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Sechszehntes Kapitel

Des andern Morgens mit Tagesanbruch wurde der blaue Peter an den Fockmast gehißt, und das Geschütz gab das Signal zur Abfahrt. Alles war voll Rührigkeit – man holte auf, schaffte die Vorräthe aus dem Boote in's Schiff und säuberte das Verdeck von Frauen und Fremden.

Um zehn Uhr erschien Kapitän Delmar. Die Matrosen wanden die Anker auf, und in einer halben Stunde fuhren wir aus, um gen St. Helen zu steuern. Noch vor Abend erhielten wir sehr steifen Wind, und wir schaukelten vor einem östlichen Winde den Kanal hinunter. Ich begab mich sehr unwohl nach meiner Hängematte und blieb daselbst mehrere Tage, während welcher Zeit Niemand nach mir sah oder fragte, als Bob Croß und Tommy Dott.

Sobald ich mich wieder wohl genug fühlte, kam ich auf das Deck, wo mir der erste Lieutenant den Dienst unter dem Signalmidshipman anwies. Dieses Amt, das sich auf den Tag beschränkte, war nicht sehr mühsam. Ich lernte die Flaggen kennen und die Spähgläser gebrauchen.

Wir hatten Depeschen für die damals bei Cadiz sich befindende Flotte, welche wir am zehnten Tage unserer Fahrt trafen. Nachdem wir uns eine Woche bei ihr aufgehalten hatten, erhielten wir Aufträge nach Gibraltar und Malta. Von Malta aus segelten wir mit Depeschen wieder zurück und langten in Portsmouth an, nachdem wir drei Monate ausgewesen waren.

Während dieser kurzen und angenehmen Fahrt lernte ich allerdings nicht viel von meinem Berufe, wohl aber Einiges von der Weise der Welt kennen. Namentlich war ich mit Kapitän Delmars Benehmen gegen mich durchaus nicht zufrieden, denn er fragte während meines Unwohlseins nie nach mir, und nahm auch keine Notiz von mir, nachdem ich wieder auf dem Deck erschienen war.

Die Offiziere und jungen Gentlemen, wie die Midshipmen genannt werden, durften der Reihe nach in der Kajüte speisen, und so kam denn diese Ehre auch zwei- oder dreimal an mich. Es däuchte mich jedoch, als schenke mit der Kapitän vorsätzlich keine Aufmerksamkeit, denn mit den Andern sprach er doch in der Regel einige Worte. Da die Signalmidshipmen um die Morgenwache auf sein müssen, so pflegte er auch hin und wieder den Einen oder den Andern zum Frühstück einzuladen, aber mir erwies er diese Artigkeit nie.

Dieß verdroß mich, und ich sprach mit Bob Croß darüber, mit dem ich mich schon etlichemal lange unterhalten hatte. Ich hatte ihm Alles mitgetheilt, was ich über mich selbst wußte, meiner Muthmaßungen gegen ihn gedacht und ihm auch die Antwort meiner Mutter gezeigt. Seine Ansicht darüber war etwa folgende:

»Sie sehen, Master Keene, daß Sie sich in einer bedenklichen Stellung befinden. Der Kapitän ist ein sehr stolzer Mann, und zu stolz, um anzuerkennen, daß Sie in irgend einer Weise mit ihm verwandt find. Aus dem, was Sie mir gesagt haben, und aus noch manchen andern Gründen, namentlich aber aus Ihrer Aehnlichkeit mit dem Kapitän, zieh' ich den Schluß, daß Ihre Muthmaßungen richtig sind. Aber was weiter? Ihre Mutter hat einen Eid auf das Geheimniß gethan – das ist klar; und der Kapitän will Sie nicht anerkennen – das ist gleichfalls sehr klar. Ich hab' letzthin bei einem Glas Grog mit des Kapitäns Hausmeister über die Sache gesprochen. Er selbst hatte es auf das Tapet gebracht, nicht ich, und er sagte, daß der Kapitän Sie nicht zum Frühstück einlade und Sie so zu sagen vermeide, was wieder ein Beweis sei, daß Sie ihm näher angehörten, denn nur der Wunsch, das Geheimniß zu verbergen, könne ihn veranlassen, sich zu benehmen, wie er sich wirklich benimmt. Sie haben ein schwieriges Spiel zu spielen, Master Keene; aber Sie sind ein gescheidter Junge und lassen sich rathen – müssen aber auch folgen, denn sonst ist ein Rath nicht viel Schatzes Werth. Daher immer nur respektsvoll gegen Kapitän Delmar, und halten Sie sich eben so fern von ihm, als er sich von ihnen fern hält.«

»Das soll zuverlässig geschehen,« versetzte ich, »denn ich kann ihn durchaus nicht leiden.«

»Nein, das müssen's nicht thun, sondern fügen Sie sich lieber in die Umstände; 's kommt mit der Zeit doch besser. Aber wohlgemerkt, stellen Sie sich gut mit den Offizieren und erweisen Sie sich nie trotzig, sonst könnte man Ihnen etwas stecken, was Ihnen nicht lieb ist. Nehmen's darauf Bedacht, und 's wird, wie gesagt, besser gehen. Wenn Kapitän Delmar sich für Sie verwendet, wie er kann, so sind Sie Kapitän vor vielen Anderen, die jetzt an Bord der Fregatte Ihre Vorgesetzte sind. Nur Eins müssen's nie vergessen, nämlich hübsch verschwiegen zu sein, und lassen Sie sich nicht in einem vertraulichen Augenblick perschwadiren, den Tommy Dott oder einem andern Midshipman Etwas anzuvertrauen. Läßt Einer 'nen Wink über Das fallen, was Sie vermuthen, so ziehen Sie's gleich in Abrede – ja, Sie können ihn im Nothfall sogar vor die Klinge fordern – das wird der Weg sein, dem Kapitän zu gefallen, denn Sie find dann auf seiner Seite, und nicht gegen ihn.«

Daß dieser Rath der beste war, der einem Menschen in meiner Lage gegeben werden konnte, unterlag keinem Zweifel, und ich entschloß mich auch, ihm unbedingt Folge zu leisten. Einen Theil meiner Mußestunden verbrachte ich regelmäßig in Bob's Gesellschaft, wie ich denn überhaupt eine warme Zuneigung gegen ihn gewann. Auch war meine Zeit gewiß nicht weggeworfen, denn ich lernte sehr Viel von ihm.

Eines Abends lehnte ich an einer Kanone auf dem Hauptdeck und wartete, bis Croß aus der Kajüte herauskäme, bei welcher Gelegenheit ich durch folgende Unterhaltung zwischen dem Mate des Beischiffführers und einem Matrosen vom Fockmars erbaut wurde. Ich will sie buchstäblich wiedergeben. Sie sprachen von einem Gestorbenen, und nachdem der Mate gesagt hatte: »Nun, er ist jetzt im Himmel, der arme Kerl,« entgegnete der vom Fockmars Folgendes:

»Ich bin doch begierig, Bill, ob ich auch in den Himmel komme.«

»Warum nicht?« erwiederte der Mate des Beischiffführers.

»Ei, der Pfarrer sagt, man brauche gute Werke. Ich bin freilich schon ziemlich oft im Gefecht gewesen, und hab' zu meiner Zeit einem hübschen Häuflein Franzmänner den Garaus gemacht.«

»Nun, das ist hinreichend, sollt' ich meinen. Ich stütze meine Hoffnung just auf dieselben Ansprüche. Hab' ich doch in meinem Leben schon ihrer fünfzig Franzosen niedergehauen, und wenn das nicht gute Werke sind, so weiß ich nicht, wo man sie finden sollte.«

»Nelson ist vermuthlich im Himmel?«

»Natürlich. Gesetzt den Fall, er wollte einmal dort sein und hätte sich's in den Kopf gesetzt, hineinzukommen, so möcht' ich doch wissen, wer ihn hätt' mögen 'naussperren. Nein, nein, verlass' dich drauf – plumps war er drinnen.«

Als wir in Portsmouth wieder angelangt waren, verfügte sich der Kapitän mit seinen Depeschen nach der Admiralität, während die Fregatte segelfertig zu Spithead liegen blieb.

Ich war nun ganz an das Schiff und die Offiziere gewöhnt. Die Ueberzeugung von der Eigenthümlichkeit meiner Lage, zugleich mit dem Rathe des Beischiffführers, hatte mich ziemlich zahm gewacht. Vielleicht halfen auch der durch die Mannszucht eingeflößte Respekt und das Beispiel Anderer mit, daß ich den Kapitän und die Lieutenants mit Ehrfurcht betrachtete. Soviel ist übrigens gewiß, daß ich das Wohlwollen aller meiner Tischgenossen gewann und während der ganzen Fahrt nicht ein einziges Mal in eine Klemme gerieth.

