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Viertes Kapitel.

Unser letztes Abenteuer endet ohne verhängnisvolle Folgen. – Ich mache mich freundlich an meinen Grog, aber der Grog mach«: sich sehr unfreundlich an mich. – Der alte Tom spinnt wieder seine Fäden. – Wie man den Fuß zu einer Missethat gebraucht, ohne eine Hand anzulegen. – Kandidaten für die neunschwänzige Katze.

Bald kamen wir auf die Fahrstraße, und in einer halben Stunde hatten wir Putney-Brücke erreicht. Wir waren zwar erfroren, durchnäßt und abgemattet, aber doch nicht mehr so schlimm daran, als unter dem Galgen; denn das rasche Gehen hatte den Blutumlauf wieder hergestellt. Tom ging in's Wirthshaus, um die Rumflasche zu holen, während ich die Handruder zu mir nahm und in's Boot hinabtrug, das hoch auf dem trockenen Ufer lag und beinahe bis an den Rand mit Schnee angefüllt war. Bald erschien Tom mit zwei Flaschen unter den Armen. »Ich habe noch eine zweite genommen, Jacob, auf Borg,« sagte er; »denn ich bin der Meinung, daß wir sie bedürfen, und der Vater wird mir beistimmen, wenn er unsere Geschichte gehört hat.«

Wir stießen ab und in ein paar Minuten lagen wir am Lichter, auf dessen Verdeck der alte Tom stand.

»Oho, Boot! seid Ihr's Jungen?« rief er.

»Ja, Vater, 's ist Alles in Ordnung,« versetzte Tom, als wir unsere Ruder einzogen.

» Gott sei Dank!« erwiederte der alte Mann. Wie habt Ihr mich erschreckt, Bursche! Wo seid Ihr gewesen? Ich, glaubte, es sei Euch ein Unfall begegnet. Wie habe ich in diesen letzten zwei Stunden durch das Schneegestöber nach dem Boote hinausgeguckt, und naß bin ich, wie ein Pudel, und kalt, wie das Mitleid. Was hat's gegeben? Hast du die Flasche, Tom?« »Ja, Vater, zwei für eine; wir werden sie diesen Abend brauchen können, und sollten wir dafür eine Woche lang Durst leiden; aber wir müssen so schnell wie möglich trockene Takelung anlegen, dann sollt Ihr die Geschichte von unserem Kreuzzuge hören.«

In wenigen Minuten hatten wir unsere nassen Kleider gegen trockene vertauscht; dann setzten wir uns behaglich an den Kajütentisch, verzehrten unser Nachtessen und erzählten dem Alten unser Abenteuer. Auch der arme Tommy hatte seinen Theil erhalten und lag nun schnarchend zu unsern Füßen, während die Flaschen und Trinknäpfchen auf den kleinen Tisch gestellt wurden.

»Komm, Jacob, ein Tropfen Grog wird dir gut thun,« sagte der alte Tom und füllte eines der Trinknäpfchen. »Am Ende ist's doch besser, behaglich in dieser kleinen Kajüte zu sitzen, als unter dem Galgen des alten Abershaw vom Frost und Schrecken geschüttelt zu werden; und Tom, du Schurke, wenn du mir je wieder auf's Schießen ausgehst, so werde ich dich enterben.«

»Was habt Ihr denn, Vater, das Ihr hinterlassen könntet, als Eure Beine?« versetzte Tom. »Und das wäre jedenfalls eine hölzerne Hinterlassenschaft.«

»Woher weißt du, daß ich nicht noch ein Kohlengeschäft eröffne?«

»Das kann der Fall sein, wenn ich mit Eurer Hinterlassenschaft einen Topf voll Kartoffeln siede, – aber 's bleibt dann immer nur Holzkohle.«

»Nun, du magst Recht haben, Tom; indessen stöbert die Alte doch immer wieder ein paar Goldstücke auf, wenn ich in Verlegenheit bin, woher ich den Wind nehmen soll. Rechnete noch nie mit ihr. Wenn ich meinen Beinen folge, ehe sie stirbt, so hoffe ich, die alte Seele wird etwas zurückgelegt haben; denn ihr wißt, wenn ein Mensch in's Reich abgeht, so geht seine Pension mit ihm. Laßt mich aber nur noch fünf Jährchen halten, dann sollt ihr sie nicht Mangel leiden sehen – oder könntest du das, Tom?« »Nein, Vater, ich will mich dem Könige verkaufen und für einen Schilling täglich todt schießen lassen; die alte Mutter soll dann die Hälfte erhalten.«

