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Einundvierzigstes Kapitel

Die Nacht brach nun herein. Die rollenden Wogen veränderten die durch den beigemischten Sand verursachte gelbe Farbe in Grün und dann in Purpur; zuletzt wurde Alles schwarz bis auf den weißen Schaum der Brandung.

Die Finsterniß mochte uns ungefähr ein paar Stunden umgeben haben, als ich, von der Anstrengung erschöpft, einen unwiderstehlichen Hang zum Schlafen fühlte, und ich zweifle auch nicht, daß ich, halb in's Wasser eingetaucht, wirklich eine Weile schlummerte, denn als ich mit einem Male mein Gleichgewicht verlor und in die Höhe schaute, bemerkte ich, daß der Himmel klar und mit funkelnden Sternen besäet war. Ich blickte dann umher und bemerkte, daß das Wasser nicht mehr so aufgeregt war, als früher; auch hatte der Wind zu brüllen aufgehört, obgleich er noch immer tüchtig über das Wasser hinpfiff.

»Croß!« rief ich.

»Ich bin hier, Kapitän Keene, dicht unter Ihrem Lee.«

»Die Bö ist gebrochen, und wir werden vor Morgen schön Wetter haben.«

»Ja, Sir; ich hab' mir's immer so gedacht.«

»Gott sei Dank dafür; wir dürfen hoffen, daß er uns hier nicht so elendiglich zu Grunde gehen lassen will.«

»Hoffen freilich,« versetzte Croß; »es gehört indeß starkes Vertrauen dazu, denn ich gesteh', daß ich keine sonderliche Möglichkeit absehe.«

»'s ist schon vielen Andern so gegangen, die doch gerettet worden sind, Croß,« erwiederte ich.

»Sehr richtig, Sir,« entgegnete er. »Ich wollte nur, es wäre Tag.«

Bis dahin hatten wir freilich noch etliche Stunden zu warten; in der Zwischenzeit legte sich jedoch der Wind allmählig, und milderte sich zu einer leichten und stoßweisen Kühlte. Mit dem Grauen des Morgens hob und senkte sich der Mast entsprechend dem Wogen der See, der Nachwirkung des letzten Sturmes, ohne daß jedoch Strömung nach irgend einer besonderen Richtung vorhanden war, denn es herrschte jetzt eine völlige Windstille. Ich hatte, während ich auf dem Mast saß, meinen Rücken gegen die Puttingtaue gelehnt, und nun richtete ich mich – freilich nicht ohne Schwierigkeit, da ich tüchtig zerquetscht war – so weit auf, daß ich umherschauen konnte. Ungefähr dreißig Ellen von uns schwammen die Trümmer des Fockmasts, an den sich gleichfalls viele Leute angeklammert hatten. Der Besanmast war abgetriftet. Die Vorderseite der Fregatte erhob sich nun mehrere Fuß über das Wasser und das Bugspriet stand in die Luft; die hintere Hälfte hatte sich aber tief in den Sand eingegraben, daß nur drei oder vier zerbrochene Planken über den Wogen sichtbar waren.

Croß hatte sich gleichfalls aufgerichtet und stand neben mir, als wir von dem Wrack des Fockmastes angebreyet wurden:

»Großer Mast, ahoi!«

»Halloh!« versetzte Croß.

»Habt Ihr den Kapitän an Bord?«

»Ja,« entgegnete Bob, »frisch und gesund!«

Ein mattes Hurrah, das darauf erwiedert wurde, ergriff mich tief. Es that meinen Gefühlen wohl, daß meine Leute noch in einer solchen Lage an mich dachten; aber als ich nach den auf dem andern Mast, wie auch auf meine Umgebung hinsah, und dabei berechnete, daß nicht mehr als etwa vierzig von einem so wackeren Schiffsvolk übrig geblieben waren, hätte ich weinen mögen. Indeß war es jetzt Zeit zum Handeln.