Der erste Lieutenant war ein strenger, obgleich nicht unfreundlicher Mann, der, wenn er zürnte, wohl eine halbe Stunde ohne Unterlaß fortdonnern konnte. Ich habe bei Niemanden einen solchen Redefluß bemerkt; wenn man ihn aber ohne Unterbrechung fortmachen ließ, so begnügte er sich damit, ohne zu weiteren Strafen zu schreiten. Jeder Respektsmangel war ihm jedoch besonders anstößig, und ein Versuch, sich zu entschuldigen, wurde mit den Worten: »Keine Antwort, Sir!« kurz abgeschnitten.

Am zweiten Tage, nachdem wir zu Spithead angelangt, wurde ich in dem Kutter an's Land geschickt, um einen jungen Menschen zu holen, der aus dem Schiff eintreten sollte und der nie zuvor zur See gewesen war; er hieß Green, und war auch wirklich so grün, wie eine Stachelbeere. Ich faßte von dem. Augenblick an. als ich ihn zum erstenmal sah, einen Widerwillen gegen ihn, weil er eine Hakennase und sehr kleine Wieselaugen hatte. Während wir auf die Fregatte zuruderten, stellte er viele und unterschiedliche Fragen, namentlich über den Kapitän und die Offiziere an mich, und um mir und der Bootsmannschaft ein Späßchen zu machen, übte ich meinen Erfindungsgeist, was meine Begleiterin ein unablässiges Kichern versetzte.

Nachdem ich ihm den Charakter des ersten Lieutenants in einer Weise geschildert hatte, daß ihm derselbe wie eine Art seemännischen Währwolfs vorkam, fragte er mich, wie denn ich mit ihm auskomme.

»O, ganz gut,« versetzte ich. »Dieß kömmt übrigens daher, weil wir Beide Freimaurer find, und er verfährt nie strenge gegen einen Bruder Maurer.«

»Aber wie konnte er wissen, daß Sie ein Freimaurer sind?«

»Das erstemal, als er gegen mich zu schmälen anfing, machte ich gegen ihn das Zeichen, und er hörte fast aus der Stelle auf – das heißt, nachdem ich ihm das zweite Zeichen gemacht hatte, da er sich mit dem ersten nicht begnügte.«

»Ich möchte wohl diese Zeichen auch kennen. Wollen Sie wohl so gefällig sein, mir dieselben mitzutheilen?«

»Sie Ihnen mittheilen? O nein, das geht nicht,« entgegnete ich; »ich kenne Sie nicht. Doch da sind wir bei der Fregatte. Ich will Ihnen den Weg hinaufzeigen, Mr. Green.«

Mr. Green wurde so ziemlich wie ich vorgestellt und in den Dienst eingeführt. Indeß hatte er nicht vergessen, was ich ihm über den ersten Lieutenant gesagt, und am dritten Tage war er Zeuge eines Donnerwetters, welches derselbe gegen einen Midshipman losbrechen ließ. Der letztere unterstand sich, zu antworten, und wurde deßhalb für den Rest des Tages nach dem Mastkorbe kommandirt, und ein paar Minuten später ließ der erst? Lieutenant ein paar Matrosen in Eisen legen. Mr. Green zitterte, als er die Matrosen von dem Profos abführen sah und kam zu mir.

»Ich wünschte wohl, Keene, Sie machten mir jene Zeichen namhaft,« sagte er. »Kann Sie denn gar nichts bewegen, mir das Geheimniß anzuvertrauen. Ich will Ihnen ja gerne dafür geben, was Sie von meinem Eigenthume wünschen.«

»Nun,« versetzte ich, »Ihr langes Spähglas stünde mir wohl an, denn es ist sehr gut und könnte mir, als einem Signalmidshipman, nützlich sein.«

»Mit Freuden gebe ich es Ihnen,« entgegnete er, »wenn Sie mir die Zeichen sagen.«

»Wohlan, so kommen Sie mit hinunter, und geben Sie mir das Fernrohr; ich will es Ihnen dann mittheilen.

Mr. Green und ich gingen nach der Midshipmans-Kajüte hinunter, und er machte mir das Spähglas in gebührender Form zum Präsent. Ich führte ihn sodann zu meinem Koffer in dem Zwischendeck und theilte ihm in leisem und vertraulichem Tone Folgendes mit:

»Sie sehen, Green, daß Sie diese Zeichen mit großer Sorgfalt machen müssen, denn wenn Sie einen Mißgriff dabei begehen, so wird es für Sie weit schlimmer ausfallen, als wenn Sie dieselben gar nicht gemacht hätten, denn der erste Lieutenant wird dann annehmen, Sie wollten ihn überreden, daß Sie ein Maurer seien, ohne es zu sein. Merken Sie sich also, daß Sie das erste Zeichen nicht machen dürfen, bis er Sie hübsch abgekanzelt hat. Sie warten dann eine Weile und machen es – sehen Sie, so: Sie müssen Ihren Daumen an Ihre Nasenspitze setzen, die Hand strecken und alle Finger so weit als möglich spreizen. Nun, machen Sie mir's nach. Halt – eine kleine Geduld, bis jener Matrose vorbeigegangen ist. Ja, so ist's recht. Nun, das wäre der erste Beweis Ihrer Freimaurerschaft; aber es bedarf noch eines zweiten. Ich mache Sie im Voraus darauf aufmerksam, daß der erste Lieutenant scheinbar in schrecklichen Zorn gerathen und fortfahren wird, Sie auszuschmälen. Sie müssen daher ein Bischen warten, bis er wieder aufhört, und dann – merken Sie sich 's wohl – Ihren Daumen an die Nase setzen, die Finger in der vorerwähnten Weise ausgebreitet, und dann an den kleinen Finger dieser Hand Ihren andern Daumen anlegen, während Sie die Finger wie bei der ersten ausstrecken. Dann werden Sie die Wirkung des zweiten Zeichens sehen. Glauben Sie, all' Dieß behalten zu können? Denn, wie ich zuvor sagte, Sie dürfen keinen Fehler dabei begehen.«

Green setzte die Hände aneinander, wie ich's ihn geheißen hatte, und erklärte sich nach drei oder vier Proben für völlig eingeschossen, worauf ich ihn verließ.

Ungefähr drei Tage nachher geschah es, daß Mr. Green eine Tonne schmutzigen Wassers auf dem unteren Decke, das am Morgen aufgewaschen worden und jetzt trocken war, umwarf, und der Mate des unteren Decks meldete, um sich selbst zu rechtfertigen, den Umstand an den Lieutenant, als dieser die Runde machte. Mr. Green wurde demnach auf das Halbdeck berufen, und der erste Lieutenant, der sehr zornig war, begann wie gewöhnlich, mit einer vollen Salve von Schimpfwörtern auf den unglücklichen jungen Burschen.

Green, eingedenk meines Unterrichtes, wartete, bis der erste Lieutenant inne hielt, und machte dann das eine Freimaurerzeichen, wobei er den Lieutenant gar keck in's Auge faßte. Dieser trat erstaunt zurück, denn ein so gesetzwidriges Benehmen war bisher am Bord eines Kriegsschiffes noch nicht erhört worden.

»Was, Sir!« rief der erste Lieutenant. »Ei, Sir, sind Sie toll? Sie kommen eben erst in den Dienst und behandeln mich auf diese Weise? Ich kann Ihnen sagen, Sir, daß Sie nicht drei Tage länger im Dienste sein werden – nein, Sir, nicht drei Tage. Entweder treten Sie aus, oder ich. Dieß überbietet alle Respektswidrigkeit, Vermessenheit und Unverschämtheit, wovon ich je gehört – und noch obendrein von einer so kleinen Bestie, wie Sie. Sie begeben sich in Arrest, Sir, bis der Kapitän an Bord kömmt und Ihr Betragen gemeldet ist. Gehen Sie hinunter – auf der Stelle!«

Der Lieutenant hielt inne, und Jener machte nunmehr als Antwort das zweite Zeichen, meinend, daß es jetzt erst zu einem rechten Verständniß kommen werde. Aber zu seinem Erstaunen wurde der erste Lieutenant nur noch wüthender. Er ließ den Profoß kommen, welchem er befahl, Mr. Green unter das Halbdeck hinunter zu nehmen, und ihn daselbst in Ketten zu legen.

