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Zehntes Kapitel.

Des Domine's Busen wird zu warm; die Gesellschaft und die Kälte nehmen Abschied. – Ich gehe mit dem Strom und gegen den Strom und verdiene auf beiden Wegen Geld. – Kälte zwischen Marie und mir. – Keine Aussicht auf eine Themseausgabe von Abälard und Heloise. – Liebe, Lernen und Latein geht alles in einem Anfalle von Verdruß verloren.

»Hört, Meister Stapleton, wie wär's, wenn wir eine halbe Luke aushöben?« bemerkte der alte Tom nach einem Schweigen von zwei Minuten; »denn der alte Herr bläst teufelmäßige Wolken von sich: das heißt, wenn Niemand nichts dawider einzuwenden hat.«

Stapleton nickte bejahend; ich stand daher auf und ließ das obere Fenster um einige Zoll herab.

»Ah, das ist recht, Jacob; jetzt können wir sehen, was Miß Marie und er mit einander treiben. Sie haben die Dame ganz für sich allein genossen, Herr,« fuhr Tom gegen den Domine fort.

»Gewiß und wahr,« versetzte der Domine, »ganz wie ein zweiter Jupiter.«

»Habe nie von ihm gehört.«

»Das vermuthe ich; aber Jacob wird dir sagen, daß die Geschichte in Ovid's Metamorphosen steht.«

»Weiß nichts von diesem Lande, Herr.«

»Freund Dux, es ist ein Buch und kein Land, in welchem du lesen magst, wie Jupiter in einer Wolke zu Semele niederstieg.«

»Und woher kam er denn?«

»Er kam vom Himmel.«

»Den Teufel kam er. Wenn ich einmal dort bin, so bleibe ich.«

»Es war Liebe, allgewaltige Liebe, die ihn antrieb, Mädchen,« versetzte der Domine, sich mit lächelndem Auge zu Marien wendend.

»Geht über meine Fassungskraft,« meinte der alte Tom.

»Menschennatur,« murmelte Stapleton, mit der Pfeife im Mund.

»Nicht die ersten Fahrzeuge, die im Nebel aneinander rennen,« bemerkte der junge Tom.

»Schön, Junge, aber dann ist gewöhnlich nicht viel Liebe zwischen ihnen. Doch weil wir jetzt wieder athmen können, wie wär's, wenn ich euch ein Lied sänge? was soll's für eins sein, Mädchen, ein Seestückchen oder ein Löffelstückchen

»O, etwas von Liebe, wenn Sie nichts dagegen haben, Sir,« sagte Marie, sich an den Domine wendend.

»Recht so, das gefällt mir, Mädchen, und ich bin deines Sinnes. Freund Dux, etwas Anakreontisches

»Was der Teufel ist denn das?« rief der alte Tom, die Augen aufreißend und die Pfeife aus dem Mund nehmend.

»Nichts von Euern gewöhnlichen Weisen, Vater, sondern 'n frisches,« versetzte der junge Tom.

»Ich meine,« sagte der Domine, »es sollte von Liebe und Wein handeln.«

»Von beiden ist er ein Freund,« flüsterte mir Tom zu.

»Menschennatur,« sagte Stapleton leise.

»Gut, Ihr sollt haben, was Ihr wollt. Ich will Euch eins geben, das Ihr im Zimmer einer Dame girren könnt, ohne daß die seidenen Vorhänge rauschen.

in sind die Tage, wo im Herzen brannte
Der Schönheit Macht,
Wo ich nur Liebe und nur Liebe kannte,
Aus ihr erwacht.
Mag neu die Hoffnung blühen.
Ein milder' Licht erglühen.
Und leuchten durch des Lebens Raum;
Doch nichts ist halb so süß auf Erden,
Als uns'rer Liebe Jugendtraum,
Doch nichts ist halb so süß auf Erden,
Als uns'rer Liebe Jugendtraum.