»Nun, Tom, es ist ganz natürlich von einem Menschen, seinem Vaterlande dienen zu wollen. Dir geht's also auch so, mein Junge, und mögest du nie was Schlechteres thun! Jacob, denkst du an Bord eines Kriegsschiffes zu gehen?«

»Ich wünsche, vorerst meine Lehrzeit auszudienen, und dann mache ich mir nichts daraus, wie bald es geschieht.«

»Gut, mein Junge, du wirst an Bord eines Königsschiffes mehr Gerechtigkeit finden, als bei denen am Ufer.«

»Ich hoffe es,« erwiederte ich bitter.

»Und ich hoffe, dich noch als Mann zu sehen, Jacob, ehe ich sterbe. Werden mich übrigens bald auf den Schragen legen, – meine Zehen schmerzen mich wieder ordentlich.«

»Eure Zehen?« riefen Tom und ich zu gleicher Zeit.

»Ja, Jungen, es mag euch seltsam vorkommen, aber zuweilen habe ich ganz das Gefühl, als hatte ich sie noch am Leibe, während sie doch schon lange im Bauche irgend eines Haifisches liegen. Bei Nacht habe ich den Krampf darin, daß ich nur laut aufschreien möchte, 's ist was Hartes, wenn einer seine Beine verloren hat und soll doch noch eine Empfindung darin haben. Die Doctor's sagen, das sei nervenhaft. Komm, Jacob, schieb' dein Becherchen her; du scheinst heute mehr Luft dazu zu haben als sonst.«

»Ja,« erwiederte ich, »ich fange jetzt an, Gefallen am Grog zu finden.«

Dieses jetzt darf jedoch nicht über den Zeitraum der letzten vierundzwanzig Stunden ausgedehnt werden. Mein gedrückter Geist wurde durch den Reiz aufgerichtet und ich befreite mich wenigstens für den Augenblick von dem Wirbel der Gedanken, welcher mein Gehirn marterte. »Möchte wissen,« sagte der alte Tom, »was der Herr, der Domine, wie du ihn nennst, gedacht haben mag, als er wieder am Lande war. Er schien gewaltig kleinlaut zu sein. Vermuthlich wirst du ihm auch einen Besuch machen, Jacob?«

»Nein,« erwiederte ich, »ich werde weder ihm noch irgend Jemand anders unter die Augen gehen, wenn ich es vermeiden kann. Herr Drummond könnte denken, ich wollte die Sache wieder einfädeln. Ich bin mit dem Ufer fertig. Möchte nur wissen, was man mit mir vorhat, denn Ihr wißt, daß ich nicht länger bei Euch auf dem Lichter dienen soll.«

»Wie wäre es, Jacob, wenn Tom und ich nach einem andern Fahrzeuge umschauten? Ich frage nichts nach Herrn Drummond. Er sagte einmal, ich sei ein trunkener alter Deckfeger, – meinen dienstlichen Gruß dafür, er lügt. Ein trunkener Bursche ist, wer um alle Welt den Branntwein nicht lassen kann, wenn er dazu kommt, und wer gleich weg ist, ehe er daran denkt. Das ist bei mir der Fall nicht. Ich bleibe nüchtern, so lang's was zu thun gibt; aber wenn ich weiß, daß Alles sicher unter der Lucke ist und nichts zu fürchten, dann trinke ich wie ein vernünftiges Wesen, mit offenen Augen – von wegen weil – weil's mir schmeckt.«

»Der Meinung bin ich auch,« bemerkte Tom, seinen Becher leerend und ihn seinem Vater hinhaltend, um ihn auf's Neue füllen zu lassen.

»Nimm dich vor dieser Meinung in Acht, Tom, wenn du in des Königs Dienst gehst, weiter sage ich dir nichts; oder man wird dir den Rücken verkratzen und das ist kein Spaß, wie ich meine. Und doch erinnere ich mich, daß sich einmal auf einem Schiffe, an dessen Bord ich stand, ein halb Dutzend Bursche darum stritten, wer gegeißelt werden sollte.«

