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Drittes Buch.

Erstes Kapitel.

Herr Turnbull entdeckt, daß das Geld zwar ein nothwendiges Uebel, aber keine Quelle der Glückseligkeit ist; der Domine entdeckt, daß ein wenig Verläumdung mehr Wirkung thut, als Ovid's Heilmittel gegen die Liebe; und ich entdecke, daß Bewegung einen trefflichen Appetit zu einer gespickten Kalbskeule erweckt. – Ich gehe der Geistlichkeit mit einem guten Beispiele voran, kein Geld für einen Kirchenstuhl zu nehmen.

»Und nun siehst du, Jacob, welch' eine Umwälzung hier stattgefunden hat; es war nichts Angenehmes, das versichere ich dich, aber etwas höchst Nothwendiges. Ich habe seitdem alle meine Rechnungen bezahlt, denn das Gerücht, daß ich mich in Geldverlegenheit befinde, machte sie schnell genug eingehen; und nun sehe ich, daß meine Frau in den letzten fünf Monaten das Einkommen eines ganzen Jahres verschwendet hat. Folglich war es Zeit, Einhalt zu thun.«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung, Sir; aber was macht Madame Turnbull – ist sie zur Einsicht gekommen?«

»Vollkommen, wie ich erwarte, ob sie es gleich noch nicht recht eingestehen mag. Ich habe ihr gesagt, sie müsse in Zukunft die Bequemlichkeit eines Wagens entbehren, und das geschieht auch, bis ich sehe, daß sie einen verdient. Sie weiß, daß sie entweder meine Gesellschaften im Hause empfangen muß, oder gar keine. Sie weiß, daß die Peters von Petercumb-Hall mit ihr gebrochen haben, denn sie gaben auf ein Billet, das sie durch den Gärtner an sie geschickt hatte, keine Antwort; und Herr Smith, an den sie ebenfalls geschrieben, indem er antwortete, sehr beleidigend seine Verwunderung darüber aussprach, wie sie es nur wagen könne, sich in die Gesellschaft der Aristokraten zu drängen. Aber was sie mehr, als Alles, zur Einsicht gebracht hat, ist die Geschichte mit Monsieur Tagliabue. Auf meine Bitte überließ mir der Beamte das Billet Lord Scrope's, und ich gab ihr absichtlich auch den Bericht des Polizeiamtes zu lesen. Sie fühlt sich jetzt so sehr gedemüthigt, daß ich gar nichts zu ihr sage. Sie hatte sich durch diese Schurken von Franzosen leiten lassen, die sie auf Abwege verlockten, um sie ihres Geldes zu berauben. Ich erwarte, daß sie mich bittet, dieses Landgut zu verkaufen und anderswohin zu ziehen: aber gegenwärtig wechseln wir den ganzen Tag über beinahe kein Wort.«

»Ich bedaure sie sehr, denn ich halte sie in der That für eine sehr gute und gefühlvolle Frau.«

»Das glaube ich von dir, Jacob – und sie ist es auch. In diesem Augenblick ist sie zu bemitleiden. Sie möchte gern einen Theil der Schuld auf Andere wälzen, und vermag es doch nicht – sie fühlt, daß sie ganz allein schuld ist. Alle ihre Seifenblasen von Größe sind zerplatzt, und sie findet sich nicht halb so achtungswerth, als sie früher war, wo sie die Eitelkeit noch nicht verleitet, die alten Verbindungen abzubrechen und sich in die Gesellschaft von Leuten einzudrängen, welche sie verlachten, obgleich sie nicht halb so ehrenwerth waren. Aber das verfluchte Geld ist es, was ihr Unglück – und ich darf hinzusetzen, auch das meinige – herbeigeführt hat.«

»Gut, Sir, aber ich für meine Person habe keine Aussicht, je mein Mißgeschick damit zu vermehren.«

