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Neunzehntes Kapitel

Als wir des andern Morgens zu Funchal anlangten, fanden wir, daß unsere Befehle nach Westindien lauteten. Wir verweilten einen Tag, um Wein einzunehmen, lichteten dann die Anker und gingen unserer Bestimmung entgegen. Wir gelangten bald in die Passatwinde, unter deren Einfluß wir in kurzer Zeit in der Carlisle-Bay von Barbadoes einliefen. Dort fanden wir den Admiral und lieferten unsere Depeschen ab. Wir erhielten Befehl, sobald als möglich unser Wasser einzunehmen und uns segelfertig zu halten, da wir auf einen Kreuzzug ausgeschickt werden sollten.

Tommy Dott, mein vormaliger Verbündeter, war in Ungnade. Er hatte mir während der Fahrt oft vorgeschlagen, an ein oder der anderen Teufelei mitzuhelfen, was ich jedoch ablehnte, da mir seine Anschläge nicht geheuer zu sein schienen.

»Du bist nicht der tüchtige Bursche, für den ich dich gehalten habe,« sagte er. »Es ist gar nichts mehr mit dir – keine Spur mehr von dem Muthwillen, der sonst in dir zu stecken pflegte.«

Er war im Irrthum. Muthwillen war genug vorhanden, aber auch Klugheit, und nach dem, was ich in der letzten Zeit von Tommy Dott gesehen hatte, hielt ich es nicht für räthlich, ihm zu trauen. Den Tag, nachdem wir in der Carlisle-Bay Anker geworfen hatten, kam Tommy zu mir und sagte:

»Ich habe den alten Culpepper zu seinem Aufseher sagen hören, daß er diesen Abend Pflaumen und Speck auszutheilen gedenke. Nun, ich denke, wir könnten's so einleiten, daß wir Etwas davon abbekämen – ich sah nie bessere Pflaumen an Bord eines Schiffes.«

»Ei,« entgegnete ich, »ich bin auch ein Freund davon, Tommy, so gut wie du; aber was hast du für einen Plan?«

»Je nun, ich habe meine Spritze geholt, und der alte Culpepper zündet in der Speisekammer nie mehr als eines von seinen Pfenniglichtern an. Ich schleiche mich, wenn's dunkel ist, in den Krankenverschlag und spritze ihm sein Licht aus; er schickt den Aufseher nach einem andern fort, und dann will ich versuchen, ob ich nichts abfange.«

Das war kein übler Plan, aber ich wollte nicht mitmachen, da sich nur eine einzige Person dabei betheiligen konnte. Ich machte ihm dieß bemerklich, und da er die Triftigkeit meiner Einwendung einsah, sagte er, er wolle die Sache für sich ausführen.

Sobald Mr. Culpepper in die Speisekammer hinunter ging, legte sich Tommy auf's Recognosciren. Dann kam er in die Midshipmans-Kajüte und füllte seine Spritze.

Obgleich ich nicht Theil nehmen wollte, so meinte ich doch, ich könne den Vorgang mit ansehen, weßhalb ich bald nach Tommy in den Krankenverschlag hinunterstieg, mich aber in dem vordersten Theil derselben hielt, wo es dunkel war.

Tommy richtete seine Spritze sehr geschickt, und traf den Docht der einzigen Kerze, welche zischte, sprudelte und endlich den Geist aufgab.

»Gott behüte!« rief Mr. Culpepper. »Was kann das sein.«

»Vermuthlich ein Leck in den Fugen oben,« sagte der Aufseher. »Ich will in der Gallerie ein anderes Licht holen.«

»Ja, ja; aber hurtig,« entgegnete Mr. Culpepper, der in der dunkeln Speisekammer blieb und die Rückkehr des Aufsehers abwartete.

Tommy schlich dann sachte hinein, und begann alle seine Taschen mit Pflaumen zu füllen. Auch hatte er beinahe seine volle Ladung eingenommen, als Mr. Culpepper zufällig die Stelle, wo er stand, verließ und auf Tommy stieß, welchen er alsbald packte und dazu rief:

»Diebe! Diebe! – ruft die Schildwache! Schildwache, herein da!«

Die Schildwache von der Konstabelkammer stieg eben die Leiter herunter, als Mr. Culpepper Tommy, den er fest mit beiden Händen faßte, herausschleppte.

»Nehmt ihn, Schildwache – nehmt ihn in Verwahrung. Ruft den Profoß. Ei, der kleine Dieb. Mr. Dott! ha – nun wir wollen sehen.«

Die Folge davon war, daß Mr. Tommy Dott von der Schildwache dem Profoß übergeben und nach dem Halbdeck geführt wurde, wohin ihm Mr. Culpepper und sein Aufseher folgten.

Er konnte sich weder vertheidigen noch entschuldigen, da die Taschen seiner Jacke und Beinkleider mit Pflaumen angefüllt waren. Auch fand man unten in einer seiner Taschen, als sie von dem Profoß geleert wurden, die Spritze.

Sobald der Diebslärm vorüber war, und alle Betheiligten sich auf dem Halbdeck befanden, meinte ich, es wäre doch nicht so ganz übel, wenn ich von der nun geräumten Küste Vortheil zöge. Ich kroch daher aus meinem Versteck hervor, schlich in die Speisekammer und füllte mein Schnupftuch mit Pflaumen, worauf ich unbemerkt nach der Midshipmens-Kajüte entwischte. Zu derselbigen Zeit, als man Tommy Dott auf dem Halbdecke seine Taschen leerte, füllte ich demnach unten die meinigen.

Mr. Dott's grobes Vergehen wurde dem Kapitän gemeldet, welcher den Verbrecher zu Arrest verurtheilte, und dessen Platz in des Kapitäns Beischiff durch mich ersetzte, so daß Tommy in allen Theilen Abbruch geschah, während ich die Erndte einheimste. Am meisten freute mich jedoch, daß ich jetzt als Midshipman auf dem Kapitänsboote natürlich ohne Unterlaß Gelegenheit hatte, mit dem Beischiffführer Bob Croß Umgang zu pflegen.

Ich darf indeß nicht länger hierbei verweilen, da ich ein sehr ernstliches Abenteuer zu berichten habe, durch welches ich für eine geraume Zeit von meinen Begleitern und Schiffskameraden getrennt wurde.

In zehn Tagen spürten wir einem Piratenschiffe nach, das dem Vernehmen nach viele schreckliche Frevelthaten begangen hatte, und der Schrecken aller Kauffahrer geworden war. Wir hatten Befehl, unsern Lauf nach Norden fortzusetzen und vor den Virginischen Inseln zu kreuzen, da man den Seeräuber dort zum Letztenmal wollte gesehen haben.

Nachdem wir schon drei Wochen von Carlisle-Bay ausgefahren waren, meldete der Ausluger, daß vom Mastkorbe aus zwei fremde Segel sichtbar seien. Ich wurde als Signal-Midshipman hinaufgeschickt, um sie zu untersuchen, und fand, daß es zwei dicht neben einander segelnde Schooner waren, von denen der eine ein sehr verwegenes Aussehen hatte. Wir machten alsbald Jagd darauf, und kamen ihnen auf drei Meilen nahe, worauf der eine, augenscheinlich der von uns aufgesuchte Pirat, seine Segel ausbreitete, während das andere blieb.

Als wir an dem zögernden Schiffe vorbeikamen, das wir für einen Kauffahrer hielten, welchen der Pirat geplündert hatte, befahl der Kapitän, einen der Kutter mit einem Kadetten und den dazu gehörigen Matrosen zu bemannen, damit sie den Schooner besetzten. Die Matrosen waren bald sämmtlich im Boot, aber der Midshipman befand sich im unteren Theil des Schiffes, um sein Spähglas oder etwas Anderes zu holen. Da man nun weiter nichts wollte, als sich über den Charakter des Fahrzeugs Gewißheit verschaffen, und der Hauptzweck darauf hinauslief, das Piratenschiff einzuholen, so befahl Mr. Hippesley mir statt des Anderen, das Boot zu besteigen, um so die Zögerung, welche durch die Abwesenheit des verlangten Midshipman veranlaßt würde, zu vermeiden. Sobald ich an Bord des Schooners war, sollte ich die Segel aussetzen und der Fregatte folgen.

»Meinen Sie nicht, er sei zu jung, Herr Hippesley?« fragte der Kapitän.

»Ich traue ihm mehr, als vielen Aelteren, Sir,« war die Antwort des ersten Lieutenants. »Hinein, Mr. Keene.« Ich sprang mit dem Fernrohr in der Hand hinein. »Niedergelassen, meine Jungen, – losgehakt und drauf zu!«

Die Fregatte strich weiter, um das Piratenschiff zu verfolgen, und ließ mich im Boote, um an Bord des Schooners zu gehen.

Wir waren bald an der Seite desselben, und fanden, daß sich keine Seele an Bord des Fahrzeuges befand. Was war aus der Mannschaft geworden? War sie wohl erschlagen? Es war unmöglich, dieß zu bestimmen, obgleich sich einige Tropfen Bluts auf dem Decke befanden.

Das Schiff war ein amerikanisches, das die Bestimmung hatte, mit Schindeln und Föhrenplanken nach einer der Inseln zu segeln. Nicht nur der innere Raum war damit angefüllt, sondern die Bretter waren auch an jeder Seite des Deckes zwischen den Masten bis zu der Höhe von fünf oder sechs Fußen aufgetürmt. Der Seeräuber hatte augenscheinlich einige von den Planken zur eigenen Benutzung an Bord genommen.

Wir sackten das Boot hinten aus, ließen seinen Mastduften schleppen, und segelten der Fregatte nach, welche jetzt mehr als eine Meile von uns entfernt war, und uns weit hinter sich ließ.

Der Schooner war so überladen, daß er nur sehr schlecht segelte, und bei einbrechender Dämmerung konnten wir eben auch die Bramsegel der Kalliope über dem Horizont erkennen. Wir machten uns indes wenig daraus, da wir wußten, sie würde zurückkehren und uns aufnehmen, sobald sie den Korsaren gekapert hatte.

Es waren einige Schinken an Bord, denn die Seeräuber hatten nicht Alles mitgenommen, obgleich sie alle Schubladen aufgebrochen, und die Gegenstände in der Kajüte und auf dem Decke nach allen Richtungen umhergestreut hatten. Vor Eintritt der völligen Dunkelheit verzeichneten wir uns die Richtung der Fregatte und steuerten mit ihr in gleichem Fuße. Dann setzten wir uns zu einem reichlichen Mahle nieder, dem wir volle Gerechtigkeit widerfahren ließen. Nachdem dieß geschehen, theilte ich die Mannschaft des Bootes in Wachen, ging dann in die Kajüte hinunter, und warf mich in den Kleidern auf das einzige dort befindliche Bette. Die Mannschaft, welche nicht Wache hatte, begab sich in den Unterraum nach der Pligt, wo die Matrosen zu schlafen pflegen.

Ich konnte vor Mitternacht nicht zu Schlaf kommen, denn die Hitze war übermäßig, und außerdem wurde ich durch unzählige Motten gequält, die mir beständig über Gesicht und Körper liefen. Ich dachte damals wenig daran, warum sie also schwärmten, und erinnere mich nur noch, daß ich von Mord, von Ueberbordgeworfenwerden und von Brand auf dem Schiffe träumte. Dann wurde es mir sehr ruhig und gemächlich, und ich träumte nicht mehr. Es war mir, als hörte ich eine Stimme meinen Namen rufen; möglich, daß ich eine wirkliche Stimme durch meinen Schlaf hindurch vernahm, aber ich schlummerte fort.

Endlich wandte ich mich um und fühlte ein Plätschern, wie von Wasser; dabei kam mir auch einiges Wasser in den Mund und ich erwachte. Alles war dunkel und ruhig. Ich streckte meine Hand aus, griff aber in Wasser – wo war ich? Befand ich mich nicht mehr an Bord? Ich sprang entsetzt auf und entdeckte, daß das Bett noch immer unter mir lag, aber das Wasser war über die Matratze weggegangen. Ich erkannte hieraus alsbald, daß das Schiff im Sinken begriffen war, und rief daher meinen Leuten, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten.

Als ich aus dem Bette stieg, fand ich, daß mir in der Deckkajüte das Wasser bis an den Hals ging. Halb schwimmend, halb zappelnd erreichte ich die Leiter, an welcher ich durch die Luke hinaufstieg.

Alles war noch ganz dunkel, und ich konnte keinen Menschen hören noch sehen. Ich erneuerte mein Rufen, aber vergeblich. Jetzt gewann ich die Ueberzeugung, daß die Mannschaft den Schooner verlassen hatte, sobald sie bemerkte, daß er sank; mir blühte demnach ein gleiches Loos. Ich muß hier bemerken, daß die Mannschaft, als sie fand, daß das Wasser vornen stieg, in panischem Schreck auf das Verdeck eilte, dem Mann am Steuer mittheilte, daß das Schiff sinke, und unmittelbar das Boot aufholte, um sich zu retten. Ich wurde jedoch nicht vergessen, denn der Quartiermeister des Boots kam an der Leiter in die Kajüte hinunter gestiegen und rief mir; da aber die Kajüte bereits voll Wasser war und er vergeblich auf Antwort wartete, so hielt er mich für ertrunken, und kehrte demnach nach dem Decke zurück.

Das Boot war alsbald abgefahren, und ich blieb meinem Schicksal überlassen. Indessen machte ich mich doch nicht sogleich auf das Schlimmste gefaßt; denn ich rief und rief, bis ich am Ende selbst auch glaubte, das Alles mit mir vorüber sei. Ich sprach meine Gebete und bereitete mich auf den Tod vor, hielt es aber doch für hart, in einem Alter von fünfzehn Jahren sterben zu müssen.

Obgleich ich nicht glaube, daß meine Gebete besonders wirksam waren, da sie von keiner sonderlichen Ergebung zeugten, so hatten sie doch eine gute Wirkung – ich wurde nämlich ruhiger und fing an, nachzudenken, ob keine Möglichkeit zur Rettung vorhanden sei.

Ja; es gab eine Menge Bretter auf dem Verdecke, die ich, sobald es Tag wurde, zu einem Floß zusammenbinden konnte, welcher stark genug war, um mich zu tragen. Wie sehnte ich mich nach dem Morgen, denn ich fürchtete, das Schiff möchte ganz untersinken, ehe ich im Stande war, zu sehen, was ich thun mußte. Der Wind war während der Nacht viel frischer geworden, und die Wellen schlugen gegen die Seiten des lecken Schiffes an.

Während ich so auf den Morgen harrte, begann ich zu überlegen, worin der Schaden seinen Grund haben mochte, und es fiel mir ein, daß die Piraten wohl den Boden des Schiffes durchlöchert hatten, um es zum Sinken zu bringen – eine Vermuthung, die mit der Wahrheit zusammentraf.

Endlich erschien ein matter Lichtstrahl im Osten, welcher bald in hellen Tag überging, und ich zögerte nicht, mein Geschäft zu beginnen.

Ehe ich jedoch dieß that, hielt ich es für räthlich, zu sondiren, um wie viel das Wasser in dem Schiffe gestiegen sei, seit ich die Kajüte verlassen hatte, was meiner Ansicht nach ungefähr zwei Stunden sein mochte. Ich ging daher in die Kajüte hinunter, um es zu messen, und da ich wußte, wie hoch es war, als ich durchwatete, so fand ich zu meiner Ueberraschung und, ich darf wohl sagen, zu meiner Freude, daß es seitdem nicht weiter gestiegen war.

Ich dachte, ich hätte mich vielleicht geirrt, weßhalb ich mir den Wasserstand an der Kajütenleiter bemerkt und dann auf dem Decke sitzen blieb, um Beobachtungen anzustellen; es schien sich nicht weiter zu heben.

Dieß machte mich nachdenklich; und jetzt fiel mir ein, da das Fahrzeug mit Holz beladen sei, so würde es wahrscheinlich nicht weiter sinken; ich zögerte deßhalb in meiner Arbeit, bis ich mich über die Thatsache überzeugt hatte.