»Bitte, Vater, spinnt uns den Faden; aber ehe Ihr anfanget, füllet mein Becherchen. Ich habe es schon vor einer halben Stunde hingeschoben, nur um Euch 'nen Wink zu geben.« »Nun,« begann der alte Tom etwas Branntwein in Tom's Trinknäpfchen gießend, »die Sache verhielt sich so. Es war im Hafen von Bermuda, wo das Schiff vor Anker lag. Der Zahlmeister schickte ein Fäßchen Branntwein an's Land, das in das Haus einer Dame getragen werden sollte, mit welcher er sich gar zu gern versplißt hätte; und vermutlich dachte er, ein Glas Grog könnte seine Heirathsangelegenheiten fördern. Nun waren ungefähr zwanzig Mann, welche die Erlaubniß erhalten hatten, an's Land zu gehen, um ihre Glieder zu strecken, – sonst konnten sie nicht viel thun, die armen Bursche, denn der erste Lieutenant hatte ein scharfes Auge auf ihr Zeug, ob sie nichts von ihrer Takelung verkauften; und was das Geld betraf, so war es bereits fünf Jahre, daß wir keinen Heller Löhnung gesehen hatten, und ich glaube, bei der ganzen Mannschaft vor dem Maste waren keine drei Pfennige zu finden. Indessen Freiheit ist eben doch Freiheit, und wenn sie nicht an's Land gehen konnten, um zu jubeln, so war es doch immer besser, als gar nicht an's Land zu gehen – sie gingen also und blieben nüchtern, weil sie mußten. Ich denke, 's ist doch was Schlimmes, die Matrosen so lange ohne einen Heller Geld zu lassen Dies ist jetzt anders; auf entfernten Stationen erhalten die Matrosen seit einiger Zeit einen Theil ihrer Löhnung, und die Abschlagszahlung ist während Sir James Graham's Verwaltung bedeutend vergrößert worden. – denn Ihr sehet, ein Mann, welcher mit ein paar Schillingen in der Tasche ein ganz rechtlicher Mann sein würde, kommt oft in Versuchung, etwas mitlaufen zu lassen, um nur ein Glas Grog zu bekommen, und die Versuchung ist nicht gering, das könnt Ihr mir glauben, sonderlich in einem hitzigen Klima, wo die Sonne so sticht und der Boden so heiß ist, daß Ihr kaum den nackten Fuß darauf leiden könnt. Doch ich will weiter machen. Die Yolle ward beordert, um die Beurlaubten an's Land zu bringen, und der Zahlmeister übergibt mir, da ich Beischiffsführer war, sein Fäßchen, um es im Hause der Dame abzugeben. Es war wenigstens halb voll und ich darf behaupten, daß drei Gallonen darin waren. Das Ding war gut. Sobald wir landeten, schulterte ich des Fäßchen und ging damit den Berg hinauf.

»›Was hast du da, Tom?‹ fragt Bill Kurz.

»›Was ich gern mit dir theilen möchte, Bill,‹ sage ich: ›'s ist nur eins von 's alten Käsdruckers seinen Achteln; er schickt's seinem Liebchen, um sich mit ihr lustig zu machen.‹

»›Habe die Madam gesehen,‹ sagt Holmes zu mir – denn ihr müßt wissen, alle Beurlaubten gingen mit mir hinauf– ›und ich hätte mehr Lust zu dem Fäßchen, als zu ihr. Sie ist so fett, wie ein Ochse, eben so breit als lang, wie eine holländische Schuyte, und so gelb, wie ein Nabob.‹

»›Aber der alte Tummings ist eben doch kein Narr,‹ sagt ein schottischer Bursche, Namens M'Alpine; ›es heißt, sie habe ein paar Tonnen Goldstaub und mehr Enten und Zwiebel und Zoll Wasser in ihrem Becken, als irgend Einer auf der Insel.‹

»›Müßt wissen, Jungen, Bermuda ist ein absonderlicher Platz, und 's Wasser sehr rar; alles, was sie haben, ist ein Gottessegen, denn 's kommt vom Himmel; und sie lecken die Finger nach dem Regen, den sie in großen Cisternen sammeln, und ein oder zwei Zoll mehr Wasser in der Cisterne halten sie für einen großen Fang. Habe diese Damen oft nach einem Regenguß sagen hören: –

»›Gut' Morgen, Marm. Wie befind' Sie sich an diesem schön' Morgn?‹

»›Recht ordentlich, dank' Ihnen, Marm. Herrlich' Guß g'habt heut' Nacht.‹

»›Ja, 's sagt's Jedermann; aber ich nicht ganz glücklich. Wolke kam nicht über mein Becken. Wie viel Zoll Wasser Hab' Sie heut' Nacht, Marm?‹

»›Gut sieb' Zoll und glaub' noch was mehr, macht mich ganz glücklich.‹ »›Ich nicht so glücklich, Marm; Gott helf' mir, mich nur hab' vier Zoll in mein' Wasserbehälter; und das will nichts heiß'.‹

»Gut, ich habe da etwas lavirt, will meinen Strich jetzt halten. Wie ich an's Haus kam, klopfte ich an die Thüre; ein kleines schwarzes Mädchen öffnete die Jalousieläden und legt ihre Finger an ihre dicken Lippen.

