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Dreizehntes Kapitel.

Der Spaß wird wild und tobend. – Der Pädagog skandirt nicht mehr recht und seine Füße suchen das Gleichgewicht. – Eine bildliche Artigkeit veranlaßt beinahe einen eigentlichen Streit. – Die Mächtigen werden niedergeworfen und die Nase des Domine leidet Schaden.

Ich hörte Tom's Tenor und eine krächzende Stimme, welche aus der Brust des Domine hervorkam, der in den Chor eingefallen war. Um wo möglich andern Ausschweifungen vorzubeugen, trat ich hinter ihn; aber ich fand, daß ihm der Grog bereits zu Kopf gestiegen war und keiner meiner Winke beachtet wurde. Tom ward nach der zweiten Flasche geschickt und des Domine Becher von Neuem aufgegossen, während der alte Tom brüllte:

»Laßt uns die schäumenden Becher erheben;
Die Hoffnung erblüht,
Die Liebe erglüht,
Die Lust und Freude soll leben!
Die Kanne laßt bringen,
Wir tanzen und singen,
Das sämmtliche Planken erbeben.

»Jetzt wieder der Chor:

»Laßt uns die schäumenden Becher erheben.«

»Jacob, warum singst du nicht mit?«

Der Chor wurde von uns allen ausgeführt. Die Stimme des Domine erscholl noch lauter, wiewohl nicht so ganz musikalisch wie die des alten Tom.

» Evoe!« rief der Domine; » Evoe! cantemus!«

» Amo, Amas; ich liebt' eine Dirne,
Sie hatt' einen schlanken Leib.
Amas, amat, sie hält mich nieder,
Obgleich ein gebrechliches Weib.«

»Wahrlich, ich habe die Lieder meiner Jugend und meiner heiteren Tage vergessen; jetzt wirkt der starke Geist auf mich, wie der Gott auf die cumäische Sibylle, und bald werde ich voraussagen, was sich ereignen wird.«

»Das kann ich auch, bemerkte Tom lachend und mir einen bedeutsamen Wink zuwerfend.

»Erfülle deine Pflicht als Ganymedes, und fülle meinen Becher auf; aber gieß' nicht so viel von dem Elemente hinein. Erhebe deine Stimme auf's Neue, guter Dux.

»Immer bei der Hand, Herr,« rief Tom, welcher ein neues Loblied auf sein Lieblingsgetränk sang.

»Der Grog ist's Matrosen Hoffnung und Anker,
Sein Kompaß, sein Kabel, sein Log!
Und taumelt das Schiff auch schwanker und schwanker,
Und sammeln und schaaren
Sich tausend Gefahren,
Sein Herz ist gestählt, er trinkt seinen Grog!
Sein Grog, sein Grog
Ist sein Ruder, sein Kompaß, sein Kabel, sein' Log!
's Matrosen Anker ist Grog.

»Wahrlich, du bist ein Apollo – oder vielmehr in Betracht deines Mangels an Beinen, ein halber Apollo – das heißt ein Halbgott. (Gluck, Gluck.) Du lügst uns in den Himmel mit deiner Zunge, Freund Dux.«

»Nehmt Eure Worte in Acht, ich lüge nicht,« rief Tom. »Leget ein Schloß an Euren Mund oder 's geht anders.«

» Ubi lapsus quid feci,« rief der Domine; »ich sprach von deinem himmlischen Gesange; ich sprach von deiner musikalischen Zunge im fi-gü-gü–lügirischen Sinne.«

»Ich weiß so gut, daß man mit der Zunge lügt, als Ihr, alter Knabe; was aber den lügnerischen Sinn betrifft, wie Ihr saget, so müßt Ihr wissen, daß ich noch nie gelogen habe,« erwiederte der alte Tom, der beim Becher gern streitsüchtig wurde.

Tom hätte gern noch mehr geschürt, wie er sich ausdrückte, allein da ich sah, daß sie auf dem besten Wege zu einem bedauerlichen Auftritte waren, trat ich in's Mittel und brachte eine Versöhnung zu Stande. Sie wurden wieder Freunde und schüttelten sich wohl fünf Minuten lang die Hände. Als diese Feierlichkeit beendigt war, bat ich den Domine noch einmal, nicht mehr zu trinken, sondern sich statt dessen schlafen zu legen.