Nachdem ich drei Stunden Acht gehabt und gefunden hatte, daß das Wasser nicht höher stieg, war ich zufrieden. Jetzt wurde aber der Wind stärker, und die Segel des Schiffes erschlafften nicht, wie es bei Fahrzeugen der Fall ist, die sich ohne Steuermann bewegen, sondern blähten sich auf, und der Schooner senkte sich leewärts auf die Seite.

Ich fürchtete, er möchte ganz überschlagen, weßhalb ich, da ich auf dem Deck eine Axt fand, mit derselben in das Takelwerk stieg, und anfing, die Segelseile von dem Mast abzuhauen. Dann ließ ich die Gaffeln nieder und räumte die Leinwand in derselben Weise weg, so daß die Segel auf das Deck fielen. Dieß war das Werk von wenigstens einer Stunde; sobald aber alles Tuch weggeschafft war, blieb das Schiff ruhig. Es war ein Glück, daß ich diese Vorsichtsmaßregel beobachtet hatte, denn sehr bald nachher wurde der Wind viel steifer und das Wetter nahm eine drohende Gestalt an; auch die See ging beträchtlich hoch. Ich war sehr müde und setzte mich für eine Weile hinten auf dem Decke nieder.

Dann fiel mir ein, das Gewicht der Planken auf dem Decke halte nicht nur das Schiff tiefer im Wasser, sondern mache auch den oberen Theil schwerer, weßhalb ich mich entschloß, sie über Bord zu werfen; zuerst sah ich mich aber nach Speise um und fand reichlich Lebensmittel in dem eisernen Topfe, in welchem die Mannschaft Abends zuvor ihr Nachtessen gekocht hatte. Sobald ich aus dem Fasse, das auf dem Deck befestigt war, einen Trunk Wasser geholt hatte, um den kalten Braten, den ich genossen, hinunter zu schwämmen, schickte ich mich an, die Planken auf dem Deck über Bord zu werfen. Dieß that ich in einer Weise, daß ich mein Geschäft bald auf der einen, bald auf der andern Seite betrieb, um dadurch wo möglich das Schiff in gleicher Hielung zu erhalten.

Dieß nahm mich den ganzen Tag in Ansprach, und als ich damit zu Stande gekommen war, untersuchte ich den Wasserstand an der Kajütenleiter, wo ich fand, daß sich das Fahrzeug um mehr als sechs Zolle gehoben hatte. Dieß gereichte mir zu großem Troste; auch wurde mir eine weitere Freude in dem Umstande, daß sich der Wind gelegt hatte und das Wasser ruhiger geworden war.

Mein Nachtessen bestand, da das Feuer ausgegangen war, aus rohem Schinken; dann empfahl ich mich dem Schutze des Himmels, und legte mich mit der untergehenden Sonne nieder, um mich von den Anstrengungen des Tages durch einen tiefen Schlaf zu erholen.

Gegen Mitternacht erwachte ich wieder. Die Sterne schienen hell, und das Wasser war nur in leichter, kräuselnder Bewegung. Ich dachte an meine Mutter, an Tante Milly, an Kapitän Delmar, und griff nach dem Seehundsbeutel, der an meinem Hals hing. Es war Alles in Ordnung.

Ich dachte mir alle möglichen Fälle, und meinte, es könne gar nicht fehlen, daß ich ehestens von einem oder dem andern Schiffe ausgelesen werde. »Bin ich jetzt doch besser daran,« beruhigte ich mich, »als damals in dem Boote mit Peggy Pearson. Bin ich bei jener Gelegenheit davongekommen, warum nicht jetzt auch.«

Ich zagte durchaus nicht, sondern legte mich nieder, und war bald wieder eingeschlafen. Als ich wieder erwachte, war es heller Tag. Ich nahm mein Spähglas und untersuchte den Horizont; auch entdeckte ich bald in der Entfernung von etlichen Meilen ein Schiff, das auf mich zusteuerte. Dieß gab mir neuen Muth.

Ich hielt ein etwas rohes Frühstück, und trank, wie früher, reichlich Wasser. Der bisher sehr leichte Wind wurde etwas stärker. Das Fahrzeug kam näher, und ich entdeckte, daß es ein Schooner war. In zwei Stunden war er ganz in meiner Nähe. Ich schwenkte meinen Hut und hallohete aus Leibeskräften.

Der Schooner war gut bemannt, und steuerte ganz an mich heran. Es war ein schönes Fahrzeug, und glitt, trotz des leichten Windes, sehr schnell durch das Wasser. Ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß es das Piratenschiff sei, auf welches die Fregatte Jagd gemacht hatte.

Da es den Anschein hatte, als wolle man an mir vorbeifahren, so rief ich:

»Schooner, a – hoy! Warum schickt Ihr nicht ein Boot an Bord?«

Ich muß sagen, daß mir bei den Gedanken, es könnte das Piratenschiff sein, der Muth gewaltig sank.

Bald nachher wandte der Schooner um, und ließ ein Boot nieder, welches auf mein Schiff zukam. Die Bemannung des Boots bestand aus lauter Negern. Einer von ihnen sagte:

»Spring' herein, weißer Jung'. Sein nächster Sprung gehe in Hayfischmaul,« fuhr der Mann grinsend fort, indem er sich an die Uebrigen im Boot wandte.

Ich sprang in das Boot, und sie ruderten zu ihrem Schooner zurück. Damals dachte ich, es sei um mich geschehen, denn wie konnte ich als königlicher Offizier Schonung von Seeräubern erwarten, denn für solche mußte ich den Worten des Negers nach die Mannschaft halten.

So bald ich mich an der Seite des Schooners befand, wurde mir befohlen, an der Seite hinaufzusteigen, was ich, mein Spähglas in der Hand, that. Ich sprang von dem Schanddeck auf das Deck nieder, und fand mich an Bord eines bewaffneten Fahrzeugs, dessen Mannschaft aus lauter Schwarzen bestand.

Zwei von ihnen packten mich rauh an, und führten mich nach hinten, wo ein Neger, von den Uebrigen gesondert, stand. In meinem Leben habe ich nie ein so finsteres, strenges und entschlossenes Gesicht gesehen. Er war von gigantischem Bau und hatte Glieder wie der farnesische Herkules.

»Nun, Junge, wer bist du?« fragte er, »und wie kamst du an Bord jenes Fahrzeugs?«

Ich sagte es ihm in kurzen Worten.

»So gehörst du also zu jener Fregatte, die vorgestern auf uns Jagd gemacht hat?«

»Ja,« lautete meine Antwort.

»Wie heißt sie?«

»Die Kaliope.«

»Sie segelt gut,« sagte er.

»Ja,« versetzte ich; »es ist der schnellste Segler aus dieser Station.«

»Weiter brauche ich nicht von dir zu wissen, Junge. Du kannst jetzt gehen.«

»Wohin gehen?« entgegnete ich.

»Wohin gehen? – Natürlich über Bord,« erwiederte er mit einem Grinsen.

Das Herz erstarrte in meinem Innern; ich nahm jedoch allen meinen Muth zusammen und sagte:

»Ich bin Euch sehr verbunden, Sir; aber ich möchte lieber bleiben, wo ich bin, wenn es Euch nichts ausmacht.«

Die übrigen Neger lachten über diese Antwort, und ich gewann wieder etwas Zuversicht. Jedenfalls machte mir ihre Heiterkeit Muth, und ich fühlte, daß ich mir nur von meiner Kühnheit Rettung versprechen durfte.

Der Negerkapitän sah mich eine Weile an, als überlegte er, bis er endlich zu den Männern sagte:

»Ueber Bord mit ihm!«

»Gott befohlen, Sir; Ihr seid sehr freundlich,« sagte ich; »aber dieß ist ein treffliches Spähglas, und ich überlasse es Euch, als mein Vermächtniß.« Mit diesen Worten ging ich auf ihn zu, und händigte ihm das Fernrohr ein. Barmherziger Himmel, wie mir in jenem Augenblicke das Herz gegen die Rippen schlug.

Der Negerkapitän nahm das Glas und schaute durch dasselbe.

»Es ist ein gutes Glas,« sagte er, als er es von seinen Augen entfernte. Es war das Fernrohr des armen Green, welches er mir für den Unterricht in der Freimaurerzeichensprache gegeben hatte.

»Gut, weißer Knabe; ich nehme dein Geschenk an. Und nun, Gott befohlen.«

»Gott befohlen, Sir. Erweist mir aber auch eine Gegengefälligkeit,« sagte ich sehr ernst, denn ich fühlte, daß mein Stündlein gekommen war.

»Und die wäre?« entgegnete der Neger.

»Laßt mir eine Kugel an die Füße binden, damit ich schnell sinke; sie wird Euch eine lange Mühe ersparen.«

»Du verlangst also nicht, daß ich dein Leben schonen soll?« erwiederte der Neger.

»Er der allererst Weißer, der nicht darum bitten,« sagte einer der Neger.

»Das in der That sehr wahr,« meinte ein Anderer.

»Ja, bei Gum,« versetzte ein Dritter.

Ach, wie sehnlichst hätte ich jetzt wissen mögen, was ich sagen sollte! Die Bemerkungen der Neger brachten mich auf die Vermuthung, daß es besser sei, nicht darum zu bitten, und doch hing ich so sehr an dem Leben. Es war ein schrecklicher Augenblick – ich fühlte, daß ich in ein paar kurzen Minuten ein ganzes Jahr durchlebt hatte. Ein paar Sekunden fühlte ich mich schwach und schwindelig – dann holte ich einen tiefen Athem, und lebte wieder auf.

»Du antwortest mir nicht, Junge?« sprach der Negerkapitän.

»Warum sollte ich um Etwas bitten, von dem ich im Voraus überzeugt bin, daß es mir abgeschlagen wird? Wenn Ihr mir das Leben schenken wollt, so bin ich Euch dankbar dafür. So viel kann ich Euch übrigens versichern, daß es mir nicht sehr viel darum zu thun ist, zu sterben.«

»Ich habe einen Eid gethan, keinen weißen Mann zu verschonen. Für dies Mal thut es mir leid, daß ich meinen Eid nicht brechen kann.«

»Wenn das Alles ist, so bedenkt, daß ich nur ein Knabe, und kein Mann bin,« versetzte ich. »Behaltet mich, bis ich größer werde.«

»Bei Golly, Kapitän, das sehr gut gesagt. Behalt' ihn, Kapitän,« entgegnete einer der Neger.

»Ja, Kapitän,« sagte ein Anderer, »behalt' ihn zu warten deine Kajüte. Sehr passend, wenn du haben weiß Sklavenjung.«

Der Negerkapitän gab eine geraume Weile keine Antwort. Er schien sich in Gedanken zu vertiefen und sprach endlich:

»Junge, du hast dein Leben gerettet. Du magst dir's selbst danken, nicht mir. Proßa, laß ihn hinunternehmen. Gib ihm eine Jacke und Hosen und wirf diesen höllischen Anzug über Bord, sonst könnte mich mein Entschluß gereuen.«

Der angeredete Neger, welcher eine Art Offiziersuniform trug und der zweite Mate war, führte mich in den Schiffsraum hinunter, und der Leser wird mir auf's Wort glauben, daß ich ihm durchaus nicht ungern folgte.

Als ich mich zwischen den Decken befand, setzte ich mich auf eine Truhe nieder, denn der Kopf schwindelte mir und ich verlor das Bewußtsein. Die Erschütterung war für einen Jungen von meinem Alter zu gewaltig gewesen. Man brachte mir Wasser, worauf ich mich wieder erholte. Ich fühlte übrigens, daß ich durch diese Zurschaustellung meiner Schwäche in der guten Meinung meiner Umgebung verloren haben könnte, und hatte noch Geistesgegenwart genug, sie um etwas Speise zu bitten. Dieß täuschte sie. Die Neger sagten unter sich, ich müsse die zwei Tage, welche ich am Bord des andern Schooners zugebracht, keine Nahrung gehabt haben, und ich zog es natürlich nicht in Abrede. Man brachte mir etwas Fleisch und Grog, wovon ich ein wenig zu mir nahm. Dann wurde mir meine Uniform ausgezogen und eine gewürfelte Jacke nebst weißen Beinkleidern gereicht. Sobald ich mich umgekleidet hatte, gab ich meinen Wunsch zu erkennen, daß ich mich ein wenig niederlegen möchte, und sie ließen mich auf der Truhe, auf welche ich mich gesetzt hatte, schlafen.

Mit dem Schlafe wollte es freilich nicht gehen, obgleich ich dergleichen that, und aus der Unterhaltung der Neger entnahm ich bald, daß ich durch mein Betragen nicht nur die Gunst der Mannschaft, sondern auch des Kapitäns gewonnen hatte.

So konnte ich mein Leben wenigstens für den Augenblick gerettet halten, aber welche Sicherheit hatte ich dafür in einer derartigen Gesellschaft?

Nach ein paar Stunden hatte ich mich hinreichend erholt, und ich hielt es für räthlich, auf das Deck zu gehen. Gedacht, gethan. Ich verfügte mich nach dem Hintertheile des Schiffes und trat vor den Negerkapitän hin.

»Nun, Knabe,« sagte er. »Warum kömmst du zu mir?«

»Ihr habt mir das Leben geschenkt, und ich komm' zu Euch, weil Ihr der einflußreichste Freund seid, den ich hier habe. Kann ich Etwas für Euch thun?«

»Ja; du kannst die Kajüte beschicken, wenn dir dein weißes Blut nicht bei dem Gedanken gerinnt, einem schwarzen Manne zu dienen.«

»Nicht im Geringsten. Ich thue Alles für Diejenigen, welche freundlich gegen mich sind, und Ihr seid es gewesen.«

»Du hältst es also für keine Schande?«

»Durchaus nicht. Ist es eine Schande, dankbar zu sein?«

Der Leser wird bemerken, wie besonders passend meine Antworten waren, obgleich ich nur fünfzehn Jahre zählte. Meine gefährliche Lage hatte mir die Umsicht und Behutsamkeit eines Mannes verliehen.

»Geh' in die Kajüte hinunter. Du kannst dir dort Kurzweil machen, bis ich komme.«

Ich gehorchte diesem Befehle. Die Kajüte war, wie die meisten Yachten, mit spanischem Mahagoni und vergoldetem Schnitzwerk vertäfelt. Es war kein Spiegel vorhanden und die Wände waren beinahe bis zur Hälfte mit silbernen Geräthschaften behangen; sogar die Teller und Schüsseln bestanden aus demselben Material. Silberne Kandelabers hingen von der Mitte der Balken herunter, alle Arten von Schwertern, Pistolen und andern Waffen waren an der Scheidewand aufgehangen, ein kleines Büchergestell, hauptsächlich mit spanischen Werken, befand sich an der Hinterwand, und die Porträts mehrerer weißen Frauenzimmer füllten die Zwischenräume; ein großer Tisch in der Mitte, ein Gueridon mit Karten, ein halb Dutzend Cigarrenkistchen und zwei der üppigsten Sopha's vervollständigten das Möbelwerk.

Eine Thüre an der Steuerbordsseite führte, wie ich vermuthete, zu dem Staatszimmer, wo der Kapitän schlief; ich wagte indeß nicht, sie zu öffnen.

Ich musterte alle diese Pracht und wunderte mich, wen die Porträts vorstellen möchten, – noch mehr, wie es kam, daß die ganze Schiffsmannschaft, wie auch der Kapitän, der Negerrace angehörte.

Wir hatten gehört, daß der Pirat, den wir suchten, ein wohlbekannter Spanier sei, der unter dem Namen Chico lief, und daß seine Mannschaft aus Amerikanern, Engländern und Spaniern bestehe. Daß dieß das Schiff war, hatte ich, als ich unten war, aus dem Gespräche der Matrosen vernommen, denn sie nannten es die Stella.

