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Siebenzehntes Kapitel.

In welchem, wie es in dem letzten Kapitel eines Buches der Brauch ist, Alles zu des Lesers so wie zu des Autors Befriedigung abgesponnen wird. Der Verfasser legt die Feder nieder und ruft: Gott sei Dank!

Ich ging in den Gasthof zurück und bestellte die Pferde. Dann setzte ich Allen, außer Marien, die Notwendigkeit ihrer Heimkehr aus einander. Marie wurde in den Wagen gehoben, und es war mir eine Erleichterung, wie ich sie Alle wegfahren sah. Ich für meine Person beschloß, bis an's Ende zu bleiben; aber ich war in einem Zustande fieberischer Aufregung, der mir keine Ruhe ließ. Während ich im Zimmer auf- und niederging, fielen meine Blicke auf ein Zeitungsblatt. Gedankenlos nahm ich es in die Hand und starrte hinein. Eine Anzeige zog meine Aufmerksamkeit auf sich, sie lautete: »Seiner Majestät Schiff Immortalité ist in Chatam angekommen, um die Zahlung zu holen.« Also ist unser Schiff zurück. Doch was sollte das jetzt? Und dennoch flüsterte mir eine gewisse Stimme zu, als sollte ich den Kapitän Maclean sprechen, und einen Versuch machen, ob er nichts in der Sache thun könne. Ich kannte seinen mächtigen Einfluß, und ob es gleich jetzt zu spät war, fühlte ich einen Drang in mir, zu ihm zu gehen, dem ich nicht widerstehen konnte. »Hier kann ich doch nichts helfen,« sagte ich bei mir selbst, »es kann also nichts schaden, wenn ich hingehe.« Dieser Gedanke, verbunden mit der Rastlosigkeit meines Geistes, bestimmte mich, Pferde zu bestellen, mit denen ich nach Chatam fuhr. Ich hörte, daß der Kapitän noch an Bord sei, und ließ mich zur Fregatte fahren. Die Offiziere erkannten mich und drückten ihre Freude aus, daß sie mich wieder sahen. Ich ließ mich bei'm Kapitän melden, und wurde in die Kajüte beschieden. Nachdem ich ihm den Fall vorgelegt, und ihn um seine Verwendung, wenn sie noch möglich wäre, gebeten hatte, sagte er: »Ehrlich, es ergibt sich also, daß Tom Beazeley zweimal desertirt ist; doch sind viele Milderungsgründe für ihn; jedenfalls ist die Todesstrafe zu streng, und sie gefällt mir nicht – ich kann ihn retten, und ich will ihn retten. Nach der Dienstordnung kann ein Ausreißer aus dem einen Dienste von dem andern zurückgefordert, und muß von seinen Offizieren gerichtet werden. Das Urtheil ist also nicht gesetzlich. Ich werde eine Abtheilung Marinesoldaten abschicken und ihn als Ausreißer von der Flotte zurückfordern; sie müssen, sie werden ihn ausliefern. – Trösten Sie sich, Ehrlich, sein Leben ist so sicher als das Ihrige.«

Ich hätte auf die Kniee fallen mögen, um ihm zu danken, wiewohl ich kaum an die Wahrheit einer so guten Botschaft glauben konnte.

»Es ist keine Zeit zu verlieren, Sir,« sagte ich ehrfurchtsvoll; »morgen früh um neun Uhr soll er erschossen werden.«

»Morgen früh um neun Uhr ist er hier an Bord, oder ich bin nicht Kapitän Maclean. Aber Sie haben recht, es ist keine Zeit zu verlieren. Es ist schon beinahe ganz dunkel, und das Kommando muß augenblicklich aufbrechen. Ich muß einen Dienstbrief an den kommandirenden Offizier des Depot schreiben. Rufen Sie meinen Sekretär.«