Im höchsten Erstaunen über das Fehlschlagen seiner Freimaurerzeichen wurde der arme Green hinuntergeschafft. Ich stand hinten im Schiff und war ganz entzückt über den Erfolg meines Scherzes, während der erste Lieutenant hastig auf- und abging, denn er war eben so erstaunt, als wüthend über das kränkende und unverschämte Benehmen eines jungen Menschen, der kaum eine Woche im Dienste war.

Nach einer Weile ging der erste Lieutenant hinunter, worauf Bob Croß, der gleichfalls auf dem Verdecke gewesen, und meine Freude über die ihm und allen Anderen so unerklärliche Scene bemerkt hatte, auf mich zukam, und sagte:

»Master Keene, ich seh's Ihnen an, daß Sie mehr von dieser Geschichte wissen. Der einfältige Junge hätt' sich nie 'was der Art herausgenommen, wenn er gewußt hätte, was er that. Na. machen's kein so unschuldiges Gesicht, sondern sagen Sie mir, wie's steht.«

Ich ging mit Bob Croß nach hinten und vertraute ihm mein Geheimniß an. Er lachte herzlich und sagte:

»Nun, Tommy Dott hat gesagt, Sie seien zu Allem aufgelegt, und da wird er wohl recht haben. Aber schauen's, das ist ein gar ernster Handel für den armen Green, und 's heißt da, wie in der Fabel von den Fröschen, was Dir Spaß macht, bringt Anderen den Tod. Der arme Junge wird aus dem Dienst gejagt und verliert seine Aussichten, Postkapitän zu werden. Sie müssen mir daher erlauben, die Sache so einzurichten, daß sie bald möglichst zu den Ohren des ersten Lieutenants gelangt.

»Gut,« versetzte ich, »thun Sie, was Sie wollen, Bob. Wenn einer wegen dieses Unsinns aus dem Dienste gejagt werden soll, so muß die Reihe mich treffen, und nicht diesen armen Teufel.«

»Haben's keine Sorge, daß Sie weggejagt werden. Der erste Lieutenant wird d'rum nicht weniger auf Sie halten, und bei den andern Offizieren gewinnen Sie einen Stein im Brett, besonders wenn ich sage, es geschehe auf Ihren Wunsch, daß die Sache aufgeklärt werde und Mr. Green aus der Patsche komme. Ich will zu dem Wundarzt gehen, und ihm's mittheilen; aber, Master Keene, Sie müssen solche Dinge nicht Unsinn nennen, Sie könnten sonst nächster Tage finden, daß Sie auf dem Holzweg sind. All meiner Lebtag sah ich keine solche Respektswidrigkeit auf einem Halbdeck – sie ist tausendmal schlimmer, als Meuterei.«

Hier brach Bob Croß in ein schallendes Gelächter aus, denn er dachte an Green's ausgestreckte Finger; dann wandte er mir den Rücken und ging hinunter, um den Wundarzt zu sprechen.

Sobald Croß das Deck verlassen hatte, konnte ich meine Neugierde hinsichtlich der Lage meines Freundes Greene nicht zügeln. Ich stieg daher die Treppe hinunter nach dem Raume zwischen dem großen und dem Besanmast, und da sah ich auf der Steuerbordseite zwischen den Kanonen den armen Kerl mit gefesselten Füßen und verklammerten Händen, wie er mit einer Jammermiene hin und wieder die Augen nach dem Gebälke des oberen Verdecks erhob, als wolle er den Himmel anrufen. Ich vermochte mein Lachen kaum zu unterdrücken. Endlich ging ich auf ihn zu und sagte:

»Ei, Green, was soll denn dieß – was hat sich zugetragen?«

»Zugetragen?« entgegnete der arme Teufel. »Zugetragen? Sehen Sie selbst, was sich zugetragen hat! Da bin ich.«

»Haben Sie denn die Freimaurerzeichen nicht gemacht?« entgegnete ich.

»Ob ich sie gemacht habe? Freilich habe ich! Ach, was wird aus mir werden!«

»Da müssen Sie wohl einen Irrthum begangen haben. Vermuthlich eine Vergeßlichkeit.«

»Nein, ich habe es ganz so gemacht, wie Sie mir sagten – das weiß ich gewiß.«

»So habe ich mich vielleicht selbst nicht ganz genau erinnert. Indeß seien Sie guten Muth's, ich will dem ersten Lieutenant die ganze Sache auseinander setzen lassen.«

»Ich bitte, thun Sie das, damit ich nur aus dieser Klemme komme. Ich will ja gerne mein Glas nicht wieder zurück haben.«

»Das soll sogleich geschehen,« entgegnete ich.

Ich entfernte mich und traf auf Bob Croß, welcher mir mittheilte, daß ich von dem ersten Lieutenant in der Konstabelkammer erwartet werde.

»Seien's unbesorgt,« sagte er; »Sie haben d'rinnen schon gelacht d'rüber, und der erste Lieutenant ist in der allerbesten Laune. Indeß wird er Sie immerhin tüchtig in die Mache nehmen; das läßt sich erwarten.«

»Soll ich ihm das Zeichen machen, Croß?« versetzte ich lachend.

»Nein, nein; Sie sind schon weit genug, ja sogar schon zu weit gegangen; vergessenes nicht, was ich Ihnen sag'!«

Ich ging nach der Konstabelkammer hinunter, und hörte noch das Kichern der Offiziere, das aber im Augenblicke aufhörte, sobald die Schildwache die Thüre öffnete und mich einließ.

»Sie haben nach mir verlangt, Sir, fragte ich mit gar gesetzter Miene den ersten Lieutenant, indem ich an meinen Hut griff.

»So, Mr. Keene, dem Vernehmen nach sind also Sie es gewesen, der Mr. Green einübte und ihn lehrte, seine Vorgesetzten auf dem Halbdeck achtungswidrig zu behandeln und sie zu beschimpfen. Nun, Sir?«

Ich antwortete nicht, sondern machte nur ein sehr reumüthiges Gesicht.

»Weil ein Junge, der eben erst auf die See kömmt, von seinem Berufe noch nichts weiß, so scheint es Gewohnheit zu sein, daß man ihm alle Arten von Possen spielt und Unwahrheiten aufbindet. Ich will indeß dafür sorgen, daß es in Zukunft unterbleibt. Nun, Sir, was haben Sie zu Ihrer Entschuldigung vorzubringen.«

»Wir beide, Mr. Green und ich, sind noch Neulinge, Sir,« entgegnete ich demüthig, »und die Midshipmen spielen uns so viele Possen, daß ich kaum weiß, ob Das, was ich thue, recht ist oder nicht.«

»Aber es handelt sich davon, Sir, daß Sie Mr. Green diesen Schabernack angethan haben.«

»Ja, Sir; ich machte ihm Scherzes halber Etwas weiß, dachte aber nicht, daß er so einfältig sei, es zu glauben. Ich sagte ihm nur, Sie wären ein Freimaurer, und daß die Freimaurer sehr freundlich gegen einander seien, auch daß sie sich durch Zeichen einander gegenseitig zu erkennen gäben. Ich hörte Sie bei einem Diner in der Konstabelkammer sagen, daß Sie Freimaurer wären, Sir.«

»Ich sagte allerdings so, Sir, aber kann das ein Grund für Sie sein, daß Sie ihn zu solchen Unverschämtheiten veranlassen?«

»Er wollte die Zeichen von mir wissen, Sir, und da ich sie selbst nicht wußte, nannte ich ihm diejenigen, die Mr. Dott und ich unter uns zu machen pflegen.«

»Mr. Dott und Sie – sagte ich's nicht vorhin, ein feines Paar. Ich habe gute Lust, Sie an Mr. Green's Platz zu setzen. Jedenfalls werde ich Ihre Aufführung dem Kapitän melden, wenn er von London zurückkehrt. So, Sir; Sie können gehen.«

Ich machte beim Abgehen ein reumüthiges Gesicht und wischte mit dem Daumen meiner Hand die Augen. Sobald ich draußen war, wartete ich noch ein paar Sekunden vor der Thüre, und als die Offiziere glaubten, ich sei außer Hörweite, machten sie ihrer Heiterkeit Luft. Der erste Lieutenant lachte am lautesten.

Croß hat Recht, dachte ich, als ich die Treppe hinauf ging. Eine Minute nachher war Mr. Green in Freiheit gesetzt und durfte, nach einem tüchtigen Verweis, wieder zu seinem Dienste zurückkehren.

