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Fünftes Kapitel.

Auf dem Krankenlager – Fieber, Standhaftigkeit und Thorheit. – Angenommener Lehrling eines Themseschiffes. – Ich nehme meine erste Stunde in der Liebe und gebe meine erste Stunde im Latein. – Die Vorlesung in der Liebe macht einen Eindruck auf meine Gehörwerkzeuge. – Wahrlich, Niemand ist so taub, wie der, welcher nicht hören will.

Als ich wieder zum Bewußtsein kam, sah ich mich im Bette, und Kapitän Turnbull an meiner Seite. Sobald der Lichter am Werfte angekommen, war ich nach seinem Hause gebracht worden. Kapitän Turnbull war gerade bei dem ehemaligen ersten Gehülfen und jetzigen Werftmeister, Herrn Tomkins, als der alte Tom an's Land kam und die Nachricht von meinem körperlichen Zustande brachte. Weil Herr Tomkins kein Bett erübrigen konnte, ließ mich Turnbull sogleich nach seiner Wohnung bringen und schickte nach dem Arzte. Während ich hier auf dem Krankenbette lag, theilte der alte Tom dem Kapitän, dem Domine und Herrn Tomkins alles Vorgefallene mit, und sagte, in welch' einem falschen Lichte ich Herrn Drummond dargestellt worden sei. Den Vorfall auf der Gemeinheide von Wimbledon, so wie meine darauf folgende Unmäßigkeit verschwieg er und schrieb das Fieber lediglich der harten Behandlung zu, die mir widerfahren war. Und ich glaube, er war in dieser Beziehung nicht weit von der Wahrheit entfernt, wiewohl die beiden unerwähnt gelassenen Umstände meine Krankheit wenigstens beschleunigt und gesteigert haben mochten. Alle waren auf meiner Seite; auch ging Herr Turnbull nach London, um Herrn Drummond von meinem Zustand in Kenntniß zu setzen und ihm seine Ungerechtigkeit vorzustellen. Es hatten sich mittlerweile neue Umstände ereignet, welche Herrn Drummond dazu vermochten, meiner Rechtfertigung ein geneigtes Ohr zu leihen; aber immer blieb noch die Antwort im Wege, welche seiner Gattin in meinem Namen ausgerichtet worden war. Dieses Hinderniß wurde jedoch durch die widersprechenden Angaben, womit der junge Gehülfe die ihm von Kapitän Turnbull und Herrn Drummond vorgelegten Fragen beantwortete, zum Theil entkräftet, und durch das Zeugniß der beiden Tome, welche in der Kajüte das ganze Gespräch mit angehört hatten, vollends gehoben; Kapitän Turnbull wurde daher von Herrn Drummond ersucht, mir, sobald ich wieder hergestellt sein würde, zu sagen, daß Alles vergessen und vergeben sei. Bei ihm konnte es der Fall sein, bei mir aber nicht, denn als sich der Kapitän Turnbull seines Auftrages entledigte, um mir eine Freude zu machen, schüttelte ich den Kopf auf meinem Kissen.

Der Leser wird bemerkt haben, daß das Gefühl, welches durch das erlittene Unrecht in mir geweckt wurde, Rachsucht war – ein Gefühl, das meinem Herzen tief eingepflanzt sein mußte, und ob es gleich bis dahin noch nicht in Thätigkeit getreten, doch als es einmal geweckt worden war, nicht mehr unterdrückt werden konnte. Daß es sich auf Stolz gründete, war offenbar, und dieser nahm auch in gleichem Verhältnisse mit ihm zu. Ich wies deßhalb das Ansinnen Kapitän Turnbulls entschieden ab. »Nein, Sir,« gab ich ihm zur Antwort, »ich kann nicht zu Herrn Drummond zurückkehren; ich gebe gerne zu, daß er wohlwollend gegen mich war, und daß ich seiner Güte viel verdanke, und nun er eingesehen hat, daß er mich der Undankbarkeit mit Unrecht beschuldigte, vergebe ich ihm von Herzen; aber eine weitere Gunst kann ich und will ich nicht von ihm annehmen. Ich kann mich nicht zum zweiten Male der Möglichkeit aussetzen, eine Kränkung zu erfahren, wie ich sie erduldet habe. Ich fühle, daß mir die Erfüllung meiner Pflicht die Freude nicht mehr gewähren würde, die sie mir einst gewährte, und ich könnte nicht mehr unter Einem Dache mit denjenigen leben, welche gegenwärtig in seinen Diensten stehen. Theilen Sie ihm das mit und sagen Sie namentlich der kleinen Sarah, daß mein ganzes Herz von Dankbarkeit für ihre freundliche Güte durchdrungen sei, und daß ich stets mit dem größten Schmerze an unsere Trennung denken werde.« Bei der Erinnerung an Sarah brach ich in Thränen aus und schluchzte auf meinem Kissen. Kapitän Turnbull erwähnte der Sache nie wieder. Entweder beurtheilte er meinen Charakter richtig, oder war er von der Unerschütterlichkeit meines Entschlusses überzeugt.

