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Zweites Buch.

Erstes Kapitel.

Herrn Tomkins' fête champêtre und fête dansante – Lichter zwischen Stachelbeerstauden. – Alles geht gut ab, mit Ausnahme der Lichter, welche ausgehen. – Eine Aufwindung, welche beinahe eine Katastrophe herbeiführte. – Der alte Tom beweist den Satz, daß die Gefahr Freunde mache durch einen Faden, der junge durch eine Thatsache.

Ich war ungefähr acht Monate bei Herrn Drummond, als endlich der neue Gehülfe erschien – ein kleiner fetter Bursche von ungefähr Zwanzig, mit einem runden Vollmondsgesicht, aufgeworfenen Lippen und rothen Pausbacken. Während dieser Zeit wurde mir häufig die Freude, mit dem alten und jungen Tom zusammenzukommen. Sie hatten eine außerordentliche Sehnsucht, mich wieder an Bord zu sehen, und ich muß sagen, mich verlangte es ebenfalls, auf den Lichter zurückzukehren. Allein Herr Drummond legte fortwährend sein Veto ein, und Frau Drummond hob beständig die großen Vortheile hervor, die es für mich hätte, als Gehülfe in der Schreibstube zu arbeiten; aber ich konnte mich nicht damit befreunden. – Auf einem langbeinigen Stuhle den lieben langen Tag vor dem Pulte zu sitzen und unaufhörlich Soll und Haben herüber und hinüber zu schreiben, während das ewige Einerlei höchstens bisweilen vom ersten Commis mit seinen Reimversuchen unterbrochen wurde, – dieß war zu viel gefordert. Als der neue Gehülfe eintrat, erwartete ich meine Erlösung, aber ich sah mich getäuscht. Herr Drummond fand, daß es ein sehr unbehülflicher Bursche war, und der erste Commis erklärte, es liegen gegenwärtig so viele Geschäfte vor, daß man mich unmöglich entlassen könnte. Dieß war allerdings richtig. Herr Drummond hatte eben erst einen Kauf abgeschlossen, über den er schon lange unterhandelt hatte, und war dadurch in den Besitz einer Werfte und eines großen Waarenhauses mit einem anstoßenden Wohngebäude in der untern Themsestraße gekommen – eine weit aussehende Unternehmung, auf die er ein bedeutendes Kapital verwendete. Die Anschläge, die man machen mußte, die Summen, die man vom alten Geschäfte auf's neue zu übertragen hatte u.s.w., gaben so viel zu thun, daß ich am Pulte beschäftigt war, bis der Umzug stattfand; und da es an einem Magazinverwalter fehlte, der das Löschen und Aufwinden der Güter beaufsichtigte; so ward ich auch nach dem Umzuge noch beibehalten. Der erste Commis, Herr Tomkins, welcher Herrn Drummond viele Jahre lang treue Dienste geleistet hatte, ward als Theilhaber am Geschäfte anerkannt und bekam die Aufsicht über die Werfte zu Brentford; eine Beförderung, welche er und seine Frau mit einem Feste zu feiern beschloßen. Nach langen Berathschlagungen vereinigten sie sich mit einem Ball, und Mrs. Tomkins bot ihren ganzen Geschmack und Erfindungsgeist auf, um der Würde des Tages zu entsprechen. Mein Freund Tomkins wohnte in geringer Entfernung von den Werftgebäuden in einem kleinen Hause, das in einem halben Morgen Gartenland stand, welches mit Stachelbeerstauden angefüllt und von vier schnurgeraden Sandpfaden durchschnitten war. Herr und Frau Drummond wurden eingeladen. Sie nahmen die Einladung an, und Tomkins betrachtete dies als einen Beweis freundlicher Herablassung. Als eine Probe von Herrn Tomkins poetischen Talenten will ich hier die Einladung geben, wie sie in schöner gothischer Schrift Herrn Drummond zukam.

Herr und Frau T –
Wünschen zu seh-
En bei 'nem be-
Scheidnen Gelag
Nächsten Samstag
Herr und Frau Drum-
Mond, und sie bitten darum,
Daß sie sich ja gewiß zeigen;
Denn man hört Pfeifen und Geigen
Und allerlei Kurzweil geht um.«
Belle-Vue.