»›Kein Lärm g'macht; Missy schlafen.‹

»›Wo soll ich das hinthun?‹

»›Thun's Hieher; will's dann gelegentlich holen.‹

»Und damit machte sie die Jalousieläden wieder zu, aus Angst, ihre Frau möchte aufwachen und ihr eins an die Löffel stecken, das arme Ding. Lege also das Fäßchen an die Hausthüre und gehe wieder zurück zu meinem Boote. Nun müßt ihr wissen, die Beurlaubten waren alle dabei, als ich mit dem Mädchen sprach, und wie sie sehen, daß der Branntwein da bleibt, ohne daß man 'ne Wache davor stellt, finden sie doch die Versuchung zu stark. Sie sahen sich Alle rings um und dann guckten sie einander an, und wollten's einander von den Augen ablesen; aber sie sagten nichts.

»›Ich will keine Hand anlegen‹, sagte endlich Einer, und geht weg.

»›Ich auch nicht‹, sagte ein Anderer, und geht auch weg.

»Zuletzt gehen sie alle weg, bis auf sechs, und dann geht Bill Kurz an's Fäßchen hin und sagt:

»›Ich will keine Hand anlegen,‹ aber er gab dem Fäßchen einen Stoß mit dem Fuße, und es rollte zwei bis drei Ellen von der Thüre weg.

»›Ich auch nicht,‹ sagt Holmes, und gibt ihm 'nen andern Tritt, daß es auf die Straße rollt. Und so gingen sie alle hin, und legte keiner 'ne Hand an; aber sie gaben dem Fäßchen Fußtritte, bis es an den Strand hinabgerollt war. Aber jetzt standen sie da, wie die Ochsen am Berg; keiner wollte es anzapfen. Endlich kommt ein schwarzer Zimmermann vorbei, und sie versprachen ihm ein Glas, wenn er es mit einem Bohrer anzapfen wollte, denn sie hatten ausgemacht, es so einzurichten, daß Jeder darauf schwören könnte, er habe keine Hand angelegt. Das Ding war gut. Wie das Fäßchen angebohrt war, entlehnte einer von ihnen ein Paar Becherchen von einer Schwarzen, welche Bier verkaufte, und dann ließen sie's umgehen. Sobald der Becher voll war, hielt der schwarze Zimmermann einen andern unter, und sie tranken, so schnell sie konnten. Ehe sie halb fertig waren, kamen auch die Andern die Höhe herunter – ich glaube, sie haben den guten Stoff oben geschmeckt, wie ein Haifisch auch Alles wittert, was im Wasser ist – und bald waren sie mit dem Ganzen fertig. Und wie Alles fertig war, waren sie Alle betrunken, und kreuzten nach dieser und jener Seite, daß man sie nicht zu nahe neben dem leeren Fäßchen finden sollte. Gut. Etwas vor Sonnenuntergang ward ich an's Land gesendet mit dem Boot, um die Beurlaubten zu holen. Der Zahlmeister ergreift diese Gelegenheit, geht auch an's Land, um seine Madam zu besuchen, und das Erste, worüber er stolpert, ist sein eigenes leeres Fäßchen.

»›Was ist das?‹ sagte er, ›hast du das Fäßchen nicht hingetragen, wohin ich dir befohlen habe?‹

»›Ja Sir,‹ antwortete ich, ›das hab' ich gethan, und hab' es dem kleinen schwarzen Ding aufgebunden; aber Madam schlief, und das Mädel ließ mich's nicht in's Haus hineinstellen.‹

»Auf das begann er zu stürmen, und schwur, er wolle die Uebelthäter, wie er die Beurlaubten nannte, welche sein Fäßchen geleert hätten, schon herausbringen. Und dann ging er nach dem Hause der Madam. Und wie er weg war, machten wir uns über das Fäßchen und machten 'nen Bullen

»Wie fingt ihr das an?« fragte ich.