Ich eilte hinaus und rief den Sekretär. In wenigen Minuten war der Brief geschrieben, und eine Abtheilung Marinesoldaten wurden unter dem Befehle des zweiten Lieutenants mit mir an's Land geschickt. Ich ließ für das ganze Kommando Postchaisen einspannen, und vor eilf Uhr waren wir in Maidstone. Der Lieutenant und ich blieben die ganze Nacht auf, und mit Tagesanbruch trafen wir die Marinesoldaten und gingen auf die Kaserne, wo wir den entsetzlichen Anblick der Vorbereitungen hatten. Der kommandirende Offizier war bereits auf und leitete die Anordnungen. Ich trat mit dem Lieutenant auf sein Zimmer. Er überreichte ihm den Dienstbrief.

»Gerechter Gott, wie glücklich! Sie können doch seine Identität beweisen.«

»Alle diese Leute können sie beschwören.«

»Das ist hinreichend, Herr Ehrlich, ich wünsche Ihnen und Ihrem Freunde Glück zu diesem Aufschub. Die Dienstordnung muß befolgt werden, und Sie müssen mir einen Empfangschein für den Gefangenen ausstellen, Herr Lieutenant.«

Dies geschah, und der Profoßmarschall erhielt den Befehl, den Gefangenen auszuliefern. Ich eilte mit den Marinesoldaten in den Kerker; das Thor wurde geöffnet. Tom hatte die Bibel vor sich. Er fuhr in die Höhe, und als er die Rothröcke sah, glaubte er, sie kommen, um ihn zum Tode zu führen.

»Ich bin bereit, Bursche,« rief er, »je schneller die Sache vorüber ist, desto besser.«

»Nein, Tom,« sagte ich vortretend, »ich hoffe auf besseres Glück, du bist als Ausreißer von der Immortalité zurückgefordert.«

Tom starrte mich an, strich sich das Haar aus der Stirne, und warf sich in meine Arme, aber wir hatten keine Zeit, um uns unsern Gefühlen hinzugeben. Wir eilten mit Tomen aus der Kaserne. Ich ließ die ganze Truppenabtheilung zurückfahren, und bald langten wir in Chatam an, wo wir an Bord der Fregatte gingen. Tom wurde dem Geschützmeister als Deserteur übergeben, und Kapitän Maclean ordnete ein Kriegsgericht an.

»Was wird das Ergebniß sein?« fragte ich den ersten Lieutenant.

»Der Kapitän sagt, wenig oder nichts, da er als Lehrling gepreßt wurde, was gegen die Parlamentsakte streitet.«

Ich ging hinunter, um Tomen diese freudige Nachricht zu bringen, nahm von ihm Abschied, und kehrte mit leichtem Herzen nach London zurück. Indessen hielt ich es für besser, die gute Botschaft geheim zu halten, bis ich des Erfolges ganz versichert wäre: doch theilte ich Herrn Drummond's, bei denen ich sogleich vorsprach, den ganzen Vorgang mit. Am folgenden Tage ging Herr Wharncliffe mit mir auf die Admiralität, wo wir so glücklich waren, zu vernehmen, daß Alles gesetzlich sei, Tom blos für seine Desertion von einem Kriegsschiffe bestraft werden könne, und wenn er beweise, daß er als Lehrling gepreßt worden sei, aller Wahrscheinlichkeit nach freigesprochen werde. Drei Tage nach Empfang des Briefes von der Immortalité versammelte die Admiralität das Kriegsgericht. Ich eilte nach Chatam, um demselben beizuwohnen. Es war sehr kurz: die Desertion wurde erwiesen und Tom zu seiner Verteidigung aufgefordert. Er legte seine Papiere vor und führte den Beweis, daß er vor Ablauf seiner Lehrzeit gepreßt worden sei. Der Gerichtssaal wurde für einige Minuten geschlossen, und dann wieder geöffnet. Das Urtheil sprach den Angeklagten auf den Grund der gesetzwidrigen Zurückbehaltung frei. Ich sagte dem Kapitän Maclean und den Officieren meinen Dank für ihre Güte, und bestieg mit Tom einen Kutter, den mir der erste Lieutenant besorgte. Gefühle der Dankbarkeit für diese glückliche Entwicklung schwellten meine Brust. Tom schwieg, aber ich verstand seine Empfindungen. Ich gab den Leuten auf dem Boote fünf Guineen, um Toms Gesundheit zu trinken, eilte in den Gasthof, bestellte den Wagen, und fuhr mit Tomen, als einem kostbaren Unterpfand, von dem das Glück so Vieler abhing, so schnell als möglich nach London. Bei Herrn Drummond's ließ ich halten, um ihnen das glückliche Ereigniß mitzutheilen, und fuhr dann nach meinem Hause, wo wir schliefen. Am folgenden Morgen zog Tom einige von meinen Kleidern an, und wir bestiegen den Nachen.

