt worden, aber noch blieb die Manilla zögernd liegen. Die Ursache davon war, weil der Kapitän noch immer, unschlüssig, in welche Richtung er den Schnabel seines Schiffes kehren sollte, gedankenvoll auf dem Decke auf und ab spazierte.

»Mr. Keene, haben Sie die Wache?«

»Nein, Sir.«

»Haben Sie die Güte, dem Schiffsmeister zu sagen, daß er mir die Gissung ausfertige. Ich möchte genau wissen, wo wir liegen.«

»Es ist bereits geschehen, Sir, und unsere Lage auf der Karte ausgesteckt,« entgegnete ich. »Ich komme eben aus der Konstabelkammer.«

»So bringen Sie mir die Karte in meine Kajüte, Mr. Keene.«

Ich entsprach seiner Aufforderung, legte die Karte auf den Tisch und deutete den Ort an, wo sich unser Schiff befand.

»Ihre Vermuthung hat sich als richtig erwiesen, Mr. Keene,« sagte der Kapitän, »und in der That, der Umstand, daß wir in dem Feind ein Linienschiff finden, hat mich in eine sehr verdrießliche Lage gebracht. Kämpfen kann uns nichts nützen, und doch möchte ich auch nicht fliehen, wenn ich's möglicherweise ändern kann.«

Nun hatte ich aber bereits die Karte studirt und einen Entwurf über mein Verfahren im gegenwärtigen Falle gefaßt, wenn ich in Kapitän Delmar's Stellung gewesen wäre. Es handelte sich jetzt nur darum, ihm meine Gedanken vorzulegen, ohne daß es den Anschein gewann, ich wolle ihm mit Rath an die Hand gehen, weßhalb ich entgegnete:

»Jedenfalls haben wir einen Vortheil, Sir. Wir kreuzen schon so lange, daß wir ziemlich leicht segeln – ich glaube nicht, daß wir sechszehn Fuß tief im Wasser gehen.«

»Ja, das mag uns allerdings bei leichten Winden einen hübschen Vorsprung vor dem Feinde geben,« erwiederte der Kapitän.

»Der Franzose muß doch mindestens sechs oder siebenundzwanzig Fuß Wassertracht haben, Sir,« fuhr ich fort, um ihn auf die rechte Witterung zu bringen, »was uns an dieser Küste sehr zu Statten kömmt. Als ich drunten war, maß ich die Ankergründe, und ich fand, wie sich das seichte Wasser so allmählig vertieft, daß zwischen siebenzehn und achtundzwanzig Fuß Fahrwasser wohl eine Entfernung von vier Meilen stattfindet.«

Ich holte den Compaß herauf, um die beiden auf der Karte angedeuteten Tiefen zu bestimmen, maß dann die Entfernung und zeigte, daß meine Behauptung richtig war. Der Kapitän schwieg eine kleine Weile, und endlich bemerkte ich ein Lächeln auf seinen Lippen.

»Sagen Sie dem wachhabenden Offizier, er solle den Kutter hinunterlassen, Mr. Keene. Dann begeben Sie sich an Bord der Prisen und bedeuten denselben, daß sie, außer der bereits erlassenen Ordre, uns zu folgen, sich so weit, als das Wasser es erlaubt, der Küste nähern und Anker werfen.«

»Sehr wohl, Sir,« versetzte ich, die Kajüte verlassend.

Dieser Auftrag überzeugte mich, daß dem Kapitän nicht entgangen war, was ich andeuten wollte – nämlich, daß wir, wenn wir einmal an der Küste und im seichten Wasser wären, das Linienschiff auslachen könnten, das unter solchen Umständen aller Wahrscheinlichkeit nach unfähig war, uns mit seinen Kanonen zu erreichen; versuchte es aber dennoch, uns nahe zu kommen, so mußte es auf den Strand laufen, in welchem Falle nur wir den Nutzen davon hatten.

Sobald ich den Meistern auf den Prisen die Befehle überbracht, kehrte ich an Bord zurück. Wir zogen dann das Boot wieder auf und setzten landwärts alle Segel bei. Um zwölf Uhr sondirten wir und fanden neun Faden Wassertiefe, woraus wir berechneten, daß wir noch etwa dreißig Meilen vom Land ab lagen. Ich brauche kaum zu sagen, daß wir sehr auf unserer Hut waren und fortwährend eine achtsame Auslugwache ausgestellt hatten, damit wir nicht mit unserem furchtbaren Gegner zusammentreffen möchten.

Um ein Uhr ging der Mond auf. Da ich die Mittelwache hatte, so untersuchte ich den Horizont nach allen Seiten, konnte aber keinen Feind entdecken. Gegen halb drei Uhr dämmerte der Morgen auf und noch ehe meine Wache zu Ende ging, war es heller Tag. Ich wollte eben, auf die Ablösung des zweiten Lieutenants, hinuntergehen, als leewärts ein großes Segel in der Entfernung von ungefähr acht Meilen, zwei Striche backstags hinter uns gemeldet wurde.