Die Weise des Gesanges, in Verbindung mit dem genossenen Getränke und den strahlenden Augen Mariens, brachte eine große Wirkung auf den Domine hervor. Wie der alte Tom mit wachsender Empfindung sang, näherte sich der Gelehrte allmälig dem Stuhle Mariens, und eben so allmälig umfaßte er ihren Leib mit seinem Arme, während seine Augen sie funkelnd anblinzelten. Der alte Tom, der es bemerkte, hatte, während er die zwei letzten Strophen wiederholte, mir und Tom einen Wink gegeben, und wie wir sahen, was vorging, brachen wir in ein unaufhaltsames Gelächter aus.

»Jungen! Jungen!« sagte der Domine aufschreckend, »ihr habt mich durch eure lärmende Fröhlichkeit aus einer süßen Träumerei geweckt, in welche mich die harmonische Stimme des Freundes Dux versenkt hatte. Auch kann ich die Quelle eures Gelächters gar nicht entdecken, da der Gesang amatorisch ist, und nicht komisch. Man kann freilich bei eurer zarten Jugend nicht annehmen, daß ihr durch etwas ergriffen werden solltet, wozu ihr viel zu jung seid. Bitte dich, Freund Dux, fahre fort – und ihr Jungen haltet eure Fröhlichkeit im Zaum.«

Der Barde mag nach einer wilden Jugend
Zur Sonne gehn,
Mag nach der Thorheit in der stillen Tugend
Die Freude sehn:
Auch an des Ruhmes Sonne
Reift nicht die süße Wonne,
Die einst in seinem Busen schlug,
Als er die Gluth der Liebe im Gesange
In der Geliebten Seele trug –
Wo sie bei ihres Namens Klange
Schnell in die zarten Wangen schlug.

Beim Anfang dieses Verses schien der Domine auf seiner Hut zu sein, aber durch die Macht des Gesanges allmälig hingerissen, ließ er seinen Ellbogen auf und seine Pfeife unter den Tisch gleiten, während seine Stirne in seine breite Handfläche sank. Er blieb regungslos. Der Vers endete, und der Domine, alles um sich her vergessend, seufzte, ohne aufzublicken:

»Eheu! Maria!

»Sprachen Sie zu mir, Sir?« fragte Marie den Domine mit halb ernster, halb spöttischer Miene, als sie bemerkte, daß wir kicherten.

»Ob ich sprach, Mädchen? nein, ich sprach nicht; doch möchtest du mir vielleicht meine Pfeife geben, welche, wie es scheint, abducirt wurde, während ich dem Gesänge lauschte?«

» Abducirt – das ist ein neues Wort. Es wird aber vermuthlich so viel heißen als zerbrochen,« bemerkte der junge Tom: »auf jeden Fall ist dieß Ihrer Pfeife passirt, denn Sie ließen sie zwischen Ihre Beine fallen.«

»Hat nichts zu sagen,« sagte Marie, vom Stuhle aufstehend und an den Schrank tretend, »hier ist eine andere, Sir.«

»Nun, Herr, soll ich den Schluß vollends singen, oder haben Sie genug an dem?«

»Fahre fort, Freund Dux, fahre fort; und glaube, daß ich ganz Ohr bin.«

Die Huldgestalt der ersten Jugendliebe
Vergißt sich nie,
Wenn keine Blume dem Gedächtniß bliebe,
So bleibt ihm sie;
Doch, wie die Schatten schweben,
Enteilte aus dem Leben
Des Himmels Widerschein.
Es war ein Licht, der trübe Strom des Lebens
Saugt nie mehr seine Strahlen ein.
Es war ein Licht, der trübe Strom des Lebens
Saugt nie mehr seine Strahlen ein.

»Nein,« sagte der Domine, wieder im Reiche der Träume schwebend, »die Metapher ist nicht richtig – trüber Strom des Lebens, Lethe, tacitus amnis, wie Lucan sagt; nein, der Strom des Lebens fluthet – ja fluthet rasch – sogar in meinen Adern; pocht und klopft nicht mein Herz? – ja stark, vielleicht zu ungestüm – gegen mein besseres Urtheil? Confiteor misere molle cor esse mihi, wie Ovid sagt; aber muß ich das nicht überwältigen? soll ein Mädchen den Sieg erringen über siebenzig Knaben? Soll ich, Domine Dobbs, meinen Posten verlassen? – wieder unterliegen einem – ich will aufbrechen, damit ich zur Morgenstunde an meinem Pult sitze.«

»Sie werden uns doch noch nicht verlassen, Sir?« sagte Marie, den Domine beim Arme fassend.