»Vielleicht wäre es nicht einmal der Fall, Jacob, wenn du auch welches bekämst; aber jedenfalls kannst du morgen etwas verdienen, wenn es dir recht ist. Ich kann dich hier nicht zu Tisch laden, da es dir wenig Vergnügen machen und gegen meine Frau Mangel an Zartgefühl verrathen würde; aber es wäre mir lieb, wenn du morgen mit deinem Kahne heraufkämest – ich möchte eine Lustfahrt machen.«

»Ganz recht, ich stehe zu Ihren Diensten – um welche Zeit?«

»Sagen wir zehn Uhr, wenn das Wetter schön ist; wo nicht, so kommst du übermorgen.«

»So leben Sie denn wohl, ich muß gehen und den Domine besuchen.«

Herrn Turnbull reichte mir die Hand, und wir schieden. Ich war bald in Brentford und verfolgte meinen Weg durch die lange Hauptstraße, als ich Herrn Tomkins, dem früheren Oberschreiber, der die Brentford-Werfte unter sich hatte, mit seiner Gattin begegnete. »Ich hatte Ihnen einen Besuch zugedacht, Sir, wollte aber nur vorher noch bei meinem alten Lehrer einsprechen.«

»Sehr schön, Jacob, merken Sie sich, wir speisen um halb vier – eine gespickte Kalbskeule – kommen Sie nicht zu spät.«

Ich versprach, bei Zeit zu erscheinen, und nach wenigen Minuten stand ich vor dem Schulgebäude. Ich betrachtete die alterthümliche Fronte mit ihrem spitzigen Giebel und rief mir die Gefühle zurück, mit denen ich vor Jahren über diese Schwelle getreten war. Welch ein Unterschied zwischen dem rohen, unwissenden und wilden Knaben, in seinem hanswurstartigen Aufzuge und dem großen, athletischen, wohlgekleideten Jünglinge, der sich glücklich fühlte in seiner Unabhängigkeit und seiner Kenntnisse sich bewußt, aber nicht eitel war! Und ich segnete im Geiste die Stifter der Schule. Aber ich hatte mit dem Domine zu sprechen und mußte mich um halb vier Uhr zu der gespickten Kalbskeule einfinden; also blieb mir keine Zeit zu Betrachtungen übrig. Ich wand daher meine gekreuzten Arme auseinander, machte wieder von meinen Beinen Gebrauch, ging durch das Pförtchen im Hauptthore und suchte den Weg nach des Domine Zimmer. Die Thüre stand weit offen, und ich trat, ohne bemerkt zu werden, ein. Vor den niederländischen Gemälden, die ich seitdem gesehen habe, erinnerte ich mich schon oft des Anblicks, der sich mir damals darbot. Das Zimmer war nicht groß, aber hoch. Es hatte nur Ein Fenster mit kleinen rautenförmigen Gläsern in starkem Rahmenwerk, durch welche ein breiter Streifen eines gedämpften Lichtes einfiel. Auf der einen Seite dieses Fensters stand ein alter Schrank, der die Bibliothek des Domine enthielt; die Bücher zeichneten sich nicht durch Schild und Vergoldung aus, aber man sah ihnen an, daß sie stark in Anspruch genommen wurden. Auf der andern Seite stand eine große Schiebladenkommode, auf welcher zum Wohle des nachwachsenden Geschlechtes eine neue Birkenruthe von bedeutenden Dimensionen lag. In der Mitte des Zimmers befand sich der Tisch, und an ihm saß der Domine, den Rücken gegen das Fenster gekehrt, auf seinem hohen, schmalrückigen Stuhle, angethan mit einem Schlafrock, der früher als Schulmantel gedient und durch den langen Gebrauch sein ursprüngliches Schwarz in Braun verwandelt hatte. Er war vorwärts gebeugt, und hatte beide Ellbogen auf den Tisch gestützt. Auf seiner umfangreichen Nase saß die Brille, und auf dem kahlen Scheitel berührten sich seine Hände mit den Fingerspitzen. Er schien in den Inhalt eines Buches vertieft. Auch eine große Bibel, die er beständig gebrauchte, lag auf dem Tisch und war augenscheinlich von ihm zurückgeschoben worden, um dem vorliegenden Gegenstande seines Nachdenkens Platz zu machen. Seine Pfeife lag zerbrochen auf dem Boden; er hatte sie hinunter geworfen, ohne es zu bemerken. Neben ihm befand sich ein Blatt Papier, das ohne Zweifel zur Aufzeichnung von Bemerkungen bestimmt war. Ich ging an ihm vorbei, ohne bemerkt zu werden, stellte mich hinter seinen Stuhl und schaute ihm über die Schultern. Das Werk, in welchem er so eifrig las, waren Ovid's Remedia amoris.

