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Dreißigstes Kapitel

Am andern Morgen fand ich mich in Lord de Versely's Wohnung ein und ließ meine Karte übergeben, was zur Folge hatte, daß ich alsbald vorgestellt wurde. Lord de Versely stand von seinem Sopha auf und reichte mir seine Hand.

»Keene, es freut mich ungemein, Sie zu sehen. Ich bin stolz darauf, daß mir einer meiner Zöglinge so viel Ehre macht. Ihre Stellung im Dienst haben Sie nur Ihrem Eifer und Ihrem persönlichen Werthe zu danken.«

»Doch nicht ganz, Mylord,« versetzte ich.

»O ja, ausschließlich. Sie sind der nächsten Stufe schon gewiß – man kann sie Ihnen nicht wohl abschlagen.«

»Ich zweifle nicht, daß man es Eurer Herrlichkeit nicht abschlagen wird,« entgegnete ich.

»Setzen Sie sich, Keene; wir wollen ein Bischen mit einander plaudern und dann nach der Admiralität gehen.«

Seine Herrlichkeit stellte dann viele Fragen über das, was sich zugetragen, und ich ließ mich jetzt mehr, als es in meinen Briefen geschehen war, über die Einzelnheiten aus. Nachdem wir uns eine Stunde unterhalten, wobei er sich so freundlich – ich möchte fast sagen so liebevoll benommen hatte, daß mir das Herz vor Freude hüpfte, wurde der Wagen angekündigt, und ich begleitete Seine Herrlichkeit nach der Admiralität, Lord de Versely ließ seine Karte überreichen und wurde sogleich gebeten, vorzusprechen. Er forderte mich auf, ihm zu folgen, und nach der ersten Begrüßung begann Seine Herrlichkeit gegen den ersten Lord der Admiralität:

»Erlauben Sie mir, Ihnen den Kapitän Keene vorzustellen, dessen Namen wenigstens Sie in der letzten Zeit oft gehört haben. Ich nahm ihn mit mir, weil er einer meiner Zöglinge ist, denn er begann unter mir den Dienst, den er auf meinem Schiffe fortsetzte, bis ihm sein Betragen Beförderung verschaffte. Ich habe diese Gelegenheit benützt, in Eurer Herrlichkeit vorzustellen, um ihm zugleich das Zeugniß geben zu können, daß während der ganzen Zeit seines Dienstes als Midshipman seine Bravour ebenso ausgezeichnet war, als sie sich seitdem erwiesen hat.«

Der erste Lord bot mir die Hand und machte mir ein Kompliment über meinen Eifer.

»Kapitän Keene hat gewichtige Ansprüche, Mylord. Was können wir jetzt für ihn thun?«

»Ich hoffe, Mylord geben zu, daß Kapitän Keene den Postrang verdient hat,« versetzte Lord de Versely, »und ich werde es für eine mir erwiesene Gunst betrachten, wenn Eure Herrlichkeit ihm eine Fregatte übertragen und ihm Gelegenheit geben, Dero Schutz Ehre zu machen.«

»Ich denke, ich kann Ihnen dieß wohl versprechen,« erwiederte der erste Lord; »indeß sollen Sie heute Abend, wenn wir uns im Oberhause treffen, erfahren, was ich zu thun im Stande bin.«

Nach einer weiteren kurzen Besprechung erhob sich Lord de Versely und entfernte sich. Sobald wir im Wagen saßen, sagte seine Herrlichkeit zu mir:

»Keene, verlassen Sie sich darauf, ich werde Ihnen morgen gute Neuigkeiten mitzutheilen haben; kommen Sie daher um zwei Uhr zu mir. Ich dinire heute bei dem Premierminister, aber morgen müssen Sie mein Gast sein.«

Als der Wagen Halt machte, verabschiedete ich mich von Seiner Herrlichkeit, bat aber noch zuvor Mylord, mir, da ich einen Agenten aufzustellen wünschte, einen gediegenen Mann zu empfehlen. Er verwies mich an seinen eigenen, zu welchem ich mich sofort begab. Nachdem ich die nöthigen Verabredungen getroffen, beschäftigte ich mich für den Rest des Tages damit, daß ich mich in etwas modischerem Style herausstaffiren ließ, als von den Portsmouther Schneidern hätte erwartet werden können.