Es schien demnach, als ob das Fahrzeug den Herrn gewechselt habe. Die Matrosen waren hauptsächlich spanische Neger oder andere Schwarze, welche spanisch sprachen; indeß waren auch einige darunter, die englisch und nur wenig spanisch redeten, und diese nahm ich für amerikanische oder englische entlaufene Sklaven. Die Sprache des Kapitäns war jedoch so correct, als meine eigene; auch sprach er sehr geläufig spanisch, denn ich hörte ihn, als ich in der Kajüte war, in dieser Zunge Befehle ertheilen. Außerdem fehlte ihm die platte Nase, welche bei den meisten zu finden war. Wäre seine Farbe weiß gewesen, so hätte man seine Züge als regelmäßig betrachten müssen, obgleich sich hin und wieder eine Wildheit darauf ausdrückte, die wahrhaft fürchterlich anzusehen war.

Nun, dachte ich, wenn ich lebe und gesund bin, so werde ich schon noch mehr davon erfahren. Ja, wenn ich lebe! Ich wollte, ich wäre auf dem Halbdeck der Kalliope – gleichviel, wenn auch in Tommy Dott's Lage, als er hingebracht wurde, die Taschen mit des Proviantmeisters Pflaumen vollgestopft, und zumal wie ein Pinsel und wie ein Spitzbube aussehend.

Ich mochte ungefähr eine halbe Stunde in der Kajüte gewesen sein, als der Negerkapitän erschien.

»Nun,« sagte er, »vermuthlich möchtest du eben so gerne den Teufel sehen, als mich – nicht wahr, Knabe?«

»O, durchaus nicht,« entgegnete ich lachend, denn ich hatte mein ganzes zuversichtliches Wesen wieder gewonnen. »Ihr seid ja im Begriff gewesen, mich zum Teufel zu schicken, und da fühle ich mich höchst glücklich, daß ich bei Euch bleiben kann.«

»Du gehörst gerade zu einem jungen Schlage, wie ich ihn liebe,« versetzte er lächelnd. »Nur deine Farbe kann ich nicht leiden – wie sehr wünschte ich, daß du schwarz wärest.«

»Je nun, wenn Ihr's wünscht, so mache ich mir nichts daraus, mein Gesicht zu schwärzen,« entgegnete ich. »Mir ist's gleichgültig, von welcher Farbe ich bin.«

»Wie alt bist du?«

»Vor ein paar Monaten fünfzehn.«

»Wie lange bist du zur See gewesen?«

»Etwa achtzehn Monate.«

Er stellte dann noch viele Fragen über den Kapitän, der Offiziere, die Kalliope und mich selbst, die ich alle vorsichtig beantwortete.

Ein Neger brachte das Souper des Kapitäns herunter: es war heiß und sehr würzig. Ohne weiteren Befehl von seiner Seite wartete ich ihm alsbald bei der Mahlzeit auf. Er entließ den Neger und unterhielt sich während des Essens unablässig mit mir; endlich erzählte er mir, daß er die Fregatte während der letzten Nacht umsegelt habe. Ich entgegnete ihm sodann, wir hätten erfahren, daß sein Schiff Stella und der Kapitän Chico heiße, ferner, daß die Mannschaft aus Weißen von verschiedenen Nationen bestünde.

»Das war vor ein paar Monaten der Fall,« versetzte der Kapitän. »Nun, ich bin jetzt fertig, und du magst abräumen,« fuhr er fort, indem er von seinem Stuhle aufstand und sich auf eines der Sopha warf. »Halt; du bist ohne Zweifel hungrig. Setze dich und iß gleichfalls zu Nacht. Du kannst das Geschirr nachher entfernen.«

Ich that, wie mir befohlen wurde. Es war das erste Mal in meinem Leben, daß ich auf gediegenem Silber speiste – aber es geschah in wunderlicher Gesellschaft. Indeß ließ ich mir meinen Appetit dadurch nicht verderben, und ich vergaß nicht, einen Becher voll Wein zu mir zu nehmen, um das Genossene hinunter zu waschen.

»Ich danke Euch, Sir,« sagte ich, indem ich aufstand und das Amt eines Dieners versah. Auf seinen Befehl klingelte ich dem Neger, der mir im Abräumen half und sich dann mit dem Rest der Speisen entfernte.

»Soll ich bleiben, oder gehen?« fragte ich respektsvoll.

»Du kannst dich jetzt entfernen. Suche den Mann auf, der eben da gewesen – er heißt Jose – und sage ihm, er soll dir etwas geben, worauf du schlafen kannst!«

»Gute Nacht, Sir,« sagte ich.

»Gute Nacht, Knabe.«

Als ich mich entfernte, um nach dem dienenden Neger zu sehen, wurde ich von den schwarzen Matrosen mehr als einmal sehr freundlich angeredet. Endlich ging ich nach der Back hinauf, wo ich gefragt wurde, wie es zugegangen, daß ich allein am Bord des Schooners geblieben sei. Ich erzählte mein Abenteuer Denjenigen, welche englisch verstanden, und Einer davon, welcher beide Sprachen reden konnte, übersetzte meinen Bericht zum Besten der Uebrigen in's Spanische.

»Du bist der erste Weiße, den er geschont hat, kann ich dir sagen,« bemerkte der amerikanische Neger, der meine Erzählung in's Spanische übertragen hatte, nachdem mich die Uebrigen mit ihm allein gelassen hatten.

»Der Kapitän sagt, er wollte ich wäre schwarz,« entgegnete ich dem Neger; »da ich am Bord dieses Schiffes bin, so möchte ich es gleichfalls sein, denn ich sehe, daß ihn meine Farbe zornig macht. Könnte ich nicht schwarz gefärbt werden?«

»Nun, ich glaube, das würde sehr gerathen für dich sein, wenn sich's thun ließe, denn du hast noch nie gesehen, wie er hin und wieder in seinem Zorne ist. Gesetzt, wir würden morgen früh gejagt und von der Fregatte hart bedrängt, so stünde das Schlimmste für dich in Aussicht, wenn seine Augen auf dich fielen. Ich kann mir nicht denken, was ihn veranlaßte, dich zu verschonen – es müßte denn sein, daß du ihm das Spähglas in so kühner Weise gabst. Ich glaube indeß, es gibt einen Burschen an Bord, der sich auf das Färben versteht – ich will nachsehen – warte hier, bis ich wieder zurückkomme.«

Der Neger verließ mich und kehrte in ein paar Minuten mit einem Kerl zurück, der halb wie ein Indianer, halb wie ein Neger aussah, und mit dem er spanisch redete.

»Er sagt, er könne dich braun machen, wie er selbst, aber nicht schwarz, wie ich bin. Wenn du's noch diesen Abend haben willst, so könnte er jetzt gleich anfangen?«

»Ja, es ist mir ganz lieb,« antwortete ich, und zwar aus aufrichtigem Herzen, denn ich fühlte, daß mein Leben daran hing. Ich hatte durchaus kein sonderliches Verlangen, von den Haifischen, welche dem Schiffe folgten, in Stücke zerrissen zu werden; denn eine solche Art, aus der Welt zu gehen, ist nichts weniger als angenehm.

Der amerikanische Schwarze blieb bei mir, und wir plauderten ungefähr eine halbe Stunde mit einander, nach welcher Zeit der spanische Halbneger wieder erschien und einen kochend heißen Absud mit sich brachte. Ich wurde sofort entkleidet und mit einem Schwamm nicht nur an Gesicht und Händen, sondern auch über meinen ganzen Körper eingerieben; dann ließen sie mich nackend stehen, um zu trocknen. Die Mannschaft hatte sich um mich gesammelt und war sehr heiter über den Einfall, daß ich meine Farbe wechseln wollte.

Sobald ich in der warmen Luft trocken geworden, wurde die Anwendung des Dekoktes wiederholt. Erst dann, und nachdem ich wieder trocken war, hieß mich der Amerikaner meine Kleider anlegen, versprach mir aber zugleich, daß er mich morgen früh noch einmal anstreichen wolle, und dann würde ich dunkel genug sein.

Ich fragte nach Jose und theilte ihm mit, was der Kapitän gesagt hatte. Er gab mir einen Bund Matten zum Lager, auf dem ich bald eingeschlafen war. Ungefähr um drei Uhr Morgens wurde ich geweckt, um den Färbeprozeß noch zweimal an mir repetiren zu lassen, und dann legte ich mich wieder nieder.

Als die Matrosen um fünf Uhr aus ihren Decken krochen (denn an Bord ging Alles äußerst regelmäßig von Statten), brachte mir Jose einen Spiegel, damit ich mich darin betrachten möge, und ich war höchlich zufrieden, daß meine Farbe dem Kapitän keinen Anstoß mehr erregen konnte. Ich war zwar nicht so schwarz, wie ein Neger, aber doch so dunkel, wie ein Mulatte.

Ich fragte den spanischen Neger durch Jose, der beide Sprachen verstund, ob ich mich auch waschen dürfe. Er versetzte, daß ich dieß thun könne, so oft mir beliebe, denn die Farbe werde nicht abgehen, mit der Zeit verbleiche sie zwar, was ein neues Auftragen erforderlich mache, indeß sei es hinreichend, wenn dieß alle Monate einmal geschehe.

Ich ging nun nach der Back und wusch mich. Die Neger lachten viel darüber und sagten, daß ich jetzt ein »Bel-Muchaco« (ein schöner Knabe) sei. Es war auch ohne Zweifel ihr Ernst, denn Alle schienen sehr freundlich gegen mich gesinnt zu sein, und mein Anstrich machte ihnen viel Spaß. Ich saß mit Jose zwischen den Decken, als die Kajütenklingel läutete.

»Geh' nur,« sagte er, grinsend seine weißen Zähne zeigend; »ich komme nach, und will sehen, was der Kapitän für Augen macht.«

Ich begab mich nach der Kajüte und klopfte an die Thüre des Staatszimmers.

»Herein!« rief der Kapitän.

Ich ging hinein und trat ihm Angesicht in Angesicht entgegen.

»Wie?« sagte er, mich fest anblickend. »Doch es muß wohl sein – bist du's wirklich?«

»Ja, Sir,« versetzte ich, »ich bin es. Ich bin Euch zu Gefallen braun geworden, und hoffe auch, daß ich Euch jetzt gefalle.«

»Ja, Knabe; ich kann dich jetzt ansehen, und vergessen, daß du weiß bist. Ja, ich fühle sogar, daß ich dich jetzt lieben kann – du hast dich des einzigen Fehlers, den du in meinen Augen hast, entledigt, und das ist dein Schade nicht. Es freut mich nur, daß ich dich nicht –«

»Daß ihr mich nicht den Haifischen zum Fraße gabt,« ergänzte ich seinen Satz.

»Ganz recht; aber jetzt nichts mehr davon.«

Ich gab dem Gespräch alsbald eine andere Wendung, indem ich ihn nach seinen Befehlen fragte, zugleich aber ihm bei seinem Anzuge half. Von dieser Zeit an wurde er sehr freundlich gegen mich, und unterhielt sich fast ohne Unterlaß mit mir. Ich versah bei ihm mehr als vierzehn Tage die Stelle eines Dieners, während welcher Zeit wir sehr vertraut wurden. Ich gestehe, daß ich auch meinen neuen Herrn sehr lieb gewann und weniger schlimm von dem Schiffe und meinen Begleitern dachte. Ich erinnere mich, daß wir auch in einen Hafen einliefen, ohne daß ich jedoch zu sagen vermag, welcher es gewesen war.

Ich unterhielt mich oft mit Jose und den amerikanischen Schwarzen, die mir ihre Geschichten mittheilten; über den Kapitän konnte ich jedoch nicht viel erfahren, da sie über diesen Punkt verschlossen blieben. Hin und wieder ließen sie zwar einen Wink fallen, aber dann hielten sie inne, als ob sie sich eines Bessern besännen.

Nach etwa drei Wochen wurden wir Cuba's ansichtig, worauf der Schooner beilegte, bis es Nacht wurde; dann erst setzten wir unsere Segel wieder aus, und noch vor zehn Uhr erblickten wir die Lichter von Havannah. In einer Entfernung von etwa drei Meilen legten wir wieder bei, und gegen Mitternacht bemerkten wir unter dem Land die weißen Segel eines Schooners, der seewärts stand. Wir eilten auf denselben zu, und ehe er noch bemerken konnte, daß wir Feinde wären, war er geentert und im Besitze unserer Mannschaft. Die zu dem genommenen Fahrzeuge gehörigen Leute wurden herausgeführt, und das Schiff untersucht. Es stellte sich heraus, daß es ein Sclavenschiff war, das Fesseln und dergleichen an Bord hatte, und eben nach der afrikanischen Küste ausfahren wollte.

Ich war eben auf dem Decke, als die weiße Mannschaft, welche zu dem Sclavenhändler gehörte, an Bord gebracht wurde, und werde nie den Zorn und die Wuth des Kapitäns vergessen.

Auf beiden Schoonern wurden alle Segel ausgesetzt, und wir steuerten vom Lande ab. Mit Anbruch des Tages hatten wir die Küste weit in unserm Rücken.

»Du wirst gut thun, heute dem Kapitän nicht zu nahe zu kommen,« sagte Jose zu mir. »Bleibe ihm aus dem Wege; vielleicht erinnert er sich, daß du ein Weißer bist.«

Nach dem, was ich in der Nacht gesehen, mußte mir dieser Rath gut erscheinen, und ich vermied nicht nur die Kajüte, sondern hielt es auch für gerathen, mich nicht einmal auf dem Decke sehen zu lassen.

Um acht Uhr Morgens hörte ich, daß das Boot niedergelassen, und Befehl ertheilt wurde, das Sclavenschiff gut zu durchsuchen, und dann zu durchlöchern. Dieß geschah; das Boot brachte mehrere tausend Dollar mit, welche auf dem Deck ausgefolgt wurden.

Ich blieb unten, hörte aber die zornige Stimme des Negerkapitäns, das Flehen der um Gnade bittenden Gefangenen und den Lärm geschäftiger Vorbereitungen auf dem Deck. Mehrere Matrosen kamen herunter und boten Eimer voll Sand hinauf; auch ein eiserner Rost wurde nach dem Decke gebracht. Die Gesichter der also beschäftigten Schwarzen schienen im frohen Zorn zu glühen, und hin und wieder lachten sie sich zu, wobei sie mehr wie Teufel, als wie Menschen aussahen. Es war klar, daß irgend eine schreckliche Züchtigung im Werke war, und ich blieb geduckt hinter dem Fockmast auf dem Unterdecke sitzen.

Endlich war die Mannschaft wieder sammt und sonders auf dem Decke und ich allein. Dann hörte ich einen abermaligen Lärm, Bitten um Gnade, Weinen, Wehklagen und hin und wieder einige Worte aus dem Munde des Negerkapitäns. Dann erhob sich ein fürchterliches Zetergeschrei, Rufe zum Himmel und ein starker Geruch, der durch die Luken herunterkam, und dessen Ursache ich nicht begreifen konnte. Das Geschrei wurde schwächer und hörte endlich ganz auf; dann wurde etwas über Bord geworfen. Dieselbe Tragödie, worin sie auch immer bestehen mochte, wiederholte sich – neue Versuche, Gnade zu erringen – weiteres Gezeter – auf's Neue der erstickende Geruch – und so zu oft wiederholten Malen. Was konnte dieß sein? Ich hätte viel darum gegeben, wenn ich es gewußt hätte; aber Etwas in meinem Innern sagte mir, daß ich bleiben müsse, wo ich sei. Die Scene hatte sich zehnmal wiederholt, und dann, da der Abend hereinbrach, vernahm ich ein rühriges Treiben auf dem Deck. Nach einer Weile stieg die Mannschaft durch die Lucken herunter.

Ich wurde des Amerikaners ansichtig, mit dem ich auf sehr vertraulichem Fuße stand, und als er in meine Nähe kam, winkte ich ihm.

»Was hat's gegeben?« fragte ich flüsternd.