Der zweite Lieutenant eilte nach der Kajüte, um dem Kapitän Rapport zu erstatten, während ich nach dem Mastkorbe hinaufstieg, um den Charakter des Schiffes zu untersuchen, in welchem ich alsbald ein Linienschiff erkannte. Ich stieg sogleich wieder hinunter, um dem Kapitän, der inzwischen auf dem Deck erschienen war, Meldung zu machen. Da wir die Masten und Segel des Feindes vom Deck aus ganz gut unterscheiden konnten, so richteten wir auf dem Gange unsere Gläser danach hin. Wir sahen, daß er mit beigesetzten Oberbramsegeln und offenem Klüver Jagd auf uns machte, fühlten uns aber demungeachtet geborgen, da wir lange, ehe es ihm möglich war, mit uns anzubinden, in seichtem Wasser sein konnten. Unsere Furcht beschränkte sich blos auf die Kauffahrer, die möglicherweise wieder genommen werden konnten, da sie, obgleich sie alle führbaren Segel ausgesetzt hatten, doch um zwei Meilen hinter uns zurück waren.

Es war Fünfknotenwind und das Wasser ganz glatt, ein Umstand, welcher wohl uns und dem Linienschiff, keineswegs aber den Kauffahrern zu Statten kam, da sie wegen ihrer Cargos kräftigeren Wind brauchten, um rasch vorwärts zu kommen. Als zum Frühstück gepfiffen wurde, war der Stand der Angelegenheiten folgender:

Das französische Linienschiff hatte bis halb acht Uhr unter allen Segeln landeinwärts gesteuert und stand noch immer, wie zur Zeit, als wir es zum erstenmal erblickt, genau zwei Striche backstags hinter uns; dann aber lavirte es, wahrscheinlich weil es in seicht Wasser gekommen war, und blieb nun etwas hinter unserem Kiele zurück, indem es scharf auf den Kauffahrer abhub, der am weitesten hinter uns zurück war. Seit es lavirte, hatte es seinen Rumpf über den Wasserspiegel erhoben, so daß wir seine obere Geschützreihe sehen konnten. Zwei der Kauffahrteischiffe waren uns etwa drei Meilen im Rücken, während das dritte fünf Meilen von uns abstand und die höchste Gefahr lief, abgeschnitten zu werden, um so mehr, da, wie wir bemerkten, daß der Feind zwei Punkte frei gerade nach der Küste steuerte, während wir, da der Franzose auf seiner Jagd Luv hielt, natürlich ein Gleiches thaten, weßhalb wir uns in schräger Richtung, folglich nicht ganz so schnell, dem seichten Wasser näherten. Wir befanden uns jetzt auf sieben Faden Tiefe und, nach Maßgabe unserer Karten, ungefähr eilf Meilen von der Küste entfernt, die so niedrig war, daß wir sie kaum vom Mastkorbe aus sehen konnten. Den Matrosen war eine Stunde zum Frühstück gestattet, dann aber wurde wieder an die Posten getrommelt. Der Kapitän ließ übrigens die Feuer nicht löschen, um das Kochen des Mittagsmahles zu hindern, denn es war Alles bereit, und die Pulvermagazine konnten mit jeder Minute geöffnet werden.

Um zehn Uhr gelangten wir in sechs Faden tiefes Wasser. Der Franzose stand nun beinahe in gleicher Richtung mit unserem Spiegel, obgleich auf dem entgegengesetzten Gange, und etwa drei Meilen leewärts von dem Kauffahrteischiffe, das am weiten zurück war. Wir zweifelten jetzt nicht mehr, daß der Feind dieses Fahrzeug, das wenigstens sieben Meilen hinter uns war, wieder gewinnen würde, auch konnte es recht wohl sein, daß er noch eines, wo nicht beide der übrigen wieder an sich risse, denn er war augenscheinlich ein trefflicher Segler, der unserer Fregatte an Schnelligkeit nur wenig nachgab.

Um Viertel über Zehn lavirte der Franzose und steuerte nun gerade in unserem Kielwasser, etwa zwölf Meilen hinter unserem Sterne.

»Er wird bald das hinterste Schifflein haben, Mr. Keene,« sagte Bob Croß zu mir. »Mr. Dott hat dort den Befehl; 's trifft ihn doch stets, so oder so in eine Patsche zu gerathen.«

»Ja,« versetzte ich, »aber er kömmt doch immer wieder heraus, und so wird's auch bei dieser gehen.«

»Steuer in die Höhe da, Quartiermeister – vorn eingebrochen!«

»Der Wind geht gegen uns, Sir,« sagte der Schiffsmeister. »So, jetzt ist's wieder voll. Nichts mehr davon ab, Junge!«

»Wir sind um zwei Striche abgestanden, Sir.«

»Desto besser,« versetzte der Kapitän; »es ist ein Schrei für Mr. Dott.«

Einige Minuten nachher bemerkten wir, daß das andere Fahrzeug in Maßgabe des Windwechsels gleichfalls abgestanden war. Der Franzose legte jetzt nicht mehr, wie zuvor, auf den Kauffahrer an, und letzterer hatte einige Aussicht, zu entkommen. Alles befand sich in großer Spannung, denn gegen Mittag wurde der Wind leichter und veränderlicher, so daß zu gleicher Zeit alle Schiffe nach einem andern Strich umstanden, während nach ganz kurzer Frist der Wind wieder aus der ursprünglichen Richtung blies und der Feind abermals auf die Kauffahrteischiffe abhub. Er war noch etwa vier Meilen von dem hintersten derselben entfernt.