Des andern Morgens setzte ich mich nieder, um an meine Mutter zu schreiben; ich weiß jedoch nicht, wie es kam, daß ich es nicht über mich gewinnen konnte, ihn zugleich auch an sie zu adressiren. Ich hatte hin und her überlegt und war mit mir eins geworden, in Zukunft stets nur mit meiner Großmutter zu correspondiren. Diesen Entschluß wollte ich auch niederschreiben und zugleich bitten, daß die Antworten bloß durch meine Großmutter gehen möchten. Indeß hatte ich mein Schreiben mit der Nachricht begonnen, daß ich seit meinem letzten Brief Urlaub genommen und daß ich mich nunmehr in London befinde. Ich berührte das Wohlwollen, welches mir in jeder Hinsicht von Lord de Versely erwiesen worden, und äußerte mich mit innigem Danke darüber. So ging es fort bis zum Schluß der ersten Seite, wo ich sagte: Was würde ich nicht darum geben, wenn ich den Namen eines Mannes tragen dürfte, den ich so sehr liebe und verehre! O daß ich ein Delmar wäre!« Ich wollte eben das Blatt umwenden und auf der andern Seite fortfahren, als der Kellner an die Thüre klopfte und mit meldete, daß der Schneider da sei, um mir die bestellten Kleider anzuprobiren. Ich begab mich in das Nebenzimmer und ließ mich von dem Kleiderkünstlergehülfen um- und umdrehen, dieser bemerkte sich eben die nöthigen Veränderungen mit einem Stückchen Kreide, als der Kellner abermals klopfte und mir berichtete, daß sich Lord de Versely im äußeren Zimmer befinde. Um Seine Herrlichkeit nicht warten zu lassen, warf ich so schnell als möglich den neu angepaßten Rock ab und schlüpfte in den meinigen.

Mit dem Auftrage an den Schneider, zu warten, bis ich zurückkehre, öffnete ich die Thüre und fand Seine Herrlichkeit auf dem Sopha sitzen; in diesem Augenblicke erinnerte ich mich aber zum erstenmale wieder, daß ich den Brief hatte auf dem Tische liegen lassen. Der Anblick desselben benahm mir beinahe den Athem. Ich erröthete hoch, als ich mich Seiner Herrlichkeit näherte, denn ich hatte ganz vergessen, daß ich den Brief an meine Großmutter überschrieben hatte, und stammelte:

»Mylord, diese Ehre!«

»Ich bin gekommen, um Ihnen zu Ihrer Beförderung auf einer schönen Fregatte Glück zu wünschen, Keene,« begann Lord de Versely. Ich habe dieß eben von der Admiralität erhalten, und da mich unerwarteter Weise ein Geschäft in die Nähe führte, so dachte ich, ich wolle selbst den Ueberbringer der guten Botschaft machen. Sie können den Brief behalten – natürlich sehe ich Sie beim Diner.«

»Vielen Dank, Mylord,« versetzte ich. »Wahrhaftig, ich kann Ihnen nicht erkenntlich genug sein.«

»Ich bin von Ihrem guten Willen überzeugt, Keene,« entgegnete Seine Herrlichkeit. »Nebenbei lassen Sie Ihre Briefe so offen liegen, daß man sie nothwendig sehen muß. Wie ich bemerke, schreiben Sie an Ihre Großmutter; hoffentlich ist doch die gute Dame wohl?«

Meine Großmutter! O, welch' eine Beruhigung fühlte ich nicht, als ich mich erinnerte, daß ich an meine Großmutter geschrieben hatte! Ich antwortete, daß sie den letzten Nachrichten zufolge gesund sei.

»Wenn ich Ihnen in Ordnung Ihrer pekuniären Verhältnisse von Nutzen sein kann, Keene, so lassen Sie mich's wissen.«

»Ich danke Ihnen, Mylord,« entgegnete ich; »mein Agent versteht, wie ich gefunden habe, sein Geschäft vollkommen, weßhalb ich Eure Herrlichkeit nicht bemühen will, da Sie auf so viele weit wichtigere Dinge Ihr Augenmerk haben müssen.«

»Auch gut,« erwiederte er. »Nun, Sie können jetzt lesen, was ich Ihnen gegeben habe, und vergessen Sie nicht, sich um acht Uhr einzufinden. Gott befohlen!«

Seine Herrlichkeit drückte mir abermals mit Wärme die Hand und entfernte sich.