»Wir wollen nicht mehr davon sprechen,« sagte er, »ich will deinen Auftrag in deinen eigenen Worten ausrichten. Und nun, nimm deine Arznei und versuche es, ob du nicht ein wenig schlafen kannst.«

Bald schlief ich ein, und weil ich eigentlich nicht mehr krank, sondern nur noch schwach war, so kam ich bald wieder zu Kräften; aber mit diesen steigerte sich auch in gleichem Maße die Heftigkeit meiner rachsüchtigen Gefühle. Nur die große Schwäche, welche während des Gesprächs mit Kapitän Turnbull noch auf mir lastete, war der Grund, der mich zu dem freundlichen Auftrage herabstimmte, den ich ihm ertheilte; meine Rachsucht wurde durch die Krankheit niedergehalten, und bessere Gefühle hatten die Oberhand. Die einzige Wirkung, die der Vorfall auf mich äußerte, war die Vermehrung meines Grolls gegen diejenigen, welche die Ursache meiner harten Behandlung gewesen waren, und ich gelobte mir, daß sie wenigstens ihr Benehmen einst bereuen sollten.

Am darauf folgenden Sonntage besuchte mich der Domine. Ich war angekleidet und sah zum Fenster hinaus, als er kam. Es fror stark, und der Fluß war mit großen Eismassen bedeckt, denen ich mit Vergnügen zusah, wie sie die Strömung hinabtrieben.

»Du bist zum zweiten Male am Rande des Grabes gestanden, Jacob,« sagte der Domine nach einigen vorläufigen Bemerkungen. »Zum zweiten Male schwebte der Tod (pallida mors) über deinem Lager; aber du hast dich wieder erhoben, und dein guter Name ist wieder hergestellt. Wann wirst du im Stande sein, Herrn Drummond deine Aufwartung zu machen, um ihm für seine Güte zu danken?«

»Niemals, Sir,« erwiederte ich. »Niemehr werde ich Herrn Drummond's Schwelle betreten.«

»Nicht doch, Jacob, das schmeckt nach feindseligen Gesinnungen. Sind wir nicht alle dem Irrthum unterworfen? – Können wir nicht alle fehlen? Fiel ich nicht selbst in deiner Gegenwart in Unmäßigkeit und Thorheit? Entwürdigte ich mich nicht selbst vor meinem Zögling – und du solltest in deinem zarten Alter Groll gegen diejenigen hegen, welche dich mit Wohlthaten überhäuften, als du verlassen warest, und welche nur durch schändliche Verläumdung über dich getäuscht wurden?«

»Ich bin Herrn Drummond für seine Güte sehr verpflichtet, Sir,« erwiederte ich; »aber sein Haus will ich nicht mehr betreten. Ich wurde hinausgewiesen und will nicht mehr hineingehen.«

» Eheu Jacobe, du bist im Irrthum; es ist unsere Pflicht, zu vergeben, wie wir selbst hoffen, daß uns vergeben werde.«

Allein so sehr er auch in mich drang, er richtete nichts aus. Auch Herr Tomkins kam und machte mir dieselben Vorstellungen mit gleichem Erfolge. Ich war entschlossen. Ich hatte mir vorgenommen, unabhängig zu bleiben, und in dem Strome sah ich meinen Vater, meine Mutter, meine Heimath, meine Welt. Als meine Gesundheit wieder hergestellt war, besuchte mich eines Tags Kapitän Turnbull und sagte:

»Der Lichter ist wieder angekommen, Jacob, und ich wünschte zu wissen, ob du wieder an Bord willst, um später auf das Schiff zu gehen, welches Dir Herr Drummond vorschlägt.«

»Ich will auf kein Schiff gehen durch Herrn Drummond's Vermittlung oder Verwendung,« erwiederte ich.

»Was willst du denn thun?« fragte er.