»Sie sind dießmal ordentlich abgekommen, mein Guter,« sagte Bob Croß. »Aber fürchten's nichts, der erste Lieutenant wird kein Wort zu dem Kapitän sagen. Nur in Zukunft es nicht wieder probiren.«

Ein paar Stunden nachher trug sich jedoch ein Vorfall zu, der leicht von weit ernstern Folgen hätte begleitet werden können. Das Schiff war den ganzen Tag von allen nur erdenklichen Fahrzeugen umringt, in welchen sich Juden, Matrosenweiber und dergleichen Personen befanden, die an Bord gelassen zu werden wünschten. ES war schon beinahe dunkel; dabei fluthete es stark, und der Wind blies so kräftig, daß wir hübsch hohe See hatten. Der erste Lieutenant hatte den Verkehr mit den Booten untersagt; demungeachtet aber zögerten sie noch in der Hoffnung, doch noch an Bord gelassen zu werden.

Ich sah eben über den Spiegel weg und bemerkte, daß das Boot einer Victualienhändlerin, welches sich am Bord des Schiffes befand, mit seiner Fangleine fest an der Spiegelleiter lag. Es war ein Fährmann und eine der Matrosenweiber darinnen, denn letztere hatte ihr eigenes Fahrzeug in der Hoffnung verlassen, doch noch an Bord zu kommen, sobald der Fährmann die nicht verkauften Artikel in Empfang nehme und die Victualienhändlerin das Schiff verlasse, was in einigen Minuten zu erwarten stand, da demnächst die Sonnenuntergangsignale gelöst werden sollten. Der Fährmann, welcher es für Zeit hielt, umzuholen, und mit seiner Principalin an Bord zu sprechen wünschte, kletterte die Spiegelleiter hinan.

»Das ist gegen die Ordre, müßt Ihr wissen,« rief ich dem Manne zu.

»Ja, Sir; aber es ist so rauh Wetter, daß das Boot überschüttet wird und versinkt, wenn es noch lange da liegen bleibt. Ich hoffe, Sie werden mich nicht wieder 'nunter jagen. Es gibt ein paar hübsche Kuchen im Boot, Sir – gerade unter der Spitzbank im Stern – wenn Sie Lust daran haben und es für der Mühe werth halten, danach 'nunter zu gehen.«

Dieß war eine Bestechung, aber ich entgegnete: »Nein, ich will nichts von Euren Kuchen, aber Ihr mögt heraufkommen.«

Der Mann dankte mir und ging, sobald er das Deck erreicht hatte, nach vorn. Bei weiterer Erwägung kam ich jedoch zu dem Entschlüsse, mir die Kuchen zu betrachten, weßhalb ich die Spiegelleitet hinunterstieg, dem Weibe im Boote zurief, das Tau auszuholen, und so in das Boot gelangte.

»Was ist Ihr Begehr, mein Lieber?« fragte die Frau.

»Ich möchte etwas von den Kuchen unter der Spitzbank,« antwortete ich.

»Nun, ich will sie gleich ausgepackt haben,« versetzte sie, »und ich hoffe, Sie lassen mich auch ein Bischen an Bord, wenn das Schiff nebenan liegt. Geben Sie Acht, Sir, wie Sie austreten, sonst verwettern Sie alle die Pfeifen. Geben Sie mir Ihre Hand. Ich bin ein alter Matrose.«

»Das sollte ich doch kaum denken,« entgegnete ich, sie ansehend.

Ihr Gesicht konnte ich nicht gut unterscheiden; indeß war sie klein von Figur, und wenn sie auch ein alter Matrose war, so war sie doch gewiß eine junge Frau.

Wir hatten vielerlei wegzuräumen, ehe wir an die Suchen unter der Spitzbank gelangen konnten. Das Boot schwankte auf den Wellen so ungestüm hin und her, daß wir eine Weile aus den Knieen liegen bleiben mußten, ehe wir den Korb erreichten. Als uns dieß endlich gelungen, fanden wir zu unserm Erstaunen, daß die Fangleine auf irgend eine Weise losgeworden war, und daß wir während unseres Suchens wohl hundert Ellen vom Schiff losgetriftet hatten.

»O du himmlische Barmherzigkeit, wir sind triftig geworden!« rief das Weib. »Was sollen wir ansangen? Das Anbreyen hilft nichts, denn sie hören uns doch nicht. Sehen Sie sich um, ob Sie nicht irgendwo ein Boot erblicken.«

»Es ist schon so dunkel, daß wir nicht weit sehen können,« versetzte ich, nicht sehr erbaut von unserer Lage.

»Wo kommen wir wohl hin?«

»Wo wir hinkommen? – Nach St. Helen hinaus, wenn sich das Boot nicht füllt, ehe wir dahin gelangen; vielleicht auch noch weiter in einer solchen Kühlte. Es ist wohl gut, wenn wir unser Gebet sprechen, junger Herr, kann ich Ihnen sagen.«

»Können wir nicht mit dem Boot segeln?« versetzte ich. »Oder vielleicht gelingt's uns, irgendwo an's Land zu treiben? Ich dächte, dieß wäre zuvörderst das Beste. Beten können wir noch immer.«

»Wohl gesprochen, mein Hühnchen,« erwiederte das Weib. »Sie würden wohl mit der Zeit einen guten Offizier gegeben haben, wenn's so weit mit Ihnen kommen könnte. Bei so hohlgehender See können wir übrigens nichts mit den Rudern anfangen, mein Junge, und was das Segeln betrifft, wie können Sie und ich den Mast einsetzen, wenn wir in dieser Weise hin und her geworfen werden? Freilich, wäre der Mast eingesetzt und das Segel ausgezogen, so wollte ich das Fahrzeug wohl steuern; aber dann hätten wir wieder diesen Sturm, für den ältere Hände erforderlich sind, als die unsrigen.«

»Je nun, was können wir thun?«

»Ei, wir müssen eben ruhig sitzen bleiben und uns unsern gutem Glück anheim geben. Wir öhsen das Boot aus Ausschöpfen. und verhüten das Versinken, so lange wir können. Zu gleicher Zeit können wir schreien, oder beten, meinetwegen auch die Kuchen und Pücklinge, oder das Weißbrod und die übrigen Artikel im Boot aufzehren.«

»Wir wollen zuerst das Boot ausöhsen,« erwiederte ich, »denn es ist schon halb voll Wasser. Dann können wir Etwas essen, denn ich bin hungrig und friere, und zuletzt mögen wir unsere Gebete sprechen.«

»Gut, und ich will Ihnen 'was sagen – Etwas zu trinken gibt's auch, denn ich habe, ein Tröpflein für Jem mitgebracht, wenn ich hätte an Bord kommen können. Ich versprach's dem armen Teufel, aber jetzt nützt nichts, es aufzubewahren, denn ich denke, wir werden noch vor Morgen in Abrahams Schooß sein.«

Die Frau zog au« ihren Kleidern einen kleinen Schlauch mit Branntwein heran«, öffnete die Mündung desselben und goß etwas von dem Inhalte in eine der Milchkannen. Nachdem sie selbst getrunken, reichte sie mir das Gefäß, obschon ich es nicht annahm, da ich einen Widerwillen gegen starkgeistige Getränke hatte. »Jetzt nicht,« sagte ich; »vielleicht später.«

Während dieses Gesprächs waren wir durch die starke Fluth und den ungestümen Wind ganz über den Ankergrund bei Spithead hinausgefegt worden. Die Wellen gingen sehr hoch und stürzten in's Boot, so daß wir ohne Unterlaß schöpfen mußten, um nicht zu sinken. Die Nacht war pechfinster; wir konnten nichts sehen, als die Lichter der Schiffe, welche weit hinter uns lagen und, wenn wir Von den Wellen in die Höhe getragen wurden, nur wie kleine Pünktchen flimmerten. Der Wind brüllte, und es hatte ganz den Anschein, als ob eine heftige Bö im Anzuge sei.

»Wenig Hoffnung, daß wir diesen Sturm aushalten,« sagte die Frau. »Wir werden bald versinken, wenn wir das Boot nicht vor den Wind bringen. Ich will sehen, ob ich nicht die Leinen finden kann.«

Nach einer Weile gelang ihr dieß, und mittelst der Ruder brachten wir das Boot vor den Wind. Es fing jetzt viel weniger Wasser, eilte aber mit ungemeiner Schnelligkeit durch die ungestüme See.

»So, jetzt geht's besser; wir kommen hinaus in die See, das ist klar,« sagte das Weib, »und vor Tageslicht werden wir in dem Kanal sein, wenn sich das Boot nicht füllt und sinkt – und dann möge uns Gott gnädig sein! Wollen Sie nicht ein Tröpflein nehmen?« fuhr sie fort, indem sie wieder etwas Branntwein in die Kanne goß.