»Ich glaube, wir werden bald Windstille haben,« bemerkte Kapitän Delmar. »Die große Raa in's Kreuz gebraßt! Wir können dem Feind jetzt wohl näher rücken, denn hat's mit der Windstille seine Richtigkeit, so wird er sie mit den Booten wieder nehmen, und wir sind dann zu entfernt, um den Unsrigen Beistand zu leisten. Herauf mit den Raatakeln – Alles bereit, Mr. K.?«

»Ja, Sir,« versetzte der erste Lieutenant.

»Man soll die Bootsmannschaft nach der Laufplanke berufen und ihr Geschütz nebst Munition zutheilen.«

Um Dreiviertel auf eilf Uhr wanden wir bei. Der Wind war noch immer leicht und veränderlich; auch schien das französische Schiff nicht mehr so schnelle Fortschritte zu machen, wie früher. Nachdem wir mit dem Beiwinden fertig waren, sondirten wir und fanden sechsthalb Faden Wassertiefe.

Um zwölf Uhr hatte sich in Folge des vorgenannten Manövers unsere Lage also gestaltet: Die zwei Kauffahrteischiffe, welche vier Meilen hinter uns zurückgeblieben, waren jetzt neben uns, und das dritte befand sich drei Meilen in unserem Rücken, während der Franzose etwa eben so weit von dem letzteren und demnach ungefähr sechs Meilen von unserer Fregatte abstand.

Kapitän Delmar hatte Befehl erlassen, um halb zwölf Uhr zum Mittagessen zu pfeifen, damit die Mannschaft abgespeist habe, im Falle sie mit den Booten abgeschickt werden mußte. Wenige Minuten nach zwölf Uhr trat ein todter Calm ein. Die Matrosen wurden hinauf kommandirt, die Boote herausgehißt und niedergelassen, Geschütz nebst Munition hineingeschafft und Alles in Bereitschaft gesetzt. Wir hielten unsere Ferngläser auf den Feind geheftet und bewachten seine Bewegungen, die sich jetzt aus einer Entfernung, wie die unsrige war, leicht unterscheiden ließen. Es entging Kapitän Delmar nicht, daß wir, indem wir unsere Boote abschickten, einige Gefahr liefen, denn es konnte ja bei Fall sein, daß sich von der Seeseite her Wind aufthat und der Feind ihn lange vor uns zu seinem Vortheile zu benützen im Stande war; dann wurde es ihm leicht, unsere Nachzügler und dergleichen auch die Boote zu kapern, wie denn ferner zu befahren stand, daß er uns nahe rückte, ehe wir den Wind gefaßt hatten. Vorsicht war daher für uns hoch von Nöthen, weßhalb wir mit Absendung unserer Boote bis zum letzten Augenblick, das heißt, bis zu dem Zeitpunkte zögerten, als wir das französische Schiff seine Boote gleichfalls niederlassen sahen. Es unterlag keinem Zweifel, daß die Franzosen unser Verfahren bemerkt hatten, da ihre Augen natürlich so gut waren, als die unserigen; indeß suchten sie uns zu überlisten, denn mit einemmale bemerkte ich durch mein Glas, daß drei Boote um die Windvierung des feindlichen Schiffes kamen und geradezu auf den Kauffahrer lossteuerten. Sie hatten nämlich die Stern- und Schanzboote leewärts niedergelassen, was wir nicht bemerken konnten. Ich meldete dieß alsbald dem Kapitän, der das Signal an die Bootsmannschaft kommandirte.

»Wer soll den Befehl über die Boote übernehmen, Sir?« fragte der erste Lieutenant.

»Mr. Keene,« antwortete der Kapitän.

»Mr. Keene, ich wünsche vor Ihrem Abgang noch mit Ihnen zu sprechen.«

Kapitän Delmar verfügte sich nach dem Gangspill und machte mich in kurzen Worten aufmerksam auf den vorhin als den bedenklichen Punkt berührten Gegenstand, von dem möglicherweise die Gefahr des Genommenwerdens abhing.

»Sie haben mich verstanden, Mr. Keene?«

»Vollkommen, Sir,« versetzte ich.

»Wohlan denn, ich baue auf Ihre Klugheit, Mr. Keene, und hoffe, daß ich mich in Ihnen nicht täusche. Sie können jetzt gehen.«

»Der Franzose holt seine Raatakeln aus,« rief der Signalmann.

»Dann haben Sie keine Zeit zu verlieren, Mr. Keene. Was die kleinen Boote betrifft, so sind sie von keinem Belang.«

Ich stieg an der Seite hinunter und fuhr ab. Meine Leute ruderten munter und mannhaft vorwärts, und die drei französischen Boote hatten nur geringen Vorsprung vor uns. In einer halben Stunde waren wir beiderseitig nur noch etwa eine Meile von dem Kauffahrer entfernt, obschon die feindlichen Boote die näheren waren.

Die Sache wurde nun höchst spannend. In weiteren zehn Minuten hatten die Franzosen das Kauffahrteischiff erreicht und kletterten bereits an den Seiten hinaus, während wir noch drei Ankertaulängen davon entfernt waren. Daß Tommy Dott sich vertheidigen würde, war vorauszusehen, und es fand auch ein tüchtiges Feuer statt; aber ehe wir an dem Schiffe anlangten, war augenscheinlich er mit seiner Mannschaft bemeistert und der Feind im Besitze des Schiffes. Nun kam jedoch die Reihe an uns. Ich theilte meine Boote in zwei Reihen, und nun enterten wir auf beiden Seiten. In Kurzem war der Kauffahrer wieder erobert und die französische Mannschaft, die nicht mehr als fünfunddreißig Köpfe stark war, bemeistert, da sich unsere Anzahl auf mehr denn siebenzig belief.

