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Siebenunddreißigstes Kapitel

Meine Zeit war nun den Tag über völlig durch die Ausrüstung der Fregatte in Anspruch genommen, Abends speiste ich aber in der Regel bei dem Admiral oder an dem Offizierstische. Auch von den Offizieren der Marinemiliz erhielt ich mehrere Einladungen, denen ich aber immer auszuweichen wußte, weil ich fürchtete, es möchte über meinen muthmaßlichen Vater Ben Etwas gesprochen werden, was meinen Stolz verletzen könnte. Nicht daß ich irgend Grund zu der Vermuthung gehabt hätte, einer der Offiziere würde sich einer solchen Rohheit schuldig machen, aber bei Tisch wurde in der Regel ziemlich gezecht, und da viele junge Leute zugegen waren, so konnte ja wohl der Fall eintreten, daß sie, von meiner Herkunft unterrichtet, beim Glase Etwas sagten, was sie in nüchternem Zustande unterlassen haben würden. Der Obrist speiste sehr oft an genannten Offizierstische, und fragte mich stets, warum ich es ausschlüge, worauf ich ihm, allerdings nicht ganz der Wahrheit gemäß, erwiederte, daß ich die Marinemilizoffiziere nicht sonderlich leiden möge.

Wir befanden uns schon drei Wochen zu Portsmouth, als Obrist Delmar von einem seiner Freunde, einem Major Stapleton, einen Brief erhielt, den er mir beim Frühstück laut vorlas. Das Schreiben enthielt die Meldung, daß der Major am andern Tage zu Portsmouth eintreffen werde, und das Gesuch, der Obrist möchte ihm ein gutes Quartier besorgen. »Der Major ist ein trefflicher Cumpan,« fuhr der Obrist fort, »und wird unserer Gesellschaft gut anstehen. Ich will sehen, ob ich ihn nicht vermögen kann, daß er acht oder zehn Tage verweilt.«

Als ich des andern Tages aus der Docke zurückkehrte, fand ich Obrist Delmar und Major Stapleton in unserem Zimmer. Letzterer war ein kleiner, hübsch gebauter Mann mit einem schönen Gesichte, gut gekleidet und von sehr modischem Aeußern. Doch lag Etwas in seinem Auge, was mir nicht gefallen wollte – eine gewisse Unstätigkeit, da er einen nie länger als eine Sekunde ansehen konnte. Er begrüßte mich mit großer Wärme, drückte mir die Hand und erklärte, daß er sich's zur großen Ehre schätze, meine Bekanntschaft zu machen. Wir setzten uns zum Diner nieder und waren sehr heiter.

Der Major war schon eine Woche in Portsmouth, als wir eine große Abendgesellschaft bei uns hatten. Der Wein floß reichlich, und wir Alle fühlten mehr oder weniger seinen Einfluß. Letzteres schien namentlich bei dem Major der Fall zu sein, der sich sehr zur Händelsucht hinneigte und dabei namentlich sich ohne Unterlaß an mich wandte. Da ich bemerkte, er sei in einer Stimmung, um gleich Alles übel zu nehmen, so war ich sehr vorsichtig in meinen Aeußerungen. Mehrere sehr kränkende Bemerkungen, die er fallen ließ, bekundeten deutlich, daß er es auf einen Streit zwischen mir und ihm abhob; ich suchte ihn jedoch so gut als möglich abzuwehren. Da fuhr er mit einemmale, als ich mit einem Nachbar redete, auf, erklärte das, was ich gesagt, für eine Lüge, und betheuerte, nur ein Hundsfott könne also sprechen.

Da ich mich blos mit meinem ersten Lieutenant unterhalten und mit demselben über den Umfang unserer Fregatte gesprochen hatte, so war natürlich nicht entfernt Grund zu einer solchen Kränkung vorhanden; ich konnte sie daher nur dem betrunkenen Zustande des Beleidigers zuschreiben. Demgemäß gab ich kalt und ruhig zur Antwort: »Major, Sie wissen nicht, was Sie sagen; wir wollen indeß morgen früh darüber sprechen.« Dann stand ich auf und begab mich nach meinem Schlafgemache. Unmittelbar darauf trennte sich auch die übrige Gesellschaft.