Er schien es beinahe schon ganz durchgelesen zu haben, denn es dauerte keine Minute, bis er es zumachte. Dann nahm er seine Brille ab, lehnte sich in seinen Stuhl zurück und hielt folgendes Selbstgespräch: »Seltsam – mancher von diesen Rathschlägen ist von Bedeutung und, wie es scheint, empfehlungswerth, und doch finde ich mein Heilmittel nicht darin. › Vermeide den Müssiggang‹ – so, ein weiser Rath – und Beschäftigung mag bei einem Manne, der bisher nichts gethan hatte, die Gedanken verjagen; aber ich bin noch nie müssig gegangen, und meine Liebe ist keine Tochter des Müssiggangs. › Vermeide ihre Gegenwart‹ – das muß ich, aber sie ist stets meiner Einbildungskraft gegenwärtig, und ich zweifle, ob die handgreifliche Wirklichkeit deutlicher wahrzunehmen ist. Sogar jetzt steht sie vor mir in all' ihrer Schönheit. › Lies den Propertius und Tibullus nicht‹ – das kann ich schon unterlassen, aber ich mag lesen, was ich will, in einer Minute verschwimmen die Buchstaben vor meinen Augen, und ich sehe nur ihr Gesicht von dem Blatte widerstrahlen. Ja, ich mag meine Augen richten, auf was ich will, es ist immer dasselbe. Wenn ich auf die gestreifte Wand sehe, so vereinigen sich die unbestimmten Linien allmälig zu ihrem Kopfbilde; wenn ich nach den Wolken hinaufblicke, so nehmen sie die Wellenlinien ihrer Gestalt an; wenn ich mein Auge in das Feuer auf dem Küchenroste hefte, so verklimmen die Kohlen und zeigen nur die Umrisse ihres Gesichtes; ja gestern drehte sich die Hammelsschulter am Spieße so lange, bis sie den rumpflosen Kopf Mariens darstellte. › Denke an ihre Fehler und vergrößere sie‹ – nein, das wäre ungerecht und unchristlich. Ich will lieber meine eigenen Fehler verbessern. Ich fürche, Ovid hatte bei seiner Schilderung vielmehr junge Männer im Auge, als einen alten Mann, wie ich bin. Siehe, ich habe meine Pfeife abermals zerbrochen – das ist nun die vierte in dieser Woche. Was wird die Matrone sagen? Bereits hat sie mich für geisteskrank erklärt, und Gott weiß, sie ist nicht weit von der Wahrheit entfernt.« Der Domine bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen. Ich ergriff diese Gelegenheit, nach der Thüre zu gehen, und stellte mich, als käme ich erst in diesem Augenblick an, indem ich die Klinke niederdrückte und den Domine durch mein Geräusch erweckte. Er streckte mir seine Hand entgegen und sagte: »Willkommen, mein Sohn – willkommen deinem alten Lehrer und den Mauern, die dich zuerst aufgenommen haben, als du, ein Wassergewächs, vom Strome an's Land abgesetzt wurdest. Nimm Platz, Jacob; ich dachte an dich und die deinigen.«