»Croß,« sagte ich, »nun es Windstille ist, wäre es wohl auf dem Vordertheile der Fregatte besser, als hier, wo wir uns mit dem halben Leibe im Wasser befinden. Die Back ist noch ganz und die Luvbrüstungen werden den Leuten Schutz verleihen; auch können wir von dort aus weit leichter Signale machen und die Aufmerksamkeit eines Schiffes aus uns ziehen, wenn je eines in diese Gegend kommen sollte.«

»Sehr wahr, Sir,« versetzte Croß; .und da hier viele Leute sind, die nicht länger festhalten können, so müssen wir's versuchen, ob wir sie nicht an Bord zu holen im Stande sind. Fühlen Sie sich kräftig genug, nach dem Wrack zu schwimmen?«

»Ohne Anstand, Croß.«

»So wollen wir mit einander ausbrechen und sehen, wie die Sachen stehen.«

Ich verließ meinen Mast, und Croß folgte mir. Da die Entfernung nicht mehr als etwa vierzig Ellen betrug, so erreichten wir bald das Wrack der vorderen Fregattenhälfte, deren Leeschanddeckel eben noch über's Wasser emporragte. Wir kletterten über denselben weg und fanden das Deck noch ganz, die Luvseite so weiß wie Schnee und ganz trocken. Dann arbeiteten wir uns nach den Luvbrüstungen hinüber und blickten nach der offenen See hinaus, ob wir nicht ein Schiff entdecken könnten, was jedoch nicht der Fall war.

»Nun, Sir, vorderhand ist's wohl am besten, wir rufen denen zu, welche schwimmen können, sie sollen zu uns herankommen.«

Wir thaten dies, worauf sieben Mann von dem großen Mast und neun von dem Fockmast sich uns anschloßen.

»Nun, meine Jungen,« redete ich sie an, »wir müssen auch nach denen sehen, welche nicht hierherkommen können, und einen Versuch zu ihrer Rettung machen. Holt alle Tau-Enden von den Belegnägeln zusammen, knüpft sie an einander, und dann wollen wir zurückkehren, um die Leute daran zu befestigen; ihr könnt sie dann an Bord holen.« Dieß war bald geschehen. Croß und ich nahmen das Ende und schwammen nach dem großen Mast zurück. Einer von den Topgasten, dessen Arm zerschmettert worden, war der Erste, den wir befestigten, und auf ein gegebenes Signal wurde er durch das Wasser nach dem Wrack gezogen. Sechs oder sieben weitere folgten der Reihe nach. Jedesmal schwammen zwei Männer mit dem Seile zurück und begleiteten Diejenigen, welche an Bord geholt wurden, damit sie nicht sinken möchten. An den verschiedenen Theilen des Hauptmastes hingen noch viel mehr, aber bei näherer Untersuchung fanden wir, daß sie todt waren. Wir schickten Alles, was noch ein Lebenszeichen von sich gab, an Bord und schwammen dann nach dem Fockmast, um den dortigen Hülfsbedürftigen beizustehen. In ungefähr zwei Stunden war unser Geschäft beendigt, und wir zählten jetzt auf dem Wracke sechsundzwanzig Köpfe.

Wie froh waren wir nicht, uns unter der Brustwehr schirmen zu können, wo wir Alle im bunten Durcheinander lagen. Noch vor Mittag hatten die meisten der armen Schelme ihre Leiden in einem tiefen Schlafe vergessen. Nur Croß, ich und der Mann mit dem zerbrochenen Arme blieben wach; der Letztere empfand zu viel Schmerz, um zur Ruhe kommen zu können, und litt auch noch außerdem an brennendem Durste.

Jetzt sprang eine Kühlte von Süden auf, die unsere Lebensgeister wieder neu beseelte, da ohne Wind wenig Aussicht auf Beistand vorhanden war. Die Nacht kam wieder und die Männer lagen noch im Schlafe; auch Croß und ich folgten ihrem Beispiele. Die Nacht war kalt, und als wir uns niederlegten, fühlten wir noch nicht viel von Hunger oder Durst, obschon uns letzterer bei unserem Erwachen am Morgen auf's Empfindlichste quälte. Jedermann rief nach Wasser. Ich sagte den Leuten, wenn sie viel davon sprächen, würde das Verlangen nur um so ungestümer; sie sollten daher ihre Hemdärmel in den Mund stecken und daran saugen. Dann kletterte ich auf die Brüstung, um zu sehen, ob sich nirgends Etwas zeigte, denn jedenfalls war die größte Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß der Kutter nach uns spähte, obgleich er sich wohl kaum so weit den Sandbänken näherte.

Ich hatte etwa eine Stunde auf dem Schanddeckel gesessen, als Croß zu mir heraufkam.