»Wenn es zum Schlimmsten kommt,« versetzte ich, »kann ich immer an Bord eines Kriegsschiffes gehen; aber lieber wäre es mir, wenn ich meine Lehrzeit auf dem Strome ausdienen könnte.«

»Nach dem, was du schon früher zu mir gesagt hast, Jacob, erwartete ich diese Antwort; und ich habe dir zu etwas zu verhelfen gesucht, was dir vielleicht genehm sein möchte. Scheust du dich, mir verbindlich zu werden?«

»O nein; aber versprechen müssen Sie mir, daß Sie nie an mir zweifeln – nie mich beschuldigen wollen?«

Meine Stimme zitterte; ich vermochte kein Wort weiter hervorzubringen.

»Das verspreche ich dir, Junge; ich glaube, dich ziemlich gut zu kennen. Wer sich eine falsche Beschuldigung so sehr zu Herzen nimmt, wie du, wird sich gewiß hüten, etwas zu begehen, dessen beschuldigt zu werden ihn so tief schmerzt. So höre, Jacob, du kennst den alten tauben Stapleton, dessen Kahn wir so oft den Strom hinauf und hinunter gerudert haben? Ich habe mit ihm gesprochen, ob er dich nicht als seinen Gehülfen annehmen wolle. Er ist's zufrieden. Willst du zu ihm gehen? Er hat seine Zeit ausgedient und besitzt das Recht, einen Lehrling anzunehmen.«

»Ja, mit Vergnügen,« antwortete ich; »mit um so größerem Vergnügen, als ich Sie um so öfter zu sehen hoffe.«

»O ich verspreche dir meine ganze Kundschaft, Jacob,« versetzte er lachend. »Wir wollen den alten Stapleton oft hinaustreiben und eins mit einander rudern. Ist's recht?«

»Ja,« erwiederte ich, »und ich sage Ihnen vielmal Dank dafür.«

»Nun, so betrachte die Sache als abgemacht. Stapleton hat eine ordentliche Wohnung zu Fulham, und Alles, was man am Ufer verlangen kann. Ich habe den Platz gesehen und denke, er sollte auch dir behaglich sein.«

Ich wußte damals nicht, wie gütig sich Kapitän Turnbull gegen mich bewies. – Er hatte Stapleton veranlaßt, eine bessere Wohnung zu nehmen, und bezahlte den Miethunterschied, während er ihm eine Kleinigkeit wöchentlich aussetzte und ihn von Zeit zu Zeit besonders zu belohnen versprach, wenn es mir bei ihm gefallen sollte. In wenigen Tagen hatte ich meine sämmtlichen Kleidungsstücke nach Stapleton's Hause geschafft, von Herrn Turnbull Abschied genommen und mich als Lehrling bei einem Themsefährmann verdungen. Der Lichter lag noch im Werfte, als ich Herrn Turnbull's Haus verließ, und meine Trennung vom alten Tom und seinem Sohne ging beiden Theilen gleich nahe.

»Jacob,« sagte der alte Tom, »am Ende gefällt mir dein Stolz, von wegen weil ich denke, du habest ein Recht, stolz zu sein; und der Mann, der nur Gerechtigkeit verlangt und nicht Gnade, wird immer in der Welt fortkommen. Aber steh, Jacob, 's kommt bisweilen 'ne Strömung, die einem entgegen ist, daß man ihr nicht widerstehen mag; und wenn dies einmal bei dir der Fall sein sollte, so erinnere dich des alten Hauses, meiner Alten, und des alten Toms – du wirst stets einen herzlichen Willkomm finden und ein herzliches altes Paar, das mit dir theilen wird, was es hat, gut oder schlecht oder mittelmäßig. Ich wünsche dir Glück, mein Junge; und merke dir's, ich habe im Sinn, die Kosten d'ran zu wenden und mein Fahrzeug blau anstreichen zu lassen; dann wirst du es unter allen herauskennen, wenn es den Strom auf- oder abkriecht.«

»Und Jacob,« sagte der junge Tom; »ich bin zwar ein Wildfang, aber ein treuer Bursche; wenn du mich je zu etwas brauchst, beim Sonnenschein oder Regenwetter – gut oder bös – zu 'nem Spaß, oder zu 'nem Schelmenstreich – zur Hülfe oder als 'nen Freund in der Noth, durch dick oder dünn, ich bin dein, bis zum Galgen; und hier ist meine Hand darauf.«

»Das sieht dir gleich, Tom,« bemerkte sein Vater, »aber ich weiß, wie du's meinst, und 's ist Alles in Richtigkeit.«

Ich reichte beiden die Hand, und wir schieden.

So verließ ich den Lichter und nahm Dienste bei einem Themsefährmann. Ich ging nach Fulham, wo ich Stapleton traf. Er stand mit zwei oder drei Andern unter der Thüre des Wirtshauses und rauchte seine Pfeife.