»Wie, Sir! vermuthlich an den alten Stapleton und seine Tochter?«

»Ja, ihr standet alle vor meiner Seele, als du eintratest. Sind sie wohl?«

»Ja, Sir,« erwiederte ich. »Ich sehe sie aber nur selten; der Alte raucht immer, und was das Mädchen betrifft – nun, je weniger man sie sieht, desto besser ist's, möchte ich sagen.«

»Nein, Jacob, dieß ist mir was Neues; sie ist doch so einnehmend.«

Ich kannte des Domine's Charakter, und wußte, daß nichts geeigneter war, seine unseligen Leidenschaften zu bekämpfen, als der Gedanke, das Mädchen sei nicht, wie sie sein sollte. Ich beschloß daher, sie herabzusetzen, denn ich wußte, daß er dessen nie erwähnen würde, was ich sagte, und ihr also kein Schaden daraus erwachsen könnte. Uebrigens fühlte ich, daß ich eine schwere Rolle zu spielen hatte, da ich behaupten sollte, was der Wahrheit widersprach. »Einnehmend, Sir; ja, einnehmend für jeden Mann – wahrlich, mir gefallen dergleichen Mädchen nicht.«

»Das wäre, Jacob; wie, sie ist leichtsinnig?« Ich lächelte und gab keine Antwort. »Ich bemerkte doch nichts davon,« fuhr der Domine fort.

»Sie ist gerade, wie ihre Mutter, Sir,« bemerkte ich.

»Und wie war ihre Mutter?«

Ich entwarf eine kurze Schilderung von ihr, und erzählte dem Domine, wie sie beim Versuche, ihrem Manne zu entlaufen, umgekommen sei. Der Domine versank in Nachdenken. »Ich habe wenig Kenntniß vom weiblichen Geschlecht, Jacob, doch was du sagtest, überrascht mich nicht nur, sondern schmerzt mich auch. Sie ist so schön von Ansehen.«

»Schön ist, wer schön handelt, Sir. Sie wird wohl noch manchem Manne das Herz schwer machen.«

»Wahrlich, Jacob, ich bin ganz erstaunt über das, was du mir da sagst.«

»Ich habe noch mehr gesehen, Sir.«

»Ich bitte dich, sage mir noch mehr von ihr.«

»Nein, Sir, es ist besser, ich schweige. Sie können sich nun Alles denken, wenn Sie wollen.«

»Aber sie ist noch jung, Jacob; wenn sie verheirathet ist, wird sie anders werden.«

»Sir, ich habe die feste Ueberzeugung (und diese hatte ich auch), wenn sie morgen Einen heirathet, so würde sie ihm in einer Woche entlaufen.«

»Ist das deine aufrichtige Meinung, Jacob?«

»Ich setze mein Leben zum Pfände, daß sie das thun würde, nur will ich die Zeit gerade nicht so genau bestimmen.«

»Jacob, ich danke dir, – danke dir sehr; du hast mir die Augen geöffnet, – du hast mehr gethan, als Ovid. Ja, Junge; selbst die Alten, die ich verehre, haben mir die Freundschaft nicht erwiesen, die du mir erzeigtest – ein Sprößling, den ich gepflegt habe. Du hast mich bezahlt, Jacob, – du hast mich belohnt, Jacob, – du hast mich beschützt, Jacob, – du hast mich errettet, Jacob, – hast mich errettet von mir und von ihr; denn wisse, Jacob – wisse – daß mein Herz an dem Mädchen hing, und daß ich in ihr die Vollkommenheit selbst erblickte. Jacob, ich danke dir! Nun verlaß mich, Jacob, daß ich mit mir selbst rede und mein Herz erforsche, denn ich bin erwacht – erwacht, wie aus einem Traum, und ich sehne mich, allein zu sein.

