Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel

Der Leser fragt, warum ich ihn mit einer Schilderung des Mr. Culpepper und seiner Familie aufhalte? Ich weiß es nicht. Jedenfalls will ich gerne bei jedem kleinen Ereigniß weilen, das sich zutrug, ehe ich mich das erstemal in die See des Lebens stürzte – wie etwa nackte Jungen eine Weile schaudernd an dem Ufer des New-River stehen, ehe sie sich entschließen können, in das unnatürliche Element zu stürzen; denn die Menschen sind keine Enten, obgleich sie einige Verwandtschaft zu den Gänsen zeigen, wenn sie sich auf das verrätherische Naß wagen.

Die Thüre ging auf, und ich trat vor Mrs. Culpepper und ihre Tochter – wie ich später entdeckte, die einzige Erbin von Mr. Culpepper's sämmtlichen Ersparnissen, von denen man wissen wollte, daß sie, nach dreißigjährigem Dienst des Proviantmeisters bei verschiedenen, Seiner Majestät angehörigen Schiffen, ein Namhaftes ausmachten.

Mrs. Culpepper war von einem ungeheuren Körperumfang, denn sie sah aus wie ein auf seinem Ende stehendes Federbett. Ihre Backen waren so groß wie ein Suppenteller, ihre Augen fast so unbemerklich wie die eines Maulwurfs, die Nase kaum sichtbar, und ihr Mund rund wie ein lateinisches O. Der Sage nach galt sie einmal in Devonshire als eine große Schönheit. Indeß hatte sie zuverlässig die Zeit in ihrer Eigenschaft als edax rerum bis jetzt unberührt belassen, um sich die Dame für eine künftige Gelegenheit als bonne bouche aufzubewahren.

Sie saß in einem sehr großen Armstuhl – in der That hätte kein Stuhl von gewöhnlichem Umfang eine solche Person zu fassen vermocht. Sie stand bei meinem Eintreten nicht auf, und ich bemerkte überhaupt, daß sie im Verlaufe von vierundzwanzig Stunden nur zweimal den Versuch machte, auf ihre Beine zu treten – das einemal, als sie aus ihrem Schlafgemach kam, welches mit der Wohnstube auf gleichem Boden lag, und das anderemal, als sie wieder in dasselbe hineinging.

Miß Culpepper hatte etwas von der Figur ihrer Mutter. Sie mochte etwa zwanzig Jahre zählen und war für ein Mädchen von ihrem Alter übermäßig fett; da indeß ihre Haut und ihr Teint leidlich zart war, so hielten sie Einige für schön, obschon sie in Aussicht stellte, so umfangreich wie ihre Mutter zu werden, die doch gewiß nicht zur Gattin eines Subalternen bei einem beweglichen Regimente paßte.

»Wen haben wir da?« fragte Mrs. Culpepper ihren Mann in einer Art von dumpfem Krächzen, denn ihr Hals war so mit Fett beladen, daß die Stimme kaum herauszukommen vermochte.

»Nun, ich weiß selbst nicht recht,« versetzte der Gentleman, seine Stirne wischend; »aber ich habe so meine eigene Gedanken.«

»O du liebe Barmherzigkeit, wie gar so ähnlich!« rief Miß Culpepper, indem sie zuerst mich und dann ihren Vater ansah. »Möchtest du nicht in den Garten gehen, kleiner Knabe?« fuhr sie fort. »Da, über den Oehrn und durch die Thüre hinaus – du kannst dann nicht fehlen.«

Da dieß fast wie ein Befehl lautete, so weigerte ich mich nicht, zu gehen. Sobald ich jedoch in dem Garten, einem kleinen Stückchen Boden hinter dem Hause, war, so reizte mich meine Neugierde, unter das offene Fenster der Wohnstube zu treten und zu horchen; denn es war augenscheinlich, daß man dort Etwas zu sagen wünschte, was ich nicht hören sollte.

»Wie von ihm abgerissen,« sagte die junge Dame.

»Ja, ja; in der That sehr ähnlich,« krächzte die Alte.