»So bist du also zwei bis drei Jahre an meinen Kahn gefesselt, Junge; und ich soll dich in alle Regeln und Bestimmungen der Zunft einweihen? Nun, ich will dir gleich was sagen, und das besteht darin, wenn der Strom mit Eis bedeckt ist, wie gerade jetzt, so ziehe deinen Kahn auf's Trockene und rauche deine Pfeife, wie ich, bis das Eis wieder fort ist.«

»Das hätte ich errathen können,« versetzte ich, ihm in die Ohren schreiend, »wenn Ihr es mir auch nicht gesagt hättet.«

»Ganz gut, mein Junge; aber schrei' nur nicht so gar laut, ich höre darum nicht besser; meine Ohren sind etwas zarter Natur, und das merke dir.«

»Nun, ich dachte, Ihr wäret so taub, wie ein Pfeiler.«

»Ja, das bin ich bei Fremden, von wegen daß ich den Klang ihrer Stimme nicht kenne; aber die um mich sind, höre ich besser, wenn sie ruhig sprechen, – das ist Menschennatur. Komm, wir wollen heim gehen, meine Pfeife ist aus, und da es auf dem Strom nichts zu thun gibt, so können wir Alles zu Haus abmachen.«

Stapleton hatte seine Frau verloren; aber er hatte eine Tochter; sie war fünfzehn Jahre alt, führte die Haushaltung, und schaffte für ihn, wie er sich ausdrückte. Er wohnte in einem Hause, das zu einigen Gebäuden gehörte, die ein Kahnbauer vermiethet hatte; seine Fenster gingen auf den Strom, und im ersten Stock war eine Art Erker angebracht, unter welchem der Fluß bei hohem Wasserstand vorbeiströmte. Der Zimmer waren fünf, und ich kann nur so viel sagen, daß nicht von großen und kleinen, sondern blos von kleinen und kleinern die Rede war. Das Wohnzimmer hatte acht Fuß im Gevierte; die beiden Schlafzimmer im hintern Theile des Gebäudes, für ihn und seine Tochter, faßten jedes eine kleine Bettstelle; und die Küche und mein Stübchen unten gaben ihnen an Zierlichkeit nichts nach. Auch wurden diese Gemächer nicht auf's Beste unterhalten, da besonders das Wohnzimmer, welches über dem Strome lag, etwas abschüssig war, und auf die unbehagliche Vorstellung leitete, als wolle es alle Augenblicke in den Strom hinabgleiten. Doch erklärte der Kahnbauer, es könne noch manches Jahr halten, ohne tiefer zu sinken, und das war genug. Jedenfalls war Alles sehr annehmbar für einen Fährmann, und Stapleton bezahlte zehn Pfund jährliche Miethe. Stapleton's Tochter war von der Natur nicht vernachlässigt. Sie hatte einen ziemlich großen Mund, aber ihre Zähne waren sehr schön und schneeweiß. Ihr Haar war kastanienbraun – ihre Gesichtsfarbe sehr zart, ihre Augen groß und dunkelblau, und wenn man ihre schöne volle Gestalt betrachtete, hätte man glauben sollen, sie wäre achtzehn Jahre alt, wiewohl sie, wie ich später erfuhr, noch nicht fünfzehn zurückgelegt hatte. Auf ihrem Gesichte lag der Ausdruck der Offenheit und Redlichkeit, und um ihren Mund spielte ein höchst anziehendes Lächeln, welches Verstand verrieth.

»Nun, Marie, was machst du?« fragte Stapleton, als wir in das Wohnzimmer traten. »Hier ist der junge Ehrlich, der bei uns wohnen soll.«

»Gut, Vater, sein Bett ist bereits in Ordnung, und ich habe so viel Unrath aus dem Zimmer geschafft, daß ich fürchte, wir werden angeklagt werden, den Strom verschüttet zu haben. Möchte wissen, was vor uns für unsaubere Leute da gewohnt haben mögen.«

»Sehr niedliche Zimmer nichtsdestoweniger; nicht wahr, Junge?«

»O ja, sehr niedlich für Leute, die nichts zu thun haben. Man kann den Strom auf und ab gucken, oder beobachten, was vorbeischwimmt, allenfalls auch bei hohem Wasserstand mit der Leine fischen, versetzte Marie, mich ansehend.