Es fiel mir nicht schwer, den Domine zu verlassen, denn ich sehnte mich, in Gesellschaft der gespickten Kalbskeule zu sein, und gab ihm daher die Hand zum Abschiede. So endete mein zweiter Morgenbesuch. Bei guter Zeit fand ich mich bei Herrn Tomkins ein, der mich sehr freundlich aufnahm. Er war mit seiner neuen Lage sehr zufrieden, denn abgesehen von seinem bessern Einkommen gab sie ihm auch eine höhere Stellung und Bedeutung in der Gesellschaft; und ich traf an seinem Tische einige Personen, welche es, soweit ich sie kannte, unter ihrer Würde gefunden haben würden, ihn zu besuchen, wenn er noch Hauptbuchhalter bei Herrn Drummond gewesen wäre. Wir sprachen über die Vergangenheit, wobei namentlich der Ball, die Beleuchtung und Herrn Turnbull's Bonmot über das Paradies nicht vergessen wurde. Nach einem sehr vergnügten Abend verabschiedete ich mich, um nach Fulham zurückzukehren, fand aber vor dem Hause den alten Tom, der auf mich wartete.

»Jacob, es wäre mir sehr lieb, wenn du dieser Tage einmal zu mir in meine alte Baracke kämest. Wenn ist dir's möglich? Der Lichter wird wenigstens vierzehn Tage hier bleiben, wie ich von Herrn Tomkins höre; er sieht einer Ladung entgegen, die vom Kanal kommt, und oberhalb der Brücke erwartet man kein anderes Fahrzeug; so sage mir, wann du zu der Alten kommen kannst, um den ganzen Tag bei uns zuzubringen. Ich muß ein bischen mit dir reden, und dich über eine Menge Kleinigkeiten um deine Meinung fragen.«

»Wirklich?« erwiederte ich lächelnd. »Wollt Ihr vielleicht ein neues Haus bauen?«

»Nein, nein, das nicht; aber du siehst ein, Jacob, wie ich dir schon letzten Winter gesagt habe, daß es Zeit für mich ist, das Nachthandthieren auf dem Strome aufzugeben. Ich bin nicht mehr so jung, als vor fünfzig Jahren, und Alles hat seine Zeit. Ich gedenke, das Fahrzeug im Herbste abzugeben und förmlich an's Land zu gehen: aber zuvor muß ich sehen, wie ich's einrichten will – darum sage mir, an welchem Tage du kommen kannst?«

»Gut, so sagen wir Mittwoch?«

»Der Mittwoch ist mir so lieb wie ein anderer Tag. Du kommst zum Frühstück und geh'st nach dem Nachtessen, wenn dir's recht ist; wo nicht, so richtet dir die alte Frau eine Hängematte.«

»Gilt also; aber wo ist Tom?«

»Das weiß ich nicht, er wird wohl zu Stapleton's Mädchen gegangen sein. Er denkt allbereits an die Mädels, Jacob; aber wie ihr Vater, der alte Feger sagt, 's ist Menschennatur. Sei's, wie's will, ich mische mich nicht in diesen Kram, aber ich glaube, daß sie für einander passen.«

»Wie meint Ihr das?«

»Nun, was das Hübschsein betrifft, so passen sie für einander, das ist einmal ausgemacht; aber ich meine nicht das, ich meine, er ist gerade eben so pfiffig, als sie, und wird sein Steuer richten, wie sie's richtet, 's mag eine lange Wettfahrt werden, und wenn das Eine einzieht, wird das Andere nicht damit prahlen können, Vielleicht segeln sie wieder aus einander, – vielleicht aber geht's hübsch neben einander fort, Gott allein weiß es. Aber so viel ist gewiß, daß Tom's Liebchen so eigensinnig sein mag, als sie will, Tom's Weib wird es nicht sein – von wegen warum? weil er sie in Ordnung halten wird. Nun, gute Nacht, ich habe einen weiten Weg.«

Als ich nach Hause kam, fand ich Marie allein. »Ist Tom hier gewesen?« fragte ich.

