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Fünfunddreißigstes Kapitel

Die Gasse war, wie gesagt, sehr schmal, so daß nur ein einziges Fuhrwerk darauf fahren konnte, und so tief zwischen Gehäge eingesunken, daß es nicht leicht war, an den steilen Seiten hinaufzuklettern. Was ich nun erblickte, war erstlich eine mit dem Schwanze mir zugekehrte Kuh, augenscheinlich eine sehr boshafte Bestie, da sie mit den Vorderfüßen um sich hieb, in dumpfem Tone brüllte und auf zwei Personen zustürzte, die der Gegenstand ihres Angriffs waren. Die eine davon war ein kleiner, schwarz gekleideter Mann, der andere ein stämmiger, kräftiger Bursche in einem Jagdwamms; was mich aber dabei am meisten ergötzte, war der Umstand, daß der junge Kerl, statt vorn zu stehen und den kleinern Mann zu vertheidigen, sich nicht nur hinter demselben hielt, sondern ihn hin und wieder auch bei den Schultern faßte, um sich durch dessen Person gegen den erwarteten Angriff des boshaften Thieres zu schützen. Allerdings zankte die kleine Person mit seinem Begleiter und redete ihn mehrere Male in gebieterischem Tone an; seine Worte blieben jedoch unbeachtet, die Kuh rückte vor und die Beiden retirirten in der beschriebenen Ordnung.

Ich beschleunigte meine Schritte, um die Flüchtlinge einzuholen, und befand mich bald nur noch wenige Ellen von dem Thiere. Ich hatte zwar weder einen Stock noch eine sonstige Waffe zur Hand, wußte aber doch, wie die Matrosen mit stätigem Vieh umzuspringen pflegen, wenn man dasselbe lebendig an Bord schafft. In der That hatte ich selbst schon manches Stück zu Paaren getrieben, und obgleich ein Stier ein etwas bedenklicher Gegner ist, so glaubte ich doch, einer Kuh völlig gewachsen zu sein. Das Thier schien nun entschlossen, gegen die Schotten loszubrechen, weßhalb ich mich demselben näherte, bis ich nur noch ein paar Fuß von seiner Flanke entfernt war, jeden Augenblick sprungfertig, um die Bestie umzuholen, im Falle sie mich sehen sollte. Sie hatte es jedoch zu sehr auf die vor ihr befindliche Partie abgesehen und begann endlich zu rennen. Der stämmige junge Mann stieß den Kleinen gegen die Kuh hin und nahm Reißaus. Der Kleine fiel in seinem Versuche, auszuweichen, auf den Rasen und die Kuh stürzte auf ihn los. Ich sprang vorwärts, packte mit der rechten Hand das rechte Horn des Thiers, drückte zu gleicher Zeit das andere Horn gegen mein linkes Knie, hing mich mit meinem ganzen Gewichte an, daß die Nase der Bestie in die Luft stand, langte mit der linken Hand in ihre Nüstern und hielt den Kopf in dieser Lage fest, in welcher sie natürlich nichts mehr machen konnte. So schritt die Kuh über den hingestreckten Mann weg, ohne ihm Schaden zuzufügen; dann bäumte sie sich und schlug aus, um sich meines Gewichtes zu entledigen. In dieser Weise kamen wir etwa zehn Ellen weiter, und nun bemerkte ich vorn den kräftigen Kerl, welcher mir zurief: »Nur festgehalten! nur festgehalten!« Dazu hatte ich freilich nicht länger Lust, denn ich war des Geschäfts müde; um den feigen Tropf zu züchtigen, ließ ich das Thier los und sprang zurück, worauf die Kuh, so schnell sie konnte, die Gasse hinuntergaloppirte, während der Bursche schreiend und zeternd vorausrannte.

Nachdem ich mich so der Kuh und der Memme entledigt hatte, kehrte ich zu dem auf dem Boden Liegenden zurück. Er war aufgestanden und hatte den weiteren Vorgängen zugesehen.

»Sie haben doch keinen Schaden genommen, Sir?« fragte ich.

»Nein, Dank sei es Ihrem gelegenen Beistand; aber der Henker hole meinen schuftigen Schreiber, der, um sich selbst zu schützen, mich mit aller Gewalt vor die Hörner der Kuh schieben wollte.«

»Jedenfalls muß er jetzt dafür laufen,« versetzte ich lachend. »Ich ließ die Bestie absichtlich los; denn wenn ich all' meine Kraft angewendet haben würde, hätte ich sie zu Boden werfen und so festhalten können. Ah! da ist ein Loch in der Hecke, zu dem er hinaufgeklommen und so mit dem Schreck davon gekommen ist,« fuhr ich fort. »Aber auch wir werden jetzt gut thun, wenn wir uns von hinnen machen, denn das Thier könnte zurückkommen, und obgleich ich es gut von hinten fassen konnte, so geht's doch nicht so leicht, wenn es mit den Vorsteven gegen uns anrennt.«

»Es heißt im Sprüchworte, Sir, es sei nicht gerathen, einen Stier bei den Hörnern zu nehmen, aber daß Sie eine Kuh dabei packten, hat mir wahrscheinlich das Leben gerettet; ich danke Ihnen.«

»So treiben wir sie am Schiffsbord zu Paaren,« entgegnete ich lachend.