»Ich liebe den Strom,« erwiederte ich ernst, »ich bin darauf geboren, und hoffe, mein Brod darauf zu finden.«

»Und ich liebe diese Stube,« setzte Stapleton hinzu; »ich denke mir, wie behaglich es sein wird, Sommerszeit in Hemdärmeln unter'm offenen Fenster zu sitzen und zu rauchen.«

»Jedenfalls habt Ihr dann keine Entschuldigung, Vater, das Zimmer zu beschmutzen, und was den jungen Burschen betrifft, so sind vermuthlich seine Rauchtage noch nicht gekommen.«

»Nein,« erwiederte ich, »aber meine Hemdärmeltage.«

»Oh, habt keine Angst,« erwiederte sie, »der Vater überläßt Euch alle Arbeit, wenn Ihr's haben wollt, und sieht zu – nicht wahr, Vater?«

»Laß deine Zunge nicht so schnell herumlaufen, Marie. Du bist auch nicht übermäßig in's Schaffen vernarrt.«

»Nein; aber doch gibt's etwas, das mir noch mehr zuwider ist,« versetzte sie; »und das ist, meine Zunge zur Ruhe zu legen.«

»Nun, jetzt will ich Euch verlassen, dann könnt Ihr's mit 'nander ausmachen; ich gehe wieder in die Federn

Damit ging der alte Stapleton die Treppe hinab, und sagte beim Hinausgehen noch, er werde bis zum Mittagessen wieder zurückkommen.

Marie fuhr in ihrem Geschäft fort. Sie stäubte das Zimmer ab, während ich schweigend die Eisschollen betrachtete, welche den Strom hinabtrieben.

»Seid Ihr immer so gesprächig, als jetzt?« fragte Marie nach ein paar Minuten. »Wenn dies der Fall ist, so seid Ihr ein vortrefflicher Gesellschafter. Herr Turnbull sagte zu meinem Vater, Ihr wäret ein so gewandter Bursche, könntet lesen, schreiben und Alles, was man nur wolle, und ich würde Euch sehr liebgewinnen; aber wenn Ihr Alles bei Euch zu behalten gedenket, so ist's so viel, als wüßtet Ihr's gar nicht.«

»Nun, ich bin bereit, zu sprechen,« versetzte ich, »wenn ich etwas habe, über was ich sprechen kann.«

»Das ist nicht genug. Ich bin bereit, über nichts zu sprechen, und Ihr müßt dieß auch können.«

»Ganz recht,« erwiederte ich, »wie alt seid Ihr?«

»Wie alt ich bin! Also haltet Ihr mich für nichts? Nun, ich will sehen, ob ich Euch nicht eine bessere Meinung von mir beibringen kann, mein hübscher Bursche. Um indessen auf Eure Frage zu antworten, ich glaube, ich bin ungefähr fünfzehn.«

»Nicht weiter? nun, es gibt ein altes Sprüchwort, das ich nicht wiederholen mag.«

»Ich weiß es, Ihr könnt Euch also die Mühe ersparen, vorlauter Junge. Aber jetzt – Euer Alter?«

»Mein Alter? Nun laßt sehen; ja, ich glaube, ich bin nahe an siebenzehn.«

»Seid Ihr wirklich so alt? Nun wahrhaftig, ich hätte geglaubt, Ihr seid nicht mehr als vierzehn.«

Diese Antwort überraschte mich anfangs, da ich für mein Alter sehr stark und groß war; aber ein minutenlanges Nachdenken sagte mir, daß sie mich dadurch nur erzürnen wollte. Einen jungen Menschen verdrießt es eben so sehr, wenn er für jünger gehalten wird, als er ist, als einem Mann von gewissem Alter ärgerlich fällt, wenn man ihn für älter ansteht.

»Bah!« erwiederte ich, »das ist ein Beweis, daß Ihr noch nicht viel von Männern wißt.«

»Ich sagte nicht, daß ich etwas von Männern wüßte, und doch, ich weiß etwas von ihnen; ich habe schon zwei Liebhaber gehabt.«

»In der That? Und was habt Ihr mit ihnen angefangen?«

»Mit ihnen angefangen? Ich habe den ersten fortgeschickt, weil mir der zweite besser gefiel; und als Herr Turnbull so viel von Euch sprach, schickte ich den zweiten auch fort, um Euch Platz zu machen; nun aber will ich, glaube ich, versuchen, ob ich ihn nicht wieder zurückbringen kann.«

»Da stimme ich von ganzer Seele bei,« versetzte ich lachend. »Ich würde einen trübseligen Liebhaber abgeben, denn ich habe in meinem Leben noch keine Liebschaft gehabt.«