»Jetzt, Tom,« sagte ich, »mußt du dich anfangs im Hintergrund halten, während ich sie vorbereite. Wohin gehen wir zuerst?«

»Ach, zu meiner Mutter,« versetzte Tom.

Wir fuhren unter der Putney-Brücke durch, und Tom's Herz pochte, als er nach Mariens Wohnung hinaus sah. Ach, es war dort – der Arme! Wie gern wäre er zu dem unglücklichen Mädchen hinaufgeeilt, um ihre Thränen zu trocknen, aber seine erste Pflicht rief ihn zu den Eltern.

Bald fuhren wir vor dem Hause des alten Paares an. Ich bot Tom an, im Damm zu rudern, aber sich nicht umzusehen, damit sie ihn nicht gewahren sollten, bevor ich sie vorbereitet hätte. Denn übermäßige Freude kann eben sowohl tödten, als der Gram. Der alte Tom saß noch bei seiner Arbeit und Alles war still. Ich stieg an's Land, ging in's Haus, öffnete die Thür, und fand beide in der Küche. Sie saßen schweigend beim Feuer und beobachteten den Rauch, wie er durch den geräumigen Schornstein emporstieg.

»Guten Morgen wünsche ich euch beiden,« sagte ich, »wie befindet Ihr Euch, Frau Beazeley?«

»Ach Gott im Himmel,« rief das alte Weib, seine Augen mit der Schürze bedeckend.

»Setze dich, Jacob, setze dich,« sprach der alte Tom, »jetzt können wir von ihm sprechen.«

»Ja nun er im Himmel ist, der Arme!« fiel die alte Frau ein.

»Sage mir, Jacob,« sprach der alte Tom mit bebender Stimme, »sahest du sein Ende? Erzähle mir Alles. Wie sah er aus? Wie benahm er sich? Mußte er lange leiden? Und – Jacob, wo liegt er begraben?«

»Ja, ja,« schluchzte Frau Beazeley, »sagen Sie mir, wo die Leiche meines armen Kindes liegt.«

»Könnt Ihr von ihm sprechen hören?« fragte ich.

»Ja, ja, wir können nicht genug von ihm sprechen: es thut uns so wohl,« erwiederte sie.

»Seit wir ihn verlassen, haben wir unaufhörlich von ihm gesprochen, und werden von ihm sprechen, bis wir selbst in's Grab sinken,« fiel der alte Tom ein. »Und das wird nicht mehr lange dauern. Ich habe keinen Wunsch mehr, und singen will ich nie wieder, das ist ausgemacht. Wir werdens beide nicht mehr lange treiben. Von mir,« fuhr der alte Tom mit schwermüthigem Lächeln auf seine Stelzen blickend fort, »von mir darf ich wohl sagen, daß ich schon zwei Füße im Grabe habe. Aber komm', Jacob, erzähle uns von ihm.«

»Das will ich; und meine liebe Frau Beazeley, Ihr müsset Euch auf eine ganz andere Zeitung gefaßt machen, als Ihr erwartet. Tom ist noch nicht erschossen.«

»Noch nicht todt!« rief das alte Weib.