»Sie sind also ein Seemann, Sir,« erwiederte der kleine Mann. »Vermuthlich habe ich das Vergnügen, mit Kapitän Keene zu sprechen?«

»So heiße ich,« versetzte ich; »aber da kömmt die Kuh wieder, und je bälder wir das Thor erreichen, desto besser ist es. Ich schäme mich nicht, Reißaus zu nehmen, und Sie vermuthlich auch nicht.« Mit diesen Worten gab ich Fersengeld, mein neuer Gefährte folgte mir, und bald hatten wir das Thor zwischen uns und unserem Feinde verriegelt.

»Ich muß Ihnen jetzt guten Tag wünschen, Sir,« sagte ich, »denn ich gehe nach der Halle.«

»Auch ich bin dorthin berufen, Kapitän Keene,« entgegnete mein Begleiter, »und mit Ihrer Erlaubniß will ich mich an Sie anschließen. Tausend alle Welt, wir könnten wieder einer Kuh begegnen,« fügte er lachend bei, »und dann wäre es mir doch lieb, in Ihrer Gesellschaft zu sein.«

Er theilte mir sodann mit, daß er Warden heiße, Sachwalter der ehrenwerthen Miß Delmar sei und wegen einiger neuen Pachtverträge in der Halle zu erscheinen habe. Während unseres gemeinschaftlichen Spazierganges fand ich, daß er ein joviales, gemüthliches Männchen und ein sehr guter Gesellschafter war.

Als wir in der Halle anlangten, wurde Mr. Warden bedeutet, daß Miß Delmar ihn im Augenblick nicht sprechen könne, da sie eben auf ihrem Zimmer mit Lord de Versely dringend beschäftigt sei. Ich leistete daher Mr. Warden etwa eine Stunde Gesellschaft, nach welcher Zeit Lord de Versely zu uns herüberkam. Er schien ganz besonders guter Laune zu sein, und drückte mir, nachdem er in's Zimmer getreten, mit Wärme die Hand.

»Sie können jetzt hinaufgehen und Ihre Weisungen entgegennehmen, Mr. Warden. Merken Sie sich's aber, je früher Sie fertig werden, desto besser ist es.«

Herr Warden verließ das Zimmer, und ich berichtete Seiner Herrlichkeit das Abenteuer mit der Kuh. Ich hatte kaum angefangen, als Obrist Delmar eintrat und meiner Erzählung gleichfalls zuhörte.

Nach etwa einer halben Stunde kam Mr. Warden mit gar lächelndem Gesicht wieder die Treppe herunter.

»Nun, Mr. Warden,« begann Seine Herrlichkeit. »Haben Sie Ihre Instruktionen?«

»Ja, Mylord, und ich versichere Sie, daß mir nie ein angenehmerer Auftrag zu Theil wurde. Hat Ihnen Kapitän Keene erzählt, wie er mir diesen Morgen das Leben rettete?«

»Nein, davon sagte er nichts,« versetzte Seine Herrlichkeit; »aber er sprach von der Kuh und von Ihrem Schreiber, der Sie in der Hohlgasse vornehin schob.«

»Ja, wenn der Kapitän nicht gewesen wäre, so hätte sie mir wohl eine hohle Gasse in den Leib gerennt,« entgegnete Mr. Warden. »Sie dürfen mir daher auf's Wort glauben, Mylord, wenn ich sage, daß ich meine Aufträge mit Freuden erfülle. Ich wünsche Ihnen guten Morgen. Guten Morgen, Kapitän Keene. Obrist, Ihr Gehorsamster.«

Mit diesen Worten verließ Mr. Warden das Zimmer. Ich war sehr betroffen über Mr. Warden's Bemerkung, daß ihm seine Aufträge so viel Vergnügen machten, und als ich mich umwandte, bemerkte ich, daß Obrist Delmar mich sehr ernst ansah. Jetzt wurde aber zum ersten Mal die Dinerglocke geläutet, und wir Alle begaben uns auf unsere Zimmer, um uns anzukleiden.

Nun, dachte ich, als ich mit meiner Toilette beschäftigt war, vermuthlich hat mir die alte Dame ein paar Tausend in ihrem Testamente vermacht. Daran war mir jedoch nicht sonderlich viel gelegen, weßhalb ich mich bald des Gedankens wieder entschlug. Als ich mich jedoch nach der Mahlzeit zu Miß Delmar setzte, kam es mir vor, als sei ihr Benehmen gegen mich weit zärtlicher, als je zuvor gewesen. Sie schien den Stolz, der doch immer durch ihre Höflichkeit und Freundlichkeit durchgeschimmert hatte, ganz abgelegt zu haben, und ich schloß daraus, daß Lord de Versely zu meinen Gunsten gesprochen hatte, wofür ich mich ihm sehr dankbar fühlte. Vielleicht, dachte ich, hat er ihr auch das Geheimniß meiner Geburt entdeckt, und sie betrachtet mich jetzt als einen Verwandten. Möglich, daß sie mir mehr vermacht, als ich vermutete. Doch, das ist von geringem Belang.

*

 


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