»Habt Ihr noch nie ein Mädchen gefunden, dem Ihr hättet den Hof machen können.«

»Nein.«

»Dann liegt hierin der Grund, Meister Jacob, verlaßt Euch d'rauf. Nun, alles, was Ihr zu thun habt, besteht darin, zu schwören, daß ich das hübscheste Mädchen in der Welt sei, daß Ihr mich besser leiden könnet, als irgend Jemand auf der Welt; daß Ihr Alles in der Welt thut, was ich haben will – daß Ihr all' Euer Geld ausgebt, um mir Bänder und Marktgeschenke zu kaufen, und dann –«

»Und dann, was?«

»Und dann will ich Alles hören, was Ihr mir zu sagen habt, und Alles nehmen, was Ihr mir zu geben habt, und Euch obendrein auslachen.«

»Aber das ließe ich mir nicht lange gefallen.«

»Doch, Ihr müßtet. Ich würde Euch aus der Laune bringen, und dann wieder hineinschmeicheln. Die Wahrheit ist, Jacob Ehrlich, ehe ich Euch sah, hatte ich mir vorgenommen, Ihr müßtet mein Herzlichster werden, und wenn ich will, so will ich, und so ist's besser, Ihr ergebt Euch gleich; denn wenn Ihr es nicht thut – ich habe den Schlüssel zum Küchenschrank – so lasse ich Euch Hunger sterben; und damit kann man ein wildes Thier zähmen, habe ich mir sagen lassen. Und ich will Euch sagen, Jacob, warum Ihr mein Herzliebster werden sollt, – von wegen Herrn Turnbull, der mir gesagt hat, Ihr verständet Latein; nun sagt mir, was ist Latein?«

»Latein ist eine Sprache, welche man vor Alters gesprochen hat und jetzt nicht mehr spricht.«

»Nun gut, Ihr sollt mir auf Lateinisch den Hof machen; dabei bleibt's.«

»Und wie wollt Ihr mir dann antworten?«

»O in der guten Muttersprache, darauf verlaßt Euch.«

»Wie wollt Ihr aber verstehen, was ich sage?« fragte ich weiter, durch diese Unterhaltung höchlich ergötzt.

»Wenn Ihr mir den Hof recht machet, so will ich Euch schon verstehen; ich lese den Sinn aus Euren Augen.«

»Nun, ich habe nichts dagegen; wann soll ich beginnen?«

»Sogleich, alberner Bursche. Welch' eine Frage!«

Ich trat ganz nahe zu Marien, und sagte einige lateinische Worte. – »Nun,« setzte ich hinzu, seht mir in die Augen, ob Ihr's übersetzen könnt.«

»Gewiß eine Unverschämtheit,« erwiederte sie, ihre blauen Augen auf die meinigen heftend.

»Nicht im mindesten,« war meine Antwort, ich bat nur um dies.« Damit raubte ich ihr einen Kuß, den sie mir mit einer Ohrfeige erwiederte, welche fünf Minuten lang nachsauste. »Nein,« sagte ich, »das ist nicht recht; ich that, was Ihr verlangtet: ich machte Euch den Hof auf Lateinisch.«

»Und ich antworte Euch, wie ich Euch sagte, in der Muttersprache,« versetzte Marie, bis an die Stirne erröthend, aber gleich darauf in ein lautes Gelächter ausbrechend. »Nun, Jacob, ich sehe jetzt deutlich, daß Ihr Euch auf's Hofmachen nicht versteht. Doch wahrhaftig, ein jahrlanges Scherwenzeln und ein jahrlanges Geldausgeben würde Euch nicht verschafft haben, was Ihr die Unverschämtheit hattet, in der ersten Minute zu nehmen. Aber 's war meine eigene Schuld, das ist nur zu gewiß, und ich habe es Niemanden zu verdanken, als mir selber. Ich hoffe, es hat Euch nicht wehe gethan – würde mich schmerzen, wenn dies der Fall wäre; aber macht mir den Hof nicht mehr auf Lateinisch, das habe ich nun satt.«

»Nun gut, so wollen wir Freundschaft machen,« versetzte ich, ihr meine Hand entgegenstreckend.

»Das ist's, was ich wollte,« erwiederte Marie, »wiewohl ich so viel Unsinn schwatzte. Ich weiß, wir werden einander lieben und gute Freunde werden. Ihr könnt einem Mädchen nicht böse sein, das Ihr geküßt habt; und ich will durch Freundlichkeit die Ohrfeige wieder gut zu machen suchen. So, jetzt wollen wir uns setzen und eins mit einander plaudern. Herr Turnbull hat uns gesagt, Ihr wollet bei meinem Vater Eure Lehrzeit auf dem Strome ausdienen, und so werden wir also lange beieinander bleiben, wenn Ihr Euch gut haltet. Ich glaube auf Herrn Turnbull's Wort – wiewohl ich selbst noch nichts davon sehe – daß Ihr ein sehr gutmüthiger, hübscher, gewandter, bescheidener Bursche seid; und da ein Lehrling meines Vaters jederzeit bei uns wohnen mußte, so ist es mir natürlich lieber, 's ist einer von dem Schlag, als ein häßliches, plumpes Stück Vieh, das –«

»Nicht geeignet ist, Euch den Hof zu machen,« ergänzte ich.

