Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neununddreißigstes Kapitel

Ich kehrte auf das Verdeck zurück, und der Schiffsmeister folgte mir.

»Das Barometer ist im Steigen,« sagte ich laut zu dem ersten Lieutenant; »vermuthlich wird daher die Bö gegen zwölf Uhr brechen.«

»Freut mich, dieß zu hören, Sir, denn wir haben ihrer gehörig satt,« versetzte der erste Lieutenant.

»Sehen Sie die Dryade?«

»Nein, Sir; 's ist schon wieder ganz Dick im Lee: wir haben sie seit zehn Minuten nicht mehr gesehen.«

Gott sei Dank dafür, dachte ich, denn man wird sie wohl nie wieder zu sehen kriegen. »Wie viel Tiefe haben Sie das letztem«! gemessen?«

»Vierzehn Faden, Sir.«

»Ich denke, wir werden, wenn's über das Ende der Bank geht, noch viel weniger kriegen,« entgegnete ich; »haben wir sie aber einmal im Rücken, so ist wieder Seeraum genug vorhanden.«

Der Kapitän ist in Zeiten der Gefahr ein Orakel; die Matrosen fingen daher jedes meiner Worte auf, und glaubten daraus die Ueberzeugung schöpfen zu dürfen, daß keine unmittelbare Gefahr vorhanden sei. Demungeachtet ging aber der Schiffsmeister ganz betäubt von der bevorstehenden Krise über das Deck. Kein Wunder! der Unterhalt einer Frau und einer Familie hing von dem Leben und der Thätigkeit des armen Teufels ab, und unter solchen Umständen läßt sich nicht wohl erwarten, daß ein Mann ohne schmerzliche Gefühle einem unausweichlichen Untergange entgegen sieht. Seeleute sollten eigentlich nie heirathen, oder doch, im Interesse des Dienstes, Xantippen in's Ehebett kriegen, damit sie noch gleichgültiger gegen ihr Dasein würden. Meine eigenen Gedanken in jener Stunde der Prüfung lassen sich in wenige Worte zusammenfassen: sie betrafen die Eitelkeit der menschlichen Wünsche. Was ich zur Erringung meines Zieles unternommen – wie sehr auch das Glück meine bisherige Laufbahn begleitet hatte – ob ich eines Tages Minnie hätte als Braut heimführen können – ob sich mein künftiges Loos als gut, schlimm oder gleichgültig gestaltet haben würde – durch all' dieses sollte der Rathschluß des Himmels in wenigen kurzen Stunden einen Strich machen. In der andern Welt freit man nicht, noch wird man gefreit – jenseits zerfallen Namen, Titel, Reichthum und alle Erdendinge in Nichts; ich hatte daher weiter nichts mehr zu thun, als wie ein Mann zu sterben, meine Pflicht bis auf den letzten Augenblick zu erfüllen und wegen Vergebung meiner Sünden auf Gottes Barmherzigkeit zu hoffen. Mit dieser Philosophie hielt ich mich auf das Schlimmste gefaßt.

Gegen Mittag klärte sich 's im Lee wieder auf; ich erhielt Meldung, daß die Dryade nicht mehr gesehen werde.

Wir hatten sie bereits seit drei Stunden außer Sicht verloren, weßhalb ich ihr Schicksal nur zu gut kannte – sie hatte hinreichend Zeit gehabt, an die Küste geworfen und von der Brandung zerschellt zu werden. Ich richtete jedoch mein Fernrohr in die Richtung, wo wir sie früher erblickt hatten, und bemerkte kaltblütig:

»Sie hat das Ende der Bank umschifft und vermuthlich aufgeduvt. Jedenfalls das Beste, was sie thun konnte.«

Sodann fragte ich den Schiffsmeister, ob er sein Chronometer aufgezogen habe, und ging in die Kajüte hinunter. Dort hatte ich die Karte kaum länger als eine Minute untersucht, als der Officier der Wache mit der Meldung herunterkam, daß wir uns auf zwölf Fuß Tiefe befänden.

»Sehr gut, Mr. Hawkins; wir werden in noch seichteres Wasser kommen! Melden Sie mir stets, welcher Wechsel im Ankergrunde vorgeht.«

Sobald sich die Kajütenthüre wieder geschlossen hatte, berechnete ich die Fluth, um zu sehen, wenn sie sich gegen uns wenden würde; ich fand jedoch, daß Letzteres wenigstens vor einer Stunde schon seinen Anfang genommen hatte. Dann wird's bald vollends sein, dachte ich, das Bleistift niederlegend.

»Mr. Croß, der Hochbootsmann, wünscht Sie zu sprechen, Sir,« rief die Schildwache zu der geöffneten Kajütenthüre herein.