Als Antwort auf dieses jeu d'esprit schrieb Herr Drummond mit Bleistift auf eine Karte: –

Herr und Frau Drum-
Mond werden komm'.

»Da, Jacob, gib dieß Herrn Tomkins; es wird ihn mehr freuen, als eine förmliche Zusage.«

Auch Herr und Frau Turnbull wurden eingeladen; der erstere sagte es zu, die letztere schlug es verächtlich ab.

Als ich mit Herrn und Frau Drummond ankam, trafen wir bereits eine Menge Gäste. Der Garten war beleuchtet, wie sie es nannten, das heißt, auf jedem Stachelbeerstrauche hing eine bunte Lampe, und zwar, wie mir Herr Tomkins nachher erklärte, je nach der Farbe der Früchte, die er trug, eine rothe oder eine gelbe. Es war eine frostige, kalte Winternacht und die Lampen schimmerten zwischen den nackten Zweigen der Stachelbeerstauden so hell, als die Sterne am Himmel. Die ganze Gesellschaft war über die Neuheit des Schauspieles entzückt. »Ein kleines Vauxhall,« rief eine Dame, deren Fettfülle sie warm genug erhielt, um es ihr möglich zu machen, sich in der freien Luft umzusehen. Im Eingange hing ein Dutzend kleiner Lampen, hinter welchen Lorbeerzweige angebracht waren, die sich höchst imponirend ausnahmen. Mrs. Tomkins empfing ihre Gesellschaft auf der Haustreppe, um das Vergnügen zu genießen, ihre Gartenanlage bewundern zu hören; aber es war so kalt, daß sie am ganzen Leibe zitterte. Das Gastzimmer, welches vierzehn Fuß in der Länge und zehn Fuß in der Breite maß, war zum Ballsaale eingerichtet. In einer Ecke saßen zwei Geiger und ein Pfeifer. Als wir eintraten, wurde eben ein ländlicher Tanz ausgeführt. Ueber dem Kaminstücke sah man in einem Rahmen von Lorbeerzweigen ein roth ausgeschnittenes Papier, auf dem in Buchstaben aus blauem und gelbem Flittergolde folgendes Reimchen stand, das aus dem Gehirne des Hausgebieters entsprungen war:

»Wir dreh'n uns im lustigen Kreise
Nach des Geigers begeisternder Weise.«

Aehnliche Reime, die der frohen Feier entsprachen, waren auch in den übrigen Zimmern angebracht. Aber der Speisesaal war das chef d'oeuvre. Er war in eine Immergrünlaube umgeschaffen und auf den Zweigen staken in allen Richtungen natürliche Aepfel und Pomeranzen, bei denen man nur zugreifen durfte.

»Wahrlich, dieß ist ein Paradies,« rief die fette Dame, welche mit mir eintrat.

»Mit einer einzigen Einschränkung, Madam,« versetzte Herr Turnbull, der in bloßen Hemdsärmeln Citronen zum Punsch auspreßte – »es ist keine verbotene Frucht hier. Sie dürfen überall zugreifen.«

Diesen Witz wiederholte Tomkins bis an's End seiner Tage, wobei es ihm weniger um die Worte selbst, als vielmehr um eine Gelegenheit zu thun war, sich in eine ausführliche Beschreibung vom ganzen Feste einzulassen, dem ersten, das er je gegeben hatte.

»Ah! Jacob,« rief Turnbull, der in seinem Elemente war, »es freut mich, dich zu sehen, – komm und hilf mir, – sie werden bald durstig sein, dafür stehe ich.«