»Warum fragst du?« sagte Marie.

»Weil ich gern eine Antwort möchte, wenn du nichts dagegen einzuwenden hast.«

»O nein. Gut, Jacob – Tom war hier und ist sehr vergnügt gewesen.«

»Das ist er immer,« erwiederte ich.

»Und wo bist du gewesen?« Ich sagte es ihr. »Also sahst du den alten Domine? Nun, sprich, was sprach er über mich?«

»Was ich dir nicht wieder sage; aber so viel will ich dir mittheilen, daß er nie mehr an dich denkt, und daß du nie erwarten darfst, ihn wieder zu sehen.«

»Erinnere dich, daß er es versprochen hat.«

»Er hat sein Versprechen gehalten, Marie.«

O, hat er dir's gesagt? hat er? hat er dir Alles gesagt, was vorgefallen ist?«

»Nein, Marie, er hat mir nicht gesagt, daß er hier gewesen sei; auch hat er mir nichts von dem Vorgefallenen mitgetheilt, aber ich weiß Alles.«

»Das kann ich nicht verstehen.«

»Und doch ist es wahr; und ich glaube, im Ganzen hast du dich ziemlich ordentlich dabei benommen, obgleich ich nicht verstehe, warum du ihm beim Abschied einen Kuß verwilligt hast.«

»Gott im Himmel! wo warst du? du mußt im Zimmer gewesen sein. Und du hast jedes Wort gehört, welches gesprochen wurde?«

»Jedes Wort,« erwiederte ich.

»Schön,« sagte Marie, »ich hätte nicht geglaubt, daß du dich zu einer solchen Gemeinheit erniedrigen könntest.«

»Marie, klage vielmehr deine eigene Unvorsichtigkeit an; was ich gehört habe, konnte Jedermann in der Straße hören, so gut, als ich. Wenn es dir beliebt, in einem Zimmer, das nur acht Fuß über dem Boden liegt, Liebesangelegenheiten bei offenem Fenster zu verhandeln, so darf es dich nicht überraschen, wenn jeder Vorübergehende hört, was du sprichst.«

»Du hast Recht, ich dachte nicht daran, daß das Fenster offen war; auch wäre mir nichts daran gelegen gewesen, wenn mich die ganze Welt gehört hätte, wenn's nur du nicht gewesen wärest.«

Jetzt erst fiel mir ein, warum Marie darüber verdrießlich war, daß ich das Gespräch gehört hatte; denn ich erinnerte mich ihrer Aeußerung in Bezug auf mich. Ich gab keine Antwort. Marie setzte sich, verbarg die Stirne in ihren Händen und schwieg ebenfalls. Deßhalb nahm ich mein Licht und zog mich zurück. Mariens Stolz schien dadurch gedemüthigt, daß ich das Geständniß ihrer Neigung gehört hatte – ein Geständniß, das um so weniger Eindruck auf mich machte, als ich erwarten mußte, daß sie in einem Monat in Bezug auf Tom oder irgend einen andern Gegenstand ihres Wohlgefallens das Gleiche äußern würde; allein hierin that ich ihr Unrecht. Ihr Betragen gegen mich war nach dieser Zeit ein ganz anderes; sie schien eine größere Vertraulichkeit eher zu vermeiden, als zu suchen. Ich meinerseits war nach wie vor gefällig und freundschaftlich gegen sie, aber dabei blieb's. Am folgenden Morgen war ich frühe bei meiner Arbeit, um zur bestimmten Zeit bei Herrn Turnbull einzutreffen, aber ehe ich abfuhr, erlebte ich einen sonderbaren Vorfall. Ich hatte eben mein Boot zurecht gemacht, und meine Jacke wieder angezogen, als ein Mann von dunkelbrauner Gesichtsfarbe, der augenscheinlich einem fremden Lande angehörte, mit einem Bündel unter dem Arm an den Steg kam.