Wir fanden, daß die Franzosen unsere Leute an Bord des Schiffes nicht geschont hatten, da Diejenigen, welche nicht getödtet worden, verwundet waren. Tommy Dott hatte ritterlich gefochten und bis auf's Aeußerste Widerstand geleistet. Er selbst – der arme Bursche! – lag besinnungslos gegen den Gangspill gelehnt, während an seinem Kopfe eine tiefe Stutzsäbelwunde klaffte. Sobald wir uns der Gefangenen versichert hatten, wandte ich meinen Blick nach dem Linienschiff, von dem eben die großen Boote, fünf an der Zahl, abstießen, welche weit umfangreicher und stärker bemannt waren, als die unsrigen.

Eine kurze Erwägung ließ es mir räthlicher erscheinen, an Bord des Schiffes und nicht in den Booten Widerstand zu leisten, weßhalb ich unsere mitgebrachten Kanonen aufzuholen und den Kauffahrer in dieser Weise zu bewaffnen beschloß. Indeß war es auch nöthig, die Boote gegen ein Abgeschnittenwerden zu sichern; sobald daher Geschütz und Munition an Bord waren, ließ ich die eiserne Kettenkabel von den Bugen hinunter und unter den festeingekeilten Doften sämmtlicher Boote, der französischen miteingerechnet, durchschlingen, worauf das Kabelende wieder zur Sternpforte hereingeholt wurde. Die Ankunft der feindlichen Boote ließ uns sowohl zu dieser, als auch zu jeder andern nöthigen Vorbereitung hinreichend Zeit.

Es war eine todte Windstille, die See wie ein Spiegel, und die näherkommenden Boote erschienen, während sie sich mit schlagenden Rudern rasch durch das geschmeidige Naß Bahn brachen, wie mit Leben und selbstständiger Bewegung begabte Wesen. Der Stern des Kauffahrers war gegen das Linienschiff gerichtet und die Boote hingen an der Steuerbordseite unserer Windvierung ein wenig auswärts. Die Kanonen, welche ich an Bord hatte hissen lassen, waren, in Ermangelung anderer Mittel, durch Taue gehörig befestigt worden, um uns sichere und nachdrückliche Schüsse möglich zu machen. Als die feindlichen Boote noch etwa eine Viertelmeile von uns entfernt waren, eröffneten wir unser Feuer – nicht, daß wir eben viel von unserer Artillerie erwartet hätten, denn wir wußten wohl, daß wir nur ein paar gute Schüsse auf die Boote abfeuern konnten, ehe sie an unserer Seite anlangten; aber doch war uns dadurch eine Möglichkeit gegeben, zu treffen und wehrlos zu machen, welche wir nicht unbenutzt lassen durften.

Unser erster Schuß war glücklich; er schlug in eine der Pinassen ein, welche alsbald zu sinken begann. Unsere Leute jubelten, während die anderen französischen Boote herzufuhren, um die im Wasser schwimmende Mannschaft aufzunehmen. Ehe jedoch dieß möglich wurde, brannten wir ein mit einer Kartätsche geladenes Stück ab, was augenscheinlich einige Wirkung that, da an Bord der beiden zur Rettung herbeieilenden Boote große Verwirrung eintrat. Wir erwarteten nun nichts anderes, als daß der Feind mit seinen Fahrzeugen anrücken werde; dieß geschah jedoch nicht, denn die Boote trennten sich und beschossen uns von verschiedenen Richtungen aus – ein sehr thörichtes Verfahren für ihr Interesse, das uns jeden möglichen Vortheil zuwandte: denn ihre große Ueberlegenheit an Mannschaft hätte sie zuvörderst veranlassen sollen, zu entern, nicht aber den Verlust noch weiterer Boote auf's Spiel zu setzen. Wir hatten Etwas der Art so wenig erwartet, daß ich lange unschlüssig gewesen war, ob wir überhaupt die Bootskanonen an Bord hissen sollten, um im Falle eines aufspringenden Windes gleich Reißaus nehmen zu können; unter so bewandten Umständen war ich jedoch froh, mich anders entschieden zu haben.

Das Gefecht, wenn ich es so nennen darf, dauerte nun etwa eine halbe Stunde fort, ohne daß auf irgend einer Seite bedeutende Vortheile errungen worden wären. Wir hatten fünf oder sechs Verwundete, aber keine Todten an Bord. Ich sah mich hin und wieder um, ob sich kein Zeichen von Wind bemerken lasse, und in demselben Augenblicke, als ich auf hoher See eine schwarze Linie entdeckte, welche nicht nur Wind, sondern diesen sogar aus der für uns verderbenvollsten Richtung verkündete, hörten wir von dem größten der französischen Boote her ein Horn erschallen. Dieß war das Signal zum Angriff. Meine Beklommenheit schwand, denn jetzt mußte der Strauß doch bald zu einer Entscheidung kommen.