Die Gesellschaft war zwar nicht auserlesen, aber glücklich. Man tanzte, trank Punsch, lachte und tanzte wieder; und erst am späten Morgen, nachdem sich Herr und Frau Drummond schon längst entfernt hatten, verließ ich den Schauplatz des Festes. Herr Turnbull, welcher mit mir wegging, erklärte, es habe ein Dutzend von seinen Gesellschaften aufgewogen, obgleich keine so vornehme Personen zugegen gewesen seien, wie Mrs. Tagliabue oder der sehr h'ehrenwerthe Lord Viscount Babbleton. Ich stimmte ihm bei. Jedes war glücklich und gehörte sich selbst; auch glaube ich, die Gesellschaft wäre noch länger geblieben, wenn die Musiker nicht zu viel Punsch getrunken hätten; der Geiger zerbrach seine Geige, der andere seinen Hirnschädel, als er die Treppe hinab in den Garten gehen wollte, und der Pfeifer schwor, er könne nicht mehr blasen. So war es mit der Musik zu Ende. Man rief nach Ueberschuhen, Laternen und Mänteln, und Alles entfernte sich. Es konnte nicht besser abgehen. Mrs. Tomkins hatte am andern Morgen einen Katarrh; aber wer konnte sich darüber verwundern? Ein kleines Vauxhall im Monat Dezember ist keine Kleinigkeit.

Eine Woche nach diesem Feste zogen wir in die Themsestraße, und ich versah das Amt eines Waarenhausaufsehers. Die Zahl unserer Lichter ward jetzt vermehrt; wir führten alle möglichen Kaufmannsgüter. Eines Morgens kam der alte Tom unter den Krahnen, um seinen Lichter zu löschen, und da er mich zu sprechen wünschte, ergriff er das Zugseil, das wir hinabgelassen hatten, um die Fässer aufzuwinden, mit denen der Lichter beladen war. Anstatt ein Faß am Haken zu befestigen, hängte er sich selbst daran und rief: »Aufgewunden,« indem er sich auf diese Art zum Magazin hinaufziehen lassen wollte, wo ich die Aufsicht führte. In dieser Grille des alten Toms lag nun gerade nichts Ungewöhnliches; aber eine andere Grille entsprang daraus, die ihm die äußerste Gefahr brachte. Der junge Tom sah seinen Vater kaum in der Luft schweben, als er seine hölzernen Beine ergriff, um sich ebenfalls hinaufziehen zu lassen. Er mußte sich auf die Zehen stellen, sie zu erreichen, und alsbald waren beide außer dem Bereiche des Lichters, der auf fünf Fuß von Gebäude entfernt lag. Der Krahn befand sich am dritten Stockwerke des Waarenhauses, und es war sehr weit hinauf.

»Tom, Tom, du Schurke, was Teufels, hast du vor?« rief der Alte, als er das Gewicht seines Sohnes empfand.

»Mit Euch hinaufzufahren, Vater – ich hoffe, wir werden den gleichen Weg zum Himmel gehen.«

»Oder wahrscheinlicher zum Teufel, du Narr; ich kann dein Gewicht nicht tragen. Sputet Euch dort oben mit dem Winden.«

Als ich diese Stimme hörte, sah ich zur Oeffnung hinaus, und kaum überblickte ich ihre Lage, als ich den Leuten so schnell wie möglich zu winden befahl, damit sich die Kräfte des alten Toms nicht erschöpften; aber es war eine zusammengesetzte Maschine, zwar auf sehr schwere Lasten berechnet, dafür jedoch um so langsamer in ihrer Thätigkeit. Wie sie höher und höher hinaufgewunden wurden, schwanden die Kräfte des Alten schneller und schneller.

»O Tom, Tom! was ist anzufangen? ich kann nicht mehr – ich kann nicht mehr länger halten, wir werden in Stücke zerschmettert. Armer Junge!«

»So will ich loslassen, Vater. Meine Thorheit ist an Allem Schuld – ich will dafür büßen.«

»Loslassen?« rief der alte Tom; »nein, nein, Tom, lasse nicht los, mein Junge; ich will es noch ein wenig länger versuchen. Laß nicht los, mein lieber Junge, laß nicht los!«

»Gut, Vater; wie lange könnt Ihr noch halten?«

»Nur noch kurze Zeit, noch ganz kurze Zeit.« versetzte der Alte keuchend.

»So haltet einmal fest,« rief der junge Tom, schwang mit großer Anstrengung den Kopf über seine Arme hinauf, und klammerte zuerst die eine, dann die andere Hand an seines Vaters Oberschenkel. Er schwang sich auf's Neue in die Höhe und erfaßte den Hintertheil der Beinkleider seines Vaters mit den Zähnen; der Alte ächzte, denn er hatte mehr als die Bekleidung gefaßt. Dann legte er seinen Arm um den Leib seines Vaters – von da gewann er den Kragen seiner Jacke – vom Kragen kletterte er auf die Schultern, und von da aus ergriff er das Zugseil, den Alten so von seinem Gewichte befreiend.