»Der Kapitän hat die Sclavenhändler bestraft,« versetzte er. »Er züchtigt sie immer in dieser Weise.«

»Nun, und was hat er mit ihnen angefangen?«

»Was er mit ihnen angefangen hat? – Sie lebendig gebraten. Dieß ist das dritte Sclavenschiff, das er genommen, und er bedient sie immer so. Geschieht ihnen Recht. Der Kapitän ist ganz wüthend; mußt vor morgen früh nicht zu ihm gehen – halte dich versteckt.«

Mit diesen Worten verließ mich der amerikanische Neger.

Wie ich später erfuhr, war das lange Boot aus den Spieren geräumt und Sand auf dessen Boden gestreut worden, um zu verhindern, daß das Feuer das Boot nicht verbrenne. Der Kapitän und die Mannschaft des Sclavenschiffs waren sodann der Reihe nach auf den eisernen Rost gelegt und lebendig verbrannt worden. Dieß erklärte mir den schrecklichen Geruch, der durch die Lucken herunter gekommen war.

Es mag sonderbar erscheinen, daß ich über dieses Verfahren nicht so sehr entsetzt war, als ich vielleicht hätte sein sollen. Wäre diese schreckliche Züchtigung an anderen Personen, als an Sclavenhändlern, und von andern Leuten, als von Negern, in Vollzug gesetzt worden, so würde ich wohl nicht im Stande gewesen sein, den Kapitän ohne den Ausdruck des höchsten Abscheues wieder anzusehen. Ich kannte indeß das entsetzliche des Sclavenhandels aus meinen Unterhaltungen mit Bob Croß, und hatte einen solchen Haß gegen die Elenden, die sich damit befaßten, eingesogen, daß mir die vorgenannte Schreckensscene als ein Act der Wiedervergeltung erschien, die fast Hand in Hand mit der Gerechtigkeit ging. Hätte der Negerkapitän nur gegen Sclavenschiffe Kriege geführt, so glaube ich nicht, daß ich mir viel daraus gemacht hätte, auf dem Schiffe zu bleiben; aber er hatte mir gesagt, und auch zur Genüge bewiesen, daß er alle Weißen verabscheue und nie einen geschont habe, mich ausgenommen.

Ich gestehe, daß es mir ziemlich zu Muthe war, wie wenn ich in die Höhle des Löwen gehen müßte, als ich des andern Morgens beim Läuten der Kajütenklingel vor den Kapitän trat. Indeß war er durchaus nicht übel gelaunt, sondern sogar sehr freundlich gegen mich.

Als ich nach dem Frühstück wieder hinausgehen wollte, sagte er zu mir:

»Du mußt auch einen Namen haben: ich werde dich Cato nennen – vergiß das nicht. Und nun habe ich dir noch eine Frage vorzulegen – was trägst du an dem Bande, um deinen Hals?«

»Einen Brief, Sir,« versetzte ich.

»Einen Brief? Und warum einen Brief?«

»Weil er für mich von der größten Wichtigkeit ist.«

»Wirklich? Nun, Cato, setze dich auf den andern Sopha und laß mich deine Geschichte hören.«

Ich fühlte, daß ich nichts Besseres thun konnte, als diesen Mann zu meinem Vertrauten zu machen. Es vermehrte vielleicht sein Interesse für mich, und konnte wahrscheinlicher Weise nicht weiter führen. Ich sagte ihm daher Alles über meine Geburt, welche Muthmaßungen ich hinsichtlich meines Vaters gehabt, und wie dieselben durch den Brief bestätigt worden. Ich öffnete meinen Seehundsbeutel und gab ihm den Brief zu lesen, ohne zu wissen, ob er auch wirklich lesen konnte. Er nahm ihn und las ihn laut.

»Ja,« sagte er, »das ist ein eigenhändiger Beweis. Und nun, Cato, brauchst du dich nicht mehr vor mir zu fürchten, denn wie ich auch in meiner Rache gegen Andere wüthen mag, so schwöre ich dir bei meiner Farbe, daß ich dir nie ein Leides thun oder zugeben will, daß Andere dich beschädigen. Ich weiß zwar wohl, daß ich ein Tiger bin, aber du mußt doch schon oft gesehen haben, wie sogar ein Tiger, dessen Krallen gegen jedes andere lebende Wesen gekehrt sind, ein kleines Hündchen liebkosen konnte. Du bist ganz sicher.«

»Euer Wort gibt mir diese Ueberzeugung,« entgegnete ich. »Nun ich aber Euer Schoßhündchen bin, werde ich mir die Freiheit nehmen, Euch zu bitten, mir auch Eure Geschichte zu erzählen.«

»Es freut mich, daß du mich dazu aufforderst, denn ich wünsche, daß du sie kennest. Also ohne Umschweife: –

»Ich wurde im Staate Pennsylvanien von freien Eltern geboren. Mein Vater war ein bemittelter Segelmacher, aber ein freier Schwarzer wird in Amerika noch schlimmer behandelt und noch mehr verachtet, als ein Sklave. Ich hatte zwei Brüder, die mit mir in die Schule gingen.

»Mein Vater beabsichtigte, mich für die Kirche zu erziehen. Du staunst? Aber in den vereinigten Staaten haben wir eben so gut schwarze als weiße Geistliche. Freilich steht man auf sie herunter und verachtet sie, obgleich sie das Wort Gottes lehren. Du kannst dir übrigens denken, daß ich durchaus nicht zu diesem Berufe paßte. Ich war sehr stolz und hochmüthig, hielt mich für eben so gut, wie einen Weißen, und kam oft in Ungelegenheiten, wenn ich mich wegen Kränkungen rächte.

»Meine Erziehung machte indeß glückliche Fortschritte, und zwar weit bessere, als die meiner Brüder, welche nicht lernen konnten. Bei mir ging dieß rasch von Statten; aber ich lernte auch die Weißen, und namentlich auch die Amerikaner hassen und verabscheuen. Ich nahm mir die Unbilden, welche man den sogenannten farbigen Leuten zufügte, tief zu Herzen, und alles Bitten und Flehen meines Vaters konnte mich nicht bewegen, meine Gedanken für mich zu behalten. Als ich zum Manne heranwuchs, sprach ich kühn, und hätte dafür wohl mehr als einmal beinahe mein Leben verloren, denn die Amerikaner machen sich nicht weiter daraus, einen Schwarzen zu tödten, als wenn sie einen Hund auf der Straße niederschlagen. Mehr als ein Messer war nach meinem Herzen gezückt worden; mehr als einmal wurde ich ohne irgend ein Verschulden vor den Richter gestellt und zum Gefängniß verurtheilt, da meine Aussagen und das Zeugniß der Leute von meiner Farbe vor dem Gerichtshof nicht zulässig erschienen. Ein weißer Schuft – an denen es in Amerika keinen Mangel hat – brauchte nur falsch zu schwören, und alle weitere Berufung hatte ein Ende. Endlich wurde ich verurtheilt, gepeitscht zu werden. Mein Blut kochte, und ich that ein Rachegelübde, das ich fürchterlich gehalten habe.«

»Ich wundere mich nicht darüber,« entgegnete ich; »denn unter solchen Umständen würde ich wohl ein Gleiches gethan haben.«

»Der Mann, der in diesem letzteren Falle einen falschen Eid gegen mich geschworen hatte, war aus dem Süden. Ich verschaffte mir von meinem Vater so viel Geld, als er mir reichen konnte, und verfolgte ihn. Ich fand ihn, ging ihm nach, redete ihn eines Abends an, und stieß ihm mein Messer in's Herz. Dann entwich ich aus jenem Staate und setzte über den Mississippi.

»Ich war noch nicht lange in Arkansas, als ein Baumwollenpflanzer, der ungefähr hundert und fünfzig Sklaven besaß, mich fragte, wer ich sei, und ob ich einen Paß habe. Ich antwortete ihm, ich sei ein freier Neger, in Pennsylvanien geboren und in eigenen Geschäften hier. Des andern Tages wurde ich aufgegriffen und vor die Obrigkeit gebracht, wo dieser Schurke einen Eid darauf ablegte, daß ich sein Sklave und ihm vor zehn Jahren entwichen sei.

»Meine Vertheidigung und der Beweis, den ich beizubringen mich erbot, wurden nicht angehört. Man überantwortete mich ihm, und der Elende grinste, als die Gerichtsdiener mich nach seiner Pflanzung an dem Red River brachten. Es war dort schwierig, zu entkommen, und in der That auch nutzlos, fast nur den Versuch zu machen. Indeß wünschte ich dieß nicht einmal, denn ich wollte bleiben, um mich zu rächen. Ich gab mir Mühe, die übrigen Sklaven gegen ihren Tyrannen aufzuwiegeln, aber sie waren zu eingeschüchtert. Sie verriethen mich sogar, worauf ich gebunden und von den Sklavenvögten gepeitscht wurde, bis mir das Fleisch von den Schultern hing.

»Sobald ich wieder genesen war, faßte ich den Entschluß, zu handeln oder zu sterben. Ich hörte, daß einige Piratenschiffe in den Barataria-Lagunen auf der andern Seite von Neu-Orleans lägen, und war daher Willens, mich der Mannschaft derselben anzuschließen, zuvor aber meine Rache auszulassen. Dieß geschah; ich steckte das Pflanzerhaus in Brand, erschlug den Schuft, der mich gefühllos zum Sklaven gemacht hatte, als er zu entkommen versuchte, warf seinen Körper in die Flammen, verschloß dann die Thüre und floh. Auf meinem Wege begegnete mir einer der Aufseher, welcher bewaffnet war und mich angehalten haben würde, weßhalb ich ihm das Gehirn mit seiner eigenen Muskete ausschlug und dann in die Wälder entwich. Du siehst, daß ich stark bin, weißt aber kaum zu beurtheilen, in welcher Ausdehnung dieß der Fall ist. Nachdem ich ein paar Tage gewandert, langte ich an den Lagunen an. Das nämliche Schiff, auf dem wir uns jetzt befinden, lag daselbst vor Anker. Ich bot meine Dienste an, und wurde auch alsbald aufgenommen.

»Es waren mehrere von meiner Farbe an Bord – entlaufene Sklaven – und lauter tüchtige, entschlossene Männer. Das waren Leute, wie ich sie wünschte, denn sie verstanden mich. Sogar am Bord eines Piratenschiffes wurde uns dieselbe Verachtung bewiesen – man betrachtete uns auch hier als niedrigere Geschöpfe. Alle schwere und schmutzige Arbeit blieb der Negerrace vorbehalten, und wir mußten uns oft alle wie Sklaven abmühen, während der Kapitän mit der übrigen Mannschaft zechte. Ich war drei Jahre an Bord dieses Fahrzeugs. Das Rendezvous, wohin wir jetzt gehen, ist eine kleine landumschlossene Bucht, an der Insel Cuba. Kein Schiff kann daselbst von der See aus bemerkt werden; auch findet sich dort ein enger Paß, durch welchen man mit dem Innern der Insel verkehren kann, obgleich es weit ist, bis man auf eine Wohnung stößt. Ein besserer Schlupfwinkel für ein Piratenfahrzeug ließ sich nicht wohl auffinden. Wir pflegten denselben sehr oft zu besuchen, wenn es etwas auszubessern oder Mundvorrath nebst Wasser einzunehmen gab, denn es ist eine Höhle dort, wo wir die Lebensmittel aufbewahren, die wir anderen Schiffen abnehmen.

»In einem verzweifelten Kampfe, den wir mit einer englischen Kriegsbrigg bestanden, verloren wir beinahe vierzig Mann. Der Kapitän Chico mußte die Lücken mit Schwarzen ausfüllen, bis er sonst Leute finden konnte. Die Folge davon war, daß sich jetzt, mit den zehn früher vorhandenen, fünfzig Neger gegen siebenzig Weiße an Bord befanden. Damals beschloß ich, für Alles Vergeltung zu üben, was meine Race erduldet hatte. Der Zehn, mit denen ich schon so lange gesegelt hatte, war ich sicher, und bei einem näheren Ausholen fand ich auch die Uebrigen bereitwillig.

»Ich segelte von dem mexikanischen Meerbusen aus nach der Rendezvous-Bay in Cuba. Sobald wir daselbst anlangten, wurde natürlich, wie es auf Corsarenschiffen zu gehen pflegt, der erste Tag dem Schwelgen und Trinken geweiht – das heißt, von Seite der weißen Mannschaft. Wir waren beschäftigt, die Wasserfässer an's Land zu schaffen. In derselben Nacht, als sie Alle betrunken da lagen und schliefen, erschlugen wir sie sammt und sonders, und die Stella gehörte jetzt mir und meinen braven Schwarzen, welche mich zu ihrem Kapitän machten, und um des erlittenen Unrechts willen der europäischen Race ewige Feindschaft schwuren.

»Du kannst dir denken, daß meine Mannschaft nur spärlich war; aber bald fanden wir Leute genug, und ich habe nun einen so hübschen Haufen beisammen, als nur je einer ein Deck betrat.«

»Wie lange ist es, seit Ihr von dem Schiffe Besitz genommen habt?«

»Etwa acht oder neun Monate, in welchen ich keinen Weißen, dich ausgenommen, geschont habe. Die gewöhnliche Todesart besteht im Ertränken; wenn ich jedoch auf einen Sklavenhändler treffe, so – du weißt, was gestern stattgefunden hat.«

Ich verblieb eine Weile stumm, endlich aber entgegnete ich:

»Euer Haß gegen die Weißen, und namentlich gegen die Amerikaner, nimmt mich nicht Wunder, und was Eure Rache gegen diejenigen betrifft, welche sich mit dem Sklavenhandel abgeben, so kann ich, wie schrecklich sie auch sein mag, die Opfer derselben kaum bedauern. Wenn Ihr aber im Allgemeinen gegen die Weißen Krieg führt, so vergeßt nicht, daß Ihr dann vielleicht auch Eure Freunde und Leute mordet, die alle ihre Kräfte aufgeboten haben, um der Sklaverei ein Ende zu machen. Selbst in Amerika gibt es viele Gegner derselben.«

»Ich kann da keinen Unterschied machen,« versetzte der Negerkapitän.

»Wie heißt Ihr?« fragte ich nachsinnend.

»Warum fragst du mich dieß? Nun, du magst meinen Namen wohl wissen, denn ich wünsche, daß er bekannt werde. Ich heiße James Vincent.«

»Aber sagt mir, wenn Ihr mit einer bedeutend überlegenen Macht zusammentrefft, was gedenkt Ihr dann zu thun?«

»Zu fliehen, wenn es möglich ist – andernfalls aber zu kämpfen.«

»Ihr könnt aber genommen werden, und dann –«

»Nie, Knabe; nie!«

»Gut,« sagte ich. »Nun Ihr aber angefangen habt, mich zu schonen, so hoffe ich auch, Ihr werdet gegen Andere barmherzig sein.«

»Ich weiß nicht, warum ich dir Gnade erzeigt habe. Ich würde es nicht gethan haben, wenn du eine Spur von Todesfurcht hättest blicken lassen; so aber fühlte ich, daß du dir nicht viel daraus machen würdest. Ich glaube, dieß war es.«

Etwa zehn Tage später umfuhren wir das östliche Ende der Insel Cuba und liefen in die Rendezvous-Bucht, wie sie der Pirat nannte, ein. Sie war sehr klein, aber völlig landumschlossen, und das Land von allen Seiten so hoch, daß die Masten des Schiffs von der See aus nicht gesehen werden konnten. Gegen das Land hin hatte die Bay eine tiefe, enge Schlucht, welche sich zwischen fast senkrecht abfallenden Bergen hinzog, und von dem Innern des Landes aus durch einen schmalen, nur den Piraten bekannten Pfad zugänglich war. Auch machten diese selten Gebrauch davon, es müßte denn gewesen sein, daß ein Spion nach Havannah geschickt wurde, um zu sehen, was für Schiffe segelfertig da lagen.