»Nun, Jacob, 'en Bullen will heißen; man schüttet ein oder zwei Maaß Wasser in ein Faß, in welchem Branntwein gewesen ist; und das gibt mit dem Bischen, was noch drin blieb und sich in's Holz legte, wenn man's recht rollt und schüttelt, noch einen ordentlichen Grog. Auf jeden Fall ist es besser, als nichts. Gut, ich will weiter machen – aber wie wär's, wenn ich wieder auffüllte, und einen frischen Ansatz nähme, denn 's ist 'en ziemlich langer Faden, und ich muß ihn annetzen, sonst könnt' er brechend«

Unsere Trinknäpfchen, welche sämmtlich leer waren, wurden wieder gefüllt, und der alte Tom fuhr fort.

»'s dauerte lange, bis wir die Beurlaubten zusammen brachten; sie schwankten in allen Ecken der Stadt umher, und 's war schon ganz dunkel, als ich an Bord kam. Der erste Lieutenant war auf dem Verdeck, und hatte nicht nöthig, mich zu fragen, warum ich so lange ausbleibe, denn er sah, wie sie alle auf den Spiegelbänken lagen.

»›Wo Teufels mögen die Kerl' den Branntwein her haben?‹ sagte er und befahl dem Profos, sie unter das Halbverdeck zu sperren, bis sie nüchtern wären. Am nächsten Morgen kommt der Zahlmeister und bringt seine Klage vor's Hinterdeck, daß ihm Jemand seinen Branntwein gestohlen. Der erste Lieutenant meldet's dem Kapitän, und der Kapitän läßt Alle rufen, welche betrunken an Bord gekommen waren.

»›Wer von Euch hat den Branntwein genommen?‹ sagte er.

»Sie schworen alle, sie haben keine Hand angelegt.

»›Woher wurdet Ihr denn betrunken? Kurz, antworte? du warst betrunken wie ein Vieh – wer gab dir den Branntwein?‹

»›Ein Schwarzer, Sir,‹ antwortete Kurz; und das war richtig, denn der schwarze Zimmermann füllte die Becher und gab sie ihnen.

»Das Ding war gut, sie schwuren alle das Gleiche; und der Kapitän wurde wüthend, und ließ sie alle auf den Rapport setzen. Am andern Tag wurden sie zur Bestrafung zusammenberufen, und der Kapitän sagte: »›Bursche, wenn Ihr nicht gestehen wollt, wer des Zahlmeisters Grog gestohlen hat', so laß ich Euch alle der Reihe nach peitschen. Ich möchte aber nur diejenigen strafen, welche den Diebstahl begangen haben, denn es wäre zu viel erwartet von einem Matrosen, er solle ein Glas Grog ausschlagen, wenn es ihm angeboten wird.‹

»Nun hatte sich Kurz mit den Andern verständigt, und es waren Alle übereingekommen, wie sie's anfangen wollten. Sie wußten, daß der Kapitän kein Freund vom Peitschen war, und eine grundgute Seele. So tritt denn Bill Kurz vor und sticht vor dem Hauptmann an seinen Vorlieger und sagt:

»›Wenn's erlaubt ist, Sir, wenn alle gepeitscht werden sollen, und daß keiner den Angeber machen will, so glaube ich, ist's besser, ich sage gleich, wie's ist. Ich habe den Branntwein genommen.‹

»Ganz gut, Bursch; das Hemd 'runter‹, sagte der Kapitän.

Bill Kurz zieht sein Hemd 'runter, und wird gebunden.

»›Hochbootsmate,‹ sagt der Kapitän, ›ein Dutzend aufgemessen.‹

»›Bitt' Euer Gestrengen um Verzeihung,‹ sagt Jack Holmes, aus der Reihe der Matrosen tretend, ›aber ich kann's nicht sehen, daß ein Unschuldiger gepeitscht werden soll, und wenn's gepeitscht sein muß, so soll's auch den Rechten treffen. Nicht Bill Kurz hat den Branntwein genommen, ich hab' ihn genommen.‹

»›Was soll das heißen?‹ sagt der Kapitän. ›Kurz, hast du nicht eingestanden, du habest den Branntwein genommen?‹

»›Nun, ja, das hab' ich, von wegen weil ich nicht alle gepeitscht sehen konnte – aber Wahrheit bleibt Wahrheit, ich habe keine Hand angelegt.‹

»›Laßt ihn los – Holmes, das Hemd 'runter.‹

»Holmes zog das Hemd 'runter und wurde gebunden.

»›Ein Dutzend aufgemessen!‹ sagte der Kapitän.