Da mich jetzt sehr fror, so ließ ich mir's dießmal gefallen. Ich trank ein wenig davon, und die Frau verfügte über den Rest, begann aber auch jetzt, da sie schon früher getrunken, die Wirkungen davon zu spüren.

»So ist's recht, mein kleiner Trojaner,« sagte sie und fing an zu singen. »Ein langer Ruck, ein starker Ruck, und dann noch obendrein ein Ruck; trotz Wind und Wetter, Jungen! Trotz Wind und Wetter, Huck, Huck, Huck! Der arme Jem,« fuhr sie fort, »wie sehr wurde er in seiner Hoffnung getäuscht. Er hatte so zuversichtlich geglaubt, einen guten Abend zu haben, und ich meinte, an seiner Seite schlafen zu dürfen; jetzt aber lungert er mit nüchternem Magen – und ich werde ein Mahl für die Fische abgeben. Bis Morgen werde ich in einem kalten Bette schlafen, das ist gewiß. Geben Sie die Kuchen herüber, junger Herr, wenn Sie sie 'raus-kriegen können; je mehr wir uns anfüllen, desto weniger Raum bleibt für das Salzwasser. Ja freilich, Wind und Wellen sind gewaltige Poltrone; sie weichen schlaff und schüchtern zurück, wenn sie gegen große Schiffe anschlagen, aber wenn sie ein kleines Boot, wie dieses, in die Mache kriegen, so springen und purzeln sie darüber her, als ob sie unserer schon gewiß wären.« (Es stürzte eine neue Welle in das Boot.) »Ja, das ist so eure Art. Kommt nur und versenkt ein kleines Boot, ihr wässerigen Memmen – es ist ja nur ein Weib und ein Knabe. Der arme Jem, er wird mich ein Bischen vermissen, aber noch mehr den Branntwein. Doch gleichviel – noch ein Tröpflein.«

»So gebt mir die Leinen,« sagte ich, als ich bemerkte, daß sie dieselben fahren ließ, »oder wir bieten den Wellen wieder unsere Breitseite.« Ich nahm ihr die Leinen ab, und steuerte das Boot, während sie wieder ihrem Branntweinschlauche zusprach.

»Nehmen Sie nur noch einen Mund voll,« sagte sie, nachdem sie die Milchkanne aufs Neue gefüllt hatte; »'s wird Ihnen nichts schaden.«

Ich dachte ein Gleiches, denn ich war bis auf die Haut durchnäßt, und der heulende Wind schnitt bis in meine Knochen. Ich trank ein wenig und fuhr fort, das Boot vor dem Winde zu halten. Die Wellen schlugen höher und höher, und obgleich ich noch kein Seemann war, so fühlte ich mich doch völlig überzeugt, daß das Boot nicht mehr lange ausdauern konnte.

Inzwischen war das Weib sehr betrunken geworden. Ich kannte die Folgen davon und trug ihr auf, das Boot auszuöhsen. Sie that dieß und sang während ihres Geschäftes ein klägliches Lied: aber das Heulen des Windes ließ mich die Worte nicht unterscheiden.

Ich weiß meine damaligen Gefühle nicht mehr zu zergliedern, denn sie waren ziemlich verwirrt; indeß ist mir noch so viel bekannt, daß Selbstbeherrschung und Hoffnung die überwiegenden waren. Ich dachte an meine Mutter, an meine Tante, an Kapitän Bridgeman, an Kapitän Delmar und an Bob Croß; doch waren meine Gedanken eben so rasch, wie der Sturm, der uns dahin trug, und das Steuern des Boots, wie auch die Bemühungen, es vor dem Sinken zu bewahren, nahm mich dermaßen in Anspruch, daß ich keine Zeit gewann, meine Vorstellungen zu sammeln.

Das Weib nahm wieder zu dem Branntweinschlauche ihre Zuflucht und bot auch mir davon, obgleich ich es ablehnte Ich hatte schon genug, sie aber jetzt so viel getrunken, daß sie nach einem Schöpfversuche vor der Spitzbank niederfiel, die Pfeifen nebst Allem unter ihr zerschmetterte und kein Wort mehr sprach.

Wir waren nunmehr vier Stunden umhergetrieben worden. Der Wind war so ungestüm als nur je, und die Wellen kamen mir sogar noch viel höher vor, als früher. Ich hielt jedoch das Boot stätig vor dem Winde, und allmälig wurde ich des Steverns so sehr gewohnt, daß mein Fahrzeug nicht mehr so viel Wasser fing. Demungeachtet sank es aber augenscheinlich immer tiefer, und nach einer Weile wurde es nöthig, es auszuschöpfen. Ich that dieß mit meinem Hute, denn ich fand, daß es halb mit Wasser angefüllt war, und dann verwünschte ich das Weib, welches sich in einem so bedenklichen Augenblicke dermaßen betrunken hatte, daß es völlig unnütz und unbrauchbar dalag.

Es gelang mir, das Boot von dem größten Theile seines Wassers zu befreien, obgleich dieß kein leichtes Geschäft war, denn da während meiner Arbeit das Fahrzeug dem Winde die Breitseite bot, so stürzten die Wellen während des Ausöhsens unablässig wieder herein. Ich griff dann wieder zu dem Ruder und steuerte abermals vor dem Winde, was ich weitere paar Stunden fortsetzte. Nun schoß aber der Regen in Strömen nieder, und der Sturm wurde wilder als je. Die Portsmouther Fährboote gehören jedoch zu den besten Fahrzeugen von der Welt, und auch das meinige ließ sich nicht schlecht finden. Ich war übrigens noch immer in einer für einen nicht ganz fünfzehnjährigen Jungen äußerst bedenklichen Lage. Meine Zähne klapperten vor Kälte, meine Kleider waren bis auf die Haut durchnäßt, und über mir lagerte eine so dichte Finsterniß, daß ich nichts sehen konnte, als den weißen Schaum der Wellen, welche sich dicht vor dem Schanddeck des Bootes kräuselten und brachen.

Nur für eilten einzigen Augenblick verzweifelte ich, einem unmittelbaren Tode entgegensehend; indeß richtete mich die Schwungkraft meines Geistes wieder aus und gab mich der Hoffnung zurück. In ein paar Stunden mußte es tagen, und – o! mit welcher Sehnsucht sah ich dem Grauen des Morgens entgegen. Ich wußte, daß ich das Boot vor dem Winde halten mußte, und handelte demgemäß; aber die Wellen waren ungestümer als je, und brachen jetzt unablässig in das Boot, denn die Fluth war zurückgekehrt und hatte die Wogen noch mehr angeschwellt.

Abermals verließ ich das Ruder, um auszuschöpfen. Ich war matt und durchkältet, erholte mich aber in Folge der Anstrengung. Meine Versuche, das Weib zu wecken, waren fruchtlos. Ich tastete auch nach ihrem Branntweinschlauch und fand ihn mehr als halb geleert unter ihren Kleidern. Ein kräftiger Zug belebte meinen Muth und meine Kräfte auf's Neue. Dann aß ich, worauf ich wieder mein Boot zu steuern begann und dem kommenden Morgen entgegen sah.

Dieser zog langsam – ach so gar langsam heran: aber endlich kam er doch, und ich fühlte mich beinahe glücklich. Es liegt etwas so Schreckliches in der mit Gefahr verbundenen Dunkelheit, daß ich die Sonne hätte anbeten mögen, als sie langsam in den wässerigen Dünsten des Horizonts auftauchte. Ich blickte umher: es war Etwas wie Land hinter uns – ein Strich wenigstens, wie ihr, mir Bob Croß als Land bezeichnet hatte, als wir in der Nähe der Küste von Portugal segelten. Und so war es auch – es war die Insel Wight; denn mit dem eintretenden Regen hatte der Wind umgeschlagen und ich den Curs des Bootes geändert, so daß ich in den letzten vier Stunden auf die Küste von Frankreich zugesteuert hatte.