»Ist's jetzt recht, Vater,« rief er keuchend, sobald er das Seil umschlungen hatte.

»Ich kann mich keine zehn Sekunden mehr halten, Tom – es geht nicht länger – die Faust – die Faust läßt –«

»Hängt Euch an Eure Augenlieder, Vater, wenn Ihr mich liebt,« rief der junge Tom in Todesangst.

Es war ein entsetzlicher Augenblick; sie hingen wenigstens sechzig Fuß über dem Lichter in der Luft; die Leute am Haspel wirbelten das Drehrad um, und endlich wurde mir die Freude, sie auf den Boden des Waarenhauses hereinziehen zu können. Der alte Tom war so erschöpft, daß er eine Minute lang nicht sprechen konnte; der junge aber sah ihn kaum in Sicherheit, als er in ein unmäßiges Gelächter ausbrach.

Sein Vater saß aufrecht und blickte ihn ernst an.

»Das Lachen hätte dir vergehen können,« sagte er.

»Geschehene Dinge lassen sich nicht ändern, Vater, wie Jacob sagt. Und am Ende seid Ihr doch mehr erschrocken, als verletzt.«

»Das weiß ich nicht genau, du Taugenichts,« versetzte der Alte, und rieb sein Sitzfleisch: »du hast mir ein Stück aus meinem Stern herausgebissen. Laß dir's zur Warnung dienen, Tom. Jacob, könntest du nicht sagen, es sei mir ein Zufall begegnet, und einen Tropfen Stärkendes von Herrn Drummond bekommen?«

Ich glaubte, in Bezug auf seine letzte Bemerkung ehrlicher Weise sagen zu können, es sei ihm ein Zufall begegnet, und kehrte bald mit einem Gläschen Branntwein zurück, welches der alte Tom an den Mund setzte, während ihn sein Sohn mit der Bitte um seinen Antheil unterbrach.

»Ihr wisset, Vater, ich theilte auch die Gefahr.«

»Ja, Tom, ich weiß das,« versetzte der Vater, »aber dieß erhielt ich von wegen meines Zufalles, und da ich den ganz allein erlitt, so gehört mir auch diese Stärkung ganz allein.«

»Aber, Vater, einen Tropfen solltet ihr mir doch geben, wäre es auch nur, um mir den schlechten Geschmack aus dem Munde zu vertreiben

»Dein eigenes Fleisch und Blut, Tom,« versetzte der Vater, das Glas leerend.

»Nun, ich habe immer sagen hören, es sei ganz unnatürlich, sein eigenes Fleisch und Blut nicht zu lieben, bemerkte Tom, »aber jetzt sehe ich, man kann auch seine Gründe dazu haben.«

»Gib dich zufrieden, Tom,« versetzte sein Vater, das Glas niederstellend: »jetzt sind wir gerade quitt. Du hast dein Frühstück gehabt, und ich das meinige.«

Herr Drummond kam und fragte, was es gegeben habe.

»Nichts, Sir – nur einen Zufall. Tom und ich wurden beim Aufwinden ein wenig gewitzigt.«

Herr Drummond glaubte, es sei ein Faß ausgeglitten, und habe sie niedergeworfen. Er ermahnte den alten Tom, künftig vorsichtiger zu sein, und verließ uns, während wir uns an's Löschen machten. Der neue Gehülfe war ein schwerfälliger, einfältiger junger Mensch, der zwar sehr fleißig und aufmerksam war, aber sonst auch kein anderes Verdienst hatte. Er wurde auf den Lichter geschickt, um die Zeichen und Nummern der Fässer aufzuschreiben, welche hinaufgewunden wurden, und diente dem jungen Tom bald zur Zielscheibe seines Witzes. Er gab ihm auf seine Fragen lauter falsche Zeichen und Nummern an.

