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Achtunddreißigstes Kapitel

Mit meiner Genesung ging es rasch von Statten; in weniger als vierzehn Tagen konnte ich wieder aus dem Bette und auf dem Sopha sein. Die Fregatte war jetzt aufgetakelt und hatte ihr Wasser nebst den übrigen Vorräthen eingenommen; doch konnte sie erst nach vier Wochen als segelfertig rapportirt werden, da die Mannschaft noch mit ungefähr vierzig Köpfen zu ergänzen war. Kapitän Green besuchte mich fast jeden Tag, und einmal, als wir auf die Duellgeschichte zu sprechen kamen, ließ ich dieselbe Bemerkung fallen, wie damals, als sich Obrist Delmar neben der muthmaßlichen Leiche des Major Stapleton eines so harten Ausdruckes bediente. »Ich hielt es für meine Pflicht,« versetzte Kapitän Green, »ihm Obrist Delmar's Aeußerung mitzutheilen. Er wurde sehr zornig und entgegnete: ›der größte Schurke, sagte er? – dann ist der Teufel besser, als die, welche er versucht; doch wir Beide haben uns gegenseitig in Händen. Ich muß zuerst gesund werden, und dann muß ich handeln‹. Sicherlich steckt hier etwas Geheimnißvolles, denn der Angriff war so grundlos und der Verlauf so entschieden. Haben Sie irgend einen Grund, Obrist Delmar für Ihren Feind zu halten, Kapitän Keene? denn es hatte offenbar den Anschein, als trage er nach Kräften dazu bei, bei jenem Duell Ihrem Gegner den Vortheil zu sichern.«

»Ich wüßte wahrhaftig nicht, was er für einen Anlaß hätte, mir feindlich gesinnt zu sein, und doch kann ich mich der Vermuthung nicht erwehren, daß es doch der Fall ist.«

Als Kapitän Green mich verlassen hatte, gab ich mir alle Mühe, aufzufinden, womit ich mir Obrist Delmar's Haß zugezogen haben könnte. Ich wußte zwar, daß er Miß Delmar's muthmaßlicher Erbe war, aber doch lag in dem Umstande, daß sie mir vielleicht ein paar hundert Pfund vermachen wollte, kein zureichendes Motiv, um Jemanden zu veranlassen, mir nach dem Leben zu trachten. Lord de Versely hatte nichts zu vererben, und so konnte ich zu keinem befriedigenden Schlusse kommen. Dann dachte ich auch, ob ich nicht Lord de Versely schreiben und ihm das Vorgefallene mittheilen sollte, entschied mich aber nach weiterer Erwägung für das Gegentheil. Die Zeitungen hatten bei Berührung des Duells die Namens-Anfangsbuchstaben der Kämpfer veröffentlicht, und wenn sie ihm zu Gesichte gekommen wären, so hätte er sicherlich an mich heruntergeschrieben, um über die Thatsachen Erkundigungen einzuziehen. Meine Mutter wenigstens hatte es so gehalten, und ich entschloß mich jetzt, ihren Brief, der bisher auf dem Tische liegen geblieben war, zu beantworten. Ich ließ mir mein Pult bringen, aber als mein Bedienter damit erschien, hing der Schlüsselbund an dem Schlosse. Dieß kam mir sonderbar vor, denn vor meinem Zusammentreffen mit Major Stapleton hatte ich selbst mein Pult abgeschlossen und es seit meiner Rückkehr nie wieder gebraucht. Auch mein Bedienter konnte mir nicht weiter sagen, als daß er es so gefunden, wie er es mir gebracht habe; nach einer Weile fiel ihm jedoch bei, der Doktor habe Dinte und Feder verlangt, um mir ein Recept auszuschreiben, weßhalb der Obrist die Schlüssel genommen und das Verlangte geholt habe. Dieß erklärte den Umstand hinreichend, und ich verlor kein Wort mehr darüber.

Mein Zweikampf kam zwar zur Kunde der Admiralität, hatte aber natürlich durchaus keine Folgen für mich. Ich ließ mich nicht einmal krank melden, sondern unterzeichnete meine Tagesberichte und schickte sie in die Kanzlei des Admirals, als ob sich gar nichts zugetragen hätte.