Die Aufregung meiner Gefühle ließ mich ganz schwindelig werden. Nachdem Seine Herrlichkeit das Zimmer verlassen hatte, sank ich auf das Sopha nieder. Ich vergaß den Brief in meiner Hand sammt dessen Inhalt, wie auch den Schneider im nächsten Gemach, denn ich dachte an nichts, als an die Gefahr, der ich entronnen war, und pries mich glücklich, daß ich meinen Brief nicht an meine Mutter überschrieben, wie ich anfangs beabsichtigt hatte. Ich fühlte mich überhaupt in solchen Nöthen, daß ich eine Weile meine Augen mit den Händen bedeckte und das feierliche Gelübde ablegte, nichts solle mich je wieder veranlassen, zu einer Täuschung meine Zuflucht zu nehmen. Ich überlas dann den Brief auf's Neue, fand aber nichts darin, als den Erguß meiner Dankbarkeit gegen Lord de Versely und den Wunsch, als Delmar geboren zu sein. Nun, wenn Seine Herrlichkeit ihn auch überlesen hatte, so war wenigstens nichts darin, was mir in seiner Meinung schaden konnte, denn er bewies im Gegentheil, daß ich ihm dankbar war, was mich zugleich an seinen Ausspruch erinnerte, daß er von meiner guten Gesinnung überzeugt sei. Was den ausgedrückten Wunsch, ich möchte den Namen Delmar tragen, betraf, so war dieß von keinem Belang, obschon es ihn zugleich wissen ließ, wohin das Sehnen meines Herzens ging. Ich hatte daher im Ganzen sogar große Ursache, mir Glück zu wünschen.

Jetzt wurde ich von dem Schneider unterbrochen, der den Kopf durch die Thüre des Nebengemachs hereinstreckte. Ich folgte diesem Winke, und er beendigte sein Werk, indem er mir versprach, daß ich Abends um halb acht Uhr, also gerade noch zu rechter Zeit für das Diner, einen vollständigen Anzug haben solle. Dann kehrte ich nach dem andern Zimmer zurück und öffnete den Brief, den mir Lord de Versely verabfolgt hatte. Er war vom ersten Lord und theilte dem Adressaten mit, daß ich am andern Tage um acht Uhr auf der Admiralität erscheinen solle, denn mein Patent als Postkapitän sei bereits unterzeichnet und ich einer Fregatte von zweiunddreißig Kanonen zugetheilt, welche in zwei oder drei Monaten vom Stapel laufen würde. O Wonne, dachte ich; erst dreiundzwanzig Jahre und schon Postkapitän in Seiner Majestät Dienst mit dem Kommando über eine Fregatte. Wahrhaftig, ich habe für viel dankbar zu sein! Ich fühlte übrigens, daß ich's auch war, und entsandte die wärmsten Gebete zum Himmel. Jetzt blieb mir nur noch ein Wunsch in der Welt, nämlich statt eines Kapitän Keene's ein Kapitän Delmar zu sein. Der Leser sagt vielleicht: »was liegt an einem Namen?« Wohl wahr; aber es war einmal mein Ehrgeiz, mein Lieblingswunsch, und das glühende Verlangen, das uns zur Erringung eines bestimmten Zieles beseelt, es ist ja eben, was uns eine Sache weit über ihren wahren Werth anschlagen läßt. Der Staatsmann, der sich sein ganzes Leben über abgemüht hat, fühlt vielleicht nicht mehr Vergnügen, wenn er die Adelskrone erhält, der sein Ringen galt, als der Dorfjunge, wenn er das Nest ausnehmen kann, das er seit Wochen bewacht bat. Es wäre auch in der That eine traurige Welt, wenn es nicht Reizmittel gäbe, die uns spornten, die unsere Gedanken Tag und Nacht beschäftigten und uns neuen Muth verliehen, wenn er unter der Schlechtigkeit, Selbstsucht und Schurkerei unserer Umgebung sinken will. Zu welch' kläglichen Resultaten führt eine Zergliederung der menschlichen Natur? Welchen Widersprüchen und Extremen begegnen wir nicht jeden Tag! Wie oft muß nicht selbst der wirklich Wackere sich vor den gemeinsten Charakteren beugen, um sich Schutz, Hofgunst oder ein leidliches Auskommen zu verschaffen; wie oft werden nicht Diejenigen geschmäht, die man fürchtet, und wie gar häufig läßt man sich nicht zu der niedrigsten Hinterlist herab, um irgend einen Zweck zu erringen! Wie wenig fehlt es an glänzenden Talenten, und doch wie sehr an großen Seelen!

Bisher war meine Laufbahn eine Verkettung der glücklichsten Umstände gewesen. Ich hatte mich, ohne gehemmt zu werden oder Andern in den Weg zu treten, zu einer hohen Stellung erhoben, jetzt aber stand ich auf einer Stufe, die bedeutsam genug war, um den Neid gegen mich zu entfesseln. Auch sollte ich bald erfahren, daß sich die Zahl der Feinde mehrt, je weiter man in der Welt vorrückt, und daß der Geachtete stets den Giftpfeilen der Verläumdung, des Verraths, der Arglist und der Bosheit ausgesetzt ist. Doch ich darf meiner Geschichte nicht vorgreifen.

Ich blieb in London, bis mein Urlaub abgelaufen war, worauf ich mich nach Portsmouth begab, um meine Brigg abzulohnen, da sie nach der Docke geschafft worden war, wo sie für den Dienst Seiner Majestät brauchbar gemacht werden sollte.

*

 


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