»Wie theuer die Ueberfahrt? Wie viel Pence?«

»Zwei,« erwiederte ich, aber weil ich ihn nicht gern überfuhr, setzte ich hinzu, »wenn Sie über die Brücke gehen, zahlen Sie blos Einen Penny.«

»Ich weiß es wohl, aber Ihr fahrt mich über, nicht wahr?«

Es war ein hübscher Mann, von nicht allzudunkler Farbe, und trug einen Turban von buntem Tuche und Hosen von mittlerer Weite. Ich konnte nicht unterscheiden, ob er ein Türke war oder nicht. Später erfuhr ich, er sei ein Parse aus Ostindien. Das Englische sprach er ziemlich gut. Da er durchaus übergesetzt sein wollte, nahm ich ihn auf und stieß ab; aber als wir in der Mitte des Stromes waren, bat er mich, etwas aufwärts zu rudern. »Jetzt ist's genug,« sagte er, sein Bündel aus einander schlagend und im Stern einen Teppich auf dem Boden des Kahns ausbreitend. Dann erhob er sich, blickte nach der Sonne, welche gerade in all' ihrer Pracht aufstieg, neigte sich mit aufgehobenen Händen dreimal vor ihr, knieete auf den Teppich, berührte ihn mehrere Male mit der Stirne, stand wieder auf, nahm einige gemeine Feldblumen aus seinem Kleide, warf sie in den Strom, neigte sich nieder, faltete seinen Teppich zusammen und bat mich, an's Land zu rudern.

»Ich spreche mein Gebet,« sagte der Mann, und sah mich mit seinen schwarzen durchdringenden Augen an.

»Sehr gut; an wen richten Sie Ihr Gebet?«

»An meinen Gott.«

»Aber warum sprechen Sie es nicht am Lande?«

»Kann im Hause die Sonne nicht sehen, und gehe ich auf die Straße, verlachen mich die kleinen Jungen und bewerfen mich mit Koth. Wo ich nicht gesehen werde, Strom sehr guter Platz.«

Wir landeten. Er zog drei Pence aus der Tasche und gab sie mir. »Nein, nein,« sagte ich, »ich verlange keine Bezahlung dafür, daß Sie Ihr Gebet sprechen.«

»Kein Geld nehmen?«

»Ja, ich nehme Geld für's Ueberfahren, aber nicht für's Beten. Wenn Sie sonst Morgens beten wollen, so kommen Sie, und falls ich hier bin, will ich Sie jedes Mal in den Strom rudern.«

»Ihr sehr guter Mann, danke Euch.«

Der Parse machte einen tiefen Salam und ging. Ich kann hier bemerken, daß der Mann gewöhnlich zwei bis drei Mal in der Woche bei Sonnenaufgang kam, und ich ihn jedesmal in den Strom ruderte, damit er seine religiösen Gebräuche ausüben konnte. Wir sprachen häufig mit einander und wurden zuletzt ganz vertraut. Herr Turnbull stand unten an dem Abhange, der sich von seinem Hause an zum Ufer des Stroms hinabzog, und sah sich nach mir um, als ich heranruderte.

Der Korb, welcher unsere Mahlzeit enthielt, stand neben ihm auf dem Sandweg.

»Das ist ein lieblicher Morgen, Jacob,« sagte er, »aber ich vermuthe, es wird einen ziemlich warmen Tag geben; komm, laß uns sogleich aufbrechen, ziehe deine Handruder ein und laß uns Schlagruder nehmen.«

»Was macht Madame Turnbull, Sir?«

»Sie ist so ziemlich wohl und gleicht der Polly Speck, die ich heirathete, mehr, als dieß seit Jahren der Fall gewesen ist. Vielleicht kann dieser Vorfall noch die besten Früchte tragen. Er kann sie zur Besinnung bringen – die Glückseligkeit an unseren Herd zurückführen; und wenn das der Fall ist, Jacob, so ist das Geld gut angewendet.«


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