»Es dämmert im Süden auf, Sir. Hoffentlich kriegen wir doch nicht wieder schlecht Wetter.«

»Sturm befürchte ich nicht, wohl aber Nebel,« versetzte ich. »Dieser wäre indeß fast eben so schlimm für uns, da wir dann auf dem Wrack zu Grunde gingen, ehe wir entdeckt würden.«

»Ich hab' im Sinn, mich in die Kombüse hinunterzulassen, Kapitän Keene, um nachzusehen, ob ich nichts finden kann.«

»Ich fürchte, das wird zu nichts führen,« entgegnete ich; »denn die Kessel und Simse sind alle fortgeführt.«

»Ich weiß das, Sir, aber ich dachte an des Kochs Verschlag, der über dem Bugspriet steht. Ich weiß, er pflegte Manches dorthin zu stauen, und vielleicht finden wir Etwas. Der kürzeste Weg wird wohl sein, wenn ich leewärts gehe und hinüberschwimme.«

Croß verließ mich sodann und ich fuhr fort, Lugaus zu halten. Nach ungefähr einer Stunde kehrte er zurück und theilte mir mit, daß die Verschlagthüre seinem Messer leicht gewichen sei; er habe daselbst acht oder neun Pfund roher Kartoffeln und einen Eimer voll Gemengsel gefunden.

»Wir sind nicht hungrig genug, dieß jetzt zu essen, aber es reicht doch hin, uns drei oder vier Tage am Leben zu erhalten – das heißt, wenn wir Wasser kriegen können, und ich denke, diesen Mangel werden wir in Bälde schrecklich empfinden. Was gäb' ich nicht d'rum, wenn ich nur dem armen Teufel, dem Anderson, einen Tropfen reichen könnte; er muß arg leiden, denn sein Arm ist fürchterlich angeschwollen.«

»Haben Sie in dem Verschlag kein Gefäß gefunden, in dem sich Wasser aufbewahren ließe, wenn welches zu bekommen wäre, Croß?«

»Ja, Sir, es sind dort zwei oder drei Kufen und einige Pökelwannen.«

»Wohlan denn, so halten Sie diese bereit; denn die Wolken dort steigen so schnell auf, daß wir vor Morgen Regen haben können, und wenn dem so ist, so dürfen wir die Gelegenheit nicht unbenützt vorbeilassen.«

»Ei, es sieht wahrhaftig aus, wie Regen, Sir;« entgegnete Croß. »Ich will ein paar von den Leuten mitnehmen, daß sie mir das Geschirr herausschaffen helfen.«

Ich verwandte kein Auge von dem Horizont, bis die Nacht wieder einbrach. Wir waren Alle sehr schwach und vom Durst erschöpft, weßhalb uns die Kühle des Abends einigermaßen zu statten kam. Auch der Wind war frisch. Auf meinen Rath waren die Leute ruhig im Schatten geblieben; aber obwohl sie sich nicht beklagten, so war es doch augenscheinlich, daß sie sehr litten. Abermals versuchten wir, im Schlafe Selbstvergessen zu finden. Ich schlummerte fest, bis ich von Croß geweckt wurde.

»Kapitän Keene, es regnet, und wird bald noch stärker niederfallen. Wenn Sie daher jetzt der Mannschaft Befehl ertheilen wollen, so wird bald genug Wasser vorhanden sein.«

»Rufen Sie dieselbe augenblicklich aus, Croß; wir dürfen uns diese gelegene Beihülfe nicht entwischen lassen, da sie vielleicht unser Aller Leben rettet.«

Die Mannschaft war bald auf den Beinen. Der Regen schlug in tüchtigen Schauern nieder; sobald die Leute gehörig durchnäßt waren, nahmen sie ihre Hemden ab, fingen damit das leewärts herabrinnende Wasser auf, drückten es in den Mund aus, bis ihr Durst gestillt war, und dann fingen sie an, unter Bob's Leitung die drei Pöckelwannen und vier Kufen, welche heraufgeschafft worden waren, zu füllen. Sie hatten mehr als genug Zeit dazu, denn der Regen hielt bis zum Morgen an. Kufen und Wannen wurden daher für künftigen Gebrauch unter den Bätingen aufbewahrt, und dann benützten sie die Gelegenheit, zu trinken, bis sie's übersatt hatten.

*

 


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