»Ja, schönes Mädchen, denn es wird spät, und ich habe meine Pflichten zu erfüllen,« sprach der Domine, vom Stuhl aufstehend.

»Dann müssen Sie uns versprechen, wieder zu kommen.«

»Mag sein.«

»Wenn Sie mir nicht versprechen, daß es ist, so lasse ich Sie gar nicht fort.«

»Wahrhaftig, Mädchen –«

»Versprechen!« unterbrach ihn Marie.

»In der That, Mädchen –«

»Versprechen!« rief Marie.

»Gewißlich, Mädchen –«

»Versprechen!« wiederholte Marie, den Domine nach ihrem Stuhle drängend.

»Nun denn, so will ich's versprechen, weil du es so haben willst,« erwiederte der Domine.

»Und wann werden Sie kommen?«

»Ich werde nicht lange ausbleiben,« versetzte der Domine; »und nun gute Nacht allerseits.«

Der Domine gab uns die Hand, und Marie leuchtete ihm die Treppe hinab. Es war mir ein wahrer Trost, daß mein würdiger Lehrer die Gefahr erkannte und so viel Entschlossenheit zeigte. Gerne hätte ich mich der Hoffnung hingegeben, er werde Marie in Zukunft vermeiden, die offenbar nur zu ihrer Unterhaltung und aus Liebe zur Bewunderung seine Eroberung zu machen wünschte, aber ich fühlte es, daß er das abgedrungene Versprechen erfüllen würde, und fürchtete, eine zweite Zusammenkunft, die vielleicht ohne Zeugen stattfinden konnte, möchte verderblich werden. Ich beschloß, sobald sich Gelegenheit dazu darbieten würde, mit Marien über den Gegenstand zu sprechen und ernstlich in sie zu dringen, mit dem würdigen alten Manne kein Spiel zu treiben. Marie blieb weit länger aus, als nöthig war, und wie sie wieder hereintrat und mich ansah, als erwarte sie ein Lächeln des Beifalls, wandte ich mich mit ärgerlicher Miene von ihr ab. Sie setzte sich nieder, und Verwirrung lag auf ihrem Gesichte. Auch Tom war still und bezeugte ihr keine Aufmerksamkeit. Nach Verfluß von einer Viertelstunde fragte er seinen Vater, ob sie nicht gehen wollten. Sie brachen auf. Marie war still und gedankenvoll; der alte Stapleton rauchte seine Pfeife aus, und ich nahm mein Licht, um nach meinem Lager zu gehen.

Am nächsten Tage war Mondwechsel; die Kälte brach, und es trat auf einmal Thauwetter ein.

»'s muß ein böser Wind sein, der Niemanden was Gutes bringt,« bemerkte der alte Stapleton. »Jetzt haben wir Fährleute den Strom wieder allein, und die Höcker müssen ihre Pfeffernüsse auf einen andern Markt tragen.«