Obgleich ich fror, schauderte, und eben sowohl vom Wachen als vom Halten der Seinen, womit ich das Boot steuerte, erschöpft war, so fühlte ich mich doch glücklich bei dem Anblick des Tages. Ich sah auf meine Begleiterin im Boot hinunter. Sie lag in tiefem Schlafe da, während ihr Kopf auf dem Tabakspfeifenkorb ruhte und die verblichenen Bänder ihrer nassen und schlaffen Haube in dem Wasser des umhergeworfenen Bootes hin und her spielten. Das Haar hatte sich gelöst und bedeckte ihr Gesicht beinahe gänzlich. Ich meinte, sie müsse die Nacht über gestorben sein, denn sie rührte sich nicht und schien auch nicht zu athmen. Die Wellen hatten jetzt, nachdem die Fluth ihre Höhe erreicht, etwas nachgelassen, und als die Strahlen des Morgens auf dem Wasser glänzten, schienen dieselben Wogen, welche mir in der Dunkelheit so schrecklich vorgekommen waren, nur lustig um mich her zu tanzen.

Da mich hungerte, so nahm ich aus einem der Körbe einen Pückling, den ich mit den Zähnen zerriß. Dann blickte ich nach allen Richtungen umher, ob ich keines Fahrzeugs ansichtig werden konnte; aber da war nirgends etwas zu sehen, als hin und wieder eine schreiende Möve. Ich versuchte, meine Begleiterin durch Fußstöße zu wecken, was mir übrigens nicht gelang, denn sie wandte sich nur auf den Rücken. Da ihr das Haar jetzt aus dem Gesichte zurückfiel, so entdeckte ich die Züge einer jungen und hübschen Person von leichter und wohlgebauter Figur, die augenscheinlich nicht mehr als neunzehn oder zwanzig Jahre alt war.

So jung ich auch war, hielt ich es doch für Sünde und Schade, daß eine so hübsch aussehende Person – denn trotz der Unordnung und des Schmutzes mußte sie noch immer so genannt werden – sich durch Trunkenheit dermaßen erniedrigte. Ich sah daher nach dem Schlauche, der noch halb mit Branntwein gefüllt war, ergriff ihn und wollte ihn eben über Bord werfen, als mir zu guter Zeit einfiel, daß er mit in dieser Nacht wahrscheinlich das Leben gerettet hatte, und vielleicht noch ferner von Nutzen werden konnte.

Ich wollte den Curs des Bootes nicht ändern, obgleich ich bemerkte, daß wir mehr und mehr von dem Lande abliefen; denn wenn sich auch die See beträchtlich gelegt hatte, so ging sie doch noch immer viel zu hoch, als daß ihr das Boot die Breitseite hätte bieten dürfen. Ich kann nicht sagen, daß ich mich unglücklich fühlte, denn meine Lage war ja jetzt unendlich besser, als während der Dunkelheit der Nacht. Die Sonne schien hell, und ich fühlte ihre Wärme. Es kam mir nicht zu Sinn, daß ich verloren sein könnte – kein Gedanke an den Tod. Zu Essen hatte ich die Hülle und Fülle, und gewiß mußte uns irgend ein Fahrzeug auflesen. Demungeachtet sprach ich meine Gebete mit mehr Inbrunst, als gewöhnlich.

Es mochte gegen Mittag sein, als die Gezeit abermals wechselte, und da der Wind sehr nachgelassen hatte, so waren nur kleine oder gar keine Wellen vorhanden. Bei so milder Bewegung dachte ich nun, wir könnten vielleicht den Fockmast aufrichten und ein kleines Segel aussetzen, weßhalb ich abermals ernstliche Versuche machte, meine Begleiterin zu wecken. Nach einigen nicht sehr Höflichen Versuchen gelang es mir, mich davon zu überzeugen, daß sie noch am Leben war.

»Sei ruhig, Jem,« sagte sie, mit noch immer geschlossenen Augen; »'S ist noch nicht fünf Uhr.«

Ein paar weitere Fußstöße, worauf sie sich umwandte und wirr umherstierte.

»Jem!« rief sie, ihre Augen ausreibend. Dann blickte sie umher und schien sich mit einemmale des Vorgegangenen zu erinnern. Sie stieß einen Ruf des Schreckens aus und bedeckte das Gesicht mit ihren Händen.

»Ich meinte, es sei ein Traum, und wollte ihn Jem beim Frühstück erzählen,« sprach sie bekümmert; »aber es ist Alles wahr – wahr wie das Evangelium. Was soll aus uns werden? Wir sind verloren, verloren, verloren!«

»Wir sind nicht verloren, lägen aber ohne Zweifel jetzt im Grunde des Meeres, wenn ich so getrunken hätte, wie Ihr,« versetzte ich. »Ich kann Euch sagen, daß ich genug zu arbeiten hatte, um das Boot über dem Wasser zu erhalten.«

»Das ist wahr,« entgegnete sie, indem sie aufstand und sich auf den Dost des Bootes setzte. »Gott vergebe mir armem, unglücklichem Weibsbild! Was wird Jem denken, und was wird er sagen, wenn er meine beste Haube in einem solchen Zustande sieht.«

»Wißt Ihr auch gewiß, daß Ihr Jem je wieder sehen, oder Eure beste Haube wieder brauchen werdet?« erwiederte ich.

»Freilich, freilich. Wenn Jemands Körper von den grünen Wellen umhergestoßen werden soll, so liegt nicht viel daran, welche Haube oder welches Halstuch er trägt. Wissen Sie, wo wir sind?«

»Ich sehe von hier aus gerade noch Land,« versetzte ich, nach hinten deutend. »Die See ist ruhig; ich denke, wir können den Fockmast aufrichten und ein Segel beisetzen.«

Das junge Weib stand im Boote auf.

»Ja,« sagte sie, »ich fühle mich ziemlich fest – 's wird, glaube ich, gehen. Gestern Nacht in der Dunkelheit und auf dem stürmischen Meere konnte ich nichts thun, aber jetzt kann ich«. Welch' ein Segen ist das Tageslicht für so zaghafte Personen, wie ich – nur vor der Dunkelheit habe ich Angst. Wir müssen ein Segel aussetzen, sonst sieht uns Niemand. Was thaten Sie mit dem Branntweinschlauch?«

»Ich habe ihn über Bord geworfen,« antwortete ich.

»Wie, Sie hatten den Muth, dieß zu thun, und doch eine so feuchte und kalte Nacht durchzumachen? Nun, 's ist recht so – aber ich hätte es nicht können. O, dieser Branntwein – dieser Branntwein! Ich wollte, es gäbe gar kein solches Getränk auf der Welt, – aber jetzt ist's zu spät. Als ich James Pearson heirathete und die Guirlande an das große Stag der Fregatte gehängt hatte, konnte mich Niemand bereden, es anzurühren, nicht einmal James selbst, so sehr ich ihn auch liebte. Sonst pflegte er mit mir zu zanken, weil ich nicht trinken wollte, aber jetzt zankt er mit mir, weil ich das Meiste trinke. Wenn Sie vorwärts kommen und mir helfen wollen, Sir, so werde ich den Fockmast bald aufgerichtet haben. Dieser ist es: das Klüver ist um ihn geschlungen. Jem sagt oft, ich würde einen Kapitalmatrosen abgeben, wenn ich mich nur in Mannskleider steckte; aber ich sage ihm, ich würde wegen Trunkenheit vor dem Gange zu Tode gepeitscht sein, noch ehe ich eine Woche an Bord wäre.«

Es gelang uns, den Mast aufzurichten und da» Klüver nebst dem Focksegel beizusetzen. Sobald die Schooten hinten angeholt waren, ergriff meine Begleiterin die Ruderleinen und sagte:

»Jetzt, da es Tag ist und ich nüchtern bin, weiß ich das Boot wohl zu handhaben. Sie müssen sehr müde sein, Sir; setzen Sie sich also auf den Doft, oder legen Sie sich meinetwegen nieder, um ein Bischen zu schlafen. Es ist jetzt Alles recht, sehen Sie, wir legen hübsch auf Land an.«

Dieß war auch der Fall, denn sie hatte das Boot in den Wind gebracht, und wir bewegten uns mit einer Geschwindigkeit von drei oder vier Meilen Englische Meilen, deren etwa fünf auf eine deutsche gehen. in der Stunde über die Wellen hin. Ich halte keine Lust, zu schlafen, sondern öhsete das Boot völlig aus, und brachte die Körbe und Truhen in eine Art von Ordnung. Dann setzte ich mich auf den Dost und schaute umher, ob ich sein Fahrzeug erblicken konnte. Da keines in Sicht war, so knüpfte ich mit meiner Begleiterin ein Gespräch an:

»Wie heißt Ihr?« fragte ich.