Bald nachher kam Obrist Delmar auf mein Zimmer, äußerte sich sehr ungehalten über das Betragen des Majors, schrieb es seiner Betrunkenheit zu und sagte, er wolle ihn veranlassen, daß er gebührender Weise Abbitte leiste; er zweifle indeß nicht, der Major werde von selbst dazu erbötig sein, wenn er morgen höre, wie er sich aufgeführt habe.

Ich antwortete, daß ich dieß selber auch glaube, worauf der Obrist mich verließ. In der That war ich so sehr davon überzeugt, es werde diesen Verlauf nehmen, daß ich nicht weiter daran dachte, sondern bald einschlief und nicht eher erwachte, bis Obrist Delmar ziemlich spät zu mir in's Zimmer trat.

»Nun, Obrist?« begann ich.

»Mein lieber Keene,« versetzte er, »ich bin bei dem Major gewesen, und als ich ihm mittheilte, was sich gestern Abend bei Tafel zugetragen, entgegnete er zu meinem großen Erstaunen, daß er sich an Alles vollkommen gut erinnere, und daß es ihm nicht einfalle, zurückzunehmen, was er gesagt habe. Ich machte ihm Vorstellungen, aber vergeblich. Es sei memmenhaft, Etwas zurückzunehmen, sagte er, und deßhalb könne von einer Entschuldigung gar keine Rede sein.«

»Dann gibt es nur einen Schritt, den ich einschlagen kann,« erwiederte ich.

»Das sagte ich ihm auch in Ihrem Namen, und drang eifrig in ihn, daß er seinen Fehler anerkenne; aber er beharrte starr auf seiner Weigerung. Dann nahm ich's auf mich, ihm zu sagen, daß ich Ihr Freund sei, und ersuchte ihn, mir einen Offizier zu nennen, an den ich mich wenden könne. Habe ich nicht recht gethan, mein lieber Keene?«

»Allerdings, und ich bin Ihnen sehr verbunden dafür,« entgegnete ich, indem ich meinen Schlafrock anzog.

»Er muß toll, ganz und gar toll sein!« rief Obrist Delmar. »Ach wäre er doch nie hieher gekommen! Ich weiß, daß er in jüngern Jahren lieber zwei oder drei Duelle auskämpfte, als daß er Abbitte leistete; in dem gegenwärtigen Falle war er jedoch nicht im mindesten gereizt, und ich hoffte, daß es mit jener unsinnigen Starrköpfigkeit bei ihm ein Ende habe. Sind Sie ein guter Schütze, Keene, denn er steht im Rufe eines solchen.«

»Ich kann meinen Mann treffen, Obrist. Allerdings habe ich erst einmal in meinem Leben ein Duell ausgefochten, und gerne wollte ich's mich ein großes Opfer kosten lassen, wenn sich ein zweites vermeiden ließe. Im gegenwärtigen Falle bleibt mir jedoch keine andere Wahl, und wenn Blut fließen muß, so möge es auf das Haupt dessen zurückfallen, der Anlaß dazu gegeben.«

»Sehr wahr,« entgegnete Obrist Delmar, sich in die Lippen beißend; »ich hoffe nur, daß Ihnen das Glück günstig ist.«

»Ich hege gerade keinen besondern Groll gegen Major Stapleton,« versetzte ich, »aber wenn er ein so guter Schütze ist, wird es Sache der Nothwehr, daß ich gut ziele. Jedenfalls bin ich hinreichend mit dem Gebrauch bei Feuerwaffen vertraut und schon durch zu viele Kugeln gegangen, um nicht ruhig und gefaßt einem geladenen Rohre gegenüber zu stehen; ich glaube daher, daß ich dem Major vollkommen gewachsen bin. Wenn Sie die Gefälligkeit haben wollen, Obrist, das Frühstück zu bestellen, so werde ich in zehn Minuten oder einer Viertelstunde drunten sein.«

Als der Obrist das Zimmer verlassen wollte, klopfte sein Diener an die Thüre und berichtete ihm, daß Kapitän Green ihn wegen einer besondern Angelegenheit zu sprechen wünsche. Ich beeilte mich daher nicht, sondern machte ganz ruhig in meiner Toilette fort, da ich mir wohl denken konnte, welchen Inhalts diese besondere Angelegenheit war, und daß die Besprechung einige Zeit dauern dürfte. Als ich nach unserem gemeinschaftlichen Zimmer hinunterging, fand ich den Obrist allein.