Indessen vergingen drei bis vier Tage, bis der Strom ganz vom Eise befreit war und die Schifffahrt wieder beginnen konnte; und während dieser Zeit herrschte, wie ich bemerken muß, Zwiespalt zwischen Marie und mir. Ich gab ihr zu verstehen, daß ich ihr Betragen mißbilligte. Anfangs suchte sie mich zufrieden zu stellen; aber wie sie fand, daß ich länger aushielt, als sie erwartet hatte, so wendete sie das Blatt um und spielte selbst die Beleidigte. Kurze Worte und keine Lehrstunden waren an der Tagesordnung, und da beide Theile entschlossen schienen, auszuharren, so war wenig Aussicht auf Versöhnung vorhanden. Dabei hatte sie am meisten zu leiden, denn nach dem Frühstück verließ ich das Haus und kehrte erst bis zum Mittagessen zurück. Anfangs arbeitete der alte Stapleton regelmäßig und war bei allen Fahrten; aber nachdem wir ungefähr vierzehn Tage miteinander gerudert hatten, überließ er das Geschäft größtentheils mir und blieb im Wirthshause. Das Wetter war jetzt schön, und nach der strengen Kälte änderte es so schnell, daß die meisten Bäume im Laub und die wilden Kastanien in voller Blüthe standen. Der Kahn war beinahe beständig auf der Fahrt, und jeden Abend händigte ich dem alten Stapleton vier bis sechs Schillinge ein. Ich hatte ein ergötzliches Leben und wäre vollkommen glücklich gewesen, hätte nicht meine Mißhelligkeit mit Marien immer noch fortgedauert, da wir beide gleich fest entschlossen schienen, einander nicht entgegenzukommen. O wie sehr wird das Leben durch Uneinigkeit mit denen verbittert, die täglich um uns sind, selbst wenn auch kein wärmeres Verhältniß stattfindet! Die unaufhörlichen Reibungen ermüden und quälen uns, und wenn wir auch die Atome verachten, so wird uns doch das Aggregat unerträglich. Ich fand kein Vergnügen mehr zu Hause, und die Abende, welche wir früher so angenehm hingebracht hatten, waren mir jetzt zur Qual, weil ich genöthigt war, in der Nähe einer Person zu sein, mit der ich auf keinem guten Fuße stand. Der alte Stapleton kam gewöhnlich spät nach Hause, und dieß machte die Sache noch schlimmer. Eines Abends überlegte ich, die Augen auf mein Buch gerichtet, ob ich nicht die ersten Schritte thun sollte, als Marie, welche ruhig an der Arbeit saß, das Stillschweigen mit der Frage unterbrach, was ich lese. Ich antwortete in einem ruhigen, ernsten Tone.

»Jacob,« begann sie auf's Neue, »du bist sehr übel mit mir verfahren, daß du mich also demüthigst. Deine Sache war es, den ersten Schritt zu thun.«

»Ich bin mir nicht bewußt, daß ich gefehlt habe.«

»Ich sage das auch nicht; aber das ist jetzt gleichgültig; du mußt einem Frauenzimmer nachgeben.«

»Warum?«

»Diese Frage! Thut das nicht die ganze Welt? bietet Ihr nicht Alles zuerst den Weibern? ist dieß nicht ihr Recht?«

»Wenn sie im Unrecht sind, nicht, Marie.«

»Auch wenn sie im Unrecht sind, Jacob; denn wenn sie im Recht sind, so ist es kein Verdienst, ihnen Recht zu geben.«

»Ich bin anderer Meinung; auf jeden Fall kommt es darauf an, wie sehr sie im Unrecht sind, und ich meine, du habest ein böses Herz verrathen, Marie.«

»Ein böses Herz? – in wiefern, Jacob?«

»Insofern du die Fabel von den Knaben und den Fröschen bei dem alten Domine verwirklichtest und vergaßest, daß, was dir Scherz sein mag, ihm den Tod geben kann.«

»Du wirft doch damit nicht sagen wollen, er würde aus Liebe sterben?« versetzte Marie lachend.

»So Schlimmes hoffe ich nicht; aber das kannst du erreichen und hast es auch mit all' deinen Kräften angestrebt, daß er recht elend werden wird.« »Und woher weißt du denn, Jacob, daß ich den alten Herrn nicht wirklich liebe? Du scheinst der Meinung zu sein, ein Mädchen könne sich in Niemand verlieben, als in Eures Gleichen. Warum sollte ich einen alten Mann mit so viel Gelehrsamkeit nicht lieben? Ich habe mir sagen lassen, die alten Ehemänner seien weit stolzer auf ihre Weiber, als die jungen, schenken ihnen mehr Aufmerksamkeit und laufen nicht andern nach. Woher weißt du, daß es mir nicht ernst ist?«