Auf dem Hochland, das die Bucht von der See abschloß, hatten die Piraten beständig einen Ausluger, der jedes in See stechende Schiff signalisiren mußte, und Vincent selbst brachte viel von seiner Zeit dort zu, da oben der Wind frischer und die Luft kühler war, als in der eingeschlossenen Bucht. Aus dem gleichen Grunde liebte auch ich den Lugaushügel, und gewöhnlich folgte ich dem Kapitän, wenn er denselben besuchte. Er erwies mir jetzt große Zuneigung, und auch ich war anhänglicher gegen ihn, als ich es je für möglich gehalten hätte. Er erzählte mir unablässig von der Behandlung, die er und andere arme Schwarze in Amerika erduldet hatten, wobei mir das Blut kochte, und ich die feste Ueberzeugung hatte, daß ich mich unter ähnlichen Umständen gleichfalls dem Durst nach Rache hingegeben hätte. Wir leben in der Welt, und die Behandlung, die wir von ihr erhalten, macht uns hauptsächlich zu dem, was wir sind.

Eines Tages sagte mir der Kapitän, er gehe diesen Abend nach Havannah, um Nachrichten einzuziehen, da der Spion, den er ausgeschickt, zurückgekehrt sei, ohne etwas ausgerichtet zu haben. Er gedenke, drei oder vier Tage auszubleiben.

Obgleich ich mit meiner Stellung zufrieden sein konnte, so wird mir doch der Leser glauben, daß ich recht sehr wünschte, sobald als möglich zu entkommen. Ich hatte daher den Entschluß gefaßt, wenn es thunlich sei, zu entfliehen, und ich dachte im Augenblick, diese seine Abwesenheit könnte mir die gewünschte Gelegenheit bieten.

»Wäre es nicht besser, wenn Ihr mich mitnähmet?« versetzte ich lachend.

»Natürlich – du würdest mir von einem sauberen Nutzen sein. Ich werde genug zu thun haben, um für mich selbst zu sorgen; und außerdem könntest du mich verrathen,« fügte er mit einem finstern und durchbohrenden Blicke bei.

»Ich danke Euch für Eure gute Meinung,« entgegnete ich unwillig. »Meint Ihr, weil Ihr mein Leben geschont habt, so gelüste mich, das Eurige zu nehmen? Nein, ich bin kein solcher Schurke, was ich auch sonst in schlechter Gesellschaft noch werden mag.«

»Schon gut,« versetzte der Negerkapitän, »du brauchst nicht so in Eifer zu gerathen, denn ich glaube ja, daß ich Unrecht habe. Indeß siehst du zuverlässig ein, daß es unmöglich ist, dich mit mir zu nehmen.«

»Nun, wenn Ihr nicht wollt, so kann ich's nicht ändern,« sagte ich. »Aber ich mag nicht ohne Euch hier bleiben, und sage es Euch daher ehrlich, daß ich weglaufen werde, wenn ich kann.«

»Du wirst dieß nicht so ganz leicht finden,« versetzte er lachend, »und ich rathe dir, es nicht zu versuchen.«

Damit brach unsere Unterhaltung ab. Gegen Abend trat der Kapitän seinen Spaziergang an, und ich beschloß, eine sich etwa bietende Gelegenheit nicht zu verlieren und ihm zu folgen. Ich blickte ihm nach, so lange ich ihn sehen konnte, um daraus die Richtung des geheimen Pfades zu entnehmen, und begab mich sodann zu der Mannschaft, welche um die am Ufer aufgeschlagenen Zelte herlag. Bald nachher kam der spanische Indianer, welcher meinen Anstrich besorgt hatte, an mir vorbei, und da ich im Sinne hatte, den Versuch zu machen, noch ehe es ganz dunkel war, so dachte ich, es dürfte allen Argwohn entfernen, wenn ich ihn bäte, meine Farbe wieder aufzufrischen. Er zeigte sich bereit, und in einer halben Stunde stand ich wieder nackt unter den Negern, um mich der Operation zu unterwerfen. Nachdem ich, wie früher, meine doppelte Tünche erhalten hatte, zog ich mich zurück.

Sobald es dunkel war, bewaffnete ich mich mit ein paar Pistolen, kroch unter der Rückwand von des Kapitäns Zelt, in welchem ich schlief, weg und erreichte, ohne bemerkt zu werden, den engen Pfad in dem Gebüsche, auf welchem der Kapitän hinangestiegen war.

Ich blieb eine Weile auf diesem Pfade und untersuchte tastend das Gebüsch zu beiden Seiten; aber ehe ich die Schlucht halb hinangestiegen, fand ich, daß das Unterholz nicht weiter ausgehauen war. Wohin also jetzt? Alle Spuren waren jetzt verschwunden; ich konnte daher nichts weiter thun, als zum Gipfel hinanklimmen und auf Gerathewohl einen Ausgang suchen. Ich arbeitete mich mit Mühe weiter, und wurde hin und wieder von einem Felsen aufgehalten, dessen Erkletterung Zeit kostete, während ich mich ein andermal wieder an dem Gebüsche halten mußte, um nicht einen lebensgefährlichen Sturz zu thun. Um zwölf Uhr hatte ich mehr als zwei Drittheile des Abhanges zurückgelegt, und jetzt ging der Mond auf, um mir mit seinem Lichte beizustehen. Ich muß sagen, daß ich ein Entkommen beinahe für unmöglich hielt, als ich aufwärts blickte und die gewaltigen Felsenmassen über meinen Pfad herhängen sah. Indeß nahm ich doch abermals meine Arbeit auf und war wieder ein wenig weiter gekommen, als an der Seite eines Felsen das kleine Gesträuch, an welches ich mich anklammerte, wich, so daß ich ausglitt und viele Fuß weit zwischen diesem Felsen und einem ihm gegenüberstehenden niederkugelte.

Da ich keinen bedeutenden Schaden genommen hatte, so half ich mir wieder auf die Beine. Ich sah in die Höhe und um mich her, bei welcher Gelegenheit ich fand, daß ich in einem engen Wege zwischen den Felsen war, der sowohl abwärts als aufwärts führte – ich war in der That recht eigentlich in den geheimen Pfad, den ich aufgesucht hatte, hineingepurzelt. Ganz entzückt über diese Entdeckung brach ich muthig wieder auf; in einer halben Stunde befand ich mich auf der andern Seite des Berges, welcher die Schlucht bildete, und sah jetzt auf eine weite Landschaft im Innern der Insel nieder. Da ich sehr müde war, so setzte ich mich nieder, um mich ein wenig zu erholen, ehe ich meine Wanderung wieder aufnahm.

Endlich bin ich frei, sagte ich zu mir selbst, und meine Gedanken wanderten zurück zu meiner Mutter, meinem Schiff und meinem Kapitän – zu dem alten Culpepper, Tommy Dott und Bob Croß. Ich werde sie Alle wiedersehen, dachte ich, und was es dann nicht für Geschichten zu erzählen gibt. Nachdem ich ausgeruht hatte und wieder gehörig zu Athem gekommen war, hielt ich es für räthlich, aufzubrechen.

Ich war noch keine hundert Ellen weit gegangen, als ich ein Geräusch zu hören glaubte, wie wenn sich Jemand nähere. Ich horchte – ja, es war so. Auch vernahm ich das dumpfe Gebelle eines Hundes. Das Geräusch nahm zu – es war, wie wenn sich Jemand rasch durch das Gebüsch, das die Seite des Berges bedeckte, Bahn breche.

Eine Minute nachher sah ich einen Mann hastig den Berg herauf und geraden Wegs auf mich zukommen. Als er sich mir näherte, hätte ich darauf schwören mögen, daß es Vincent, der Negerkapitän, war. Er befand sich kaum noch zehn Schritte von mir, als ich sah, daß er sich umwandte und seinen Säbel durch die Luft schwang, während zu gleicher Zeit drei große Schweißhunde auf ihn losstürzten. Der eine fiel durch einen Hieb seines Säbels, aber die andern zwei sprangen ihm an die Kehle, packten ihn, rissen ihn zu Boden, und hielten ihn trotz seines Ringens und seiner ungeheuren Stärke fest.

Da gedachte ich meiner Pistolen. Ich spannte sie, eilte auf ihn zu, setzte die eine meiner Waffen an den Kopf des nächsten Hundes und jagte ihm das Gehirn aus dem Schädel. Ebenso glücklich ging es mit dem andern. Beide lagen todt an seiner Seite und Vincent war befreit. Er sprang auf.

»Ich bin's,« sagte ich. »Cato.«

»Cato?« rief er. »Doch wir haben keinen Augenblick zu verlieren. Ich weiß, wo alles dieß hinaus will.«

Er ergriff mich beim Arme und schleppte mich mit sich nach dem Eingange des Engpasses. Sobald wir dort waren, rollte er die großen Felsstücke vor, welche augenscheinlich schon früher zu gleichem Zwecke benutzt worden waren, und versperrte so den Zugang vollständig.

»So,« sagte er, sich erschöpft zurücklehnend. »Verhalte dich ruhig, Cato. Wir sind jetzt sicher. Sie werden alsbald oben auf dem Berge sein.«

Wir verblieben ungefähr zehn Minuten an Ort und Stelle, und vernahmen dann Stimmen in unserer Nähe. Sie gehörten den Verfolgern des Negerkapitäns an, welche augenscheinlich getäuscht waren. Nach einer Weile wichen die Töne zurück, und wir hörten sie nicht mehr. Vincent begann jetzt: –

»Du wolltest entweichen, Cato?«

»Ich bin entwichen,« versetzte ich. »Ich sagte Euch, daß ich es im Sinne hätte.«

»Seltsam, daß du den Pfad entdeckt hast. Wurde er dir von Jemand verrathen?«

Ich verneinte es, und erzählte ihm sodann, wie ich in denselben hineingefallen war.

»Nun, du hast mir alle deine Verpflichtungen heimgegeben, und mir noch obendrein neue auferlegt,« sagte er. »Du hast mir dießmal das Leben gerettet, und zwar in einem Augenblick, als alle Hoffnung vorüber war.«

»Wohlan denn,« versetzte ich: »es thut mir zwar leid, mich von Euch zu trennen, aber gebt mir jene Freiheit zurück, in der ich mich befand, als ich Euch gegen die Hunde vertheidigte.«

»Ich hätte dich schon damals ziehen lassen, Cato,« entgegnete er. »Aber dein Leben wäre das Opfer geworden. Meine Verfolger hätten dich in's Gefängniß geworfen, noch ehe du ihnen hättest mittheilen können, wer du bist; du vergissest, daß deine Farbe verändert ist. Man suchte nicht mich, sondern einen entlaufenen Sklaven, und so kamen die Hunde auf meine Spur. Diese Weißen zeigen kein Erbarmen; es macht ihnen mehr Freude, einen entlaufenen Sklaven von ihren Hunden in Stücke zerreißen zu sehen, als ihn zurück zu erhalten. 's ist eine Art von Fuchshetze für sie,« fuhr er zähneknirschend fort. » Cato, wenn du es wünschest, und ich weiß, daß es dein Wunsch ist, so will ich dir die Freiheit geben, sobald es klüglicherweise geschehen kann. Dieß verspreche ich dir, und du kennst mich so weit, daß ich mein Wort halte.«

»Ich bin's vollkommen zufrieden,« versetzte ich.

»Du versprichst mir aber, daß du keinen zweiten Fluchtversuch machen willst?«

»Ich verspreche es,« antwortete ich.

»Gut,« sagte Vincent. »Wir wollen jetzt den Berg hinuntersteigen, denn ich bin von diesen höllischen Bestien jämmerlich zerfleischt. Meine Wunden müssen ausgewaschen und gepflegt werden.«

Wir stiegen schweigend den Berg hinab, und in einer Viertelstunde hatten wir das Zelt erreicht. Vincent war furchtbar zerrissen und zerbissen. Sobald seine Wunden einen Verband erhalten hatten, legte er sich auf seine Matte, und ich that ein Gleiches.

Es stund einige Tage an, ehe sich Vincent von den schweren Beschädigungen, die ihm die Schweißhunde zugefügt, erholt hatte; auch schien er nicht geneigt zu sein, sich wieder einer derartigen Gefahr auszusetzen. Obgleich er nur wenig sprach, so konnte ich doch bemerken, daß er Rache brütete, denn er befand sich jetzt beinahe den ganzen Tag mit seinem Glase auf dem Auslughügel.

Eines Morgens kam ein Schooner in Sicht, der von Havannah aus südöstlich entweder nach den Inseln oder nach dem spanischen Festlande steuerte. Die Stella war schon seit mehreren Tagen segelfertig, und da Vincent den Schooner bis zum Sonnenuntergang beobachtet hatte, so erließ er jetzt Befehl, daß Alles an Bord gehen und. Anker gelichtet werden solle. Mit Einbruch der Dunkelheit taueten wir aus der Bucht, und setzten alle Segel bei.

Mit dem Grauen des Morgens hatte der Schooner nur noch einen Vorsprung von wenigen Meilen vor uns, und da er kein starker Segler war, so befanden wir uns in wenig mehr als einer Stunde an seiner Seite. Er war nach Curaçao bestimmt, und das Eigenthum eines alten Holländers, der sich mit seiner Tochter, einem siebenjährigen Mädchen, an Bord befand. Die Bemannung bestand hauptsächlich aus Negern, den Sklaven des Eigenthümers, und der Schiffsmeister nebst dem Mate waren, mit Ausnahme des alten Herrn und des kleinen Mädchens, die einzigen Weißen an Bord.

Wie gewöhnlich wurde die Mannschaft auf das Piratenschiff gebracht, und der Kapitän erhielt die Meldung, daß das Fahrzeug nur mit werthlosem Ballast beladen sei. Da die Bemannung der Stella bereits mehr als vollzählig war, so wollte Vincent von den Negern nichts. Er trug ihnen daher auf, nach dem Schooner zurückzukehren und sich nach Belieben einen Hafen zu suchen; mit den Weißen sei es jedoch ein anderer Fall.

Ich war unten geblieben, weil ich nicht Zeuge einer Schlächterei sein mochte, konnte mich aber nicht enthalten, von der Leiter aus zu rekognosciren, denn Jose hatte mir gesagt, daß auch ein kleines weißes Mädchen an Bord gekommen sei. Während ich dieß that, war Vincent eben mit den Negern des genommenen Schiffes fertig geworden. Sie hatten sich entfernt, und der Schiffsmeister, der Mate, der alte Holländer und das kleine Mädchen standen jetzt vor Vincent.

Ich hatte in meinem Leben nie ein interessanteres Kind gesehen, und das Herz blutete mir bei dem Gedanken, daß es geopfert werden sollte. Ich hoffte, ähnliche Gefühle möchten sich in Vincent's Brust regen, hatte mich aber geirrt. Er deutete auf den Schiffsmeister und den Mate, welche alsbald von den Negern ergriffen und in die See geworfen wurden. Der alte Herr beugte sein Haupt über das schöne Kind, und die Kleine kniete vor ihm nieder, als bete sie um seinen Segen, bevor sie stürbe. In demselben Augenblicke gab Vincent das Zeichen – ich konnte nicht länger ruhig bleiben, und sprang auf das Deck.

»Halt!« rief ich den Negern zu, welche eben im Begriffe waren, den alten Mann zu ergreifen – »halt!«

Die Neger wichen bei meiner Stimme zurück.

»Was soll das?« rief Vincent.

»Kapitän Vincent,« entgegnete ich, »mögt Ihr Euch einen Mann nennen, wenn Ihr gegen Kinder und alte Grauköpfe Krieg führt? Ihr dürft und sollt diese Beiden nicht berühren. Ihr habt Eure Rache an den Weißen gefühlt – begnügt Euch und laßt diese gehen.