»Da tritt M'Alpin vor und betheuert, er sei's gewesen, und nicht Holmes; und bittet, statt seiner gepeitscht zu werden. Auf das hin beißt sich der Kapitän in die Lippen, um's Lachen zu halten, und dann wußten sie, daß Alles in Richtigkeit war. Dann tritt ein Anderer r'aus und sagte, er sei's gewesen, und nicht M'Alpine; und ihm widersprach wieder ein Anderer, und so ging's fort. Endlich sagt der Kapitän:

»›Man sollte denken, das Peitschen wäre ein kurzweilig Ding, so seid Ihr alle darauf versessen; aber Euch zu Gefallen will ich jetzt nicht peitschen. Ich werde es schon herausbringen, wer der Schuldige ist, und ihn dann strenge bestrafen. Mittlerweilen lassen Sie alle auf dem Rapport stehen. Herr P –,‹ das sagt er zum ersten Lieutenant. ›Ihr geht nicht frei aus, verlaßt Euch darauf, ob ich gleich keinen Unschuldigen peitschen lassen mag.‹

»Es wurde gepfiffen, worauf sie wieder hinab gingen, und der erste Lieutenant, der es wohl wußte, daß der Kapitän die Sache nie mehr anbringen würde; fragte nicht weiter nach, weßhalb die Sache verrauchte. Ein paar Monate später erzählte ich den Offizieren eines Tags, wie's zugegangen war, und sie mußten herzlich darüber lachen.«

Wir setzten unser Gelage bis in die späte Nacht fort, während uns der alte Tom beständig mit seinen langen Fäden unterhielt, und zum ersten Male in meinem Leben ging ich betrunken zu Bette. Die beiden Tome trugen mich auf mein Lager, und der Alte bemerkte:

»Der arme Jacob, 's wird ihm gut thun; das Herz war ihm gar zu schwer, und nun vergißt er's doch auf einige Zeit.«

»Schon recht, Vater, aber ich kann den Jacob nicht betrunken sehen,« versetzte der junge Tom. »Steht ihm nicht an – 's ist seiner nicht würdig; bei Euch und bei mir hat es nichts zu sagen; aber ich fühle, daß Jacob nicht zu 'nem Zechbruder geboren ist. Ich sah noch nie einen Burschen, der sich in kurzer Zeit so sehr veränderte, und ich fürchte, es wird Böses daraus entstehen, wenn er uns verläßt.« Wie man sich denken kann, erwachte ich nach meiner ersten Ausschweifung mit einem heftigen Kopfschmerz, aber ich hatte auch ein Fieber, das ich mir durch meine vorhergegangene Seelenpein zugezogen. Ich stand auf, kleidete mich an und ging auf das Verdeck, wo der Schnee beinahe einen Fuß tief lag. Es war stark gefroren, und der Strom mit kleinen Stücken schwimmenden Eises bedeckt. Ich rieb meine brennende Stirne mit Schnee und fühlte Erleichterung. Eine Zeitlang half ich dem jungen Tom den Schnee über Bord schaufeln, aber das Fieber nahm überhand, und ehe eine halbe Stunde vergangen war, vermochte ich die Anstrengung nicht länger auszuhalten. Ich setzte mich auf die Wassertonne und drückte die Hände an meine klopfenden Schläfe.

»Dir ist nicht wohl, Jacob?« fragte Tom, und trat, mit der Schaufel in der Hand und die Nöthe der Gesundheit auf seinen Wangen auf mich zu.

»Du hast Recht, Tom,« antwortete ich; »fühle nur, wie ich Hitze habe.«

Tom ging zu seinem Vater, der in der Cajüte war und seine Stümpfe mit Extraflanell einwickelte, um sie vor der Kälte zu schützen, welche ihm sehr wehe that. Sie kamen mit einander herauf und führten mich in die Kajüte. Ich konnte kaum gehen; meine Kniee zitterten und mein Augenlicht war verdunkelt. Der alte Tom ergriff meine Hand, als ich auf den Sitzkoffer hinsank.

»Glaubt Ihr, es rühre daher, daß er sich gestern Abend übernahm?« fragte Tom seinen Vater.

»Hier ist mehr, als 'ne Gallone Branntwein hervorbringen könnte?« erwiederte der alte Tom. »Nein, nein, ich sehe Alles. Geh' wieder zu Bett, Jacob?«

Sie brachten mich zu Bett, und bald lag ich in einem Zustande von Betäubung, in welchem ich noch mehrere Tage nach der Ankunft des Lichters an dem Brentfordwerfte verblieb.


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