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Zweites Kapitel

Es gibt nichts Beständiges auf der Welt. Das Parlament löste sich auf, und bei der folgenden Wahl hielten es die Wähler des ehrenwerthen Kapitän Delmar (nicht ganz zufrieden über die gänzliche Gleichgültigkeit, welche er für ihre Interessen gezeigt hatte) für passend, an seine Stelle ein anderes Mitglied zu wählen, das, wie auch Kapitän Delmar früher gethan hatte, Alles versprach, um wahrscheinlich später dem Beispiel des ehrenwerthen Kapitäns zu folgen – nämlich nichts zu thun. Seinem Durchfallen bei der Wahl folgte auch der Verlust seines Schiffes, denn Seiner Majestät Gouvernement erachtete es nicht für nöthig, daß Kapitän Delmar (nun er Muße hatte, seinen Berufsobliegenheiten nachzukommen) sein Kommando beibehalten sollte. Die Fregatte wurde daher abgelohnt und mit einem andern Kapitän besetzt, der Federn im Parlament hatte.

Da Ben Keene zu dem Marinekorps gehörte, so konnte er natürlich nicht als Kammerdiener bei Kapitän Delmar bleiben, sondern mußte mit der übrigen Abtheilung die Kaserne zu Chatam beziehen, meine Mutter war zwar fest entschlossen, nicht in der Kaserne zu leben, nahm es übrigens doch nicht schwer zu Herzen, die Halle zu verlassen, wo es ihr unmöglich entgehen konnte, daß sie wegen ihres unklugen Betragens nicht länger mit der Achtung und Herzlichkeit behandelt wurde, an die sie sonst gewohnt gewesen. Sie sehnte sich sogar von einem Orte weg, wo ihr Fehltritt so wohl bekannt war. Kapitän Delmar ertheilte ihr einen Rath, der ganz mit ihren eigenen Ansichten übereinstimmte, und verließ die Halle, nachdem er ihr ein sehr freigebiges Geschenk gemacht hatte, um sie in den Stand zu setzen, eine eigene Haushaltung anzufangen. Als die Räder seines Wagens über den Kiesweg hinrasselten, kehrte sie nach ihrem Zimmer zurück, wo sie viele bittere Thränen über ihrem nichts ahnenden Kindlein vergoß.

Den folgenden Tag wurde sie vor die ehrenwerthe Miß Delmar beschieden, die, wie gewöhnlich, mit einer langweiligen Lektion anfing und mit einem hübschen Geschenke schloß. Tags darauf packte meine Mutter ihre Koffer, nahm mich auf ihre Arme und brach nach Chatam auf, wo wir wohlbehalten anlangten und alsbald eine möblirte Wohnung bezogen. Meine Mutter war eine kluge, thätige Frau, und die Geschenke, welche sie zu verschiedenen Zeiten erhalten, hatten sich zu einer hübschen Geldsumme angehäuft, an die ihr Gatte nie Ansprüche geltend zu machen wagte.

In der That muß ich Ben Keene die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er die Tugend der Demuth besaß. Er fühlte, daß seine Frau ihm in jeder Weise überlegen war, und daß er das Glück, sie heimzuführen, nur der Verkettung besonderer Umstände zu danken hatte. Er unterwarf sich daher in allen Dingen, pflichtete jedem von ihr ausgehenden Vorschlag bei, und ließ sich ganz durch ihre Ansicht leiten. Demgemäß hatte er durchaus nichts einzuwenden, obgleich ihm die Maßregel in Wirklichkeit wie eine ächte und gerechte Trennung a mensa et toro vorkam, als sie ihm nach ihrer Ankunft in Chatham begreiflich machte, wie durchaus unmöglich es für eine Frau von ihrer Erziehung sei, mit den Weibern in der Kaserne Gemeinschaft zu machen, und daß sie es für räthlich halte, irgend ein Geschäft anzufangen, durch das sie sich einen anständigen Unterhalt erwerben könne. Also mit der Einwilligung eines Gatten versehen, der so an ihr hinaufblickte, daß er ihre Ansichten für infallibel hielt, entschloß sich meine Mutter nach reiflicher Erwägung, ihr Kapital auf Errichtung einer Leihbibliothek und eines Schreibmaterialienkrams zu verwenden; denn, raisonnirte sie, Papier, Federn und Siegelwachs seien ein Handelszweig, der ihr Kunden aus der bessern Klasse sichern würde. Sie miethete daher ein Haus neben der Kaserne, in welchem sich unten ein sehr geräumiger Laden befand. Diesen malte und tapezirte sie hübsch heraus, richtete ihn geschmackvoll ein, und obgleich die Kosten und die Miethe des ersten Jahres einen beträchtlichen Theil ihrer Ersparnisse aufzehrten, so stellte sich doch bald heraus, daß sie nicht übel speculirt hatte, denn ihr Laden wurde eine Art Herberge für die Offiziere, welche sich mit dem schmucken und lebhaften Weibchen um so lieber unterhielten, da sie nicht leicht Jemanden eine Rede schuldig blieb – ein Talent, das die Männer an hübschen Frauen gerne sehen.