»Noch nicht, Jacob?« fragte der alte Tom, mich am Arme fassend und ihn mit Schraubengewalt drückend, während er mir forschend in's Gesicht sah.

»Er lebt; und ich nähre die Hoffnung, daß er Verzeihung erhalten wird.«

Frau Beazeley sprang von ihrem Stuhl auf, und faßte meinen andern Arm. »Ich sehe es – ich sehe es auf deinem Gesicht, Jacob, er hat Verzeihung erhalten, und wir werden unsern Tom wieder haben.«

»Ihr habt recht, Frau Beazeley; er hat Verzeihung erhalten und wird bald hier sein.«

Das alte Paar sank neben mir auf die Kniee. Ich ging hinaus und war bei Tom. Er flog hinauf, und im nächsten Augenblicke lag er in ihren Armen. Wir hoben seine Mutter auf ihren Stuhl, dann verließ ich sie, um mich nach dem ergreifenden Auftritte zu sammeln. Ungefähr eine Stunde lang blieb ich außen; dann ging ich wieder hinein. Die beiden Alten faßten mich bei der Hand, und flehten den Segen des Himmels auf mich herab.

»Ihr müßt Euch jetzt ein wenig von Tomen trennen,« sagte ich; »es müssen auch noch andere Leute glücklich gemacht werden.«

»Ganz richtig,« versetzte der alte Tom, »geh', Junge, und tröste sie. Komm', Weib, wir dürfen andere Leute nicht vergessen.«

»Nein, nein. Geh', Tom, geh', und sage ihr, ich könne es nicht erwarten, bis sie meine Tochter sei.«

Tom umarmte seine Mutter und folgte mir zu dem Boot. Wir ruderten die Fluth hinauf und waren bald an der Putney-Brücke.

»Tom, bleibe im Boot. Ich will dich entweder holen oder rufen lassen.«

Ungern willigte Tom ein, aber ich wies seine Vorstellungen zurück, und er blieb. Ich trat in Marien's Haus. Sie war in dem kleinen Wohnzimmer, in tiefe Trauer gehüllt, und sah hinaus auf den Strom. Bei meinem Eintritt wandte sie sich um, und als sie mich gewahrte, ging sie mir entgegen.

»Sie kommen gewiß nicht, um mir Vorwürfe zu machen, Jacob,« sagte sie in schwermüthigem Tone; »dazu haben Sie ein zu gutes Herz.«

»Nein, nein, Marie, ich komme, um dich zu trösten, wenn es möglich ist.«

»Es ist nicht möglich. Sehen Sie mich an, Jacob; nagt nicht ein Wurm – ein fressendes Geschwür an meinem Herzen?«

Die fahlen Wangen und die welk starrenden Augen, die einst so schön gewesen, bezeugten nur zu deutlich die Wahrheit ihrer Worte.

»Marie,« sagte ich, »setze dich zu mir. Du weißt, was die Bibel sagt, es ist gut, daß wir Trübsal leiden.«

»Ja, ja,« schluchzte Marie, »ich verdiene Alles, was ich leide, und ich beuge mich in Demuth. Aber bin ich nicht zu hart gestraft! Nicht daß ich murre: aber ist es nicht zu schwer für mich zum Tragen, wenn ich denke, daß ich die Mörderin desjenigen bin, der mich also liebte!«

»Du bist keine Mörderin, Marie.«

»Ja, ja, mein Herz sagt es mir, daß ich es bin.«

»Aber ich sage dir, daß du es nicht bist. Sprich; Marie, so entsetzlich die Strafe gewesen ist, würdest du nicht die Ruthe dankbar küssen, wenn sie dich von deiner unseligen Laune heilen, und ein gutes Weib aus dir machen würde?«

»Daß sie mich geheilt hat, Jacob, das kann ich mit Gewißheit sagen; aber daß sie mich auch getödtet hat, ist eben so wahr. Ich wünsche nicht mehr zu leben, und ich hoffe, in wenigen Monaten an seiner Seite zu ruhen.«

