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Dreiunddreißigstes Kapitel

Ich hatte den alten Waghorn, den Onkel von Jane, nicht besucht, da ich fürchtete, er möchte in dem nunmehrigen Kapitän der Circe den angeblichen Agenten aus früheren Tagen erkennen. Die übrigen Sinne der Blinden sind in der Regel sehr stark; die Natur scheint ihnen damit eine Art von Ersatz für den schweren Verlust, von dem sie heimgesucht wurden, ertheilt zu haben.

Mit den Jahren war ich weiser geworden, und ich konnte nicht umhin, zu bemerken, daß die Schelmereien, welche ich als Midshipman nicht nur für sehr rechtfertigbar, sondern auch für gute Späße gehalten hatte, unausbleiblich mit nicht erfreulichen Resultaten verbunden sind. Selbst in dem vorbenannten unbedeutenden Falle war mir bange, ob ich, wenn ich der Hochzeit anwohnte, nicht erkannt würde und vielleicht zu einem unseligen, Bob's Hoffnungen feindlichen Bruch Anlaß gäbe, indem ich den Argwohn des blinden Mannes weckte. Diese Besorgniß hatte ich auch dem Hochbootsmann mitgetheilt, worauf dieser übrigens entgegnete:

»Nun, Kapitän Keene, 's ist ja Alles in guter Absicht geschehen, und ich glaube nicht, daß wir da viel zu fürchten haben. Ohnehin ist's schon lange her, und Sie waren damals noch kein Mann, wie jetzt. Freilich heißt's im Sprüchwort: Hinterlist schlägt seinen eigenen Herrn, und ich glaube, daß man's selten damit lange treibt; aber es würde Jane sehr leid thun, wenn Sie nicht kämen.«

»Da ist wohl nicht anders zu helfen, Bob, als wenn ich meine Stimme verstelle. Ich muß ferner täuschen, um den ersten Betrug zu bemänteln. Das ist so in der Regel der Welt Lauf.«

»Ich nenne es nicht Betrug, Sir, beim vom Betrügen habe ich eine ganz andere Ansicht. Ja, ich wollt's mir gefallen lassen, wenn Sie einen Vortheil für sich dabei erzielt hätten; aber da Sie ja nur einem Andern helfen wollten, so liegt in der ganzen Geschichte nichts sonderlich Arges.«

»Ich kann nicht mit Ihnen übereinstimmen, Bob; doch lassen wir's beruhen. Ich komme um zehn Uhr zu Ihnen, denn dieß ist, wie Sie sagen, die Stunde Ihres Kirchgangs.«

Diese Unterhaltung fand am Morgen der Trauung statt. Ungefähr um acht Uhr kleidete ich mich an, nahm mein Frühstück zu mir, ließ mich dann in einer Fähre nach Gosport übersetzen, und in einer halben Stunde befand ich mich vor dem Hause, wo ich eine Menge Leute mit weißen Schleifen traf, welche sich dermaßen umhertummelten, daß ich dadurch unwillkührlich an einen Bienenstand erinnert wurde, dessen Bewohner im Begriffe sind, zu schwärmen.

»Da kömmt der Kapitän, Sir,« sprach Bob, der mir begrüßend entgegenging, denn die Braut befand sich nebst ihrer Mutter noch auf ihrem Zimmer.

»Freut mich recht, Sie zu sehen, Sir; ich gratulire Ihnen, Mr. Waghorn,« begann ich, ihm die Hand reichend.

»Sind sie also Kapitän Keene, dessen Briefe an die Admiralität Jane mir so oft aus den Zeitungen vorgelesen? Wo haben wir uns denn schon getroffen? Die Stimme ist mir nicht unbekannt.«

»Wirklich, Sir?« versetzte ich, etwas verwirrt.

»Ei, freilich; ich vergesse nie eine Stimme. Lassen Sie sehen, – ei, Kapitän, Sie waren mit Croß hier, als ich Sie das erstemal hörte. Damals waren Sie ein Agent, und jetzt sind Sie ein Kapitän,« fuhr der alte Mann mit einer ernsten Miene fort.