»Peggy Pearson. Ich kann meine Ehestandsleinen aufweisen, und Gott verzeih' mir's, Niemand wird mir sonst etwas Unrechtes nachsagen, als daß ich den Branntwein liebe.«

»Und wie kam es denn, daß Ihr jetzt so erpicht auf denselben seid, da Ihr doch sagt, es sei vor Eurer Verheirathung nicht der Fall gewesen?«

»Ach, das kam bloß vom Schlürfen her. James pflegte mich auf seine Kniee zu nehmen, und bestand darauf, daß ich ihn ein Bischen versuchen sollte. Ich that es ihm zu Gefallen, obgleich ich Anfangs fast krank davon wurde; aber bald machte ich mir nicht mehr viel daraus. Denn sehen Sie, als ich mit den andern Weibern am Ausfahrthafen wartete, pflegte der Wind steif zu wehen und, während wir am Ufer, die Arme in unsere Schürzen eingewickelt, auf ein Boot vom Schiff warteten, uns mit der Sprühe hübsch einzuweichen. Meine Kamerädinnen hatten ihre Viertelsnösel bei sich, und veranlaßten mich, auch ein Tröpfchen zu nehmen, und so ging es fort. Dann mußte ich James Branntwein an Bord bringen, und ich trank mit ihm. Was mir aber den Garaus machte, war, daß ich von James, als er in Plymouth war, Etwas hörte, wodurch ich eifersüchtig wurde, und damals betrank ich mich zum erstenmale. Von dort an war Alles vorbei mit mir, aber, wie vorhin gesagt, es nahm mit dem Schlürfen seinen Anfang – leider, jetzt ist's schon geschehen. Sagen Sie mir, was während der Nacht vorgegangen ist. Ist das Wetter sehr schlimm gewesen?«

Ich erzählte ihr Alles, wie auch, daß ich versucht hatte, sie mit Fußstößen zu wecken.

»Nun, ich verdiente mehr, als Fußstöße, und Sie sind ein hübscher, tapferer Junge. Wenn wir wieder an Bord der Kalliope kommen – und ich hoffe zu Gott, daß es der Fall sein wird,– so will ich Sorge dafür tragen, daß Ihr Verdienst gehörig ausposaunt wird.«

»Ich brauche Niemand, um für mich die Posaune zu blasen,« entgegnete ich.

»Sie müssen nicht so stolz sein. Ein gutes Wort von mir kann Ihnen recht wohl zu frommen kommen, und das verdienen Sie. Die Schiffsmannschaft wird hoch von Ihnen denken, kann ich Ihnen sagen. Ein guter Name ist wohl etwas werth – das hat vordem schon mancher Kapitän erfahren müssen. Sie sind nur ein junger Mensch, aber demungeachtet ein wahres Trumpf-Aß, und sowohl Matrosen, als Offiziere sollen davon Kunde erhalten.«

»Wir müssen zuerst an Bord des Schiffes gelangen,« versetzte ich; »bis dahin haben wir aber noch einen weiten Weg!«

»Es steht nicht schlimm mit uns, und ich habe keine Furcht. Wenn wir auch kein Schiff zu sehen kriegen, so werden wir doch vor morgen früh an's Land kommen, denn es hat nicht das Aussehen, als ob wieder schlecht Wetter eintreten wollte. Ich bin doch begierig, ob man Niemand ausgeschickt hat, um nach uns zu sehen?«

»Was ist das?« fragte ich, nach hinten deutend. »Ein Segel!«

»Ja,« rief Peggy, »es ist so – ein Raasegelschiff, das den Kanal heraufkömmt. Wir werden gut thun, zu laviren und darauf loszusteuern.«

Wir holten das Boot um, und hielten uns in die Richtung des Schiffes, das wir auch in drei Stunden erreichten. Ich breyete es an, sobald es in unsere Nähe kam; es schien uns jedoch weder zu hören, noch zu sehen, denn es hatte die unteren Leesegel beigesetzt, und Niemand befand sich vorne. Wir breyeten abermals das jetzt nur zwanzig Ellen entfernte Schiff an, dessen Bug wir quer gegenüberstanden, und jetzt kam ein Mann zum Vorschein, welcher uns zurief: »An Steuerbord das Ruder!« Dieß geschah jedoch nicht zeitig genug, um zu verhindern, daß das Schiff nicht unser Boot streifte und dessen Windführung einstieß. Unser Fahrzeug füllte sich mit Wasser, und während wir von den Matrosen über das Schanddeck aufgeholt wurden, überschlug es und blieb weit hinter dem Sterne des Schiffes zurück.

»Das Carambuliren ist ihm übel bekommen, mein Junge,« sagte einer der Matrosen, welcher mich an Bord geholt hatte.

»Ei, haltet Ihr keinen besseren Lugaus?« rief Peggy Pearson, ihr bis an die Kniee nasses Kleid schüttelnd. »Malt Augen in die Buge Eurer Brigg, wenn Ihr selbst keine habt. Nun, Ihr habt ein Boot voll Pücklinge, Eier und Weißbrods verloren – keine üble Dinge nach einem langen Kreuzzug. Wir hätten unser Ueberfahrtgeld damit bezahlt – jetzt müßt Ihr uns umsonst mitnehmen.«

Der Schiffsmeister, welcher auf dem Deck war, bemerkte, daß ich die Uniform eines Offiziers trug. Auf seine Frage, wie ich in eine solche Lage gekommen, erzählte ich ihm den Vorgang in kurzen Worten. Er sagte, er komme von Cadiz und fahre nach London; er wolle mich daher, wo es mir genehm sei, in der Themsemündung an's Land setzen, könne aber nicht den günstigen Wind unbenützt lassen, um mich irgendwo anders zu landen.

Ich war zu dankbar, nur irgendwo wieder an's Ufer zu kommen, und sagte ihm daher, daß es mir lieb wäre, wenn er mich bei Sheerneß an's Land setzte, da dieß Chatham am nächsten lag. Dann bat ich ihn um die Erlaubniß, eines der Betten in der Kajüte benützen zu dürfen, wo ich auch alsbald in festen Schlaf versank.

Ich muß hier bemerken, daß mich eine Schildwache an der Spiegelleiter in das Boot hatte hinuntersteigen sehen, und als der Fährmann bald hernach zurückkam, um dasselbe aufzuholen, bemerkte man, daß es triftig geworden war, was um meinetwillen eine große Unruhe veranlaßte. Es war zu dunkel, um in derselben Nacht noch ein Boot nach uns auszuschicken; des andern Morgens wurde jedoch der Vorfall an den Hafenadmiral gemeldet, welcher einen Kutter beauftragte, unter Segel zu gehen und uns aufzusuchen.

Der Kutter kreuzte den ersten Tag an der Küste, und als er am Morgen, nachdem ich von der Brigg aufgenommen worden, mehr seewärts steuerte, traf er auf das umgeschlagene Fährboot. Dieß überzeugte die Spähenden, daß wir in der stürmischen Nacht zu Grunde gegangen seien, wie denn auch demgemäß der Bericht an den Hafenadmiral und an Kapitän Delmar, der eben von London gekommen war, erstattet wurde.

Im schlief bis zum nächsten Morgen herrlich, und als ich erwachte, fand ich, daß sich der Wind beinahe völlig gelegt hatte. Peggy Pearson befand sich auf dem Verdecke; da sie sich gewaschen und die Bänder ihrer Haube geplättet hatte, so sah sie in der That recht hübsch aus.

»Mr. Keene,« sagte sie, »ich habe Ihren Namen nicht gewußt, eh' Sie ihn dem Schiffer hier mittheilten; aber Sie sind da in einer feinen Patsche. Ich weiß nicht, was Jem Pearson sagen wird, wenn Sie zurückkommen, nachdem Sie mit seinem Weibe davon gelaufen find. Meinen Sie nicht, es sei besser, wenn ich zuerst zurückgehe und die Sache in's Glatte bringe?«

»Ah! Ihr habt jetzt gut lachen,« versetzte ich; »aber in der Nacht, als wir triftig wurden, ist's Euch wohl vergangen!«

»Nun, das war auch nichts zum Lachen. Ich verdanke Ihnen mein Leben, denn wenn ich allein im Boot gewesen wäre, so würde ich nie wieder meinen Fuß an's Land setzen. Sie mögen auch wissen,« sagte sie in sehr vertraulichem Tone zu mir, »daß ich ein Gelübde abgelegt habe – ja, ein theures Gelübde, daß ich das Trinken aufgeben will. Ich hoffe nur, daß mir der Himmel Kraft verleihen wird, es zu halten.«

»Meint Ihr wirklich, es halten zu können?« fragte ich.