»Und ich hoffe, du wirst diesen Wunsch bald erfüllt sehen, Marie, aber nicht im Tode.«

»Barmherziger Himmel. Was meinen Sie?«

»Ich sagte, du seiest nicht die Mörderin des armen Tom's – du bist es nicht; er hat den Tod noch nicht erlitten; es ist eine Ungesetzlichkeit vorgekommen, die eine Erneuerung des Gerichtes erfordert.«

»Jacob,« versetzte Marie, »es ist eine Grausamkeit, mir Hoffnung zu machen, um sie wieder zu zertrümmern. Wenn er noch nicht todt ist, so wird er doch sterben. Ich wollte, Sie hätten mir das nicht gesagt,« fuhr sie in Thränen ausbrechend fort, »welch' eine Angst, welch' einen Kampf muß er die ganze Zeit über erlitten haben. Und ich – ich habe seine Leiden herbeigeführt! Ich tröstete mich, er sei jetzt schon lange von dieser grausamen, herzlosen Welt erlöst.«

Der Thränenstrom, der auf diese Worte folgte, überzeugte mich, daß ich ihr die frohe Botschaft ohne Gefahr mittheilen konnte. »Marie, Marie, höre mich.«

»Lassen Sie mich, lassen Sie mich,« schluchzte Marie, mich mit ihrer Hand abwendend.

»Nein, Marie, nicht eher, als bis ich dir gesagt habe, daß Tom nicht nur lebt – daß er frei ist.«

»Frei!« rief Marie.

»Ja, frei, Marie – frei – und in wenigen Minuten wird er in deinen Armen liegen.«

Marie sank auf die Kniee, hob ihre Hände und Augen zum Himmel empor, und fiel in einen Zustand der Betäubung. Tom, der mir gefolgt war, und in der Nähe des Hauses weilte, hatte den Schrei gehört, und konnte sich nicht länger halten. Er flog in das Zimmer, als Marie niedersank, und ich legte sie ihm in die Arme. Nach dem ersten Merkmale der wiederkehrenden Besinnung verließ ich sie, und ging zu dem alten Stapleton, bei dem ich mich kürzer faßte. Stapleton rauchte während meiner Erzählung.

»Froh darüber,« sagte er, als ich schloß, »dachte just daran, wie uns alle diese Sinne so viel Sorgen machen, und mehr als alle andern der Sinn der Liebe; brachte mich in Ungelegenheiten, machte, daß ich einen Mann todtschlug – brachte mein armes Weib in Ungelegenheiten, daß sie ertrank, und nun hätte er bald den Tom erschießen lassen und die Marie umgebracht. Hatte in der letzten Zeit zu viel Menschennatur – nichts als nasse Augen und leere Pfeifen. Traf gestern den Sergeanten, hatte was mit ihm: Tom schlug ihm das eine Auge aus, und so alt ich bin, machte ich ihm auf eine Zeit lang das andere zu. Er liegt im Bett, 's wird so vierzehn Tage dauern – konnte nicht helfen – Menschennatur.«

Ich nahm Abschied von Stapleton, besuchte Tom und Marie noch einmal, gab der einen die Hand, dem andern einen Kuß, schrieb an den Domine, was vorgefallen war, eilte zu Herrn Drummond's, und machte Sarah und ihre Mutter mit dem glücklichen Ergebnisse meiner Morgenarbeit bekannt.