»Weil ich deinen Charakter kenne, Marie, und mich nicht täuschen lasse. Wenn du dich auf diese Weise zu vertheidigen meinst, so wollen wir lieber still sein.«

»Mein Gott, wie unleidlich du bist! Gut, also, vorausgesetzt, ich schenkte dem alten Manne einige Aufmerksamkeit – habt ihr jungen Leute mir auch nur die geringste gezeigt? Sprachst du, oder dein schätzbarer Freund, Meister Tom, auch nur eine Sylbe mit mir?«

»Nein, wir sahen, wie du beschäftigt warst, und wir beide hassen eine Coquette.«

»O, das können Sie halten nach Belieben, Sir. Ich will es früher oder später noch dahin bringen, daß euch beiden das Herz bluten soll darüber.«

»Vorgewarnt, vorgewappnet, Marie, und ich werde Sorge tragen, daß auch der andere Theil davon in Kenntniß gesetzt werde. Da ich bemerke, daß du so entschieden bist, so will ich nichts mehr reden. Nur um deiner selbst und um deiner Glückseligkeit willen bitte ich, gedenke deiner Mutter, Marie, und vergiß nicht, wie sie starb.«

Marie bedeckte ihr Gesicht und brach in Thränen aus. Sie schluchzte einige Minuten lang; dann trat sie zu mir und sagte:

»Du hast Recht, Jacob; ich bin ein thörichtes, vielleicht ein gottloses Mädchen; aber vergib mir, und ich will versuchen, mich zu bessern. Doch, wie der Vater sagt, es ist Menschennatur in mir, und es ist schwer, unsere Natur zu überwinden, Jacob.«

»Willst du mir versprechen, künftighin nicht mehr zuvorkommend gegen den Domine zu sein, Marie?«

»Ich will's vermeiden, wenn es mir möglich ist, Jacob. Auf einen Augenblick mag ich mich vielleicht vergessen, aber ich will thun, was ich kann. Es ist nicht so leicht, ernst auszusehen, wenn man fröhlich, oder sauer zu blicken, wenn's einem wohl um's Herz ist.«

»Aber was kann dich nur verleiten, Marie, deine Macht an einem so alten Manne auszuüben, wie er ist? Wenn es der junge Tom wäre, dann könnte ich's verstehen. Es wäre doch noch etwas dabei zu erholen und dein Stolz könnte sich durch den Sieg geschmeichelt fühlen; aber ein alter Mann –«

»Jacob, alt oder jung, das ist ein und dasselbe. Ich möchte sie alle zu meinen Füßen sehen, das ist's. Ich kann nicht dafür. Und ich hielt es für einen großen Sieg, einen weisen alten Mann zu meinen Füßen zu legen, der so voll Latein und Gelehrsamkeit steckt und es besser wissen sollte. Sag' mir, Jacob, wenn sich alte Männer angeln lassen, wie junge, worin liegt denn das Verbrechen, sie zu angeln? Ist nicht die Eitelkeit bei einem alten Manne eben so groß, wenn er sich einbildet, daß ich ihn wirklich lieben könne, als sie bei einem jungen einfältigen Mädchen ist, wenn ich versuche, ihn in mich verliebt zu machen?«

»Das mag sein, aber bedenke, das es bei ihm Ernst ist und bei dir nur Scherz; das macht einen großen Unterschied. Und bedenke ferner, daß, wer Alles probirt, oft Alles verliert.«

»Das möchte ich denn doch sehen, Jacob,« versetzte Marie, ihr schönes Ringelhaar stolz aus der weißen Stirn streichend; »aber was ich jetzt bedarf, das ist Aussöhnung mit dir, Jacob. Komm, du hast mein Versprechen, ich will mein Möglichstes thun.«

»Ja, Marie, und ich glaube dir; hier hast du meine Hand.«

»Du weißt nicht, wie elend ich gewesen bin, Jacob, so lange wir mit einander getrotzt haben,« sagte Marie, die Thränen abwischend, welche wieder zu fließen anfingen; »und doch habe ich dich, ich weiß nicht wie, in dieser letzten Woche beinahe gehaßt – ja, das habe ich. Indeß liebe ich einen Hader wegen des Vergnügens der Aussöhnung, nur darf er nicht so lange anhalten, wie dieser.«