In sechs Wochen war ich im Stand, wieder ein wenig umherzuhinken, und endlich wurde die Circe als fahrfertig rapportirt. Ich erhielt Befehl, mit dem ersten günstigen Winde in die See zu stechen, und mich dem Geschwader in dem Texel und in der Nordsee anzuschließen. Ich hatte jetzt mein Quartier an Bord aufgeschlagen, und wartete zwei Tage, während welcher Zeit der Wind stark aus Osten blies. Da fiel mir bei, daß ich Mr. Warden versprechen hatte, ihm zu schreiben. Meine Sendschreiben an Lord de Versely – an die ehrenwerthe Miß Delmar, gegen welche ich mich entschuldigte, daß es mir unmöglich wäre, ihr vor meiner Abreise noch persönlich meinen Respekt zu bezeugen – an meine Mutter und an Tante Bridgeman waren geschlossen, weßhalb ich mir vornahm, ehe ich in See ging, auch noch diesem Freunde einen langen Brief zu schreiben. Ich that es, und berichtete ihm den ganzen Hergang des Duells, Obrist Delmar's Benehmen und meinen Argwohn gegen denselben, indem ich zugleich beifügte, daß ich nicht begreifen könne, was ihn zu dem Wunsche veranlassen mochte, mir Schaden zuzufügen. Ich beendigte diese Mittheilung erst spät am Abend, und da am andern Morgen der Wind umgeschlagen hatte, segelten wir dem Orte unserer Bestimmung entgegen.

Sobald ich mich wieder auf dem Wasser befand, waren alle meine Gedanken ausschließlich dem Dienste geweiht. Wir trafen bald auf das Nordseegeschwader, und Tags darauf wurde der Circe die Weisung ertheilt, mit der Dryade die Küste zu befahren, und die Kanonenbootflottillen zu bewachen, die sich in den verschiedenen Flüssen und Häfen angesammelt hatten: wir sollten deren so viele als möglich versenken, verbrennen oder in sonstiger Weise zerstören. Dieß war ein anstrengender und gefährlicher Dienst, da der Feind auf den Sandbänken und Untiefen jeden Vortheil hatte, und kaum ein Tag verging, ohne daß wir uns mit den Flottillen und Batterien herumschlagen mußten. Wir hatten übrigens jetzt schön Wetter, denn der Winter, welcher früh angefangen, war um, und wir versahen ein paar Monate unsern Dienst, während welcher Zeit meine Schiffsmannschaft sich im Dienst tüchtig einübte. Eines Morgens wurde von dem Mastkorbe aus ein Kutter von der Flotte gemeldet, und wir erwarteten, jetzt bald unsere Briefe von England zu erhalten, als die Dryade sechs Kanonierschaluppen an der Küste signalisirte.

Unsere Fregatten breiteten alle Segel zur Jagd aus, indem wir es dem Kutter überließen, uns zu folgen, wie er konnte. Die Schiffsmeister waren wohl mit den Untiefen an der Küste vertraut, und wir wanden uns durch dieselben gegen den Feind los. Wir befanden uns innerhalb Schußweite und hatten bereits volle Lagen mit der schwimmenden Batterie gewechselt, als die Flotillen einen kleinen Hafen erreichten, wodurch wir an allen weiteren Verfolgungsversuchen gehindert wurden. Die Dryade gab das Signal zum Umholen, und wir hatten auch hohe Zeit dazu, da wir nur noch vier Stunden Tag hatten und in die Untiefen verwickelt waren. Die bisher steife Kühlte verstärkte sich zusehends, und es gewann ganz den Anschein, als ob sie in eine Bö übergehen wollte. Wir arbeiteten uns heraus, so schnell wir konnten, und Abends um neun Uhr lagen die Sandbänke in unserem Rücken; der Wind hatte sich aber inzwischen so verstärkt, daß wir in offener See unser Tuch bis auf die dicht gereeften Marssegel einziehen mußten. Da wir die Untiefen in unserem Lee hatten, so war es nöthig, daß wir uns so schnell als möglich weiter wegmachten, weßhalb wir auch die ganze Nacht durch unter schwerem Segeldruck fuhren; endlich aber wurde der Wind so stark, daß wir's bei dem dicht gereeften großen Marssegel und dem gereeften Focksegel bewenden lassen mußten. Wir fühlten, daß wir bei der schweren See, die sich erhoben hatte, in höchster Gefahr standen.

Der Tag erschien, und zuerst suchten wir uns über die Lage der Dryade Gewißheit zu verschaffen. Lange Zeit sahen wir uns vergeblich nach ihr um; endlich erblickten wir sie aber in einer theilweisen Lichtung des Horizonts auf unserem Leebug, in der dunstigen Atmosphäre sich eher wie ein Gespensterschiff, als wie ein Werk von Menschenhänden ausnehmend. Sie erschien als eine tiefgraue Masse auf einem etwas lichteren Grunde. Ihre Stengen waren dahin, und während sie sich unter ihren großen Segeln und unteren Stagsegeln hob und senkte, schien sie nicht von der Stelle zu kommen.