» Amice Jacobe, erwiederte er, »das Getränk ist dir in den Kopf gestiegen, und nun willst du deinem Lehrer und Vorgesetzten den Text lesen. Begib du dich zu Bett, um die Wirkungen deiner Unmäßigkeit auszuschlafen. Wahrlich, Jacob, du bist plenus venteris Bacchi, oder auf gut deutsch, du bist betrunken. Kannst du konjugiren, Jacob? Ich fürchte, nein. Kannst du dekliniren, Jacob? Ich fürchte nein. Kannst du skandiren Jacob? Ich fürchte nein. Jacob, mich dünkt, du bist nicht fest auf deinen Füßen, und nicht klar in deinen Gesichten. Hörst du noch etwas, Jacob? Wenn du noch etwas hörst, will ich dir eine Vorlesung über die Trunkenheit halten, mit der du dich auf's Ohr legen kannst. Soll ich sie in lateinischer oder in griechischer Sprache halten?«

»Der Teufel hole Euer Griechisch und Lateinisch,« rief der alte Tom, »sparet das auf Morgen. Singt indeß ein Lied, altes Bruderherz: oder soll ich eins singen? Hier ist eins:

»Denn so lange der Grog noch kreist,
Denkt an keine Gefahr der Geist,
Gefahren verachtet der Zecher;
Wir singen ein wenig –«

»Singen ein wenig,« krächzte der Domine.

»Und lachen ein wenig –«

»Lachen ein wenig,« sang der junge Tom.

»Und schaffen ein wenig –«

»Schaffen ein wenig,« schrie der Domine.

»Und fluchen ein wenig –«

Fluchen nicht wenig,« fiel Tom ein.

»Und fideln ein wenig –«

»Fiedeln ein wenig,« schluckte der Domine.

»Und tanzen ein wenig –«

»Tanzen ein wenig,« wiederholte Tom.

»Und leeren die schäumenden Becher,
Und fiedeln ein wenig,
Und tanzen ein wenig,
Und leeren die schäumenden Becher –«

brüllte der alte Tom, sein Näpfchen austrinkend.

»Und leeren die schäumenden Becher –«

krächzte der Domine, seinem Beispiele folgend.

»Und leeren die schäumenden Becher –«

schrie der junge Tom, sein leeres Trinkgefäß umstürzend.

»Hurrah! das nenn' ich einmal flott. Wollen's noch einmal durchmachen und eine zweite Dosis nehmen. Kommt, alle mit einander.«

Der Gesang ward, wiederholt; und als sie an die Stelle kamen, »und tanzen ein wenig,« humpelte der alte Tom auf seine Stelzen, faßte den Domine, der sich alsbald erhob, und ein paar Minuten lang drehten sich die drei im Kreise und sangen das Lied und brüllten den Chor. Auf einmal stieß der alte Tom, mit dem es schon ziemlich weit gekommen war, gegen den Rand der Hauptlucke und fiel mit dem Kopf dem Domine auf den Magen. Dieser stürzte rücklings nieder, umklammerte im Fallen die Hand des jungen Toms, und alle drei rollten auf das Verdeck – mein würdiger Lehrer unter den beiden Andern.

»Zu viel getanzt auf einmal, Vater,« sagte lachend der junge Tom, der sich zuerst von seinem Falle erhob. »Komm, Jacob, laß uns den Vater wieder auf seine Hölzer stellen; er kann ohne Winde nicht aufkommen.«

Es kostete Mühe, bis es uns gelang. Als er wieder auf seinen Beinen stand, legte er seine Hände auf unsere Schultern und begann mit trunkenem Blick –

»Wenn gleich die natürlichen Hölzer verschwunden,
Wenn gleich er beim Glas sich nicht bemeistern kann,
Wird doch kein beß'rer Matrose gefunden,
Als Tom, der lustige Stelzenmann.«

»Dank euch, Jungen, dank euch, nun helft dem alten Herrn auf. Ich fürchte, wir haben ihm den Wind ausgeblasen. Holla, he! seid Ihr noch hart und ganz?«

»Die Backsteine sind hart, und meine Sinne sind ganz weg,« versetzte der Domine, sich aufrichtend und in sitzender Stellung umherstierend.

»Eure Sinne sind weg, sagt Ihr, Herr?« rief der alte Tom.

»Nein, Ihr dürft sie nicht über Bord werfen, bis wir fertig sind. Noch ein Trinknäpfchen Jeder, und noch ein Lied und dann in's Bett, Tom! Wo ist die Flasche?«

»Trinken Sie nicht mehr, Sir, ich bitte Sie,« sagte ich zum Domine, »es wird Ihnen morgen übel bekommen.«

» Deprome quadrimum« schluckte der Domine. » Carpe diem – quam minimum – credula postero – Sing. Freund Dux, – Quen virum – sumes celebrare –musis amicus – Wo ist mein Ni – i – inkträpfchen? – Wir sind keine Thrazier – Natis in usum – laetitiae scyphis pugnare – (schluck) Thracum est – deßwegen wollen wir – nicht kämpfen – wir wollen trinken – recepto dulce mihi furere est amico. – Jacob, du bist betrunken – Sing, Freund Dux, – oder soll ich singen?