»Ich denke wohl; denn wenn ich erwäge, daß ich hätte in jenem Zustande vor den Richterstuhl Gottes gerufen werden können, so fühle ich einen wahren Abscheu gegen den Branntwein. Wenn ihn James aufgeben würde, so weiß ich's gewiß, daß ich's auch könnte. Aber darauf habe ich einen theuren Eid gethan, ihm keinen Branntwein mehr an Bord zu bringen. Mag er immerhin schmälen oder mich sogar schlagen (ich glaube aber nicht, daß er dieß thun wird, da ich noch nie von ihm mißhandelt wurde), mag er übrigens thun, was er will, ich bringe ihm keinen mehr, und wenn er nüchtern bleibt, weil es ihm an Mitteln gebricht, sich zu betrinken, so bin ich überzeugt, daß auch ich mein Gelübde halten werde. Sie wissen nicht, wie ich mich selbst hasse, und wenn ich heiter bin, so ist's nur deßhalb, weil ich dadurch verhindern will, daß ich nicht niedersitze und wie ein Kind über meine Thorheit und Gottlosigkeit weine, die mich veranlaßt, der Versuchung nachzugeben.«

»Ich dachte nicht, etwas Solches von Euch zu hören. Als ich mit Euch in dem Boote war, hielt ich Euch für eine ganz andere Person.«

»Ein Weib, das trinkt, Mr. Keene, ist zu Allem unnütze. Ich habe mir das oft selbst gesagt, wenn ich wieder nüchtern wurde. Vor fünf Jahren war ich das beste Mädchen in der Schule. Man hatte mich zur Aufseherin gemacht, und wegen meines Wohlverhaltens mit einer Medaille belohnt. Wie glücklich hoffte ich mit James zu sein, den ich so innigst liebte und noch so innig liebe. Ich wußte, daß er ein Freund des Branntweins war, dachte aber nie, daß er mich zum Trinken verleiten würde, sondern meinte, im Gegentheil, ihn davon kuriren zu können. Nun, mit Gottes Hülfe kann es noch jetzt geschehen; ich will's nicht nur ihm, sondern auch mir abgewöhnen.«

Ich bemerke hier, daß Peggy Pearson, deren einziger Fehler ihre Trunkliebe war, ihr Gelübde treulich hielt; wie schwer es ihr übrigens geworden, vermögen wohl nur diejenigen zu würdigen, die an einem gleichen Gebrechen gelitten. Sie befliß sich jedoch nicht nur für ihre Person der Nüchternheit, sondern gewann es nach und nach auch über ihren Gatten, seine Vorliebe für den Branntwein aufzugeben.

Wir langten erst am Abend des vierten Tages bei Nore an. Ich hatte, als ich triftig wurde, vier Pfund in meiner Tasche, welche mehr als hinreichend gewesen wären, selbst wenn ich keinen Besuch bei meiner Mutter beabsichtigt hätte. Ein Fährboot kam an das Schiff, worauf ich dem Kapitän meinen Dank abstattete, den Matrosen einen Souvereign gab, um meine Gesundheit zu trinken, und mit Peggy Pearson das Boot bestieg.

Sobald wir bei Sheerneß gelandet hatten, schenkte ich Peggy gleichfalls einen Souvereign, und überließ es ihr, sich nach Portsmouth zurückzufinden, während ich mich nach Chatham auf den Weg machte.

Es war acht Uhr vorbei und schon ganz dunkel, als ich vor dem Hause meiner Mutter anlangte. Der Laden war geschlossen, weßhalb ich durch die nicht verriegelte Hinterthüre eintrat und, ohne auf Jemand zu treffen, mich nach der kleinen Wohnstube begab.

Droben bewegte sich Etwas, und ich glaubte, schluchzen zu hören, was mich auf den Gedanken brachte, mein muthmaßlicher Verlust möchte bereits meiner Mutter mitgetheilt sein. Auf dem Tische stand ein Licht, neben welchem ein offener Brief lag. Ich betrachtete ihn näher und fand, daß er von Kapitän Delmars Hand geschrieben war. Nachdem ich den tief abgebrannten Docht der Kerze geputzt hatte, hielt ich das Schreiben gegen das Licht und las, wie folgt:

» Meine theure Arabella!

»Du mußt dich auf eine sehr traurige Botschaft gefaßt machen, und mich trifft die schmerzliche Nothwendigkeit, sie dir mittheilen zu müssen. Ein schrecklicher Vorfall, den ich aufrichtig mitfühle, hat sich zugetragen. In der Nacht vom Zehnten war Percival in einem Boote, das durch einen Sturm von dem Schiff losgerissen wurde. Es war dunkel, weßhalb die Thatsache unbekannt blieb, bis es zu spät war, Beistand zu leisten.

»Des andern Tages schickte der Admiral einen Kutter aus, um nach dem Boot, das in die See hinausgetrieben worden sein mußte, zu sehen; außer unserem armen Knaben befand sich noch ein Weib darin. Leider wurde das Boot umgestürzt wieder gefunden, und es unterliegt keinem Zweifel, daß unser liebes Kind ein Raub der Wellen geworden ist.

»Du wirst mir glauben, wenn ich sage, daß ich seinen Verlust tief beklage, nicht nur um seinetwillen, sondern auch weil er mit um seiner vielen guten Eigenschaften lieb geworden ist. Wie oft habe ich nicht bedauert, daß mich seine eigentümliche Lage hinderte, ihm offen jene Liebe zu zeigen, die ich als sein Vater wirklich gegen ihn fühlte.

»Ich weiß, daß ich durch Worte deinen Kummer nicht lindern kann, wie gerne ich, es auch möchte, denn du bist seit unserer ersten Bekanntschaft so treulich und angelegentlich bemüht gewesen, mir in jeder Hinsicht zu Gefallen zu leben, daß du Alles verdienst, was in meinen Kräften liegt.

»So tröste dich denn, theure Arabella, so gut du kannst, mit dem Gedanken, daß es der Wille des Himmels gewesen ist, dessen Beschlüssen wir uns mit Ergebung unterwerfen müssen. Ich bin selbst tief bekümmert, denn wäre er am Leben geblieben, so hätte ich wahrlich weit mehr für ihn gethan, als ich dir je versprochen hatte. Wäre es die Absicht der Vorsehung gewesen, ihn uns zu erhalten, so wäre wohl ein guter und tüchtiger Seemann aus ihm geworden, auf den du hättest stolz sein mögen; so aber sollte es anders gehen, und wir müssen uns mit Ehrfurcht in Gottes Willen fügen. Der Herr segne dich und stärke dich in deiner Trübsal.

»Dein
aufrichtiger und getreuer
Percival Delmar.«

Es ist also doch so, dachte ich; da habe ich es Schwarz auf Weiß. Ich schlug den Brief zusammen und steckte ihn in meine Brust. Du sollst mein Eigenthum bleiben, murmelte ich. Die Aufregung hatte mir fast den Athem benommen, und ich setzte mich nieder, um mich zu erholen. Nach ein paar Minuten zog ich den Brief wieder heraus und las ihn noch einmal. Er ist also mein Vater und liebt mich – darf mich's aber nicht merken lassen – und beabsichtigt, sogar mehr für mich zu thun, als er meiner Mutter versprochen hat.

Ich schlug den Brief zusammen, küßte ihn mit Wärme und barg ihn wieder in meinem Busen. Doch was soll ich jetzt thun? dachte ich. Meine Mutter wird diesen Brief von mir verlangen, soll ihn aber nie erhalten. Nein, keine Thränen, keine Drohungen, keine Bitten werden im Stande sein, mich zu veranlassen, daß ich mich je davon trenne. Was ist zu thun? Niemand hat mich gesehen – Niemand weiß, daß ich hier gewesen bin. Da kann ich gleich aufbrechen und wieder auf mein Schiff gehen. Ja, das wird das Beste sein.

Ich war so sehr in meine Träumereien vertieft, daß ich einen die Treppe herabkommenden Fußtritt erst vernahm, als es zu spät für mich war, um noch entweichen zu können. Ich wollte mich daher verstecken. Aus dem Ton der Salbandschuhe erkannte ich, daß es meine Großmutter war. Nach kurzer Ueberlegung blies ich das Licht auf dem Tische aus und stellte mich in eine Attitüde; den einen Arm in die Luft erhoben und den andern vor mir ausgestreckt, mit weit offenem Munde und starren Augen harrte ich ihrer Ankunft. Sie kam herein – sah mich – stieß einen Schrei des Entsetzens aus und sank besinnungslos zu Boden. Die Kerze in ihrer Hand war während des Falles erloschen. Ich schritt über ihren Körper weg, stürzte in den Hinterhof hinaus, gewann die Thüre, und war in einer Minute auf der Straße.

*

 


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