»Und nun, Sarah, da wir die Angelegenheiten anderer Leute so schön in Ordnung gebracht haben, wäre es gut, wenn wir auch an uns dächten. Ich meine, nachdem ich beinahe einen ganzen Monat lang deiner Gesellschaft beraubt war, verdiene ich auch eine Belohnung.«

»Ja, das verdienst du, Jacob,« sagte Frau Drummond, »und ich bin überzeugt, Sarah ist auch dieser Meinung, wenn sie's mir eingestehen will.«

»Ich gestehe es ein, Mutter; aber worin soll diese Belohnung bestehen?«

»Darin, daß du deine Eltern bittest, einen nahen Tag zu eurer Trauung festzusetzen, und daß du es nicht übel nimmst, wenn Tom an dem gleichen Altare verbunden werde.«

»Mutter, bin ich nicht immer eine folgsame Tochter gewesen?«

»Ja, meine Liebe, das ist wahr.«

»Dann thue ich, was meine Eltern befehlen, Jacob; dies wird doch wahrscheinlich der letzte Befehl sein, den ich von ihnen erhalte, und ich werde ihm gehorchen; bist du damit zufrieden, mein lieber Jacob?«

Noch an dem gleichen Abend ward der Vermählungstag festgesetzt, und nun darf ich den Leser nicht mit einer Schilderung meiner Gefühle oder meiner Seligkeit bei den Vorbereitungen zu diesem Feste ermüden. Sarah und ich, Marie und Tom wurden an dem gleichen Tage verbunden, und kein Wölkchen trübte den Himmel unseres Glücks. Tom zog zu seinen Eltern, und Marie, die von Seligkeit strahlte und schöner geworden ist als je, hat sich in eine vortreffliche, liebende Gattin umgewandelt. Von Sarah brauche ich kaum zu sprechen; sie war meine Freundin von Kindheit an, sie ist jetzt Alles, was der Mann hoffen und wünschen mag. Wir sind schon mehrere Jahre lang vermählt, und mit einer zahlreichen Familie gesegnet.

Ich bin jetzt am Schlusse meiner Erzählung; nur noch wenige Mittheilungen über meine früheren Freunde bin ich dem Leser schuldig. Stapleton lebt noch, und ist mit seiner Pfeife vermählt, welche bei ihm wirklich zur Menschennatur geworden ist, wiewohl der Sinn für den Tabak nicht als ein angeborener, sondern als ein erworbener betrachtet wird. Er hat zwei Kähne, worauf er Lehrlinge hält. Sie sichern ihm seinen Unterhalt, ohne daß er selbst arbeitet. Er sagte, die Jungen seien nicht so redlich, als er gewesen sei, und sie betrügen ihn nicht wenig; aber er tröstete sich mit dem Gedanken, daß das nichts als Menschennatur sei. Der alte Tom ist noch kräftig und munter, und meint, er sei nicht gesonnen, seinen Beinen sobald zu folgen. Seine Frau, sagt er, sei siech, aber Marie bedarf keinen Beistand. Er hat jetzt sein Geschäft aufgegeben und seine Tafel heruntergenommen, denn er befindet sich in behaglichen Verhältnissen. Als Tom heirathete. fragte ich ihn, was er thun wolle. Er bat mich, ihm Geld vorzustrecken, um sich einen Lichter zu kaufen. Ich schenkte ihm einen neuen, der so eben an Herrn Drummonds Werfte vom Stapel lief; der alte Stapleton übergab ihm die zweihundert Pfund, welche ihm Herr Turnbull vermacht hatte, und seine Mutter legte dieselbe Summe aus ihrer Sparbüchse dazu. Dadurch wurde Tom in den Stand gesetzt, noch einen zweiten Lichter zu kaufen, und jetzt besitzt er deren sechs oder sieben; er befindet sich wohl dabei und vermehrt mit jedem Jahre seinen Wohlstand. Sie sprachen von einem Umzug in ein besseres Haus; aber die beiden Alten wünschen zu bleiben. Der alte Tom hat sich eine Laube erbaut, wo der vermachte Kahn gestanden war. Dort sitzt er und singt seine Lieder, und betrachtet die Fahrzeuge, die den Strom auf- und abfahren.