Da alle unsere Boote an der Steuerbordseite des Kauffahrers befestigt waren, so machten die Franzosen keinen Versuch, auf dieser Seite zu entern, da sie dadurch doppelt in Nachtheil gekommen wären; sie hatten daher keine andere Wahl, als dieses Manöver in Masse an unserem Backbord vorzunehmen. Auf dieser Seite waren zwei doppelt geladene Kanonen mit gesenkter Mündung befestigt, so daß sie augenblicklich abgefeuert werden konnten, sobald eines der Boote unten vorbeikam. Wir lösten beide Stücke auf das Langboot des Feindes, welches sehr groß und stark bemannt war, und durchlöcherten den Boden desselben, wodurch jedoch sein Näherkommen nicht verhindert wurde, obgleich es sich füllte und fast in dem Augenblicke sank, als die Mannschaft an den Seiten unseres Schiffes herankletterte. Das Sinken dieses Bootes hinderte die außen Befindlichen, ihren Kameraden Beistand zu leisten, weßhalb wir es nur mit den Leuten des Langboots und zweier anderer zu thun hatten, die vor dem Schnabel desselben geentert hatten – eine Mannschaft, welche der Zahl der unsrigen nicht gewachsen war.

Wir waren immer der Ansicht gewesen, daß die Franzosen beim Entern nie sehr zu fürchten seien, und so verhielt sich's auch im gegenwärtigen Falle, denn sie wurden zurückgeschlagen, sobald sie sich über den Brüstungen zeigten. Der französische Lieutenant versuchte, über das Schanddeck zu kommen: er war jedoch ununterstützt, da fast alle seine Leute in die See hinuntergestürzt waren, weßhalb ich ihn, statt ihn niederzuhauen, am Kragen packte, über Bord holte und, nach vorgenommener Entwaffnung, der Obhut eines Seesoldaten übergab. In zehn Minuten war Alles vorüber. Zwei der französischen Boote blieben neben uns, die übrigen aber zogen langsam und nur mit halber Bemannung wieder ab. Wir riefen ihnen zum Abschied noch drei Hurrah's nach; doch war jetzt keine Zeit mehr zu verlieren, denn der Wind sprang augenscheinlich schnell um. Leichte Brisen kräuselten bereits da und dort das Wasser, während die Linie am Horizont jetzt dunkel und breit geworden war. Ich ließ unsere Boote zum Aufbruch bereit halten, das Geschütz hinunterschaffen und die Verwundeten in möglichster Eile darauf vertheilen. Auf den zwei großen französischen Booten, welche an unserem Steuerborde liegen geblieben waren, entfernten wir die darin liegenden Verwundeten, worauf wir ihre Böden durchlöcherten, um sie zu versenken. Den französischen Lieutenant und zwei andere Offiziere ließ ich als Gefangene an Bord meines eigenen Bootes bringen, während ich die übrigen gefangenen und verwundeten Franzosen in die drei kleine, beim ersten Angriff eroberte feindliche Boote setzte und die Ruder wegzunehmen befahl, damit die Fahrzeuge, wenn ich den Kauffahrer verließe, umhertriften möchten, bis sie das Linienschiff wieder auflas.

Da nun Alles bereit war, hatte ich nur noch in Betreff des Kauffahrers einen Entschluß zu fassen. Der Wind kam so rasch von der Seeseite her, daß an seine Rettung nicht zu denken war, weßhalb ich mir vornahm, ihn zu verbrennen. Nachdem ich ihn, der größeren Sicherheit willen, an drei Orten angesteckt hatte, fuhren wir mit unseren Booten ab; zuvor aber gaben wir den ruderlosen Fahrzeugen der Franzosen einen Stoß und wünschten der Bemannung, die etwas schaafsmäßige Gesichter schnitt und nichts weniger als vergnügt aussah, wohl zu leben.

Als wir unserer Fregatte zuruderten, bemerkte ich, daß sich die Segel des Linienschiffs füllten und es uns jetzt scharf auf die Nähte ging; indeß wußte ich auch, daß es seine Boote nicht im Stiche lassen konnte, und das Auflesen derselben machte ihm schon eine Weile zu schaffen. Zwei waren nur halb bemannt und steuerten auf den Franzosen zu, während die übrigen drei, welche ihrer Ruder beraubt waren, von anderen Booten eingeholt werden mußten, wodurch jedenfalls ein Verzug veranlaßt wurde. Indeß ruderten wir aus Leibeskräften, so daß wir bereits die Hälfte unseres Weges zurückgelegt hatten, noch ehe der Wind kräftig genug war, um es dem Linienschiff möglich zu machen, rasch auf dem Wasser vorwärts zu kommen. Wir konnten natürlich, nachdem wir in den Booten abgefahren und bereits in ziemlicher Entfernung waren, nicht gut sehen, was vorging; indeß bemerkten wir doch, daß der Franzose seine Jagd noch nicht begonnen hatte, woraus wir schlossen, daß er immer noch mit Auflesen seiner Bote zu thun hatte. Inzwischen brannte der Kauffahrer zusammen, und die Rauchwolken verbargen oft den Feind vor unsren Blicken.

