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Siebentes Kapitel.

Ein sehr sinnreiches Kapitel, das von lauter Sinnen handelt. – Stapleton wird gezwungen, um sein Weib zu boxen, und als er sie erkämpft hat, muß er boxen, um sie sich zu erhalten. – Kein sonderlicher Preis, aber er wird dadurch zum Preiskämpfer.

Der alte Stapleton rauchte seine Pfeife aus, holte einen Trunk, stopfte, zündete an, that einige Probezüge, räusperte sich und fuhr fort:

»Nun müßt Ihr wissen, ihr Mann, der Bartley hieß, war der größte Spitzbube auf dem Strome und zu Allem fähig; er glaubte, Alles thun zu dürfen und schor seine Schäflein auf dem Wasser eben so gut, als sie auf dem Lande; denn ich sah es nachher noch oft, daß sie falsch herausgab, wenn die Leute betrunken waren, machte mir's aber stets zur Regel, wegzugehen. Bartley selbst trieb sein Wesen bei Nacht, und ich brachte manchen Ring Tau an's Land, den er, wenn er ihn auch bezahlt, wenigstens nicht vom rechtmäßigen Eigenthümer gekauft hatte; aber es war mein Grundsatz, nicht zu hören und nicht zu sehen, und so ging das Ding gut, bis meine Zeit um war; und dann gaben sie mir ihren alten Kahn und bauten einen neuen für sich. Ich führte also ein eigenes Geschäft, und sah und hörte, und hatte alle meine Sinne, wie vorher. Um so schlimmer für mich, denn es entstand nichts Gutes daraus. (Puff, puff, puff, puff.) Bartley's wollten, ich sollte mit ihnen anstehen, aber ich mochte nicht, denn wenn ich mich auch nicht in anderer Leute Sache mischte, so mochte ich doch nicht selbst den Schurken machen. Seit fünfzig Jahren und darüber habe ich gesehen, wie sich die Welt gegenseitig betrügt, aber das geht mich nichts an; ich kann die Welt nicht besser machen; und alles, was ich dabei denke, ist, selbst ehrlich zu bleiben. Ja, wenn Jeder sein eigen Gewissen in Acht nähme und sich um seine Nachbarn nicht bekümmerte, so würde es viel besser stehen um die Menschennatur. Ich hatte meinen Kahn am Schwanenstege, verdiente mein Geld und lebte von der Hand zum Munde, denn ich war damals zu jung, um an die Regentage zu denken.