»Das nicht geeignet ist zu meiner Gesellschaft,« versetzte Marie.

»Ich will jetzt nichts mehr vom Hofmachen wissen. Die Sache ist die, daß der Vater jede Stunde, die er erübrigen kann, im Bierhause zubringt und raucht; und das ist sehr verdrießlich für mich. Weil ich dann nichts zu thun habe, so sehe ich zum Fenster hinaus und schneide Gesichter gegen die Vorübergehenden, um mich zu unterhalten. Nun, vor einem Jahre oder zwei ging das noch; aber jetzt, Ihr wißt, Jacob –«

»Nun, was denn?«

»Ach, ich bin jetzt größer, das ist die Sache, und was man an einem kleinen Mädchen Muthwillen genannt hatte, das bekommt bei einer erwachsenen Person einen ganz andern Namen. Ich mußte das also aufgeben; aber weil ich denn immer zu Hause bleiben muß und mit Niemanden sprechen kann, so war ich gar sehr froh, als ich hörte, daß Ihr kommen solltet. Ihr seht also, Jacob, wir müssen Freunde werden. Ich darf nicht lange mit Euch schmollen, ob ich's gleich bisweilen thun muß, nur zur Abwechslung, und um des Vergnügens der Aussöhnung willen. Hört Ihr, was ich rede – oder an was denkt Ihr?«

»Ich denke, daß Ihr ein sehr sonderbares Mädchen seid.«

»Ja, das ist wahr; aber was kann ich dafür? Meine Mutter starb, als ich fünf Jahre alt war, und mein Vater konnt's nicht erschwingen, mich hinauszuthun. Er schloß mich den ganzen Tag ein, bis er vom Strom zurückkam, und erst als ich sieben Jahre alt war, und man mich brauchen konnte, ließ er die Thüre offen. Ich werde den Tag nie vergessen, an dem er mir sagte, er wolle mir in Zukunft trauen und die Thüre offen lassen. Ich meinte, jetzt sei ich ein abgemachtes Weib, und der Meinung bin ich seither geblieben. Ich erinnere mich, daß ich oft hinaussah und nichts sehnlicher wünschte, als nur einmal in der Welt umherzustreifen: aber kaum war ich jetzt drei bis vier Schritte von der Hausthüre weggegangen, so fühlte ich eine solche Angst, daß ich so schnell als ich konnte, wieder zurücklief. Seitdem habe ich das Haus selten auf eine Stunde lang verlassen, und nie bin ich aus Fulham hinausgekommen.«

»Dann seid Ihr also nie in der Schule gewesen?«

»Nein, nie. Ich wünschte mir oft, daß ich hingehen könnte, wenn ich die kleinen Mädchen sah, wie sie so lustig an unserem Hause vorübersprangen mit ihren Büchersäcken, wenn sie aus der Schule heimkamen, und wäre es auch nur der Freude wegen gewesen, hin und wieder den Gang zu machen. Ich hätte mir's recht angelegen sein lassen, wenn's auch sonst für nichts gewesen wäre.«

»Möchtet Ihr gerne lesen und schreiben lernen?«

»Wollt Ihr es mich lehren?« versetzte Marie, mich beim Arme ergreifend und mir ernst in's Gesicht sehend.

»Ja, das will ich mit Vergnügen,« antwortete ich lachend. »Es gibt immerhin unterhaltendere Abende, als beim Hofmachen, besonders wenn Ihr so hart zuschlagt. Woher kommt's, daß Ihr in diesem Punkte so erfahren seid?«

»Ich weiß nicht,« versetzte Marie lächelnd; »ich vermuthe, 's ist Menschennatur, wie mein Vater sagt, denn gelernt habe ich nie etwas; aber Ihr wollt mich Lesen und Schreiben lehren?«

»Ich will Euch Alles lehren, was ich selbst weiß, Marie, wenn Ihr es lernen wollt. Alles, nur nicht Latein – das habe ich genug.«