»Cato,« entgegnete Vincent zornig, »es ist gut, daß du es bist, der es gewagt hat, den Krallen des Tigers seine Beute zu entreißen. Wäre es ein Anderer gewesen, so hätte ihm eine Kugel aus dieser Pistole durch das Gehirn zischen sollen. Doch laß es jetzt gut sein, und geh' sogleich hinunter.«

»Ich fürchte Eure Pistole nicht, Kapitän Vincent, und will auch nicht hinuntergehen. Dieselbe Pistole in meiner Hand hat Euch den Zähnen der Schweißhunde entrissen. Ich sage Euch daher, daß Ihr dieses unschuldige Kind nicht ermorden dürft – wenn Ihr mich liebt, so dürft Ihr es nicht thun, denn ich würde Euch dann für immer hassen, verabscheuen und verachten. Ich flehe Euch an – ich beschwöre Euch, sie gehen zu lassen. Sie sind kein geeigneter Gegenstand für Eure Rache, und wenn Ihr sie ermorden laßt, so erkläre ich Euch für einen elenden Feigling.«

»Was!« brüllte der Tiger. »Ein Feigling?«

Und nicht länger sich zu halten fähig, legte er die Pistole auf mich an und drückte ab. Sie versagte. Verwirrung drückte sich in Vincent's Gesicht aus – er warf die Pistole auf das Deck, kreuzte seine Arme und wandte den Kopf ab.

Eine Todesstille herrschte. Die Negermannschaft blickte zuerst auf mich und dann auf den Kapitän, als erwartete sie, des Ausgangs ungewiß, seine Befehle. Der Holländer schien so erstaunt zu sein, daß er fast seines eigenen Schicksales vergaß, während sich das kleine Mädchen an ihn anklammerte und ihre tiefblauen Augen entsetzt auf mich richtete. Es war eine Scene, die man auf Theatern ein Tableau nennen würde.

Ich verfolgte meinen Vortheil. Vortretend stellte ich mich vor den alten Mann und das Kind, und unterbrach zuerst das Schweigen.

»Kapitän Vincent,« sagte ich, »Ihr habt mir einmal versprochen, Ihr wollet mir nie ein Leides thun oder mein Leben gefährden. Dieses Euer Wort ist gebrochen. Seitdem habt Ihr mir ein anderes Versprechen gegeben – Ihr werdet Euch desselben noch erinnern können – des Inhalts, daß Ihr mir erlauben wollt, Euch bei der ersten günstigen Gelegenheit zu verlassen. Keine Gelegenheit kann günstiger sein, als die gegenwärtige. Die Neger, welche Ihr nach dem Schooner zurückschicken wollt, wissen nicht, wie sie denselben steuern sollen. Ich möchte daher wissen, ob Ihr geneigt seid, Euer zweites Versprechen zu halten, oder es zu brechen, wie das erste. Ich verlange meine Freiheit.«

»Wenn ich mein Versprechen gebrochen habe, so war es deine eigene Schuld,« versetzte Vincent mit Kälte. »Es thut mir leid, – weiter kann ich nicht sagen. Ich habe es halten wollen, und um dir den Beweis davon zu geben, halte ich dir jetzt mein zweites – du kannst gehen.«

»Ich danke Euch dafür; indeß wünschte ich, nun ich Euch verlasse, daß ich mit Gefühlen der Liebe, nicht aber – ich muß es aussprechen – mit denen des Entsetzens und des Abscheues von Euch scheiden könnte. Kapitän Vincent, nur noch einmal laßt eine letzte Gunst von Euch erbitten – schont diese arme Menschen.«

»Da du so besonders Partei nimmst für diesen unnützen alten Mann und dieses noch viel unnützere Kind,« versetzte Vincent sarkastisch, »so will ich dir einen Vorschlag machen. Du hast jetzt deine Freiheit. Willst du etwa darauf verzichten und hier bleiben, wenn ich sie in dem Schooner ziehen lasse? Na, du hast jetzt deine Wahl, denn ich schwöre dir bei meiner Farbe – in demselben Augenblick, als du in dem Schooner abfährst, lasse ich sie über Bord werfen!«

»Dann ist meine Wahl getroffen,« entgegnete ich, denn ich wußte, daß es ihm grimmiger Ernst war, wenn er bei seiner Farbe schwor. »Laßt sie gehen, und ich will hier bleiben.« Ich ließ mir damals wenig träumen, was mir in Folge dieses Entschlusses bevorstand.

»So sei's denn,« sagte Vincent, indem er sich an einen von den Maten wandte. »Laß sie mit den Negern ziehen. Hisse das Boot aus, wenn es zurückkommt, und segle nach dem Rendezvous.«

Mit diesen Worten ging er in die Kajüte hinunter.

»Ihr seid gerettet,« sagte ich zu dem alten Holländer. »Verliert aber jetzt keine Zeit; eilt so schnell als möglich in das Boot, und segelt ab, sobald Ihr an Bord des Schooners kommt. Gott befohlen, kleines Mädchen,« fügte ich bei, indem ich das Kind bei der Hand nahm.

»Ich danke Ihnen,« versetzte der alte Mann in gutem Englisch. »Ach, ich vermag meinen Dank nicht auszusprechen. Ich bin zu überrascht über all' Das, was ich hier gesehen habe. Erinnern Sie sich jedoch des Namens Vanderwelt von Curaçao, und wenn wir uns je wieder treffen, sollen Sie mich erkenntlich finden.«

»Gut; aber jetzt keine lange Reden – in's Boot – hurtig!« sagte ich, indem ich seine mir dargebotene Hand drückte. Sie wurden sodann von den Negern in das Boot gelassen.

Ich blieb auf dem Decke, bis sie sich am Bord des Schooners befanden. Das Boot kehrte zurück, wurde aufgehißt, der Schooner segelte weiter, und nun erst ging ich in die Kajüte hinunter. Der Negerkapitän war auf dem Sopha ausgestreckt, und hatte sein Gesicht mit beiden Händen bedeckt; auch verblieb er in dieser Lage, ohne auf meine Ankunft zu achten. Mein Vertrauen zu ihm war zwar, nachdem er die Pistole auf mich abgedrückt, dahin, aber doch entschuldigte ich ihn einigermaßen, wenn ich bedachte, wie weit ich ihm in seiner Wuth Trotz geboten hatte. Außerdem wußte ich, daß es in meinem Interesse lag, mich auf guten Fuß mit ihm zu stellen, und ihn wo möglich das Vorgefallene vergessen zu machen, denn ich fühlte, daß es seinem stolzen Sinne schwer werden dürfte, sich's zu vergeben, daß er sich durch seine Wuth hatte hinreißen lassen, den Eid bei seiner Farbe zu brechen. Ich ging daher nach kurzer Ueberlegung auf ihn zu und sagte:

»Ich bedaure, daß ich Euch erzürnte, Kapitän Vincent. Ihr werdet mir jedoch vergeben, denn ich war der Ansicht, jene That sei unter Eurer Würde, und ich hätte es nicht ertragen können, eine schlimme Meinung von Euch unterhalten zu müssen.«

»Willst du damit sagen, daß du jetzt keine schlimme Meinung von mir habest?« versetzte er, seine Augen auf mich heftend.

»Allerdings. Ihr habt Diejenigen befreit, für welche ich gebeten habe, und ich bin Euch sehr dankbar dafür.«

»Du hast mich zu Etwas veranlaßt, was ich nie zuvor gethan,« entgegnete er, indem er sich aufrichtete und die Füße auf das Deck setzte.

»Ich weiß es; ich habe Euch veranlaßt, Menschen von meiner Farbe zu verschonen!«

»Das meinte ich nicht; du hast mich so gereizt, daß ich meinen Eid brach.«

»Das hab' ich freilich gethan, doch liegt die Schuld mehr auf meiner als aus Eurer Seite. Ich hatte kein Recht, zu sprechen, wie ich gesprochen habe; aber ich gestehe, daß ich in großer Aufregung war. Ich glaube wahrhaftig, wenn ich eine Pistole in meiner Hand gehabt hätte, würde ich sie aus Euch abgefeuert haben; in dieser Hinsicht sind wir also quitt.«

»Ich zürne über mich selbst – um so mehr, als ich mir nicht träumen ließ, du würdest bei mir bleiben, nachdem ich meinen Eid gebrochen. Entweder mußt du großes Interesse für diese Leute gefühlt haben, oder du setzest viel Vertrauen auf mich – ein Vertrauen, das ich, wie die That lehrt, nicht verdiene.«

»Ich gebe zu, daß Ihr Euch vergessen habt; indeß lebe ich der zuversichtlichen Hoffnung, daß es Euch eine Warnung sein wird, Euch in Zukunft davor zu hüten. Ich bleibe daher in vollem Vertrauen bei Euch und halte mich für ganz sicher; bis Ihr es für passend erachtet, mir meine Freiheit zu geben.«

»So willst du mich also doch verlassen?«

»Ich habe Verwandte und Freunde – auch einen Beruf, den ich verfolgen muß. Was kann ich durch mein Hierbleiben außer Eurer Freundschaft gewinnen? Ein Pirat werde ich nie, deß mögt Ihr versichert sein. Auch wünsche ich von ganzem Herzen, Ihr möchtet gleichfalls ein anderes Gewerbe treiben.«

»Und wer sollte denn Pirat sein, wenn nicht der Schwarze?« entgegnete Vincent. »Ruht nicht der Fluch Kains auf ihm? Trägt er nicht sein Zeichen? Sollten seine Hände nicht gerichtet sein gegen Jeden, der nicht seiner Rasse angehört? Was ist der Araber anders, als der Pirat der Wüste – des Sandmeeres? Schwarz ist die Farbe für Seeräuber. Selbst die weißen Corsaren fühlen diese Wahrheit, denn warum würden sie sonst die schwarze Flagge aufhissen?«

»Jedenfalls ist es ein Gewerbe, das selten ein gutes Ende nimmt.«

»Was ist daran gelegen? Wir können nur einmal sterben – mir ist es gleichgültig, wie bald. Sei versichert, ich habe das Leben nicht so gar süß gefunden, um mich sehr darum zu kümmern. Cato, es gibt nur ein Süßes im Dasein – ein Gefühl, das nie beschwert und nie ermüdet, und das ist die Rache.«

»Ist Frauenliebe und Freundschaft nicht gleichfalls süß? Freilich von der ersten weiß ich nichts zu sagen.«

»Und ich eben so wenig, als du. Es heißt, Freundschaft sei von ewiger Dauer; wir haben aber einen Beweis, wie dauerhaft sie ist, in dem Umstande, daß ich meine Pistole auf dich abdrückte; hätte sie mir nicht versagt, so würde ich den einzigen Menschen getödtet haben, gegen den ich je in dieser Welt Freundschaft empfand.«

»Es ist eine üble Gewohnheit, daß Ihr Eure Pistolen allezeit bei Euch führt; sie sind dann allzunahe bei der Hand und lassen keine Zeit zur Ueberlegung. Setzen wir jetzt den Fall, Ihr hättet mir das Gehirn aus dem Kopfe geblasen – es würde Euch wohl sehr leid thun?«

»Cato, in meine Hände waren Vieler Leben gegeben, und ich hoffe, es wird auch in Zukunft noch oft der Fall sein; aber nie habe ich eine derartige Handlung – einen Mord meinetwegen, wenn du lieber willst – bereut, und werde es auch nie bereuen. Ich gestehe dir jedoch offen, daß ich ein unglücklicher Mann gewesen wäre, wenn ich dich in meinem Zorne erschlagen hätte. Ich weiß, ich fühle es.«

»Reden wir nicht mehr davon. Ich versichere Euch übrigens auf's Entschiedenste, daß es mir ganz eben so lieb ist, als Euch, daß Ihr mich nicht getödtet habt. Doch da kommt Jose mit dem Diner.«

Damit endigte unsere Unterhaltung, welche ich nur gegeben habe, um den eigentümlichen Charakter des außerordentlichen Mannes zu beleuchten, zu dessen Hausstand ich gehörte. In der That befand ich mich, wie er sagte, ganz in der Lage »des Hündchens, welches den Käfig eines Tigers theilt«, und die Vertraulichkeit hatte mich eben so kühn gemacht, als Hunde unter solchen eigenthümlichen Umständen werden.

Vor Morgen befanden wir uns wieder in der Rendezvousbucht, und die Zelte wurden auf's Neue aufgeschlagen. Wir blieben mehr als vierzehn Tage dort, während welcher Zeit meine Vertraulichkeit mit dem Kapitän sich sogar vergrößerte. Er gab sich augenscheinlich alle mögliche Mühe, mein Vertrauen wieder zu gewinnen, und es gelang ihm. Indeß muß ich doch gestehen, daß ich dieser Lebensweise müde zu werden begann. Ich träumte von nichts als Mord und Blutvergießen, und mehr als einmal fühlte ich mich geneigt, zu entfliehen. Indeß hatte ich mein Versprechen gegeben, und dieß hinderte mich, ein solches Vorhaben auszuführen.

Eines Nachmittags gab der Mann auf dem Lugaus das gewöhnliche Signal, daß ein Schiff in Sicht sei. Vincent stieg alsbald hinauf, und ich folgte ihm. Es war ein sehr langer Schooner mit sehr hohen überhängenden Masten. Vincent untersuchte ihn eine geraume Zeit, gab dann mir das Glas und fragte mich, was ich davon halte. Ich versetzte, meiner Ansicht nach sei es ein Kriegsschooner.

»Du hast Recht,« sagte er – »ich kenne ihn gut, es ist der Pfeil, der herausgekommen ist, um nach mir zu kreuzen. Dieß ist das dritte Mal, daß er mir auf den Fersen sitzt. Einmal wechselten wir etliche Lagen; da kam aber ein anderes Kriegsschiff zu seinem Beistand und ich sah mich genöthigt, von ihm abzulassen. Nun er allein ist, soll er mich nicht beschuldigen, daß ich vor ihm fliehe, und morgen will ich ihm Gelegenheit geben, mich als Prise zu raportiren, wenn er kann; im Falle aber ich ihn abfange, kannst du das Uebrige errathen.«

Wir beobachteten beinahe bis zu Sonnenuntergang die Bewegungen des Schooners. Vincent ging dann den Berg hinunter, um Befehl zu ertheilen, daß die Stella segelfertig gehalten werde und ließ mir das Glas. Ich richtete es wieder auf den Schooner und bemerkte, daß er Signale machte.

Dann ist er nicht allein, dachte ich, und Vincent kapert ihn nicht ganz so leicht, als er meint. Vergeblich sah ich mich nach dem andern Schiffe um; ich konnte es nicht entdecken, da es wahrscheinlich irgendwo unter Land und so meinen Blicken verborgen war.

Die Signale wurden wiederholt, bis es Nacht war, und nun ging ich gleichfalls den Berg hinunter. Unten traf ich alles voll Leben und Rührigkeit; Vincent leitete in Person die Vorbereitungen zum Ausfahren. Ich unterbrach ihn nicht, um ihm zu sagen, daß ich bemerkt habe, wie der Schooner Signale gebe, denn der Gedanke tauchte in mir auf, ich könne in einer oder der andern Weise meine Freiheit wieder gewinnen, und war daher eben so begierig, wie Vincent, die Stella ausfahren zu sehen. Vor zehn Uhr war Alles bereit. Vincent hatte seiner Mannschaft mitgetheilt, daß ein englischer Kriegsschooner draußen sei und er denselben anzugreifen gedenke. Die Leute waren augenscheinlich hoch entzückt darüber, und benahmen sich überhaupt so entschlossen, als sich Männer nur benehmen können.

Sobald die Stella die Bay hinter sich hatte, wurde Alles zum Treffen bereit gehalten, und ich muß sagen, daß ihre Bewegungen mit wunderbarer Ruhe und Schnelligkeit ausgeführt wurden. Wir steuerten auswärts, bis wir ungefähr fünf Meilen See hatten; dann bogen wir um und segelten längs der Küste gegen Havannah.

Sobald die Stella ihren Schnabel Havannah zugewandt hatte, kam Vincent herunter. Ich hatte in der letzten Zeit auf einem der Kajütensopha's geschlafen, war aber die Nacht in meinen Kleidern geblieben, da ich nicht überzeugt war, ob es nicht noch vor dem Morgen zum Treffen kam.

Der Pfeil hatte in Erfahrung gebracht, daß unsere Rendezvous-Bucht irgendwo an dem östlichen Ende der Insel liege; er hatte danach gekreuzt, sie aber nicht entdecken können.