»Ich weiß weiter nichts,« entgegnete Mr. Culpepper, »als daß Kapitän Delmar mich beauftragt hat, ihn auszustatten, und daß er alle Kosten trägt.«

»Nun, das ist ein weiterer Beweis,« sagte die junge Dame. »Er wird nicht für anderer Leute Kind zahlen.«

»Er wurde hergebracht durch eine sehr achtbar aussehende – ich darf wohl sagen, interessante und hübsche Frau von etwa dreißig Jahren.«

»Dann muß sie wohl schön gewesen sein, als dieser Junge geboren wurde,« entgegnete die junge Dame. »Das ist mir wieder ein weiterer Beweis. Wo ist sie?«

»Sie fuhr diesen Morgen mit der Post ab und überließ den Knaben dem Kapitän, der den Beischiffführer beauftragte, ihn zu holen.«

»Da liegt ein Geheimniß,« versetzte die Tochter, »und deßhalb betrachte ich es als einen abermaligen Beweis.«

»Ja,« sagte Mr. Culpepper, »und zwar kann man es für einen starken nehmen. Kapitän Delmar ist übrigens so stolz und gewaltig, daß er es nicht würde leiden können, wenn man nur entfernt den Gedanken hegte, er wäre je im Stande gewesen, sich so weit herabzulassen, um mit Jemanden, der an Rang und Stellung unter ihm steht, eine Intrigue anzuspinnen. Er hat sie deshalb weggeschickt, verlaßt euch d'rauf.«

»Ganz so: und wenn dieser Knabe nicht Kapitän Delmar's Sohn ist, so bin ich kein Frauenzimmer.«

»Ich bin derselben Meinung,« versetzte der Vater, »und deßhalb hab' ich mich auch erboten, ihn unter meine Obhut zu nehmen, weil der Kapitän nicht weiß, was er mit ihm anfangen soll, bis seine Uniform fertig ist.«

»Gut,« entgegnete Miß Culpepper; »ich werde schon noch mehr ausfindig machen. Ich will, noch ehe er uns verläßt, Alles, was er weiß, aus ihm herauslocken, und dann das so Erzielte mit dem Uebrigen zusammenhalten.«

»Ja,« krächzte die fette Mutter, »Medea weiß so gut als eine, wie man etwas zusammenhalten muß.«

»Ihr müßt sehr höflich und freundlich gegen ihn sein,« sagte Mr. Culpepper, »denn verlaßt euch darauf, der Umstand, daß der Kapitän sich den Jungen fern halten muß, wird ihm Anlaß geben, ihn nur noch mehr zu lieben.«

»In dieser Hinsicht ist's doch nicht auszuhalten mit den Leuten,« bemerkte die junge Dame. »Es ist unbegreiflich, wie sich der Adel selbst so erniedrigen kann. Indeß ist's kein Wunder, daß sie sich hintendrein ihrer Thaten schämen und ihr eigenes Blut nicht anerkennen wollen.«

»Nein, wahrhaftig nicht,« krächzte die alte Dame.

»Wenn ein Frauenzimmer das Unglück hat, seiner Neigung nachzugeben, so lassen sie dasselbe nicht so leicht wieder los,« rief Miß Medea.

»Nein, wahrhaftig nicht,« krächzte die Mama abermals.

»Die Männer machen Gesetze und brechen sie,« fuhr Miß Culpepper fort. »Sogar in der civilisirtesten Gesellschaft steht die rohe Kraft oben an. Wenn nur alle Frauenzimmer meinen Sinn hätten, so wäre es wohl anders, und es gäbe mehr Gerechtigkeit.«

»Ich kann mich nicht unterfangen, mich mit dir einzulassen, Medea,« versetzte Herr Culpepper, »sondern nehme die Welt, wie ich sie finde, und schicke mich darein, so gut es geht. Ich muß mich jetzt entfernen, denn der Hausmeister wartet auf mich in dem Proviantmagazin. Bürste mir den Hut ein wenig aus, Medea, denn der Wind hat die Haare aufgerichtet. Mache, daß ich fortkomme.«

Ich trat sachte vor dem Fenster zurück. Ein neues Licht war mir aufgegangen. So jung ich auch war, so konnte ich doch auch Dieß und Das zusammenstellen. Ich erinnerte mich des Benehmens meiner Mutter gegen ihren Gatten Ben, des Widerwillens meiner Großmutter gegen den Kapitän Delmar, der Gespräche, die ich hin und wieder mit angehört hatte, der Frage meiner Mutter, welche sie unterdrückte, noch ehe sie dieselbe beendigt hatte – »ob ich wisse, wem ich diesen Schabernack angethan habe,« – der Besuche, welche meine Mutter von dem sonst so hochmüthigen und stolzen Kapitän Delmar empfangen, seines Versprechens, für mich zu sorgen, der Einschärfungen meiner Mutter, gehorsam gegen ihn zu sein und ihn wie einen Vater zu betrachten, und endlich der Bemerkung des Beischiffführers Bob Croß, »ob ich nicht von Delmar's Zucht sei« – alles dieses in Verbindung mit Dem, was ich eben gehört hatte, überzeugte mich, daß sie nicht ganz Unrecht in ihren Vermuthungen haben mochten, und daß ich zuverlässig ein Sohn des ehrenwerthen Kapitäns sei.