Noch ehe wir an Bord kamen, hatte uns der Wind übersprungen und die Segel unserer Fregatte, wie auch der beiden Kauffahrer erfaßt, so daß wir in dieser Hinsicht ruhiger sein konnten. Kapitän Delmar war sehr eifrig gewesen, denn als wir neben der Fregatte anlangten, hingen bereits die Raaen, die Takeln, die Stage, wie auch die Takeln zu Aufhissung der Schanzboote, herunter, und die Bootsmannschaft erhielt schon ihre Signale, noch ehe wir die Laufplanke erreicht hatten. Jetzt war keine Zeit mehr zu verlieren. Das französische Linienschiff hatte seine Boote ausgelesen und war nun, unten und hinten unter Prallsegeln, in voller Jagd nach uns begriffen. Die beiden Kauffahrer hatten all' ihr Tuch ausgesetzt und liefen uns nach der Küste voran. Ich stellte mich mit der üblichen Achtungsbezeugung dem Kapitän vor und sagte:

»Komme an Bord, Sir – soll ich die Schanzboote aufhissen lassen?«

»Immerhin, Mr. Keene,« versetzte er.

Ich wußte nämlich, daß wir vorderhand nicht Zeit zum Schwatzen hatten, und meine Geschichte ließ sich um so leichter erzählen, wenn die Boote aufgeholt und die Fregatte hübsch im Segeln begriffen war.

In meinem Leben habe ich nie eine solche Behendigkeit mit angesehen, als bei gegenwärtigem Anlasse, denn in weniger als fünf Minuten waren alle Boote an Bord und alle Segel ausgesetzt. Ich sah nach dem französischen Linienschiffe hin, das etwa vier Meilen von uns entfernt war und unter einer labberen Kühlte heranzog. Wir strichen jedoch gleichfalls durch's Wasser, und da uns die beiden anderen Kauffahrteischiffe um drei Meilen voraus waren, so hatten wir nichts zu fürchten. Kapitän Delmar kam nach hinten, um nach dem Franzosen zu sehen, der bereits an dem von mir in Brand gesteckten Schiff vorbeigekommen war.

»Nun, Mr. Keene,« begann er; »lassen Sie einmal hören, was vorgefallen ist. Das Meiste davon haben wir freilich schon gesehen.«

Ich erzählte ihm, was der Leser bereits vernommen hat.

»Und wie hoch schätzen Sie den Verlust des Feindes,« fragte er.

»Ich kann sagen, zu drei Booten und ungefähr vierzig Mann, Sir. Ich vergaß übrigens, Ihnen zu melden, daß wir einen Lieutenant und zwei andere Offiziere als Gefangene mit an Bord gebracht haben.«

»Sie sollen mir auf dem Decke vorgestellt werden,« entgegnete der Kapitän. »Mr. Keene, Sie haben Ihr Werk gut vollführt. – mit viel Tapferkeit und großer Umsicht.«

Ich langte an meinen Hut, nicht wenig erfreut über ein solches Kompliment aus Kapitän Delmar's Munde.

»Was hat das letzte Loth ausgewiesen, Mr. Smith?« fragte der Kapitän.

»Vier ein Viertel, Sir,« antwortete der Schiffsmeister.

»Diese Jagd wird nicht lange währen,« bemerkte der Kapitän. »Ziehen Sie die unteren Leesegel ein.«

Nun wurde der französische Lieutenant in's Verhör genommen, obschon sich erwarten ließ, daß bei ihm, außer den Namen des Schiffs und des Kapitäns, nicht viel zu erholen war. Er wurde bald entlassen und in den Untenraum geschickt.

Die Affaire war indeß nicht ohne Verlust von unserer Seite, der namentlich in Tommy Dott's wackerer Verteidigung seinen Grund hatte, vor sich gegangen. Wir zählten zwei Todte und im Ganzen vierzehn Verwundete, unter denen sich einige mit sehr gefährlichen Verletzungen befanden. Mein Freund Tommy kam in einem kläglichen Zustande an Bord; Gesicht und Haare starrten ihm von geronnenem Blute, doch als dasselbe weggewaschen war, zeigte die Beschädigung keinen so bedenklichen Charakter, wie wir vermuthet hatten, da ungeachtet der Tiefe des Hiebes, kein Knochen verletzt war. Er hatte seine Hängematte bald wieder verlassen, und machte sich nunmehr ein besonderes Vergnügen daraus bei allen Gelegenheiten gegen den französischen Lieutenant die Zunge in die Backen zu stecken oder Fratzen zu schneiden, so daß Letzterer sich endlich bei Kapitän Delmar beschwerte, worauf Mr. Tommy der Befehl ertheilt wurde, derartige kräftige Aeußerungen von Nationalfeindschaft zu unterlassen, wenn er anders auf Beförderung hoffe. Doch zu unserer Geschichte.

Da die Kühlte steifer wurde und das französische Schiff den ersten Vortheil davon hatte, kam es uns rasch nach, so daß es sich nach anderthalb Stunden nur noch etwa drei Meilen von uns befand. Wir hatten jetzt vierthalb Faden Wassertiefe, was jedenfalls seicht genug war, da wir nur noch vier Fuß zwischen dem Kiele und dem Grund hatten. Wir nahmen die Leesegel herein und setzten das Ankertau in Bereitschaft. Wenige Minuten nachher kürzte der Franzose seine Segel und holte gegen den Wind um; er war uns so weit im seichten Wasser gefolgt, als er es wagen durfte, und im Beiholen feuerte er, wahrscheinlich aus Verdruß, eine Kanone ab. Der Abend brach ein, und da Alles auf schön Wetter deutete, so steuerten wir bis auf vier Faden hinaus, um dann Anker zu werfen.