» Propria quae maribus hatt' einen kleinen Hund,
Quae genus war sein Name –

»Mein Gedächtniß verläßt mich, – wie war die Melodie?«

»Die Melodie war eine Melodie,« erwiederte der alte Tom, »an der sicherlich eine alte Henne krepirt ist. Komm, alter Näsler, erhebe dich wieder.«

»Näsler, von Nasus – wahrhaftig ein feines Epitheton; und es erinnert mich, daß meine Nase – gelitten hat bei dem Fall, den ich eben gethan habe. Doch ich kann nicht singen – ich finde keine Worte –«

»Und keine Melodie. Herr,« versetzte der alte Tom; »so will ich Euch was singen –«

»Das junge Susannchen hat gar viele Freier,
Sie wußte nicht, welchen sie wählen sollt';
Schon sprach ein Jeder von Hochzeitsfeier,
Und war ihrer würdig und war ihr hold.
Doch sie thät Morgens mit William scherzen
Und Mittags reichte sie Harry 'nen Kuß,
Und Abends thät sie den Tommy herzen,
Und nimmer kam sie zu einem Entschluß.
Ich fürchte fast, ich fürchte fast,
Viel Freier sind eine gefährliche Last.«

»Es gefällt mir, – ja es klingt hübsch – hübsch in meinen Ohren. Fahre fort; das Mädchen war wie die Pyrrha des Horaz –

» Quis multa gracilis – te puer in rosa –
Perfusus liquidis urget odoribius.
Grato, pyrrha – sub antro?
«

»Das sind mir Alles böhmische Dörfer, Herr; aber ich will weiter machen, wenn ich kann. Mein Kopfhäuschen ist etwas in Unordnung. Wollen einmal sehen – he!

»Und William wurde des Freiens müde,
Den Harry plagte die Eifersucht,
Und Tom bat, daß sie sich endlich entschiede;
Der Abschied war des Gesuches Frucht.
Und sie blieb sitzen mit all' ihren Freiern,
Und härmte sich ab auf dem einsamen Pfühl;
Und als sie einst sah eine Hochzeit feiern,
Da bettet sie sich in dem Teiche kühl.
Ich furchte fast, ich fürchte fast
Viel Freier sind eine gefahrliche Last.«

»Nun, alter Herr, schlürft Euern Grog aus. Ihr habt jetzt Euern Theil, wie ich Euch versprochen habe.«

»Kommt, Herr, Ihr stimmt um einen Becher zu tief,« sagte Tom, der zwar sehr begeistert, aber nicht betrunken war. Er konnte, wie ich sah, mehr ertragen, als sein Vater. »Kommt, soll ich Euch ein Lied singen?«

»Das ist schön, Tom; Ein Freiwilliger wiegt so schwer als zwei Gepreßte. Oeffne deinen Mund weit, und pfeife deine Luft in die Lüfte; du pfeifst aus dem ersten Tone.«

Tom stimmte an; der Domine schwankte von einer Seite auf die andere und wurde immer schläfriger –

»Ob Stürme im Leben, ob schlecht oder gut,
Nie hat mich der Kummer besiegt;
Nie reich, hatt' ich immer doch frohen Muth,
Stets arm, war stets ich doch vergnügt,
Hielt auch kein Glück auf meiner Wag'
Dem Uebel 's Gleichgewicht,
Ich weiß es nicht, woran es lag,
Vor Lachen weint' ich nicht. –
Ha! Ha! Ha! Ha! Ha! Ha!
Vor Lachen weint' ich nicht.«

»Nun den Chor, Vater.