»Nun, Keene,« begann er, »die Sache ist eingeleitet, denn der Major ist taub gegen alle Vorstellungen. Ihr trefft diesen Abend zusammen; um alle Einmengung zu vermeiden, ist Kapitän Green mit mir eins geworden, daß wir sagen wollen, der Major habe Abbitte geleistet und der Handel sei beigelegt.«

Ich hatte natürlich nichts dagegen einzuwenden, und nach dem Frühstück trennten wir uns, da ich nach der Docke zu gehen hatte, während er im Gasthof zurückblieb, um Briefe zu schreiben.

Der Leser denkt wohl, daß ich die Sache sehr kaltblütig nahm. Je nun, der Grund lag darin, weil ich für den Fall eines unglücklichen Ausgangs keine Vorbereitungen zu machen hatte, denn weder Weib noch Familie nahmen meine Fürsorge in Anspruch, und ich hielt es für eine Posse, Vorkehrungen anderer Art zu treffen. Ich wußte zwar, daß ich im Begriffe war, unrecht zu handeln und meinen Schöpfer zu beleidigen; so leid es mir übrigens that, wissentlich eine Sünde begehen zu müssen, war ich doch fest entschlossen, am Abende nicht zu fehlen. Wie groß in solchen Fällen, wo es sich darum handelt, alle seine weltlichen Interessen zum Opfer zu bringen und sich der Verachtung seiner Standesgenossen preiszugeben, oder Gefahr zu laufen, unfreiwillig einem Nebenmenschen das Leben zu nehmen – die Schuld ist, unterfange ich mich nicht zu beurtheilen; nur so viel ist gewiß, daß eine derartige Handlung wie sie auch jenseits beurtheilt werden mag, in dieser Welt unter Soldaten und Seeleuten stets als verzeihlich betrachtet werden wird. Ich verhielt mich daher, wie sich die Meisten meines Berufes unter gleichen Umständen benommen haben würden, und entschlug mich soviel wie möglich allen Nachdenkens über das, was heute noch statthaben sollte, bis die Stunde der Entscheidung meines Schicksals kam. Ich war der Ansicht, daß der große Richter mich nach dem Laufe meines ganzen Lebens beurtheilen würde, und glaubte, daß Reue in einem Falle der Möglichkeit des Todes ungefähr denselben Werth haben dürfte, als das peccavi des Sünders, erst auf dem Sterbebette angestimmt.

Sobald die Dockenarbeiter verlesen waren, kehrte ich nach dem Gasthofe zurück, und nahm mit dem Obristen das Diner ein. Wir hatten kaum eine Flasche Claret miteinander geleert, als die Stunde zum Aufbruche schlug. Wir verließen die Stadt und begaben uns nach dem bezeichneten Orte, wo ich meinen Gegner und seinen Sekundanten traf. Der Obrist hatte die Mensur ausgezeichnet, und als ich meine Stellung nahm, fand ich, daß ich die untergehende Sonne im Auge hatte. Ich machte ihn darauf aufmerksam, und verlangte eine Aenderung meines Standpunktes. Der andere Sekundant hörte dieß, und gestand ehrlich zu, daß ich ein Recht zu dieser Forderung habe, worauf der Obrist wegen Vergeßlichkeit in Anbetracht meiner Interessen alsbald um Entschuldigung bat. Die Mensur wurde nun in einer andern Richtung abgemessen, und der Obrist stellte mich an einen Platz, wo ich bemerkte, daß einer der weiß angestrichenen Pfosten, der unmittelbar hinter mir war, mich zu einem sicheren Ziele für meinen Gegner machte.