»Eines Abends kommt ein junges Frauenzimmer in einem Mantel den Steg herab. Sie trägt ein Bündel am Arme und scheint in der größten Aufregung, und verlangt mein Boot. Ich stoße aus der Reihe hervor, fahre an den Steg heran und gebe ihr die Hand zum Einsteigen. Sie stolpert und ich lange nach ihr, um sie vor 'nem Fall zu bewahren; wie ich sie aber anfasse, komme ich mit der Hand an das Bündel in ihrem Arme und fühle das warme Gesicht eines Kindes. ›Wohin soll ich fahren, Ma'am?‹ sage ich. ›Ach! nur gerade hinüber auf die andere Seite,‹ sagt sie; und dann höre ich sie schluchzen, als ob ihr das Herz brechen wollte. Wie wir mitten im Strome sind, hebt sie den Kopf auf, sieht zuerst auf das Bündel und küßt es, und dann auf zu den Sternen, welche am Himmel über uns glitzerten. Sie küßt das Kind noch einmal, springt in die Höhe und ehe ich weiß, was sie vorhat, wirft sie mir ihren Geldbeutel hin, das Kind aber in's Wasser und stürzt ihm nach. Ich drehe den Kahn im Augenblick um, und wie ich sie wieder sehe, setze ich ein paar tüchtige Ruderschläge ein, bin an ihrer Seite und packe sie an ihrem Kleide. Mit vieler Mühe kriege ich sie in den Kahn, und wie ich sehe, daß sie wieder bei sich ist, rudere ich sie zu dem Stege zurück, wo sie eingestiegen ist. Beim Anlegen höre ich ein Gelärme und ein Gerede, und allerlei Volks steht herum. Es scheint, es waren ihre Verwandte, welche sie vermißt hatten und fragten, ob sie ein Boot genommen habe; und wie sie sie beschreiben und die andern Schiffsleute sagen, ich habe ein solches Weibsbild eingenommen, bringe ich sie zurück. Gut, sie nehmen sie in Empfang und führen sie heim, und dann denke ich erst an den Beutel auf dem Boden des Kahnes; ich hebe ihn auf, und Ihr dürft mir glauben, vier goldene Guineen waren darin, ohne das Silbergeld. Gut, die Schiffsleute am Stege fragten mich nach Allem; aber ich nehme mich in Acht und sage ihnen nur, wie daß das arme Ding sich in's Wasser gestürzt und ich sie wieder herausgezogen habe. Und eine Woche darauf, ich hatte die Geschichte schon fast vergessen, kommt ein Polizeidiener zu mir und sagt: ›Ihr seid Stapleton, der Färger?‹ Und ich sagte: ›Ja, das bin ich,‹ und er nimmt mich auf du Polizei, wo ich das arme Weibsen im Gefängniß finde, weil man sie angeklagt hat, sie habe ihr Kind umgebracht. Sie nehmen mir einen Eid ab, den ich auf die Bibel zu schwören habe, und nun muß ich die ganze Geschichte erzählen; denn wenn ihr auch alle eure Sinne verliert, wo's Zeit ist, so weiß ich nicht wie, aber ein Eid auf die Bibel bringt sie alle wieder zurück. ›Habt Ihr das Kind gesehen?‹ fragt der Friedensrichter. ›Ich habe ein Bündel gesehen,‹ sagte ich. ›Habt Ihr das Kind schreien hören?‹ sagt er. ›Nein,‹ sage ich, ›ich habe das nicht gehört,‹ und da dachte ich, ich hätte der jungen Person schon aus der Patsche geholfen; aber der Amtmann war ein alter Fuchs und hatte alle Sinne in seinen Fingerspitzen. So sagt er: ›als das junge Weibsbild in's Boot stieg, hat sie Euch das Bündel gegeben?‹ ›Nein,‹ sag' ich wieder. ›Habt Ihr's also gar nicht angerührt?‹ ›Ja,‹ sagt' ich, ›wie sie mit dem Fuße ausrutschte.‹ ›Und wie hat sich das Ding angefühlt?' ›So wie ein Stück Menschennatur‹ sage ich, ›und ganz warm.‹ ›Wie versteht Ihr das?‹ sagt er. ›Nun, nach dem Gefühl hielt ich's für ein Kind.‹ ›Und es war ganz warm, sagtet Ihr?‹ ›Ja,‹ antwortete ich, ›das war's.‹ ›Gut, und was ist weiter vorgegangen?‹ ›Nun wie wir mitten im Strome waren, fiel sie und ihr Kind über Bord; ich zog sie wieder heraus, aber von dem Kinde sah ich nichts.‹ 's war ein Glück für das arme Ding, daß man mich nicht fragte, wer zuerst über Bord gefallen sei, und das rettete sie vom Galgen. Sie wurde sechs Monate lang eingesperrt und dann wieder losgelassen; aber Ihr sehet, wenn es nicht wegen meinem unglücklichen Fühlen gewesen wäre, und ich das Kind nicht gespürt und dabei empfunden hätte, daß es warm war (denn das war ein Beweis, daß es lebte), so hätte man das arme junge Weibsen vielleicht gleich wieder springen lassen. So viel vom Sinn des Fühlens, von wegen weil ich sage, daß er Niemand nichts taugt und nur zur Qual ist.« (Puff – die Pfeife ist aus, sie wird wieder angezündet – puff, puff.)

»Aber, Vater,« sagte Marie, »habt Ihr nie etwas Weiteres von der Geschichte des armen Mädchens gehört?«

»Ja; ich hörte, wie daß es ein harter Fall war, wie sie von einem Gesellen verführt wurde, der sie nachher verließ sammt ihrem Kinde, und da faßte sie den Entschluß, sich in's Wasser zu stürzen – das arme Ding! – und ihr Kind mit. Hätte sie nur ihr Kind ersäufen wollen, so hätt' ich gesagt, 's ist ganz unnatürlich; aber weil sie sich mit ertränken wollte, so mein' ich, ihr Kind ertränken, um es mit ihr in den Himmel zu nehmen, war ganz natürlich und nichts als Menschennatur. Liebe ist ein Sinn, den junge Weibsbilder niederhalten sollten, so viel sie können. Marie, 's kommt nichts Gutes aus dem Sinne.«

»Und doch, Vater, kömmt er mir vor, wie Menschennatur,« versetzte Marie.