Ha! Ha! Ha! Ha! Ha! Ha!
Vor Lachen weint' ich nicht.«

»Das ist all' mein Wissen, und damit genug, denn ich wecke den alten Herrn doch nicht.«

Er hatte es nicht errathen. »Ha, ha, ha, ha, ha, ha! ich starb vor Lachen nicht,« brüllte der Domine, nach seinem Trinknäpfchen tappend. Es war eine vergebliche Bemühung. Wild starrte er umher. »Wahrlich, wahrlich, wir sind in einem Strudel – Alles geht im Kreise herum! Aber was kümmert's mich? Bin ich nicht ein alter Seemann – › Qui vidit mare turgidum – et infames scopulos‹. Freund Dux, gib mir Gehör – favete linguis

»Gut,« schluckte der alte Tom, »ich will – aber sprecht – gut deutsch – wie – wie ich.«

»Ich lasse mich hängen, wenn er's thut,« sagte Tom zu mir. »In einer halben Stunde will ich des alten Näslers Latein so gut verstehen, als das gute Deutsch, wie es der Vater nennt.«

Ich spreche jede Sprache – das heißt – griechisch oder lateinisch – ja, sogar – (schluck) – Freund Dux – Hast du nicht zu viel getrunken – von – hilf Himmel! Quo me Bacche rapis tui – plenum – wahrlich, ich werde benebelt – aber ich will nur noch – nur noch mein Ni – i – inkträpfchen leeren – dulce periculum est – Jacob, – sind zwei Jacob hier? – und zwei alte Tom? – ja – mirabile dictu – da sind auch zwei junge Tom, und zwei Hunde Tommy – jeder mit – mit zwei Schwänzen. Bacche, parce – precor – precor Jacob, wo bist du? – Ego sum, – tu es, – du bist, – sumus, wir sind, – wo bin ich? Procumbit humi bos – statt bos – lies Dobbs – amo, amas – ich liebt eine Dirn'. Tityre, tu patulae sub teg – mine – wahrlich – ich citire falsch – dann muß ich – ich glaube, ich bin – ich bin betrunken.«

»Und ich weiß es gewiß,« rief Tom lachend, als der Domine besinnungslos umsank.

»Und ich weiß es auch gewiß,« sagte der alte Tom sich auf dem Boden nach der Kajütenluke wälzend – »ich habe so viel – ich führen kann – auf jeden Fall – so will ich mich in den Schlaf singen – von wegen, weil – ich bin glücklich. Jacob – du mußt die Nachtwachen thun – und Tom die Morgenwachen.«

Der alte Tom richtete sich halb auf, und saß mit dem Rücken an den Rand der Kajütenluke gelehnt. Dann begann er eines jener düstern Lieder, die bisweilen auf dem Vorderkastell eines Kriegsschiffes gehört werden, und die er jedesmal auf eine solche Gelegenheit aufsparte. Während Tom und ich den Domine zu Bett schleppten, heulte der alte Tom langsam seinen Schlachtgesang. –

»Virginien zu und Fyal schifften wir
Und ankerten und nahmen Wasser hier;
Da sahn wir sieben Segel auf der Höh':
›Eilt auf den Stern und stechet in die See‹.

»So ist's recht, meine Jungen, ziehet und haltet – schleppt das alte Wörterbuch weg – es kann seine Redetheile nicht mehr kommandiren.

»Am Morgen d'rauf kam es zum heißen Kampf.
Und Bembow sank im schwarzen Pulverdampf,
Und wie er sank, da sprach der tapf're Lord;
Tragt Kinder mich auf euern Armen fort.

»Nun, Jungen, kommt und helft mir – Tom – keine von deinen Tollheiten – denn dein armer, alter Vater – er ist betrunken.«

Wir halfen dem alten Tom in die andere »Bettstatt« der Kajüte.

»Dank Euch, Jungen, noch ein wenig mehr, so ist's gethan, wie der Versteigerer sagt – jetzt weg, weg –

»Die Kugeln sausen, das Geschütze kracht,
Der Admiral ruft im Gebrüll der Schlacht:
Tragt mich hinab, zu lindern meinen Schmerz,
Mein Anblick bräche Euer Heldenherz.

»Weg – der alte Watschelschwan ist weg – ganz weg.«

Ich war mit Tom allein auf dem Verdecke.

»Jacob, wenn du dich legen willst, ich bin nicht schläfrig – du kannst dann die Morgenwache thun.

»Nein, Tom; es ist besser, wenn du zuerst schläfst. Ich wecke dich dann um vier Uhr. Wir können nicht lichten, ehe die Ebbe kommt, und bis dahin kann ich gehörig ausschlafen.«

Tom legte sich zu Bette; ich aber ging auf dem Verdecke hin und her und dachte an die Ereignisse des Tages, wie auch an das Gesicht, das der Domine machen würde, wenn er ausgeschlafen hätte. Um vier Uhr weckte ich den jungen Tom, legte mich nieder und schlief bald so fest, als der alte Tom und der Domine, deren Schnarchresponsorien die ganze Zeit über in meinen Ohren geklungen hatten, so lange ich auf dem Verdecke auf und nieder gegangen war.


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