Meine Mutter war fort. Ich hätte Welten darum gegeben, wenn ich früher so viel gewußt hätte, um sie befragen und die Wahrheit von ihr erfahren zu können. Dieß war jetzt unmöglich, und ich dachte mir wohl, daß das Schreiben zu nichts führen würde, denn ich entsann mich wohl noch des Gespräches zwischen ihr und dem Kapitän, in welchem sie ein Geheimniß zu bewahren versprach, und der Antwort, die sie mir auf meine Fragen gegeben hatte. Es war also von nichts Etwas zu erwarten, als von meinen Bitten und Thränen, deren Gewalt über sie mir zur Genüge bekannt war. Auch Tante Milly zu fragen, war zwecklos, denn sie plauderte gewiß die Geheimnisse ihrer Schwester nicht aus, weßhalb ich mich entschloß, vor der Hand über die Sache zu schweigen. Außerdem vergaß ich nicht, daß Mr. Culpepper gesagt hatte, Kapitän Delmar würde es nicht ertragen können, wenn Jemand auf die Vermuthung käme, daß ich sein Sohn sei. Ich faßte daher den Entschluß, ihn nicht entfernt ahnen zu lassen, daß ich etwas von der Geschichte wisse oder überhaupt einen Begriff davon habe.

Ich verharrte mehr als eine Stunde in tiefen Gedanken, und es war sonderbar, welch einen Tumult diese Entdeckung in meinem jungen Herzen anrichtete. Ich konnte kaum die Natur meiner Stellung begreifen, und doch gefiel ich mir darin. Ich hielt mich bereits für eine bedeutsamere Person, und meinte sogar, ich sei jetzt mehr fähig, zu denken und zu handeln, als ich es vor vierundzwanzig Stunden gewesen.

Ich wurde jedoch durch Miß Medea aus meinen Träumereien gestört, die nach der Hinterthür kam und mich fragte, ob ich noch nicht genug spazieren gegangen sei, und ob ich nicht hereinkommen wolle.

»Sind Sie nicht hungrig, Master Keene? Beliebt Ihnen nicht ein Stückchen Kuchen und ein Glas Korinthwein, ehe das Mittagessen eingenommen wird? Wir speisen nicht vor drei Uhr.«

»Wenn Sie so gut sein wollen,« versetzte ich, denn ich wollte die Bestechung nicht zurückweisen, obwohl ich wohl wußte, warum sie mir geboten wurde.

Miß Medea brachte den Kuchen und Wein. Sobald ich damit fertig geworden; was nicht sehr lange währte, fing sie, wie ich erwartet hatte, ihr Ausholen an, dessen Zweck ich jedoch, aus reiner Oppositionslust, zu vereiteln beschloß.

»Es ist Ihnen wohl schmerzlich gefallen, daß Sie sich von Ihrer Mama trennen mußten – nicht wahr, Master Keene?«

»Ja; sehr schmerzlich, Miß.«

»Wo ist Ihr Papa, mein Theuerster? Er ist ein sehr hübscher Knabe, Mama, nicht wahr?« fuhr die junge Dame fort, indem sie mit ihren Fingern durch meine nußbraunen Locken fuhr.

»Ja, ein schöner Knabe,« krächzte die alte Dame.

»Papa ist todt.«

»Todt? dachte ich's doch,« bemerkte Miß Medea, ihrer Mutter zublinzelnd.

»Haben Sie ihren Papa noch gekannt, mein Lieber?«

»O ja; er ging vor achtzehn Monaten zur See und fiel in einem Treffen.«

Nun kam eine Reihe von Kreuz- und Querfragen. Ich antwortete in einer Weise, welche es augenfällig machte, daß Ben und Niemand anders mein Vater sei, obgleich ich selbst ganz verschiedener Ansicht war. Ich hatte mir nämlich vorgenommen, mich durchaus nicht ausholen zu lassen, und setzte daher die Frager in Verwirrung, denn ich gab an, daß meine Tante Milly an Kapitän Bridgeman bei der Marine verheirathet sei, und erst jetzt fragte mich Miß Medea, wer mein Vater gewesen. Meine Antwort lautete, er sei gleichfalls bei der Marine gewesen, und so dachten sie sich denselben ebensogut als einen Marineoffizier, wie den Kapitän Bridgeman.