»'s ist so, aber 's ist Unheil d'rin. Mädchen, gib dich ja nie mit ihm ab.«

»War's Unheil, als Ihr Euch in meine Mutter verliebtet und sie heirathetet?«

»Das sollst du hören, Marie«, versetzte der alte Stapleton, und begann auf's Neue.

»'s mochte so zwei Monat' sein, daß sich das arme Ding in's Wasser stürzte, da sah ich deine Mutter zum erstenmal. Sie war damals ihre zwei Jährlein älter, als du jetzt sein magst, und ganz die nämliche Art von Weibsbild in ihrem Aussehen. Es war ein junger Bursche, der an unserem Stege sein Boot hatte, hieß Ben Jones; ich und er waren große Freunde; wir halfen einander, wo wir konnten, und wo man nach Doppelruder fragte, fuhren wir mit'nander. An einem Abende sagte er zu mir: ›Will, komm' rauf, ich zeige dir ein teufelmäßig schönes Stück Stoff.‹ Ich gehe mit ihm und er nimmt mich in einen Laden, wo man mit allerlei handelt, was der Matrose gern hat, und da finden wir in der Hinterstube deine Mutter. Ben läßt Pfeifen und Bier kommen, worauf wir Platz nehmen und es uns bequem machen. Nun, Marie, deine Mutter war ein wankelmüthiges Ding von 'nem Mädel, das den Einen fortschickte, um sich 'nen Andern anzuschaffen, wie's ihr grad' in den Sinn kam. (Ich sah auf Marie, welche die Augen niederschlug.) Nun, solche Weibsen stiften nichts als Unheil an unter den Burschen und's nimmt selten ein gutes End'. Ich möchte dich lieber morgen im Sarg sehen, als wenn ich denken müßte, du seiest auch eine von dieser flatterhaften Waare, Marie. Ben Jones war bis über die Ohren in sie verschossen und wollte sie heirathen, und sie hatte wegen ihm einen feinen jungen Burschen fortgeschickt, und er kam alle Abend zu ihr und's war angesetzt, daß sie sollten in vier Wochen zusammen gesplißt werden; aber wie ich hinkomme, bricht sie mit ihm, macht sich an mich, äugelt mit mir, trinkt aus meinem Krug und will nichts mehr von ihm wissen, bis der arme Jones ganz aus dem Häuschen und schier wahnsinnig ist. Gut, 's war nicht in der Menschennatur, diesen großen blauen Augen Stand zu halten (gerade wie die deinigen, Marie), wenn sie auf einen armen Gesellen Feuer schossen; und wie Jones aufsteht im Verdruß und sagt, 's war' Zeit, heimzugehen, so gehen wir nicht Arm in Arm, wie sonst, sondern neben einander, wie zwei Metzgerhunde mit starr aufgerichteten Schweifen und fertig zum Kampf; weder er, noch ich, sagen ein Wort, und wir gehen von einander ohne gut' Nacht. Gut, ich träumte von deiner Mutter die ganze Nacht, und am nächsten Tag ging ich zu ihr und's wurde allemal schlimmer und schlimmer; sie schnauzte Jones an und sagte ihm endlich gerade heraus, er könne sich seiner Wege scheeren. Dies war so 'nen Monat, nachdem ich sie zum erstenmal gesehen hatte; und da sagt einmal Jones, der ein feiner Boxer war, ›bist du ein Mann?‹ und steckt mir eins an's Ohr. Ich sehe, was los ist, ziehe meinen Wamms aus und wir beginnen. Wir boxen so unsere zehn Minuten, da versetz' ich ihm einen runden Schlag an's Ohr, daß er auf's Pflaster stürzt und nicht mehr Zeit hat zum Aufstehen. Kein Wunder, der arme Geselle! er war in die Ewigkeit abgefahren! (Hier hielt der alte Stapleton eine halbe Minute lang inne und führte seine Hand über die Augen.) Ich wurde verklagt wegen Todtschlag; aber weil es bewiesen wurde, daß er zuerst angefangen und mir zuerst gesteckt hatte, so sprach man mich frei, nachdem ich zwei Monate im Gefängnisse gelegen war, denn ich konnte keine Bürgschaft aufbringen; aber nun, weil ich zwei Monate lang eingesperrt war, ließ man mich beim Urtel springen. Wie ich herauskam, dacht' ich anfangs, ich wollte deine Mutter nicht mehr sehen; aber sie kam zu mir und streichelte mich und ich liebte sie so sehr, daß ich nicht von ihr lassen konnte. Wie sie sieht, daß ich angebissen habe, äugelt sie wieder mit Andern; und das konnte ich nicht leiden, und jeder Bursche, der mir in's Gehäge kam, war sicher, daß es ihn einen Gang kostete. So wurde ich ein gewaltiger Boxer; und sie – wie sie merkt, daß ich der stärkste Kerl bin und keiner sich mehr an mich macht, sagt sie an einem schönen Morgen: ›ja, ich will dich nehmen.‹ Gut, wir werden zusammen gegeben und gleich in der ersten Nacht mein' ich, der arme Ben Jones steh' vor meinem Bette, und eine ganze Woche lang war's mir gar nicht behaglich. Aber sei's nun, wie es wolle, 's ging vorüber und ich lag am Steg und verdiente mein Brod. Aber meine Pfeife ist aus und ich bin ganz trocken geworden von lauter Erzählen. Wie wär's, wenn ich ein paar Minuten ausschnaufte?«