Herr und Frau Wharncliffe sind noch immer meine Nachbarn und werthesten Freunde. Frau Turnbull ist vor einigen Monaten gestorben, und ich bin jetzt im Besitze des ganzen Hauses. Meine Schwiegereltern sind gesund und glücklich. Herr Drummond will sich aus dem Geschäfte zurückziehen, sobald er seine mannigfaltigen Angelegenheiten in's Reine bringen kann. Noch von Einer Person habe ich zu reden – vom alten Domine. Es sind jetzt zwei Jahre, daß ich diesem würdigen Manne die Augen zugedrückt habe. Mit seinen zunehmenden Jahren nahm auch seine Zerstreutheit zu, und die Vorsteher der Armenschule fanden es für nöthig, ihn auf einen Jahrgehalt in Ruhestand zu versetzen. Es war ein harter Schlag für den alten Mann. Er versicherte, daß er noch tauglich sei, den Unterricht fortzusetzen; aber die Leute waren anderer Ansicht, und er nahm meinen Vorschlag, zu uns zu ziehen, unter meinem Vorgeben an, daß unsere Kinder, von denen das älteste damals kaum vier Jahre alt war, im Lateinischen und Griechischen unterrichtet werden müssen. Er kam mit allen seinen Büchern u. s. w., und vergaß selbst das furchtbare Birkenreis nicht; aber weil die Kinder aus freiem Antriebe nicht an das Lateinische gehen wollten, und Madame Ehrlich die Anwendung der Ruthe nicht gestattete, so war es mit der Beschäftigung des Domine vorbei. Uebrigens war die Macht der Gewohnheit so groß, daß er nie ausging, ohne die lateinische Grammatik in der Tasche zu haben. Und oft habe ich ihn gesehen, wie er im Hühnerhofe saß und sich einbildete, er sei in seiner Schule! denn er deklinirte, construirte und conjugirte den Hühnern laut vor, welche von Zeit zu Zeit ihr Gluck Gluck Gluck erschallen ließen, während die Enten mit ihrem Quak Quak Quak noch unverschämter einfielen. Sarah hat ihn in dieser Stellung gezeichnet, und das Stück hängt über dem Kamin meines Studirzimmers zwischen zwei von Herrn Turnbulls Zeichnungen, von denen die eine einen Eisberg vom siebzehnten August achtundsiebzig und die andere die gefahrvolle Lage des zwischen Eisblöcken eingeklemmten Wallfischfängers Kamerl – Breite, und – Länge darstellt.

Leser, meine Erzählung ist jetzt beendigt. Ich glaube, daß sich aus den Begegnissen meines Lebens zwei Lehren abnehmen lassen. Es sind folgende: In der Gesellschaft hängen wir Alle in Bezug auf unsere Bedürfnisse gegenseitig von einander ab, und wer sich Unabhängigkeit erringen will, der entzieht sich der Strömung selbst, die ihn fördert. Zweitens, mit Hülfe einer guten Erziehung und guter Grundsätze können wir, wenn auch nicht zu erwarten steht, daß jeder so glücklich ist, als ich gewesen bin, vernünftigerweise hoffen, ja sogar erwarten, daß wir in dieser Welt wohlfahren werden. Wie Wasserpflanzen vom Strome ausgeworfen, wie sich der Domine ausdrückte, habt ihr die Waise und den Armenschüler zu Reichthum und Achtung gelangen sehen – ihr habt gesehen, wie er, welcher freundlos war, sich die wärmsten Freunde erwarb; wie er, welcher Alles von Andern empfing, in eine Lage versetzt wurde, wo er einerseits Andere unterstützen konnte – wie er, der keinen Menschen zum Verwandten hatte, mit dem Gegenstand seiner Liebe verbunden, und mit einer zahlreichen Familie gesegnet wurde; und alle diese Vortheile, alle diese Genüsse waren die Zinse des einzigen Kapitales, mit dem er auf dem Oceane der Welt eingeschifft wurde – einer guten Erziehung und guter Grundsätze.

Und damit sag' ich dem Leser Lebewohl!


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