»Bst, Sir,« versetzte ich; »bitte, sprechen Sie nicht so laut. Erinnern Sie sich nicht mehr, weßhalb ich damals gekommen? Glauben Sie denn, ich hätte Sie, als einen völlig Fremden, wissen lassen können, daß ich ein Offizier in seiner Majestät Diensten war, wenn ich einem Gefangenen entkommen half?«

»Sehr wahr,« versetzte der alte Mann; »ich kann Ihnen deßhalb keinen Vorwurf machen. Aber war Croß damals auch ein Chargirter im Dienst?«

»Nein, Sir,« antwortete ich; »er wurde erst von dem Admiral in Westindien meinem Schiffe als Hochbootsmann beigegeben.«

»Freut mich, das zu hören. Ich dachte, Croß hätte mich gleichfalls getäuscht, denn Jedermann versucht einen blinden Mann zu hintergehen, und wer das Licht seiner Augen verloren hat, ist argwöhnisch. Ja, es ist mir wahrhaftig lieb, daß Croß mich nicht betrogen hat, denn sonst wollte ich meine Nichte lieber in ihrem Sarge sehen, ehe – doch nichts mehr davon; Sie konnten nicht anders, und so ist Alles recht, Sir. Freut mich, daß Sie uns die Ehre Ihres Besuches schenken. Bitte, setzen Sie sich, Sir. Nebenbei, Kapitän Keene, haben Sie seitdem nichts mehr von dem Frauenzimmer gehört?«

»Mein lieber Sir,« versetzte ich, froh, ihn durch mein Vertrauen gewinnen zu können, »wir haben jetzt keinen Grund mehr zu Geheimnissen. Sie haben keinem Frauenzimmer, sondern dem Sohn des Kapitäns einer holländischen Fregatte, einem feindlichen Offizier, zur Flucht mitangeholfen.«

»Da wundert's mich um so weniger, daß Sie sich nicht zu erkennen gegeben haben,« entgegnete der Greis. »Hätte ich aber gewußt, daß sich's um einen Offizier handelte, so würde ich meine Hand nicht in's Spiel gesteckt haben. Freilich, einer armen Frauensperson beizustehen, war Menschenfreundlichkeit, und ich armer blinder Sünder meinte, ein christliches Werk zu thun.«

»Sie haben das auch wirklich gethan, Sir, und der Himmel wird Sie dafür belohnen.«

»Wir sind elende, gottlose Kreaturen, Kapitän Keene,« erwiderte er. »Ich wollte, dieser Tag wäre vorüber, und das Glück meiner armen Jane gegründet. Dann habe ich weiter nichts mehr zu thun, als meine Bibel zu lesen, und mich auf den Tag meiner Abberufung vorzubereiten; verlassen Sie sich darauf, es geschieht nie zu bald, Sir.«

Das Erscheinen der Braut mit ihren Kränzeljungfern steckte unserer Unterhaltung ein Ziel, was ich nicht sehr bedauerte. Der Zug wurde geordnet, und wir brachen in langer, bunter Prozession zu Fuß nach der Kirche auf. In einer halben Stunde war die Feierlichkeit vorüber, und wir wieder auf dem Heimweg. Ich ersah nunmehr eine Gelegenheit, Croß mitzutheilen, was zwischen mir und dem alten Waghorn vorgefallen war.

»Wahrhaftig, das heißt mit knapper Noth davonkommen, Sir,« versetzte Bob; »denn hätt' sich der alte Herr nicht zufrieden gegeben, so würd' er sich so hartnäckig erwiesen haben, daß der Handel noch vor der Kirchenthür abgebrochen worden wäre. Nun, Sir, ich sagte immer, schon als Sie noch ein Middy waren, daß Sie sich prächtig darauf verstünden, sich aus einer Patsche zu helfen, und Sie scheinen dieses Talent nicht verloren zu haben. So ist's ja ganz vortrefflich gegangen.«

»Mag sein, Bob; aber in Zukunft habe ich nicht Lust, mich auf's Neue in Klemmen zu bringen, und dann muß es noch trefflicher gehen.«

Ich verließ jetzt Croß, um mich mit Jane zu unterhalten, welche an ihrem Ehrentage wunderhübsch aussah. Es war ein herrlicher Herbsttag, weßhalb man das Diner im Garten zugerüstet hatte. Wir saßen unser Zwanzig bei Tafel und bildeten eine ungemein fröhliche Gesellschaft. Der alte Waghorn war der Einzige, welcher sich bei dieser Gelegenheit im Trunke übersah, und es machte uns tausend Spaß, ihn anzuhören, wie er zu seiner Beschönigung eine Menge von Bibelstellen anführte und sich selbst einen alten, blinden, armen Sünder nannte. Die Gesellschaft trennte sich erst um acht Uhr Abends, und es kostete mich einige Mühe, die Leute zum Aufbruch zu bewegen. Was den alten Mann betraf, so hatte man ihn schon vor einer Stunde zu Bette gebracht. Nachdem sich Alles entfernt, blieb ich noch ein paar Minuten, gab dann Jane einen Kuß, drückte Bob die Hand und kehrte nach Portsmouth zurück.

*

 


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