Stapleton zündete seine Pfeife wieder an und rauchte schweigend gegen eine halbe Stunde lang. Womit sich Mariens Gedanken beschäftigten, kann ich nicht bestimmt angeben, aber ich stellte mir vor, daß sie, wie ich, an das Betragen ihrer Mutter und an ihr eigenes dachte. Ich wenigstens machte die Vergleichung, und Keines von uns sprach ein Wort.

»Gut,« fuhr endlich Stapleton fort, »ich heirathete deine Mutter, Marie, und ich hoffe nur, daß der Bursche, der einmal dich nimmt, nicht so viel Kreuz mit seinem Weibe haben möge, wie ich. Ich meinte, weil sie jetzt unter der Haube sei, werde sie ihre Dummheiten aufgeben und sich wohl halten – aber ich glaube, es lag in ihrer Natur und sie konnte nicht anders. Sie äugelte und machte den Männern Hoffnung, bis sie zudringlich wurden; und ich wurde eifersüchtig und mußte bald mit diesem bald mit dem andern boxen, bis ich allgemein als Kapitalboxer bekannt wurde. Ich muß sagen, deine Mutter hatte die größte Freude, wenn ich meinen Mann niederschlug, und das geschah denn zuletzt allemal; aber sie wollte, daß man sich immer für sie boxte, und da hatte ich kaum Zeit, mein Brod zu erwerben. Da schickte mich einmal Einer gegen einen Andern in den Ring und wettete fünfzig Pfund auf mich, und ich sollte die Hälfte haben, wenn ich's gewänne. Ich saß damals verdammt auf dem Trocknen und sagte ja; nach 'ner kurzen Vorübung wurde der Kampf abgemacht und ich war Sieger; und Etliche, die das Ding verstanden, denen gefiel meine Manier so sehr, daß sie eine neue Wette machten gegen einen stärkeren Boxer um zweihundert Pfund; und ein Lord und andere vornehme Leute kamen zu mir, und ich ward zu ihnen gerufen in's Wirthshaus, und Alles wurde festgesetzt. So wurde ich ein regelmäßiger Preiskämpfer, Alles durch deine Mutter, Marie. Nein, Kind, weine nicht, ich sage nicht, daß deine Mutter sich verging, so gern sie's auch hatte, wenn man ihr nachgaffte und mit ihr sprach; aber nach meiner Meinung war's fast eben so schlimm. Gut, ich übte mich ein und nach fünf Wochen boxten wir uns zu Moulsei-Hurst, und's war ein harter Strauß – aber ich habe die ganze Geschichte noch irgendwo, Marie; sieh' einmal in der Schublade nach, dort wirst du eine Zeitung finden.«

Marie brachte die Zeitung. Sie war aufgerollt und mit einem Bindfaden umwickelt. Stapleton gab sie mir in die Hand und sagte, ich möchte sie vorlesen. Ich that es, will aber hier nicht in die Einzelheiten eingehen.