Dieß trug so viel dazu bei, meine Familie in Achtung zu setzen, daß sie durchaus nicht wußten, was sie von der ganzen Sache halten sollten, und es doch nicht ganz so leicht fanden, die Einzelnheiten zusammenzuhalten, als sie gedacht hatten.

Sobald sie ihres Verhöres müde waren, fragten sie mich, ob ich nicht abermals einen Gang durch den Garten machen wolle, wozu ich ja sagte. Ich pflanzte mich wieder unter dem Fenster auf, und hörte Miß Medea zu ihrer Mutter sagen:

»Der Vater findet immer ein oder das andere Krähennest auf, und weil der Junge dem Kapitän ein Bischen ähnlich sieht, so hat er in seinem großen Witz gleich eine wichtige Entdeckung gemacht. Es liegt auf flacher Hand, daß er Unrecht hat, wie es in der Regel der Fall ist. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß Kapitän Delmar eine Intrigue mit der Gattin eines Marineoffiziers gehabt haben sollte, während ihre Schwester zugleich in dem Korps verheirathet ist. Es ist freilich wahr, daß ihn die Wittwe selbst hergebracht hat, aber das beweist nichts; wer sonst hätte ihn bringen sollen, wenn nicht seine Mutter? Und schon der Umstand, daß sie so bald wieder ging, beweist, daß sie es für unschicklich hielt, zu bleiben. Ich halte sie dafür für eine bescheidene, ansprechende junge Frau, für die sich Kapitän Delmar interessirt. Ich wollte, der Vater bliebe mit seinen unsinnigen Einfällen zu Hause – will er da, daß wir Wunder was aus dem Knaben machen.«

»Sehr wahr, Medea,« versetzte die Mutter. »Du hättest den Kuchen und Wein sparen können.«

Ich dachte bei mir selbst, ihr habt mich nicht ausgeholt, und war ganz entzückt, daß ich sie so überlistet hatte. Indeß hielt ich es doch für klug, von dem Fenster wegzugehen.

Bald nachher kehrte Mr. Culpepper, von einem der zahlreichen Portsmouther Uniformenschneider begleitet, zurück. Ich wurde gerufen, und der Schneider legte eine Liste von all dem vor, was er als absolut zur Ausstattung eines Gentlemans nöthig erklärte.

Mr. Culpepper strich zwei Drittheile der Posten und verlangte, daß das Uebrige übermorgen früh, am Freitage, bereit sein solle. Der Schneider versprach, pünktlich einzuhalten, und Mr. Culpepper legte ihm auf's Nachdrücklichste an's Herz, daß die Uniformsstücke dem Schneider blieben, wenn sie nicht vorgeschriebener Maßen einträfen.

Sobald der Schneider fort war, fragte mich Medea, ob ich nicht wieder ein Bischen im Garten spazieren gehen wolle. Ich wußte, daß sie ihren Vater zu sprechen wünschte, und machte mir daher die Freude, ihre Absicht zu vereiteln, indem ich antwortete, daß ich fast den ganzen Tag dort gewesen sei, und nicht mehr auszugehen verlange.

»Gleichviel, ob du es verlangst oder nicht; ich will, daß du gehst,« erwiederte Miß Medea spitzig.

»Medea, wie kannst du so roh sein?« rief Mr. Culpepper. »Mr. Keene kann doch wahrhaftig thun, was er will. Du setzest mich in Erstaunen, Medea.«

»Und Sie setzen mich in Erstaunen, Papa, daß Sie ein Geheimniß ausfinden, wo keines ist,« versetzte Miß Medea ärgerlich. »Alles, was Sie diesen Morgen sprachen, und alle ihre Muthmaßungen haben sich als eitel Mondschein ausgewiesen. Ja, Sie dürfen wohl große Augen machen, Papa, ich sage Ihnen – eitel Mondschein!«

»Ei, Medea, was schwatzest du für Unsinn,« entgegnete Mr. Culpepper.

»Medea hat Recht,« versetzte Mrs. Culpepper; »eitel Mondschein.«

»Sie haben also nicht nöthig, kann ich Ihnen sagen, Papa, da besonders bedenklich zu sein,« erwiederte Miß Medea, welche jetzt so laut, daß ich es wohl hören konnte, ihrem Vater in's Ohr flüsterte: »Nichts der Art; 's ist blos von gewöhnlichem Marinedienst die Rede.«

»Pah, Possen,« versetzte der Proviantmeister leiser; »man hat den Jungen unterrichtet, wie er sagen soll – er ist zu gescheid für dich, Medea.«

Auf diese sehr wahre Bemerkung ihres Vaters gerieth Miß Medea gewaltig in Zorn, und ihr ganzes Gesicht, Nacken und Schultern – denn sie trug ein sehr weit ausgeschnittenes Morgenkleid – erglühte wie Scharlach. Ich sah nie eine solche Wuth, wie die ihrige. Sie rauschte so barsch an mir vorbei, daß ich ein paar Schritte zurückgeschleudert wurde, und dann stürzte sie aus dem Zimmer.