»Ich bin an solche Dinge nicht gewöhnt, Keene,« versetzte Obrist Delmar, »und begehe seltsame Mißgriffe.«

Ich deutete dann eine Richtung an, welche für beide Partien gleiche Vortheile bot. Sofort wurden die Pistolen geladen und in unsere Hände gegeben. Wir feuerten auf das Signal. Ich empfand, daß ich getroffen war, aber mein Gegner stürzte. Ich fühlte mich gelähmt, und obgleich ich stehen blieb, konnte ich mich doch nicht von der Stelle rühren. Kapitän Green und der Obrist begaben sich nach der Stelle, wo der Major lag. Die Kugel war ihm durch die Brust gedrungen.

»Er ist todt,« sagte Kapitän Green – »keine Spur von Leben mehr.«

»Ja,« versetzte Obrist Delmar. »Mein lieber Keene, ich gratulire Ihnen. Sie haben den größten Schuft getödtet, der je Seiner Majestät Uniform Schande machte.«

»Obrist Delmar,« entgegnete Kapitän Green, »diese Bemerkung hätten Sie sparen können. Unsere Irrthümer und Thorheiten sterben mit uns.«

»Sehr richtig, Kapitän Green,« erwiederte ich. »Ich kann nur meine Ueberraschung ausdrücken, daß der Obrist mich mit einer Person in Berührung bringen mochte, dessen Andenken er jetzt so bitter schmäht.«

Ich weiß nicht recht, wie es kam, aber von dem Anfang der Duellgeschichte an hatte Obrist Delmar's Benehmen meinen Argwohn erregt, und hundert Dinge tauchten wieder in meinem Gedächtniß auf, die wie ein Blitzstrahl Licht auf Manches warfen. Ich kam plötzlich zu der Ueberzeugung, daß er mein Feind und nicht mein Freund sei. Es gingen eben einige Marinesoldaten vorbei; sie wurden aufgefordert, die Leiche des Major Stapleton fortzuschaffen und mich, da ich reichlich blutete, nach dem Gasthofe zurückzubringen. Der Wundarzt, welcher herbeigerufen wurde, erklärte meine Verletzung für nicht gefährlich. Die Kugel war tief in mein Dickbein eingedrungen, ohne jedoch ein bedeutendes Gefäß zu beschädigen: das Ausziehen derselben erforderte wenig Zeit, und dann wurde ich in meinem Bette der Ruhe überlassen. Obrist Delmar kam wieder zu mir herauf, aber ich setzte seinen Betheuerungen große Kälte entgegen und sagte ihm, daß es wohl räthlich sein dürfte, wenn er sich unsichtbar machte, bis die Sache verrauscht sei, wogegen er jedoch erklärte, daß er auf jede Gefahr hin bei mir ausharren wolle. Bald nachher erschien auch Kapitän Green.

»Ich bin überzeugt, Kapitän Keene,« begann er, »es wird Sie freuen, wenn Sie hören, daß Major Stapleton nicht todt ist. Er war nur ohnmächtig geworden, und hat sich wieder erholt. Der Doktor meint, daß die Verletzung nicht gar so schlimm sei.«

»Das ist mir in der That sehr lieb, Kapitän Green, denn ich hege keinen Groll gegen den Major, und sein Benehmen gegen mich ist mir ganz unbegreiflich gewesen.«

Nachdem sich Kapitän Green noch ferner über mein Befinden erkundigt, drückte er die Hoffnung aus, daß ich bald wieder wohl sein werde, worauf er sich entfernte; ich bemerkte jedoch, wie er von Obrist Delmar keine weitere Notiz nahm, als das er ihm, ehe er das Zimmer verließ, eine stolze Verbeugung machte. Zu meiner großen Ueberraschung erklärte aber jetzt der Obrist, nachdem er sich die Sache näher erwogen, halte er es für räthlich, wenn er für eine Weile Portsmouth verlasse.

»Ich bin ganz Ihrer Ansicht,« entgegnete ich; »es wird wohl das Beste sein.«

Ich sagte dieß, weil ich seine Gesellschaft nicht mehr wünschte, denn es mußte mir sonderbar genug vorkommen, wie er jetzt, da Major Stapleton lebte und wieder aufzukommen versprach, von Abreise reden mochte, während er doch nichts davon wissen wollte, als er ihn für todt hielt. Ich war daher recht froh, als er sich ein paar Stunden später von mir verabschiedete und, wie er sagte, nach London aufbrach.

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