»Da ist sie, Sir,« sagte Mr. Wilson, »und wenn die Bö so fortmacht, dürfen wir ihr gute Nacht sagen.«

»Wenn die Bö so fortmacht, Herr Wilson,« versetzte ich mit gedämpfter Stimme, »so mögen wir ebensogut auch unser Requiem singen; doch vertrauen wir dem Himmel und unserer Thätigkeit. Werfen Sie das Loth aus, Mr. Hawkins.«

»Sehr wohl, Sir,« versetzte der wachthabende Offizier; »wie viel aus, Sir?«

»Vierzig Faden.«

Die Mannschaft schaarte sich um die Leebrüstungen, die Puttingen und die Laufplanke, und ließen die Tieflothleinen von hinten bis vorn zum Ankerstock laufen. Man nahm das Tiefloth nach vorn, und sobald es eingehängt war, wurde das Schiff gegen den Wind geworfen, um es so viel möglich an Ort und Stelle zu erhalten. Auf das Signal wurde das Blei ausgeworfen, und während es sank, ließ von den Männern einer nach dem andern, von hinten an gezählt, die Leine fahren; als sie aber in die Hände des auf der Windvierung stehenden Schiffsmeisters kam, brauchte dieser, statt, wie er erwartet hatte, vierzig Faden Wasser zu finden, so lange zum Ausholen des schlaffen Leins, daß das Loth weit hinter dem Stern zurückblieb und der Ankergrund nicht angegeben werden konnte.

So viel war übrigens gewiß, daß wir uns in weit seichterem Wasser befanden, als wir uns hatten träumen lassen. Der hierdurch sehr beunruhigte Schiffsmeister forderte daher den Quartiermeister auf, in die Puttingen zu gehen und zu sehen, ob er die Tiefe nicht mit dem Handloth erforschen könne, während die Matrosen das Tiefloth aufholten. Dem Quartiermeister kam jedoch Bob Croß zuvor, der sich in die Puttingen hinunterließ, die Leine losmachte, wegen Mangel an Raum sie nur zwei- oder dreimal schwang und sie dann losließ.

Das Bangen, womit ich, der Schiffsmeister und andere Offiziere von den Hängematten-Regelingen aus das Loth eintauchen sahen, ließ sich schwer beschreiben. Als sechszehn Faden aus waren, wurde sondirt. Croß holte die schlaffe Leine auf und meldete fünfzehnthalb Faden.

»Herr Hillyer,« sagte ich, »haben Sie die Güte, mit mir in die Kajüte zu kommen.« Der Schiffsmeister folgte mir alsbald. Die Karte lag in der Vorderkajüte auf dem Tisch.

»Wir müssen furchtbar weit leewärts gekommen sein, Sir.«

»Ja,« versetzte ich, »aber das Fegen der Strömungen in schweren Kühlten ist an dieser Küste so bedeutend und unzuverlässig, daß ich mich durchaus nicht wundere. Wir müssen südöstliche Strömung gehabt haben, und sind wahrscheinlich hier herum,« fuhr ich fort, indem ich mit der Spitze des Zirkels die Stelle andeutete.

»Es scheint kaum möglich, Sir,« entgegnete der Schiffsmeister; »aber doch fürchte ich beinahe, daß es so ist – und in diesem Falle,« fügte er mit einem schweren Seufzer bei, »ist wohl Alles mit uns vorbei, wenn sich nicht ein Wunder zu unsern Gunsten in's Mittel legt.«

»Ich bin auch Ihrer Meinung, Herr Hillyer, spreche mich aber nicht weiter aus,« erwiederte ich. »Die Kühlte kann nachlassen, der Wind umschlagen, und wenn dieß der Fall ist, so wäre es wohl noch möglich, daß wir gerettet würden. Jedenfalls nützt es nichts, schlimme Kunde zu bald auszurufen; Sie werden mich daher verbinden, wenn Sie über die Sache schweigen. Ein paar Stunden werden unser Schicksal entscheiden.«

»Aber die Dryade – sie ist gute vier Meilen leewärts von uns, und die Tiefe nimmt hier so reißend schnell ab, daß sie mit ihrer Segellast auf den Strand laufen muß.«

»Sie hat allerdings keine Aussicht,« entgegnete ich. »Ich hoffe nur, der Nebel möge so dick werden, daß wir das Elend nicht mitansehen müssen.«

»Keine Seele wird gerettet, Sir,« sagte der Schiffsmeister schaudernd.

»Ich möchte auch Rettung für unmöglich halten, Mr. Hillyer, aber wir Alle sind dem Himmel einen Tod schuldig. Sie gehen voran, und wir folgen Ihnen nach. Darum dürfen wir aber nicht verzweifeln – unter allen Umständen wollen wir einmal unsere Pflicht thun, bis unser Stündlein schlägt. So lange noch Leben da ist, darf man die Hoffnung nicht aufgeben. Gehen wir jetzt hinauf auf's Deck und lassen wir unsern Gesichtern nicht anmerken, wie schlimm das Spiel steht.«

*

 


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