»Er soll herein kommen,« versetzte ich. »Nun, Croß, was gibt's?«

»Ich sprach eben mit dem ersten Lieutenant, daß man einen Takelmantel aufziehen sollte, Sir – das Fockstag hat bedeutend Noth gelitten; das heißt, wenn Sie glauben, daß es nöthig sei.«

»Wie meinen Sie das ›Nöthigsein‹, Croß?«

»Je nun, Sir, obgleich man Ihnen nichts ansieht, so kann man doch das Gesicht des Schiffsmeisters, der doch wahrhaftig kein Feigherziger ist, als einen Barometer annehmen, daß wir Alle bald ›in einem andern Königreiche‹ sein werden. Ich habe zu oft in dieser See gekreuzt, um nicht ziemlich genau errathen zu können, wo wir sind, Kapitän Keene.«

»Nun, Croß, es hilft nichts, wenn ich auch in Abrede ziehen wollte, daß wir in einer Klemme sind, aus der uns nur ein Umschlagen oder Nachlassen des Windes helfen kann.«

»Just wie ich dachte, Sir. Nun, da läßt sich nichts ändern, und so hilft alles Lamentiren nichts. Ich glaube übrigens, daß sich die Bö brechen wird, und daß wir morgen früh schön Wetter haben.«

»Das kömmt ein Bischen zu spät, Croß, denn ich glaube, es wird in drei oder vier Stunden, wo nicht früher, aus mit uns sein.«

»Eilf Faden, Sir,« rapportirte der eiligst hereinkommende Wachoffizier.

»Gut, Mr. Hawkins; nur immer zu,« versetzte ich.

Sobald sich die Kajütenthüre wieder geschlossen hatte, fuhr ich gegen Croß fort:

»Sie sehen, die Fluth ist jetzt gegen uns, und es wird nicht mehr lange währen.«

»Nein, Sir; wir werden's bei dieser schweren See mit fünf Faden zu thun kriegen.«

»Freilich, aber ich wünsche die Mannschaft nicht vor der Zeit zu entmuthigen, damit sie fortwährend ihr Bestes thut.«

»Ich bin überzeugt, Sie nehmen's nicht übel, Kapitän Keene, wenn ich frag', was Sie zu thun gedenken.«

»Durchaus nicht, Croß; es ist meine Absicht, ehe ich handle, dem Schiffsvolk meine Gründe auseinanderzusetzen. Doch kann ich wohl zuvor Ihre Meinung anhören. Sobald wir auf sechs Faden stehen, gedenke ich die Masten kappen und ankern zu lassen.«

»Das ist unser einziger Ausweg, Sir.« Gelingt es und legt sich der Wind, so können wir noch mit heiler Haut davon kommen. Aber wie gedenken Sie zu ankern?«

»Ich werde den täglichen Anker mit dem Pflichtanker verkatten und mit letzterem zu gleicher Zeit den Teuanker gehen lassen, damit es einen gleichen Zug gibt.«

»Sie könnten nichts Besseres thun, Sir; aber die gute Ausführung verlangt Zeit zur Vorbereitung. Glauben Sie, es werde nicht zu spät sein, wenn wir schon auf sechs Faden stehen?«

»Sie haben da, wie mir scheint, vollkommen Recht, Croß; es wird daher wohl besser sein, wenn wir gleich jetzt unsere Einleitungen treffen.«

»Zehn Faden, Sir,« meldete der Offizier der Wache.

»Ganz recht; ich werde alsbald auf das Verdeck kommen.«

»Nun, Sir, wir müssen jetzt unsere Schuldigkeit thun, und da wir uns vielleicht nicht wieder zu sprechen kriegen,« sagte Croß, »so kann ich Ihnen nur Lebewohl sagen. Treffen wir uns in dieser Welt nicht wieder, so hoffe ich, daß es im Himmel oder doch so nahe als möglich bei demselben geschieht. Gott befohlen, Sir.«

»Gott befohlen, Croß,« erwiederte ich, indem ich ihm die Hand drückte. »Jedenfalls wollen wir unsere Schuldigkeit thun. Und jetzt zur letzten Rede vor unserem Ende!«

Croß verließ die Kajüte und ich folgte ihm. Sobald ich auf dem Decke war, forderte ich den ersten Lieutenant auf, das Schiffsvolk zusammenzuberufen und es nach hinten zu schicken. Als die Matrosen, mit Croß an ihrer Spitze, versammelt waren, stieg ich auf eine Karronade und sprach:

»Meine Jungen, ich habe euch rufen lassen, weil, trotz des augenscheinlichen Nachlassens der Bö, unser Wasser so schnell abnimmt, daß wir Gefahr laufen, noch ehe der Wind ganz bricht, an die Küste geworfen zu werden. Ich glaube daher, daß unsere beste Aussicht darin besteht, wenn wir die Masten kappen und, sobald wir uns auf fünf Faden Tiefe befinden, Anker werfen; vielleicht bleiben wir dann liegen, bis günstiger Wind einfällt. Jedenfalls müssen wir unser Bestes thun und auf die Vorsehung bauen. Vergesset aber nicht, meine Jungen, von welch' hoher Wichtigkeit es in Zeiten der Noth ist, daß wir ruhig und gefaßt bleiben. Ihr müßt Ordnung halten und euren Offizieren bis auf den letzten Augenblick gehorchen, da andernfalls eine Rettung rein unmöglich ist. Ihr habt euch bisher stets als treffliche Leute bewiesen, und ich bin überzeugt, daß ihr in dieser Weise fortfahren werdet. Möglich, daß wir nicht nöthig haben, die Masten zu kappen oder zu ankern, für den Nothfall aber müssen alle Vorbereitungen getroffen sein. Ich habe euch daher versammelt, um euch meine Absicht kund zu thun und euch zu bitten, daß ihr mir nach Kräften beisteht. Ich versehe mir's zu euch, daß ihr, wie brittische Matrosen, eurer Pflicht getreu bleibt. Weiter habe ich euch nichts mehr zu sagen, meine Jungen. Geben Sie das Entlassungssignal, Mr. Croß.«

Das Schiffsvolk begab sich schweigend wieder nach vorne. Es begriff die volle Ausdehnung der Gefahr. Der erste Lieutenant und der Hochbootsmann beorderten einen Theil der Matrosen zur Verkattung des täglichen Ankers mit dem Pflichtanker; die andern rollten die Kabeln von den Scheiben ab und schossen dieselben auf dem Hauptdeck aus, damit sie klar ablaufen möchten. Alle Hände waren eifrig beschäftigt, und in der Thätigkeit des Augenblicks vergaß man die Furcht. Die Arbeit ging stumm, aber in größter Ordnung vor sich. Mittlerweile hatte sich die Wasserhöhe bis auf acht Faden vermindert, und es war jetzt nahe an drei Uhr. Wir standen jedoch in den langen Tagen des Sommers und hatten in der That, wenn das Wetter schön war, wenig oder gar keine Nacht; dabei kam uns die Wärme sehr zu Statten.

Sobald mir gemeldet wurde, daß Alles bereit sei, machte ich die Runde, um mich zu überzeugen, daß die Ankertaue auch klar ablaufen würden. Nachdem ich Alles in Richtigkeit gefunden, sichtete ich die Mannschaft und stellte die Zuverlässigsten an die wichtigsten Posten. Dann kehrte ich nach dem Halbdeck zurück und rief die Zimmerleute nebst einigen der Marsgasten aus, sich mit den Aexten bereit zu halten, um die Masten, wie auch die Bindsel der Spieren und Boote abzuhauen. Die Befehle waren kaum ertheilt, als der Sturm ungestümer als je zu brausen anfing. Wir warm nun in sieben Faden Wasser und die Bö drängte schwer vorwärts.

Ich stand am Ende der Laufplanke, der erste Lieutenant und der Schiffsmeister an meiner Seite, Croß aber ein wenig nach vorn, wo er kein Auge von mir verwandte. Die Leute in den Puttingen fuhren fort, die Tiefen mit klarer und fester Stimme anzugeben: »Punkt Sieben,« »Sechs Dreiviertel,« »Sechs und ein Halb.« Endlich rief der in den Puttingen mir am nächsten Stehende, ein kräftiger, alter Backmann: »Punkt Sechs«– und zwar mit lauterer Stimme, als zuvor, gleichsam als wollte er trotzig sagen. »Die Zeit ist gekommen, mögen die Elemente ihr Schlimmstes thun.«

Die Zeit war gekommen. »Stille vorn und hinten! Jeder, dem nicht sein Posten angewiesen, unter das Halbdeck! Die Spierenbindsel abgehauen und die Boote losgemacht!«

Dieß war bald geschehen und Meldung darüber erstattet.

»Wohlan, meine Jungen, rüstig ausgehalten! Die Taljereepen in den Puttingen abgehauen!«

Die Taljereepen und Pardunen wurden, eines nach dem andern, durchhauen; die Masten ächzten und krachten; dann stürzten Fockmast und großer Mast fast zu gleicher Zeit über die Seite. Der Besanmast folgte, während die Fregatte sich luwärts herumdrehte und in den Wind kam. Das Deck des Schiffes war voll Trümmer und Verwirrung; indeß hatte ich hinreichende Vorsichtsmaßregeln treffen lassen, daß Niemand verletzt wurde. Wir hatten die Masten gekappt, ehe wir umholten, um zu ankern, da sie sonst nach hinten gefallen und so auf dem Schiffe liegen geblieben wären.

»An den täglichen Anker! Für die Kabel Platz gemacht! Los den Anker!«

Sobald die Kabel des täglichen Ankers beinahe abgelaufen war, wurden Pflicht- und Teuanker fast in demselben Augenblicke losgelassen, und nun sahen wir dem Ergebniß entgegen.

*

 


 << zurück weiter >>