»Was ist das, Junge?« fragte das Puddinggesicht, die Bleifeder in der einen, und die Schreibtafel in der andern Hand.

»Erbsensuppe Nr. 13,« versetzte Tom : »Damenmützen Nr. 24. Nun, Herr, schreiben Sie weiter, Pfeifenthon für Soldaten Nr. 3; geräucherte Häringe Nr. 26.« Herr Gubbins notirte Alles sorgfältig und brachte, als der Lichter aufgeladen war, das Verzeichniß seinem Prinzipale.

Glücklicher Weise hatten wir die Nummern verzeichnet, als wir die Fässer oben in Empfang nahmen – sie enthielten alle Mehl. Herr Drummond ließ den jungen Tom rufen und fragte ihn, wie er sich unterfangen könne, einen solchen Streich zu spielen. Tom erwiederte keck, er habe dem jungen Menschen bloß eine gute Lehre geben wollen, daß er in Zukunft seine Sache selbst besorge und sich nicht auf Andere verlasse. Herr Drummond stimmte damit überein, und Meister Tom wurde ungestraft entlassen.

Als die Leute alle zum Essen gegangen waren, ging ich auf den Lichter hinab, um mit meinen ehemaligen Schiffsgenossen zu plaudern.

»Jacob,« sagte der Alte, »Tom ist noch um nichts klüger geworden, als er früher war – bereits in zwei Patschen an einem Tage.«

»Nun, wenn ich meine Narrheit zeige, indem ich in eine Patsche gerathe, so zeige ich auch wieder meinen Witz, indem ich mich aus derselben herauswinde.«

»Ja, das mag wahr sein, Tom; aber gesetzt, wir wären mit einander hinabgefallen; was würdest du dann gedacht haben?«

»Ich vermuthe fast, Vater, das Denken würde mir vergangen sein.«

»Sah einmal etwas der Art passiren,« sagte der alte Tom, Auftritte aus seinem früheren Leben ins Gedächtniß rufend; »und will euch einen Faden darüber spinnen, von wegen weil sie sagen, Gefahren machen Freunde.«

Wir setzten uns neben ihn, und der alte Tom erzählte folgendermaßen:

»Als ich auf der Minerva, einer Fregatte von vierundvierzig Kanonen, Kapitän des Haupttops war, sah man kein flinkeres Schiff aus dem Mittelmeere, und wir gaben den andern Fahrzeugen manche Gelegenheit, sich in der Schnelligkeit der Bewegungen zu üben, denn sie waren nie im Stande, es uns vorzuthun – oder uns auch nur das Wasser zu reichen. Im Vor- und Haupttop hatten wir achtundzwanzig Bursche, die so gewandt waren, als je einer den Fuß auf ein Takelwerk setzte, oder an einem Hinterstagen hinabglitt. Nun waren die beiden Kapitäne des Vortops zwei auserlesene Jungen, so lebendig wie die Affen und so keck wie die Löwen. Der Eine war von North-Shields und hieß Tom Herbert, ein brauner, hübscher Bursche, mit Zähnen so weiß wie sie ein Neger hat, die er auch immer zeigte, und dabei ein lustiger Kamerad. Der Andere war ein Muttersöhnchen aus der Hauptstadt. Die Londoner sind selten gute Seeleute, aber wenn sie's sind, so gibt's keine besseren: Niemand darf ihnen den Weg zeigen, das ist ausgemacht, denn sie sind flink wie der Teufel, und voll von Späßen und Schelmenstücken. Dieser Bursche nannte sich Till Wiggins, und er und Herbert waren immer eifersüchtig auf einander, wer der Behendere sei. Ich sah sie bei schönem Wetter oft auf der Raa hinausrennen, ohne irgend einen Halt, das Zuglien erfassen, auf ihre Posten hinabfahren und in einem Nu den Tauring aufholen. Dann ging's wieder das Zuglien hinaus und auf das Verdeck hinunter am Hinterstagen, bevor die Mannschaft kaum halb aus dem Top hervorkam. Ja, sie setzten ihr Leben auch bei schlechtem Wetter auf's Spiel, wo es gar nicht nöthig gewesen wäre – nur um es einander vorzuthun. Nun war das Alles recht gut und ein gutes Beispiel für die Andern. Der Kapitän und die Offiziere sahen diese Wettkämpfe gern, aber es endete damit, daß sie einander haßten und Keiner ein Wort mehr mit dem Andern sprechen wollte, was gar nicht schön von den beiden Tophelden war. Oft schon hatten sie einander ausgescholten und fünfmal sogar sich geboxt, aber Keiner konnte den Andern werfen. Entweder wurden Beide halb todt geschlagen oder vom Fechtmeister getrennt und dem ersten Lieutenant gemeldet; die Offiziere mochten sie nicht mehr leiden, und bei dem Kapitän hatten sie's auch verschüttet. Er drohte ihnen, sie abzusetzen, wenn sie noch einmal boxen würden.