Des andern Morgens mit Tagesanbruch befand sich das französische Linienschiff auf etwa acht Meilen Entfernung in hoher See. Wir konnten uns wohl denken, daß der Franzose über das Vorgefallene sehr ärgerlich war, denn seine Prisen waren wieder genommen, drei seiner Boote zu Grunde gerichtet, die Mannschaft seines Schiffes geschwächt – und all dieß durch eine weit geringere Macht ganz in seiner Nähe, an der er sich nicht einmal zu rächen vermochte. Andererseits waren aber auch wir nicht in der angenehmsten Lage. Wir befanden uns zwar in Sicherheit, zu gleicher Zeit aber auch in einer Gefangenschaft, aus der wir nicht zu entrinnen hoffen durften, wenn uns nicht ein Schiff zu Hülfe kam; wie lange aber dieß anstehen und was das Kapitel der Zufälle sonst noch bringen konnte, war nicht vorauszusehen.

Gegen acht Uhr steuerte das französische Schiff wieder einwärts und kam so nahe als thunlich in unsere Nähe, bei welcher Gelegenheit es hin und her kreuzte, um zu untersuchen, ob nirgends tiefer Wasser zu finden sei: aber vergeblich. Wir standen freilich, so lange wir uns in vier Faden tiefem Wasser befanden, gegenseitig auf Schußweite; doch konnten wir jeden Augenblick unsern Anker lichten und weiter landeinwärts steuern. Endlich versuchte der Gegner einen Schuß, der dicht bei uns in's Wasser schlug. Kapitän Delmar segelte jedoch nicht der Küste zu, obgleich er die Gangspillhandspaken einsetzen und eine Gier an's Ankertau schlagen ließ, um den Anker lichten zu helfen. Es folgten noch einige weitere Schüsse, von denen der eine über uns wegging. Zuletzt ankerte der Franzose und begann allen Ernstes seine Thätigkeit. Er hatte gefunden, daß wir in Schußweite lagen, und weil wir uns nicht rührten, glaubte er, wir feien auf so seichtem Grunde, daß wir uns nicht weiter der Küste zuwenden könnten.

Da der Wind seewärts ging, so stand unser Gallion dem Feinde zugekehrt, und wir erhielten einen der Schüsse in die Kielskinnback. Kapitän Delmar ließ nun den Anker ausziehen, und wir trieben landwärts, ohne daß es der Franzose merkte, welcher in seiner Kanonade fortmachte, ohne uns jedoch zu beschädigen. Der Grund, warum Kapitän Delmar so handelte, war leicht zu begreifen: er wollte das Linienschiff fortfeuern lassen, damit die Schüsse gehört und ein Schiff zu unserem Beistand herbeigelockt werden möchte. So gut sollte es uns jedoch am ersten Tage nicht gehen, und ich fing bereits an, unserer Lage müde zu werden. Auch Kapitän Delmar erging es so, denn am zweiten Tage schickte er ein Boot an die wiedergenommenen Schiffe, die an der Küste vor Anker lagen, und ertheilte ihnen die Weisung, in der Dunkelheit aufzubrechen und nach Kräften Barbadoes zuzueilen, dabei aber immer Küste zu halten, bis sie mehr nordwärts kämen. Sie gehorchten und waren am folgenden Morgen außer Sicht.

Das französische Schiff lag noch vor Anker, und es hatte den Anschein, als ob es sich leichter gemacht habe, um weiter landwärts kommen zu können, denn an diesem Morgen rückte es uns um anderthalb Meilen näher, so daß wir gleichfalls zurückweichen mußten, um aus dem Bereiche des Feindes zu kommen. Wir warfen zu diesem Ende auf drei und ein Viertel Faden Tiefe Anker, so daß wir eigentlich auf dem Schlamm aufsaßen. Gegen Abend schlug der Wind glücklicherweise zu einem Seewind um, und sobald es dunkel war, befahl der Kapitän die Anker zu lichten, worauf wir alle Segel nordwärts richteten und uns auf unsere Geschwindigkeit verließen. Am folgenden Morgen hatten wir bereits siebenzig Meilen zurückgelegt, und da wir des französischen Schiffes nirgends ansichtig wurden, so konnten wir annehmen, daß wir unsere Flucht unbemerkt bewerkstelligt hatten.

Zehn Tage nachher erreichten wir die Carlisle-Bay auf Barbadoes. Wir trafen daselbst zwei Kriegsschiffe (beide Kapitäne jüngere Offiziere als der unsrige) und ich nahm der Gelegenheit wahr, mein Examen zu bestehen, was bloß noch eine Sache der Form war. Nachdem wir Wasser und Mundvorrath eingenommen hatten, segelten wir nach Jamaika, um uns dem Admiral vorzustellen, der auf Kapitän Delmar's Empfehlung alsbald meine provisorische Ernennung zum Lieutenant definitiv bestätigte.

Ein paar Tage nachher langte ein Paquet von England an, in welchem sich auch Briefe an Kapitän Delmar befanden. Sie brachten ihm Kunde von dem Tode seines älteren Bruders, in Folge dessen die Titel und Rechte eines Lord de Versely auf ihn übergingen, da der Verstorbene aus seiner Ehe keine männlichen Sprößlinge hinterlassen hatte. Diese Nachricht veranlaßt den Kapitän Delmar, alsbald das Kommando der Manilla abzugeben, und die Fregatte erhielt einen neuen Befehlshaber.