Vincent warf sich auf das andere Sopha, und ich that, als ob ich schliefe, da ich mich in kein Gespräch mit ihm einlassen mochte; denn ich war zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt und fühlte, daß wir in einem solchen Augenblick nichts mit einander gemein haben konnten. Er schlummerte bald ein und sprach in seinem Schlafe. Es war klar, daß er im Treffen zu sein vermeinte, denn er gab Befehle, sprach hie und da einige Worte laut, und dann schien es, als habe er den englischen Schooner genommen und als sei er jetzt in Erfüllung seiner Rachegelübde begriffen. Ich schauderte, als ich die halb gebrochenen Drohungen und das triumphierende Lachen vernahm, die hin und wieder seinen Lippen entfuhren. Ich stand auf und beobachtete ihn in seinem Schlafe. Seine Hände waren ohne Unterlaß in Bewegung, seine Fäuste zusammengeballt, und er lächelte. Barmherziger Himmel! Welch' eine Schreckensgeschichte von wilder Grausamkeit verkündigte nicht dieses Lächeln, wenn er siegte! Ich kniete nieder und betete zu Gott, daß ihm seine Anschläge mißlingen möchten. Als ich aufstand, hörte ich ein Geräusch und Sprechen auf dem Deck, und bald kam einer der Maten in die Kajüte herunter.

»Wie liegt der Schooner?« rief Vincent, von seinem Lager auffahrend, als wüßte er instinktmäßig, was ihm gemeldet werden sollte.

»Zwei Striche gegen die Luvseite, Kapitän,« versetzte der Neger. »Ich glaube, er hat die Vorderschote windwärts.«

»Wie ist's an der Zeit?«

»Der erste Glockenruf in der Morgenwache; es wird in einer Stunde tagen.«

»Sehr gut. Wie weit liegt er ab?«

»Ungefähr vier Meilen.«

»Laß auf die Posten pfeifen: ich werde sogleich auf sein.«

Vincent nahm seinen Säbel herunter und befestigte ihn an seinem Wehrgehänge; dann untersuchte er die Zündpfannen seiner Pistolen und steckte sie in seinen Gürtel. Ich stellte mich noch immer schlafend, und als er aus der Kajüte ging, wandte er sich noch einmal nach mir um.

»Der arme Knabe schläft. Nun, warum sollte ich ihn wecken? – die Kanonen werden es ohnehin bald genug thun.« Mit diesen Worten begab er sich nach dem Decke hinauf.

Ich überlegte, was ich thun sollte. Auf das Deck hinaufzugehen war für mich, als einen Weißen, kaum gerathen, und in der That, was hätte ich auch dort zu schaffen gehabt? Warum sollte ich mich den Schüssen meiner Landsleute aussetzen oder Gefahr laufen, mein Leben durch die Wuth der Neger zu verlieren? Ich beschloß daher, zu bleiben, wo ich war – jedenfalls einmal vor der Hand.

Die Neger kamen jetzt in die Kajüte, denn die hintere Pulverkammer befand sich unter dem Vordertheile derselben. Der Luckendeckel wurde abgenommen, die Schirme niedergelassen, und Alles war dunkel. Ich konnte jetzt weiter nichts thun, als auf die Kommandoworte des Kapitäns Acht haben und daraus meine Folgerungen über den Fortgang der Angelegenheiten ziehen.

Ungefähr eine halbe Stunde wußte ich nicht, was ich aus Allem machen sollte; nach dieser Zeit erfuhr ich aber, was vorging. Ich hörte eine Stimme, die uns von einem andern Fahrzeuge aus anbreyete; und die Antwort der Stella war eine volle Lage. Hierüber konnte kein Irrthum stattfinden. Dann wurde die Stella umgedreht und die andere volle Lage gegeben, ohne daß von dem Gegner eine Erwiederung gekommen wäre. Endlich folgte aber diese, und als die Kugeln über die Planken des Schanddeckes hinzischten und sie zerschmetterten, wurde es mir ganz wundersam zu Muthe. Ich war nie zuvor in einem Treffen gewesen, und ich gestehe, daß sich Furcht meiner bemächtigte; sie war indeß so mit Neugierde über das, was vorging, gemischt, daß ich mir über meine eigentliche Stimmung durchaus nicht klar wurde. Ich hätte mögen auf dem Decke sein und wäre auch zuverlässig hinausgegangen, wenn ich's unter der Seeräuberbande für geheuer gehalten hätte; dieß war nämlich das einzige Hinderniß, weßhalb ich in dem höchst bedrückenden Zustande von Unwissenheit und Spannung verblieb.

Die Lagenfeuer wurden rasch gewechselt, und die Verwundeten, welche mit jeder Minute in's Zwischendeck hinuntergebracht wurden, sagten mir, daß es ernstlich zuging. Hin und wieder vernahm ich die Befehle des Negerkapitäns; sie waren kaltblütig und entschlossen. Jede Minute wurde ein neues Manöver ausgeführt, und die Geschütze arbeiteten noch immer, als ob nichts Anderes da wäre, was der Bedienung bedürfte. Endlich brach das Tageslicht durch die Lucke herunter, und ich verließ jetzt, zwischen den Decken nach vorn gehend, die Kajüte. Das Deck war mit Verwundeten und Sterbenden, die nach Wasser riefen, angefüllt. Ich freute mich, im Stande zu sein, wenigstens Etwas mit gutem Gewissen thun zu können, und holte Wasser aus dem Fasse, das ich, so schnell es gehen wollte, einem nach dem andern reichte. Ich glaube, es waren wenigstens dreißig Menschen, die auf dem untern Deck umherlagen; einige davon schwammen in ihrem Blute und starben zusehends dahin, denn es war kein Wundarzt an Bord der Stella.

Es wurden einige weitere Verwundete heruntergebracht, und nun entspann sich ein Gespräch zwischen einem Maten des Schooners, der Schaden genommen hatte, und den Männern, welche die Verwundeten in den Untenraum schafften. Ich hörte zu und fand, daß man mit Tagesanbruch eine englische Fregatte unter vollen Segeln entdeckt habe, welche etwa fünf Meilen seewärts lavirte; die Stella führe daher jetzt ein laufendes Gefecht mit dem windwärts liegenden Schooner, und versuche zu entkommen. Dieß erklärte mir die Signale, welche ich Abends zuvor bei dem englischen Schooner bemerkt hatte. Meine Beklommenheit wurde durch diese Nachricht natürlich sehr vermehrt. Die Stella versuchte zu entwischen, und sie war eine so merkwürdig schnelle Seglerin, daß ich fürchtete, es möchte ihr gelingen.

Der Kampf wurde noch immer zwischen den beiden Schoonern fortgeführt; aber kein Schuß traf mehr den Rumpf wie denn auch keine Verwundeten mehr heruntergebracht wurden. Es war augenscheinlich, daß die beiden Fahrzeuge jetzt gegenseitig nach den Masten und dem Takelwerk feuerten, das eine, um durch Abtakelung des Gegners das Entkommen möglich zu machen, das andere, um es zu verhindern. Ich hätte meine linke Hand darum geben mögen, wenn ich auf dem Decke hätte mit zusehen können. Ich wartete noch eine halbe Stunde; dann aber überwältigte die Neugierde meine Furcht, und ich kroch sachte die Vorderleiter hinauf. Die Mannschaft ließ das Geschütz auf der Luvseite spielen, während die Leeseite des Decks leer war; ich ging daher vorwärts bis nach dem Schnabel, wo ich sowohl windwärts als leewärts sehen konnte. Im Lee bemerkte ich auf vier Meilen Entfernung die Fregatte, welche jeden Streifen Segel, der dem Winde geboten werden konnte, ausgesetzt hatte. Ich erkannte sie im Augenblick – es war die Kalliope( mein Schiff!) und das Herz schlug mir in rascheren Schlägen bei dem Gedanken, vielleicht bald wieder an ihrem Borde zu sein.

Wenn hin und wieder luvwärts der Rauch wegfegte, konnte ich den Pfeil in der Entfernung von einer Meile mit der Stella auf gleichen Gang abheben sehen. Alle zehn Sekunden fegte der Rauch aus den Kanonenmündungen über die Oberfläche des Wassers hin, und die Kugeln zischten durch unser Takelwerk. Er hatte nicht viel von unserem Feuer gelitten, denn obschon seine Segel sehr durchlöchert waren, so hatten doch seine Spieren keinen Schaden genommen. Ich wandte sodann meine Blicke auf die Masten und das Takelwerk der Stella: ihre Beschädigung war so ziemlich von gleicher Art, wie die des Pfeils, denn unsere Segel waren zerrissen, die Spieren jedoch in gutem Zustand.

Trotz des steifen Windes war das Wasser glatt, und beide Schooner liefen mit einer Geschwindigkeit von sechs oder sieben Meilen in der Stunde; die Stella aber hatte augenscheinlich den Vortheil des Segelns und dem Gegner einen Vorsprung abgewonnen. Ich bemerkte, daß Alles von einem glücklichen Schuß abhing, und zufrieden mit dem Geschehenen eilte ich wieder hinunter.

Mehr als eine halbe Stunde dauerte das Feuern ohne Vortheil auf irgend einer Seite fort, als mit einem Male ein Geschrei der Negerbande laut wurde und ich von dem Decke her den Ruf vernahm, daß der Fockmast des Pfeils abgeschossen sei. Ich vernahm Vincent's Stimme, der seine Leute ermunterte und sie aufforderte, nur recht stetig zu zielen. Der Muth entsank mir bei dieser Kunde – ich setzte mich auf eine Truhe nieder.

Das Feuer ließ jetzt nach, denn die Stella war dem englischen Schooner vorangeeilt und die Neger auf dem Deck lachten in höchlich guter Laune. Ein paar Minuten hörte das Geschütz ganz zu spielen auf, und ich hielt es für ausgemacht, daß die Stella ihre Verfolger weit hinter sich gelassen habe. Da fuhr plötzlich eine volle Lage in unser Fahrzeug – auf dem Decke hörte man ein furchtbares Krachen, und Alles war voll Verwirrung.

Ich eilte die Leiter hinauf, um zu sehen, was vorgefallen war. Als die Stella die Buge des Pfeiles kreuzte, schien sich dieser als letzten Versuch in den Wind geworfen und uns eine volle Geschützlage zugesandt zu haben. Zwei Kugeln hatten unsern großen Mast getroffen, so daß derselbe auf den Boden stürzte. Jetzt sah ich, daß für die Stella alle Hoffnung verloren war – nichts konnte sie retten; wenn sie auch dem Schooner Widerstand leistete, so vermochte sie doch nicht, der Fregatte zu entrinnen.

Ich eilte hinunter und ging in die Kajüte, weil ich fürchtete, die Neger möchten mir meine Freude ansehen. Ich vernahm die zornige Stimme des Negerkapitäns, hörte ihn wüthend auf den Boden stampfen und dankte Gott, daß ich nicht an seiner Seite war. Die Trümmer des Mastes waren bald weggeräumt. Ich hörte, wie Vincent seine Neger anredete und ihnen bemerklich machte, daß es weit besser für sie sei, neben ihren Kanonen zu sterben, als an den Raaen zu baumeln, wie die Hunde. Einige derselben kamen herunter und holten ein Viertelfaß Branntwein auf das Deck, welches reichlichen Vorrath für Alle enthielt. Der englische Schooner war uns jetzt nachgerudert, und das Gefecht begann auf Pistolenschußweite. Nie werde ich vergessen, was in den nächsten drei Viertelstunden stattfand. Die meistentheils betrunkenen Neger fochten mit unbeschreiblicher Wuth, und in ihr Gebrülle, ihr Schreien und ihre Flüche mischte sich der laute Donner der Kanonen, das Krachen der Spieren und Schutzwehren, hin und wieder das Gewinsel der Verwundeten und Vincent's gewaltige Stimme. Zwischen den Decken war es fürchterlich; der Rauch war so dick, daß Diejenigen, welche kamen, um Pulver zu fassen, ihren Weg nach dem Schirme tasten mußten. Alle zwei Sekunden hörte ich Männer nach hinten kommen, welche mit der Branntweinkanne klappten und sie auf das Deck warfen, wenn sie wieder an ihre Arbeit bei den Kanonen gingen.

Nachdem die vorerwähnte Zeit abgelaufen war, kamen die Kugeln nicht nur von der Leeseite, sondern auch von der Luvseite her. Die Fregatte war in Schußweite gekommen und ließ ihre Lagen spielen. Das Feuern und Brüllen auf der Stella machte zwar noch fort, aber die Stimmen wurden weniger und je nachdrücklicher die Salven der Fregatten krachten, desto schwächer und schwächer tönten die unsrigen, bis zuletzt nur noch hin und wieder eine Kanone von unserem Decke abgefeuert wurde.

Ich wurde so unruhig, daß ich nicht mehr bleiben konnte, wo ich war. Ich ging auf dem Unterdeck wieder vorwärts, stolperte über Verwundete und Todte, und stieg die Vorderleiter hinan. Ich sah über die Scheerstöcke der Lucke; die Decken waren frei von Rauch, da nicht ein einziges Geschütz mehr abgefeuert wurde. Barmherziger Himmel! welch eine Blutscene! Viele von den Kanonen waren unbrauchbar geworden und die Decken mit den Splittern und Planken des Schanddecks bestreut. Nach allen Richtungen lagen zerbrochene Spieren und todte oder betrunkene Neger – einige davon in Stücke zerrissen, andere noch ganz, aber unter Fragmenten anderer Körper. In meinem Leben habe ich nie ein so entsetzliches Schauspiel gesehen. Unter der ganzen Mannschaft waren nicht zwanzig Personen unbeschädigt geblieben, und diese lehnten oder lagen von Anstrengung erschöpft oder vom Branntwein überwältigt in den verschiedenen Theilen des Decks umher.

Der Kampf war vorüber; auch nicht ein einziger Mann befand sich an seiner Kanone, und von den noch Lebenden fielen etliche während ich zusah, von den Schüssen, die unablässig mit jeder Minute die Schutzwehren durchbohrten. Wo war Vincent? Ich wagte es nicht zurückzugehen und nach ihm zu sehen, denn ich mochte seinem Auge nicht begegnen. Abermals tauchte ich hinunter und kehrte nach der Kajüte zurück. Es geschah keine Nachfrage mehr nach Pulver, und Niemand ließ sich hinten sehen. Plötzlich wurde das Hintere Luckengitter aufgerissen. Ich hörte Jemand heruntersteigen und erkannte in dem hastigen Tritte den Negerkapitän. Es war so dunkel und die Hütte so voll Rauch, daß er, aus dem Lichte kommend, mich nicht bemerkte, obschon ich ihn deutlich sah. Er war augenscheinlich schwer verwundet und wankte. Als er in die Kajüte trat, tastete er in dem Gürtel nach seinen Pistolen, worauf er anfing den Schirm niederzureißen, der zwischen ihm und der Pulverkammer lag. Ich konnte klärlich entnehmen, daß es seine Absicht war, das Fahrzeug in die Luft zu sprengen.

Ich fühlte, daß ich keinen Augenblick zu verlieren hatte, weßhalb ich an ihm vorbeistürzte, die Leiter hinaufeilte, hinten auf den Hackebord sprang und mich über den Spiegel in die See warf. Ich war noch nicht wieder an die Oberfläche ausgetaucht, als ich die Explosion hörte und fühlte – ja, und zwar so gewaltig fühlte, daß mir fast unter dem Wasser die Sinne schwanden. Es schwebt mir noch eine matte Erinnerung vor, als sei ich von dem Wirbel des sinkenden Schiffes niedergezogen worden und als habe ich mich unter Bruchstücken von Brettern und umhergeworfenen Leichen wieder nach oben gearbeitet. Als ich wieder bei voller Besinnung wär, fand ich, daß ich mich an ein Stück des Wrackes anklammerte und in einer Art dintenschwarzer Pfütze auf dem tiefblauen Wasser schwamm, während allenthalben Bruchstücke des Schooners umhergestreut lagen.