»Wir kreuzten im Golf von Lyon, wo es bisweilen stark genug windet, um dem Teufel seine Hörner herunterzublasen, wiewohl diese Wuth nie lange anhält. Wir fuhren unter dicht gereeften Haupttopsegeln, Sturmsegeln und Versuchsegeln; da griffen plötzlich neue Hände an den Blasbalg, und der Kapitän befahl dem Offizier von der Wache, das Vortopsegel einzuziehen. Es war gerade vor dem Mittagessen. Um die Wache unten nicht aufzujagen, wurde die Mannschaft des Vortops auf den Vordermast beordert, um der Vortopwache zu helfen. Ich war natürlich schon oben und wollte eben auf den Leeraaen vorn hinausliegen – als Wiggins, der die Wache unten hatte, in den Top heraufkam, weil er nicht leiden wollte, daß Herbert bei einem solchen Wetter an der Arbeit sein sollte, und er nicht.

»›Tom,‹ sagte Wiggins zu mir, ›ich will den Raaenarm nehmen.‹

»›Ganz recht,‹ versetzte ich, ›von Herzen gerne; dann will ich nach den Bauchgordingen sehen.‹

»In diesem Augenblicke kam ein neuer Windstoß mit einem Regen, der uns beinahe blind machte. Das Segel ward ganz hübsch eingezogen, die Knopflienen wurden zusammengedreht, die Bauch- und Nockgordingen aufgebracht, die Reeftakel übergeholt, die Rolltakel angestrafft, kurz Alles, was sein soll. Die Matrosen lagen auf dem Raaenarm, der Sturm wurde immer stärker, aber sie brachten die Nocke des Segels herein. Schnap! da bricht die eine Bauchgording, dann die andere; das Segel flappt und flattert, bis auch die Nocklienen brechen und die Bursche den Raaenarm umklammern, um ihr Leben zu erhalten; denn das Segel hatte sie gemeistert, und sie konnten nichts mehr anfangen. Endlich reißt es mit einem donnerähnlichen Gekrache, peitscht die Matrosen auf den Raaenarmen, bis sie beinahe von Sinnen kommen, und schlitzt nach der Windseite in langen Fetzen, während, was noch von dem Tuche übrig war, sich um den Leeraaenarm legte. Endlich gelang es der Mannschaft, wieder hereinzukommen; sie waren erschöpft und hielten auf Tod und Leben fest. Nur Wiggings war zu sehr in das Segel verwickelt, um seine Füße loszumachen. Da war er angefesselt, der arme Bursche, und wurde von den Seegelstreifen gepeitscht, daß er fast die Besinnung verlor. Ich brauchte zwar lange zu meiner Erzählung, aber das Ganze war das Werk von weniger als einer Minute. Endlich machte er einen Versuch, am Zugliene hinaufzuklimmen, aber er ward wieder niedergeworfen und würde über Bord geschleudert worden sein, wäre nicht sein Bein über's Raaenpferd gefallen. Da hing er kopfüber, und unter ihm heulte die See und wartete seiner, um ihn zu verschlingen, sobald er herabstürzen würde. Jedermann glaubte, es müßte ihn werfen, ehe man ihm zu Hülfe kommen könnte. Es war ein entsetzlicher Anblick für diejenigen, die unten standen, nach ihm hinaufschauten und auf die Wendungen des Schiffes achteten, um zu sehen, ob er in die See fallen oder an den Vorderketten zerschellen würde.