»Ach! ich werde Euch sehr dankbar sein – ich werde Euch sehr lieben.«

»Da seid Ihr schon wieder auf dem alten Kapitel.«

»Nein, nein, das meinte ich nicht,« versetzte Marie ernst. »Ich meinte – ach, ich weiß nicht, wie ich's ausdrücken soll. Ich meinte, ich werde Euch um Eurer freundlichen Güte willen lieben, ohne daß Ihr mich wieder lieben sollt, das ist's.«

»Ich verstehe Euch; aber nun, Marie, da wir so gute Freunde find, ist es nothwendig, daß auch Euer Vater und ich gute Freunde werden; ich muß Euch also fragen, was er für ein Mann ist. denn ich weiß wenig von ihm, und möchte ihm gern zu Gefallen leben.«

»Nun, um Euch zu beweisen, daß ich aufrichtig bin, will ich Euch was sagen. Mein Vater ist vorerst ein sehr gutmüthiger Mann. Er arbeitet so ziemlich viel, könnte aber mehr verdienen, wenn er nicht so viel bei seiner Pfeife im Wirthshaus säße. Von mir verlangt er nichts, als daß ich ihm sein Mittagessen koche, seine Hemden wasche und das Hauswesen besorge. Er trinkt nie zu viel, und ist immer höflich in seinen Reden; aber er läßt mich zu oft allein und spricht zu viel von Menschennatur, das ist's.«

»Aber er ist ja taub, – er kann nicht mit Euch sprechen.«

»Gebt mir Eure Hand, – jetzt versprecht mir – denn ich bin im Begriff, eine große Thorheit zu begehen, daß ich einem Manne traue – versprecht mir, daß Ihr es nie weiter sagen wollt.«

»Gut, ich verspreche es,« antwortete ich, in der Voraussetzung, sie habe mir ein Geheimniß von Wichtigkeit mitzutheilen.

»Nun, also – bedenkt – Ihr habt's versprochen. Der Vater ist so wenig taub, als Ihr, oder ich.«

»Wirklich,« versetzte ich, »woher kommt es denn, daß er der taube Stapleton genannt wird.«

»Ich weiß das, und er gibt sich auch überall für taub aus; aber er thut's nur um des Geldes willen.«

»Wie so? was hat das Geld damit zu schaffen?«

»Es gibt viele Leute, die auf der Stromfahrt von ihren Geschäften zu sprechen wünschen, ohne daß irgend Jemand hört, und deßwegen verlangen sie den tauben Stapleton; und da gibt's wieder Herren und Damen, die sich was zu sagen haben, wo sie keinen Zeugen brauchen – Ihr versteht mich?«

»O ja, ich verstehe – Latein?«

»Errathen – Sie verlangen den tauben Stapleton. Auf diese Art bekommt er mehr Fährgeld, als jeder andere Schiffsmann, und braucht nicht so viel zu thun.«

»Aber wie wird er's halten, wenn ich bei ihm bin?«

»O, das wird vermuthlich von seinen Kunden abhängen; wenn eine einzelne Person fahren will, so werdet Ihr das Ruder nehmen; und wenn man Doppelruder verlangt, so werden beide fahren; wenn aber der Vater glaubt, daß man den tauben Stapleton will, so werdet Ihr am Lande bleiben oder vielleicht auch taub sein müssen.«

»Aber ich hasse den Betrug.«

»Ist auch nicht recht; wiewohl es mir vorkommt, als ob's dessen genug in der Welt gäbe. Doch wäre es mir lieb, wenn Ihr Euch taub stelltet, und mir dann mittheiltet, was die Leute sagen, 's würde mir viel Spaß machen. Der Vater sagt mir nie ein Wort.«

»Insofern rechtfertigt sich Euer Vater gewissermaßen wieder.«

»Nun, ich glaube, er wird Euch bald selbst sagen, was ich Euch jetzt gesagt habe, aber bis dahin müßt Ihr Eurem Versprechen treu bleiben; und nun könnt Ihr Euch selbst unterhalten, wie's Euch gefällig ist, denn ich muß in die Küche und's Mittagessen an's Feuer stellen.«

»Ich habe nichts zu thun,« erwiederte ich; »kann ich Euch etwas helfen?«

»Freilich könnt Ihr das, und könnt mit mir plaudern, was noch besser ist. Kommt und wascht mir meine Kartoffeln; vielleicht finde ich dann sonst noch was für Euch. Nun, ich glaube, wir werden recht gut mit einander auskommen.

Ich folgte Marien in die Küche, wo wir bald sehr eifrig an der Arbeit waren. Wir lachten, plauderten, bliesen das Feuer an und kochten. Und als der Vater zurückkam, waren wir geschworene Freunde.


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