In kurzer Zeit machte meine Mutter eigentlich Furore, und Niemand konnte begreifen, wie ein so hübsches und elegantes Frauenzimmer einen gemeinen Seesoldaten hatte heirathen können. Indeß schrieb man die Schuld auf die Figur ihres sehr hübschen Gatten, und man war allgemein der Ansicht, daß sie sich in einem Augenblick der Bethörung von ihrem Herzen hatte hinreißen lassen.

Die Damen abonnirten fleißig auf ihre Bibliothek, und Offiziere wie auch andere Männer von Stande, kauften ihr Schreibmaterialien ab. Dann legte meine Mutter ihrem bisherigen Waarenlager auch Handschuhe, Parfümerien, Spazierstöcke und zuletzt auch Cigarren bei, und ehe sie noch ihr Geschäft ein Jahr betrieben, fand sie, daß sie ein hübsches Stück Geld dabei verdiente, und ihre Kundschaft mit jedem Tag zunahm. Meine Mutter hatte viel Takt, denn gegen die Männer benahm sie sich voll Heiterkeit und Laune, wodurch sie sehr beliebt wurde, während sie ihrem eigenen Geschlechte gegenüber das gerade Widerspiel war. Sie beobachtete gegen das letztere ein bescheidenes, ehrerbietiges Wesen, mit einer Vertraulichkeit gemengt, die nie anstößig wurde, und genoß daher auch von dieser Seite einer gleichen Popularität, so daß sie in jedem Sinne des Wortes ein glückliches Auskommen hatte. Wäre ihr Gatte auch nur im Mindesten geneigt gewesen, seine Rechte geltend zu machen, so würde ihre dermalige Lage zugereicht haben, ihn im Stande der Unterwürfigkeit zu erhalten! Sie hatte sich ohne irgend eine Beihülfe weit über ihn emporgeschwungen; er sah sie ohne Unterlaß mit seinen eigenen Offizieren, vor denen er Honneurs machen mußte, wenn sie in seine Nähe kamen, lachen und plaudern; er durfte es nicht wagen, seine Frau anzureden oder auch nur in den Laden zu kommen, wenn seine Offiziere darin waren, da dieß als Achtungswidrigkeit erschienen wäre; und da er nicht außer der Kaserne schlafen durfte, so beschränkte sich sein einziger Verkehr mit ihr darauf, daß er hin und wieder durch den Hof in's Haus schlich, um eine bessere Kost zu finden, als in seiner Menage zu haben war, oder bisweilen einen Schilling von ihr zu erhalten, den er in Bier vertrinken durfte. Der Seesoldat Ben fand endlich, wie so mancher Andere, daß ihm seine Gattin ganz über den Kopf gewachsen, und daß er selbst nicht weiter war, als ein Mensch, der von ihrer Güte abhing, ein Sklave ihrer Wünsche, und ein Vollstrecker ihrer Befehle. Auch fügte er sich ganz ruhig in dieses Schicksal, wie es vor ihm schon bessere Männer gethan haben.

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