»Ich konnte ein Mitgeschöpf, und dazu einen so guten Matrosen, nicht länger in diesem Jammer sehen, und obgleich der Kapitän Keinem zu befehlen wagte, ihm zu Hülfe zu kommen, so eilten doch ein Paar Midshipmen auf das Focktakelwerk, um seine Rettung zu versuchen (denn Midshipmen schätzen ihr Leben nicht höher als einen Mundvoll Tabak). Ich fasse also die Leesegelziehtaue und renne das Focktakelwerk hinauf, um am Zuglien niederzugleiten und ihn mit einem Schleiflien zu umschlingen, bevor er fiele. Siehe da, wen treffe ich auf den Kreuzhölzern? Niemand anders, als Tom Hebert, der mir das Tau aus der Hand reißt und mir durch den Wind entgegenbrüllt: ›das ist mein Geschäft, Tom‹!

»Und nieder fährt er am Zugliene, die noch Uebrigen Fetzen des Segels flappen über ihn hin, und ich sehe nichts mehr. Auf einmal höre ich ein Geschrei von unten, und fort fliegen Herbert und Wiggins nach der Leeseite, während sich das Schiff eben windwärts aufrichtet. Glücklicherweise fallen sie zwei Fuß über's Schiff hinaus und nicht mehr, und weil man auf ihren Sturz gefaßt war, hatte man unten Alles vorbereitet. Ein Gehülfe, Namens Simmonds, und der Kapitän des Vorderkastells werfen sich in Schlingknoten über Bord und halten andere Schleifliene in den Händen, und in ein paar Minuten sind alle vier wieder auf dem Schiffe; aber Herbert und Wiggings waren beide besinnungslos, und es dauerte lange, bis sie zu sich kamen. Nun, und was glaubt ihr, daß das Ende von dem Allen gewesen sei? Von nun an wurden sie die besten Freunde von der Welt, und hätten das Leben für einander gelassen; und wenn einer ein Glas Grog von den Offizieren bekam für einen kleinen Dienst – anstatt es an seine Vorderlucke zu setzen und auf des Offiziers Gesundheit zu trinken, nahm er's mit aus der Konstabelkammer und gab dem Andern die Hälfte. Und so seht ihr also, meine Jungen, wie ich vorhin sagte, ehe ich meinen Faden zu spinnen anfing – Gefahr macht Freunde.

»Wenn wir hinaus auf's wilde Meer uns wagen,
So heißt's, wir sterben einen harten Tod;
Und uns're Freunde in der Heimath klagen,
Und sehen sich schon vom Verlust bedroht.
Doch diese wunderseltsamen Begriffe
Sind dem verwegenen Seemann unbekannt.
Die Einen sterben auf dem schwanken Schiffe,
Die Andern sterben auf dem festen Land.«

»Wir aber wären zwischen beiden gestorben, Vater, wenn wir hinabgestürzt wären. Es hätte geheißen: Wullehwuh, parleh wuh, plumps in den Schlamm, wie Ihr bisweilen sagt: es fehlte an Wasser, um uns flott zu machen.

»Nun ja, Tom. Ich habe so 'nen Gedanken, daß ich zu tief gesetzt worden wäre, um jemals Wurzel zu schlagen,« bemerkte der Alte mit einem Blick auf seine hölzernen Stümpfe.

»Ja, ja, Vater, Beine sind Beine, wenn man sechs Fuß in den Schlamm sinkt. Ihr wäret ordentlich in die Pfütze gesetzt worden, wenn Eure Pfoten nicht gehalten hätten.«

»Nun, so merke dir's Tom, daß du deinen Vater nicht wieder für eine Lerche verkaufst.«

Tom lachte und sang, das Wort in einem andern Sinne auffangend:

»Gleich einer Lerche in den blauen Lüften.«

»Und das waret Ihr, Vater, nur daß Ihr nicht sanget und Eure Jungen nicht unten im Neste ließet.«

»Ja, die Jungen sind Schuld daran, daß die Alten in der Welt nicht emporkommen können, – das ist nur zu wahr. Tom. Potz Hölle, wer kommt hier? Jedenfalls meinen dienstlichen Gruß.«


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