»Hat mir auch wehe gethan, Marie, denn im Grunde bin ich dir sehr gut.«

»Nun wohlan, so ist Alles vorüber; aber bist du auch gewiß mit mir ausgesöhnt, Jacob?«

»Ja, Marie.«

Marie sah mich schelmisch an. »Du kennst das alte Sprüchwort und ich fühle die Wahrheit desselben.«

»Welches? ›Küsset euch und seid Freunde?‹« versetzte ich; »von Herzen gern.« Und ich küßte sie ohne allen Widerstand von ihrer Seite.

»Ach, das meinte ich nicht, Jacob.«

»Welches denn?«

»'s war ein anderes.«

»Nun gut, welches andere?«

»'s ist jetzt gleichgültig, ich hab's vergessen,« sagte sie lachend und vom Stuhle aufstehend. »Doch ich muß wieder an meine Arbeit, und du sollst mir erzählen, was du in den letzten vierzehn Tagen getrieben hast.«

Wir verplauderten den Abend in traulichem Gespräche, bis der Vater nach Hause kam, worauf wir uns zur Ruhe begaben.

»Ich bin der Ansicht,« sagte der alte Stapleton am nächsten Morgen, »daß ich genug gearbeitet habe; und ich steuerte so lange zu zwei Unterstützungsvereinen bei, daß ich jetzt wohl auf einen Genuß aus der Kasse Anspruch machen kann. Schätz' wohl, Jacob, ich will den Kahn dir überlassen; du gibst mir in Zukunft ein Drittel von deiner Einnahme und kannst das Uebrige für dich behalten. Ich sehe nicht ein, warum ich meiner Lebetage für nichts und wieder nichts so hart arbeiten soll.«

Ich widersetzte mich diesem Uebermaß von Freigebigkeit; aber der alte Stapleton beharrte darauf und es ward abgemacht. Was der Leser wahrscheinlich schon errathen hat, entdeckte ich nachher; Kapitän Turnbull stand im Hintergrunde. Er hatte dem alten Stapleton einen Jahrgehalt ausgesetzt, damit ich es noch vor Beendigung meiner Lehrzeit durch meinen Fleiß zu einer gewissen Unabhängigkeit bringen könnte. Nach dem Frühstück ging der alte Stapleton mit mir an's Ufer und wir schoben das Boot auf den Strom.

»Also, Jacob,« sagte er, »ein Drittel und 's Wort in Ehren.« Und damit ging er nach seinem alten Aufenthaltsort, der Schenke, rauchte seine Pfeife und dachte über Menschennatur. Ich erinnere mich keines Tages in meinem ganzen Leben, an dem ich glücklicher gewesen wäre, als an diesem. Jetzt arbeitete ich für mich selbst und war unabhängig. Ich sprang in den Kahn und stieß vom Lande, ohne auf eine Bestellung zu warten. Das Entzücken, mit dem ich den Strom durchschnitt, war mein Fährlohn; aber nach einer Viertelstunde verflog dieser Rausch und ich erinnerte mich, daß Stapleton auf ein Drittel Anspruch hatte, denn ich konnte allerdings zu meinem eigenen Vergnügen nach Belieben umsonst herumrudern, war aber deßhalb doch nicht berechtigt, die Interessen meines Meisters zu beeinträchtigen. Ich schoß meinen Kahn in die Reihe und beobachtete mit aufgehobener Hand und emporgestrecktem Zeigefinger den Blick eines Jeden, der auf die Treppe zukam. Das Glück war mir an diesem Tage günstig, und als ich nach Feierabend Stapleton seinen Antheil geben wollte, wies er ihn vorderhand mit den Worten zurück:

»Jacob, 's ist nicht der Brauch, daß man gleich theilt – einmal in der Woche ist's besser. Ich Hab' es gern, wenn das Geld auf einen Klumpen kommt; dieweil du mußt wissen – 's ist – 's ist – Menschennatur


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