So verblieb ich einige Minuten, während welcher Zeit die Erinnerung zurückkehrte. Ich sah umher und bemerkte in einer Entfernung von hundert Ellen den ganz abgetakelten Pfeil, während meine eigene Fregatte, so schön und frisch, als käme sie eben erst aus der Hand des Schiffbauers, etwa eine Viertelmeile seewärts lag. Die Kalliope gab dem Schooner ein Signal, welches beantwortet wurde. Umsonst blickte ich in der Hoffnung nach dem Schooner hin, er werde ein Boot niederlassen. Die Kalliope hatte ihm allerdings das Signal dazu gegeben, er aber darauf erwiedert, daß ihm kein schwimmfähiges Boot zur Verfügung stehe. Ich bemerkte dann, daß die Fregatte ein Boot niederließ, das auf mich zuruderte, und jetzt betrachtete ich mich als geborgen.

Nach einigen Minuten, während welcher ich mich wieder völlig erholt hatte, drang das Boot in das Gewühl schwimmender Bruchstücke ein, worauf die Matrosen zu rudern aufhörten und umherschauten. Sie bemerkten mich, kamen auf mich zu, hißten mich über das Schanddeck und legten mich auf den Boden des Bootes.

Ich half mir auf die Beine und würde nach dem Hintersitze gegangen sein, wenn nicht der Midshipman des Bootes zu den Matrosen gesagt hätte, sie sollten den verwünschten jungen Seeräuber vorn behalten und ihn nicht nach hinten kommen lassen.

Oho, Mr. Lascelles, dachte ich, du kennst mich also nicht? Nun, du sollst demnächst Gelegenheit dazu haben. Ich vergaß ganz, daß ich schwarz gefärbt war, bis mich einer der Matrosen am Kragen packte und mit den Worten vorwärts riß:

»Haltet den Neger fest. Na, das ist 'mal eine junge Zucht für den Galgen.«

Man schaffte mich vorwärts, und ich beschloß, vor der Hand incognito zu bleiben. Meine Liebhaberei für einen Spaß kehrte in dem Augenblick zurück, als ich wieder unter meinen Schiffsgenossen war. Nachdem sie sich sorgfältig umgesehen und die Ueberzeugung gewonnen hatten, daß ich der einzige war, der am Leben geblieben, ruderten sie nach der Fregatte zurück, und der Midshipman ging hinauf, um zu rapportiren. Ich wurde sodann gleichfalls hinaufgeschafft und blieb an dem Ende des Ganges, während der Kapitän und der erste Lieutenant mit Mr. Lascelles sprachen. Mittlerweile kam auch Mr. Tommy Dott in meine Nähe und legte, mit der Zunge gluckend, den Finger an sein linkes Ohr, womit er sagen wollte: »Du wirst gehangen werden mein guter Junge.«

Ich konnte mir's nicht versagen, Tommy's Mittheilung mit dem ersten Freimaurerzeichen, das ich Mr. Green gelehrt hatte, zu erwiedern – das heißt, ich setzte den Daumen an meine Nase und streckte meine Finger gegen ihn aus, worüber Tommy Dott viel Entrüstung zeigte und mich ein köstlich unverschämtes Gewürm nannte. Die Leute in unserer Nähe lachten und meinten, es sei jedenfalls ein guter Spaß. Niemand kannte mich, denn mein Gesicht hatte nicht nur seine braune Beize, sondern ich war auch vom Kopf bis zu den Füßen mit einer Auflösung von Salzwasser und Schießpulver getränkt, welche mich noch unkenntlicher machte.

Ich war ein paar Minuten an dem Gange gestanden, als der erste Lieutenant den Gefangenen vorzuführen befahl.

Ich begab mich auf der Stelle nach hinten, und sobald ich vor Kapitän Delmar und dem ersten Lieutenant stand (in der Nähe befanden sich die übrigen Offiziere, welche gespannt meinen Entdeckungen entgegensahen) – legte ich die Hand an meinen Kopf, denn man kann sich denken, daß ich keinen Hut hatte, und sprach: » Komme an Bord, Sir,« wie gewöhnlich Offiziere sich anmelden, wenn sie von einem Auftrage oder aus dem Urlaub zurückkehren.

»Guter Himmel! Diese Stimme! – Ei, wer bist du?« rief Kapitän Delmar, einen Schritt zurückprallend.

»Percival Keene, Sir,« versetzte ich, die Hand abermals an meinen Kopf legend.

Bob Croß, der sich mit vielen Matrosen in meiner Nähe befand, vergaß der Etikette so ganz und gar, daß er herzu eilte, mich um den Leib faßte und mir voll in's Gesicht sah.

»Er ist's, Sir – er ist's? Hussah! Hussah!« rief er, und alle Matrosen stimmten unter schallendem Gelächter mit ein.

»Barmherziger Himmel! Und Sie sind also in jenem Schiffe mit aufgeflogen?« sprach der erste Lieutenant sehr freundlich, indem er auf mich zutrat. »Sind Sie sehr verbrannt? Ei, er ist ja ganz schwarz – wo ist der Wundarzt?«

»Ich bin durchaus nicht beschädigt, Sir,« versetzte ich.

»Nehmt ihn hinunter und untersucht ihn,« sagte der Kapitän mit einiger Bewegung. »Wenn er keinen Schaden genommen hat, so soll er zu mir in die Kajüte kommen.«

Der Kapitän ging die Leiter hinunter, worauf ich Tommy Dott, wie auch allen übrigen Offizieren und Midshipmen die Hand drückte. Mein Wiederauftauchen schien allgemein große Freude zu veranlassen. Ich begab mich sodann nach der Konstabelkammer hinüber und wurde entkleidet. Man wunderte sich, mich nicht verwundet zu finden, noch mehr aber, daß ich am ganzen Leibe schwarz war, und daß das Waschen meine Farbe nicht wieder herstellen wollte.

»Ei, Keene,« sagte der erste Lieutenant, »wie kömmt's, daß Sie Ihre Farbe geändert haben?«

»O, Sir, ich habe in den letzten drei Monaten den Neger spielen müssen. Es ist eine lange Geschichte, aber ich will mit Ihnen zu dem Kapitän gehen, und sie dort erzählen.«

Sobald ich mich in meine Uniform gesteckt hatte, verfügte ich mich mit Mr. Hippesley nach der Kajüte hinauf, wo ich auf des Kapitäns Geheiß einen Stuhl nahm und auf eine ausführliche Schilderung meiner Erlebnisse einging, die länger als eine Stunde dauerte.

Sobald ich zu Ende gekommen war, verließ Mr. Hippesley, der zwar auf dem Decke alle Hände voll zu thun hatte, aber sich nicht entfernen wollte, bis er meine Geschichte ausgehört hatte – die Kajüte, und ich war mit dem Kapitän allein.

»Ich muß sagen, daß ich Sie schon für verloren gab,« sagte Kapitän Delmar. »Die Bootsmannschaft wurde des andern Tags aufgelesen und meldete, daß Sie in der Kajüte des Schoners ertrunken seien. Die Spitzbuben haben Sie also in solcher Weise Ihrem Schicksale Preis gegeben!«

»Ich glaube nicht, daß sie ein Vorwurf trifft, Sir, denn das Wasser stand schon sehr hoch in der Kajüte, und ich antwortete nicht auf ihr Rufen.«

»Haben sie wirklich gerufen?«

»Ja, Sir, ich hörte sie rufen, als ich im Halbschlafe dalag, und gab ihnen keine Antwort.«

»Nun, es freut mich, dieß von Ihnen zu hören. Wir sind indeß so überzeugt von Ihrem Tode gewesen, daß ich Ihrer Mutter den Vorfall gemeldet habe. Seltsam, daß sie schon das zweite Mal in dieser Weise betrübt werden mußte. Sie scheinen ein gefeietes Leben zu haben, Mr. Keene.«

»Ich hoffe, ich werde lange genug leben, um Ihrem Schutze Ehre zu machen, Sir,« versetzte ich.

»Ich hoffe es gleichfalls, Mr. Keene,« versetzte der Kapitän sehr freundlich, und zwar von ganzem Herzen. »Sie haben sich in dieser ganzen Angelegenheit sehr männlich benommen. Ihr Betragen macht Ihnen große Ehre, und Ihre Mutter darf stolz auf Sie sein.«

»Danke, Sir,« erwiederte ich, denn ich war ganz entzückt, eine solche Sprache aus Kapitän Delmars Mund zu vernehmen. In meinem Innern dachte ich aber: wenn er sagt, meine Mutter dürfe stolz auf mich sein, so unterhält er selbst ein gleiches Gefühl.

»Natürlich können Sie unter Ihrer gegenwärtigen Maskerade keinen Dienst thun,« fuhr der Kapitän mit Bezugnahme auf meine gefärbte Haut fort. »Indeß wird sie sich vermuthlich nach und nach abtragen. Sie speisen heute mit mir. Jetzt können Sie zu Ihren Tischgenossen gehen.«

Ich verließ die Kajüte mit einer sehr ehrfurchtsvollen Verbeugung und hoch erfreut über meine Aufnahme. Meine Tischgenossen suchte ich aber erst auf, nachdem ich Bob Croß begrüßt hatte, der über mein Wiedererscheinen eben so entzückt zu sein schien, als mein Vater.

Ich überlasse es dem Leser, sich das Lever vorzustellen, das ich jetzt sowohl auf dem Halbdecke als im Raum unten gab. Hippesley konnte keinen der Offiziere zu Vollziehung seiner Obliegenheiten bringen, und zwei oder drei Tage lang war ich unstreitig die bedeutendste Person im Schiffe. Dann erst gewann ich Zeit, Bob Croß meine ganze Geschichte in Ruhe zu erzählen.

Bob Croß, der mich ohne Unterbrechung hatte ausreden lassen, entgegnete sodann:

»Nun, Mr. Keene, Niemand kann sagen, wozu ein Mensch geboren ist, bis ihn der Tod in die Mache genommen hat, und dann weiß man's freilich; mir aber scheint's, Sie sind zu nichts Schlechtem auf die Welt gekommen. Der Tausend auch – sind noch nicht sechszehn Jahre und spielen nicht nur 'ne Mannsrolle, sondern führen sie auch durch, wie ein Mann. Stecken's da in den größten Schwierigkeiten, und am End' sind's immer wieder auf die Füße gefallen. 's ist, als ob sie einen alten Kopf auf blutjungen Schultern hätten – das eine Mal ein spitzbübischer, muthwilliger Junge, das andere Mal ein entschlossener, kaltblütiger und verständiger Mann. Die Umstände, heißt's, machen Etwas aus den Leuten, und so scheint's bei Ihnen der Fall zu sein. Doch darf es Einem wohl sonderbar vorkommen, wenn ein und derselbe Junge im nächsten Augenblick dem Proviantmeister seine Pflaumen stiehlt, und dann einen Teufel von Negerpiraten um seinen Finger wickelt. Und wie's bei Ihnen immer so gut abläuft – zweimal schon im Hauptquartier als todt rapportirt, und zweimal wieder lebendig geworden. Nun, Mr. Keene, ich hab' Ihnen sehr gute Neuigkeiten mitzuteilen. Sie wissen gar nicht, wie hoch Sie bei dem Kapitän und den Offizieren angeschrieben sind. Freilich trifft der Neid Jeden, jung oder alt, der vorwärts kömmt, und dieß macht die Leute blind gegen wahres Verdienst. Meint man aber, es sei Einer todt und stehe Anderen nicht länger im Weg', so sagt Jedermann die Wahrheit, und ich kann Sie versichern, daß nicht nur die Offiziere, sondern auch der Kapitän Ihren Verlust sehr ernstlich beklagten. Ich hab' mehr als einmal gesehen, wie des Kapitäns Auge blinzelte, wenn von Ihnen die Rede war, und der erste Lieutenant sagte den anderen Mids immer, seit Sie dahin seien, habe er keinen mehr, der sein Salz an die Suppe verdiene. Und nun Sie zurückgekommen sind, und Sie so viel Ehre erworben haben, für das, was vorgegangen, so glaube ich unstreitig, daß der Kapitän stolz auf Sie ist. Ich hörte ein kleines Gespräch zwischen ihm und dem ersten Lieutenant – 's war an dem Tag, als Sie wieder an Bord kamen, und nachdem Sie in der Kajüte Ihre Abenteuer erzählt hatten – na, ich will nicht weiter sagen, als daß Sie gewonnen Spiel haben, wenn Sie nur Ihre Karten zu Rathe halten, und den Kapitän Delmar nie wissen lassen, es sei Ihnen bekannt, was für Ansprüche Sie an ihn zu machen haben.«

»Ich will ihm zuverlässig nicht aus dem Traume helfen, da es seine Liebe gegen mich ersticken könnte,« versetzte ich.

»Ganz recht so. Ich habe oft an Sie gedacht, und da ich nun große Stücke auf Sie halte, so gebe ich oft um Ihretwillen auf den Kapitän Acht, und horche, wenn sich Gelegenheit bietet, besonders auf Das, was er nach dem Diner sagt; denn schauen's, wenn Gentlemen Wein trinken, so rücken sie weit früher mit ihren Gedanken heraus, und grade so geht's uns Fockmastleuten, wenn an Bord der Grog ausgetheilt wird. Das größte Unglück, das Ihnen in Ihrer Lage passiren könnt', wäre, wenn der Kapitän heirathen thät' und Kinder kriegte, auf der rechten Seite des Leintuchs, wie man's heißt. Nun habe ich aber oft gehört, daß der Kapitän sich als kein großer Freund des Ehestands hat vernehmen lassen, und daß er über Leute, welche heirathen, lacht, was mir um Ihretwillen, Mr. Percival, viel Freude macht. Wenn übrigens ein Mann über vierzig ist, schauen's, so denkt er nicht mehr viel an's Heirathen, und der Kapitän muß Fünfzig sein, wo nicht mehr.«

»Ja; aber mit dem Absterben seines Bruders, der jetzt schon ein gebrechlicher Mann ist, wird der Kapitän Viscount de Versely, und erbt große Besitzungen. Wenn dann auch gerade nicht die Liebe im Spiele ist, wird er doch heirathen, um einen Erben seiner Titel und Reichthümer zu bekommen.«

»Kann sein,« versetzte Croß; »man kann da nichts behaupten. Indeß, selbst wenn er's thut, so ist's noch nicht gewiß, daß er Familie kriegt. Man muß die Haut des Bären nicht verkaufen, eh' man ihn hat. Beten Sie nur fleißig, daß sich der Bruder so zäh' ausweisen möge, wie unsere alten Admirale, die vor Alter blind werden, und deren Geist sich lange vor ihren Rümpfen abnützt.«

»Warum leben wohl die Admirale so lang?«

»Ei, schätz' wohl, es ist aus demselben Grunde, warum eingesalzenes Fleisch so viel länger hält, als das frische. Sie haben sich vierzig oder fünfzig Jahre mit Salzwasser das Gesicht gewaschen und die Jacken genetzt, und so sind Sie, schauen's, mit der Zeit geworden, wie wenn sie eingepöckelt wären. Weil wir indeß gerad' davon reden, wie lang' wird's dauern, bis Sie diese Beize da wegkriegen?«

»Ich weiß es nicht; da aber der Kapitän sagt, ich solle, so lange sie hält, keine Dienste thun, so hoffe ich, sie wird sich nicht allzubald abtragen.«

»Gesprochen, wie ein Midshipman. Lassen Sie sich aber rathen, – wenn's auch nicht in Dienst kommandirt sind, so gehen's doch auf's Deck, und nehmen's Ihr Spähglas zur Hand.«

»Unglücklicherweise habe ich es verloren. Das war ein gutes Glas, denn es rettete mir das Leben.«

»Ja, es ist Ihnen ebenso zu gut gekommen, wie ein Freimaurerzeichen, was mehr ist, als Mr. Green davon rühmen kann. Ich glaub' nicht, daß er's je zu einem rechten Seemann bringen wird – er thät' daher gescheidter, wenn er Schreiber würd', und dann könnt' er vielleicht einmal einen Proviantmeister abgeben. Doch man schellt Acht, Mr. Keene; 's wird daher am besten sein, wenn wir uns gute Nacht sagen.«

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