Mir gefiel ein solcher Wechsel nicht sonderlich, da ich gerne in Kapitän Delmar's Nähe geblieben wäre, um mir dessen Liebe zu gewinnen. Doch fand ich einigen Trost darin, daß er mich vor seiner Abfahrt in einer nach Hause beorderten Fregatte vor sich kommen ließ und zu mir sagte:

»Mr. Keene, meine Familienangelegenheiten, wie auch meine Pflichten im Hause der Lords rufen mich nach England zurück, und es ist wahrscheinlich, daß ich den Dienst für immer verlasse; indes; werde ich Sie nicht aus dem Gesichte verlieren. Sie haben sich stets zu meiner Zufriedenheit betragen, und wenn Sie fortfahren, wie Sie angefangen haben, so will ich für Ihr Weiterkommen im Dienste besorgt sein. Es soll mich freuen, von Ihnen zu hören, wenn Sie mir hin und wieder schreiben wollen. Ich wünsche Ihnen alles Glück. Kann ich überhaupt noch etwas für Sie thun?«

»Ich bin Ihnen für all' Ihr Wohlwollen sehr dankbar, Mylord,« versetzte ich. »Wohl hätte ich gewünscht, noch länger unter Ihrem Schutz und Ihrer Leitung zu stehen, aber ich sehe wohl, daß dieß durch Ihre nunmehrige hohe Stellung verhindert wird. Indeß möchte ich wohl so frei sein, Sie um eine Gunst zu bitten.«

»Sprechen Sie sich unverholen aus, Keene,« entgegnete Seine Herrlichkeit.

Keene? Nicht Mr. Keene? dachte ich.

»Ich glaube, eher in die Lage zu kommen, Etwas zu leisten, wenn ich das Kommando des Firefly-Schooner erhalte; der Lieutenant desselben ist invalid geworden.«

»Ich bin ganz Ihrer Ansicht und werde heute den Admiral darüber sprechen. Weiter haben Sie nichts?«

»Nein, Mylord; es müßte denn sein, daß Sie glaubten, Sie könnten es erzielen, daß Croß, Ihr Beischiffführer, gleichfalls dem Schooner zugetheilt werde. Es wäre mir gar lieb, einen Mann an Bord zu haben, den ich kenne und auf den ich bauen kann.«

»Ich will sehen, was sich thun läßt. Nun Gott befohlen!«

Seine Herrlichkeit bot mir die Hand, was er früher nie gethan hatte. Ich nahm sie sehr ehrerbietig, und die Thränen rannen mir über die Wangen, als ich mich entfernte. Seine Herrlichkeit bemerkte es und wandte sich ab. Voll Seligkeit verließ ich die Kajüte; ich fühlte mich so glücklich, daß ich nicht mit dem Großmogul hätte tauschen mögen.

Lord de Versely hielt Wort. Am andern Tag erhielt ich vom Admiral die Ernennung auf den Firefly, und was noch unerwarteter kam, Bob Croß wurde ihm als Hochbootsmann beigegeben. Dieß war sehr freundlich von Lord de Versely, und ich fühlte mich eben so entzückt darüber, als Bob. Desselbigen Tages wurde ich auch zu einem Diner des Admirals eingeladen. Als ich in seinem Hause anlangte, führte er mich nach der Verandah und sagte zu mir:

»Mr. Keene, ich habe Ihren Kreuzzug in dem Piratenschooner nicht vergessen, und Lord de Versely theilte mir mit, wie brav Sie sich seitdem bei vielen Anlässen, namentlich mit den Booten bei Berbice, benommen. In seinen Depeschen hat er Ihnen großes Lob ertheilt, was von mir auf das Kräftigste unterstützt wurde; wenn Sie daher nur wacker aushalten, so werden Sie bald eine Kriegsschaluppe befehligen. Sie sind jetzt bereits über ein halb Jahr Lieutenant, denn Ihr provisorischer Dienst wird Ihnen für voll angerechnet. Noch ein paar Monate, und ich hoffe, Sie mit dem Kapitäns-Patent in der Tasche zu sehen.«

Ich bezeugte ihm meinen untertänigen Dank und drückte meine Hoffnung aus, er werde mich mit dem Schooner irgendwohin schicken, wo ich mich seines Schutzes würdig erweisen könne.

»Haben Sie keine Sorge; ich werde schon Etwas für Sie ausfinden. Nebenbei, Lord de Versely erzählte mir gestern Abend, als wir allein waren, die Duellgeschichte von Martinique. Sie haben sich brav gehalten, Mr. Keene, und ich danke Ihnen im Namen des Dienstes. Die Soldaten mögen's bleiben lassen, uns zu höhnen, obschon man zugeben darf, daß es hübsche Leute sind. Indeß, dieses Geheimniß darf nicht ruchbar werden.«

»Es ist bei mir sicher verwahrt, Sir,« versetzte ich.

»Nun, da kömmt ja dieser schwarze Kerl, um uns zu sagen, daß das Diner bereit ist. Kommen Sie, oder es geht Ihnen, wie dem kleinen Boot – weit hintennach.«

*

 


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