»Medea weiß die Sachen zusammenzustellen, Culpepper,« keuchte Mrs. Culpepper.

»Medea ist gewaltig weise in ihrer Einbildung, und du bist eine ausgemachte alte Närrin,« entgegnete Mr. Culpepper aufgebracht; »die eine ist überklug und die andere hat nicht halb genug Verstand. Master Keene, Sie haben hoffentlich Appetit, denn es gibt ein ganz artiges Mittagessen. Sind Sie ein Freund von Enten und grünen Erbsen?«

»O ja, Sir, gewiß,« antwortete ich.

»Sind Sie in Chatham geboren, Master Keene?«

»Nein, Sir, sondern in der Halle unweit Southhampton. Meine Mutter wurde bei der alten Miß Delmar, der Tante des Kapitäns, erzogen.«

Ich gab absichtlich diese Auskunft, da ich wußte, sie würde Miß Medea, die eben von der Küche zurückgekehrt war, in Verwirrung setzen.

Mr. Culpepper nickte triumphirend gegen seine Tochter und Frau mit dem Kopfe, und beide letztere schienen ob dieser neuen Beleuchtung der Sache ganz zu verstummen. Miß Medea sprach nach einer kurzen Pause zu mir:

»Ich möchte Ihnen nur eine einzige Frage vorlegen. Master Keene.«

»Ich will nicht mehr auf Ihre Fragen antworten, Miß,« versetzte ich, »Sie haben den ganzen Morgen an einem fort gefragt, und eben vorhin waren Sie so roh, mich beinahe über den Haufen zu stoßen. Wenn Sie Weiteres zu wissen wünschen, so fragen Sie den Kapitän Delmar, oder wenn Sie es wünschen, so will ich Kapitän Delmar fragen, ob ich Ihnen zu antworten habe. Sagt er Ja, so will ich es thun, aber anders nicht.«

Dieß war ein entscheidender Schlag von meiner Seite. Die Mutter und Medea machten ängstliche Gesichter, und Mr. Culpepper war noch bestürzter, als die beiden Frauenzimmer. Sie entnahmen daraus, daß ich wußte, weßhalb sie fragten, was ihnen als Beweis diente, daß auch ich wisse, wer ich wäre. Außerdem überzeugte sie meine Berufung auf Kapitän Delmar, daß ich seiner Unterstützung gewiß sei, und sie wußten wohl, daß er sehr ergrimmen würde, wenn ich ihm sagte, zu welchem Zwecke man mich auszuholen gedachte.

»Sie haben vollkommen Recht, Mr. Keene,« sagte Mr. Culpepper hoch erröthend, »wenn Sie nicht auf Fragen antworten, die Ihnen nicht anstehen; und, Medea, über dein Benehmen bin ich ganz überrascht. Ich bestehe darauf, daß du Master Keene nie wieder mit deiner ungebührlichen Neugierde lästig fällst.«

»Nein, nein,« krächzte die alte Dame. »Halt' dein Maul, Medea – halt' dein Maul.«

Miß Medea machte ein Gesicht, als hätte sie mir die Augen aus dem Kopfe reißen mögen, wenn sie gedurft hätte, und schluckte so gut als möglich ihren Groll hinunter. Sie ärgerte sich darüber, einen Mißgriff begangen zu haben, war verdrießlich, daß ich ihr so keck geantwortet, und fürchtete sich vor dem Unwillen ihres Vaters, denn der alte Gentleman war gleich bei der Hand, demselben durch ein argumentum ad feminam – das heißt durch tüchtige Ohrfeigen – Luft zu machen.

Zum Glücke wurde eben jetzt das Mittagessen aufgetragen, was sowohl der Unterhaltung als auch den Gedanken der würdigen Familie eine andere Wendung gab. Mr. Culpepper war voll Aufmerksamkeit, und Miß Medea, die allmälig in beste Laune gerieth, wurde endlich sogar leutselig und herablassend.

Der Abend entschwand sehr angenehm; ich ging jedoch zeitig zu Bette, da ich meinen Betrachtungen nachzuhängen wünschte, und es währte bis zum Grauen des Tages, bis sich mein aufgeregter Geist so weit beruhigte, daß der Schlaf mein Lager heimsuchen konnte.

*

 


 << zurück weiter >>