»Ja, das ist Alles ganz in der Ordnung,« sagte Stapleton, der mein Lesen benützend, furchtbar gedämpft hatte, um die verlorene Zeit wieder einzubringen; »aber nichts Gutes entstand daraus, denn einer von den Herren warf ein Auge auf deine Mutter, Marie, und suchte sie mir zu entführen. Ich kam eben dazu, als er sie küssen wollte; sie verweigerte es ihm – aber mit Lachen und, wie mir schien, nur mit halbem Willen. Ich warf ihn und stieß ihn zum Hause hinaus, und von nun an wollte ich nichts mehr wissen von Lords und anderen Herrn, so wenig als vom Boxen. Ich baute mir einen neuen Kahn, blieb auf dem Strome und veränderte meine Wohnung, um nichts mehr mit den Leuten zu thun zu haben, die mich als Boxer kannten. Deine Mutter kam damals mit dir in die Wochen und ich freute mich auf ein gut Theil Glück, – denn ich meinte, sie würde jetzt nur noch an ihren Mann und ihr Kind denken. Und das that sie auch, bis du entwöhnt warst; dann ging wieder der alte Tanz an. 's war ein Kapitän eines Schiffes, das auf dem Strome lag; der stellte sie dann und wann und sprach mit ihr; aber ich kümmerte mich wenig darum, denn ich sah, wie daß Jedermann mit ihr und sie mit Jedermann sprach; überdies kannte sie des Kapitäns Frau, das war ein ganz hübsches Weibchen, und sie lud Marie oft ein, sie zu besuchen, was ich gestattete. Aber an einem Morgen, wo ich hinab ging zu dem Boot – denn er war zu mir gekommen, daß ich ihn zu seinem Schiffe rudern sollte – wie ich aber mit den Handrudern auf der Schulter hinabgehe, da fällt mir ein, daß ich meine 'Backsdose vergessen habe. Ich gehe zurück, und ehe ich in die Stube trete, höre ich ihn sagen – ›So, ich werde um zwei Uhr hier sein und da haben Sie mir versprochen, an Bord meines Schiffes zu kommen und –‹. Ich hörte das übrige nicht, aber sie lachte und sagte ja, sie werde mitgehen. Ich zeigte mich gar nicht, sondern entfernte mich und ging zu dem Boot. Er folgte mir, ich ruderte ihn den Strom hinauf, nahm mein Fährgeld und beschloß dann, ihm abzupassen, denn ich war mächtig eifersüchtig. Gut, ich lege mich also mit meinen Rudern mitten in den Strom und wahrhaftig, der Kapitän steigt mit deiner Mutter in ein kleines Boot, das zu seinem Schiffe gehört und stößt ab. Der Kapitän hat ein Ruder und einer seiner Matrosen ein anderes. Ich hinter ihnen her, so schnell als ich kann, und endlich sehen sie mich, 's war ihr nicht lieb, daß ich sie hier finden sollte, und deswegen bat sie, so schnell wie möglich zu rudern, denn sie wußte, wie wild ich sein konnte. Dennoch kam ich ihnen immer näher; ich sah mich von Zeit zu Zeit rings um und schwor Rache in meinem Herzen. Da höre ich plötzlich einen Schrei und sehe, wie ihr Boot umschlägt und alle mit einander in's Wasser. Sie hatten das Werptau eines Schiffes nicht gesehen, das sich anziehen ließ, fuhren darüber hin, und wie's gestrafft wurde schlugen sie um. Deine Mutter sank unter, wie ein Stein, Marie, und man fand sie erst nach drei Tagen wieder, und wie ich sie sinken sehe, falle ich in Ohnmacht.« Der alte Stapleton schwieg, legte seine Pfeife hin und stützte sein Gesicht in die Hände. Marie brach in Thränen aus. Nach einigen Minuten fuhr er fort:

»Als ich wieder zu mir kam, sah ich mich an Bord des Schiffes in der Kajüte des Kapitäns, und den Kapitän und seine Frau neben mir – und da kams' denn heraus, daß des Kapitäns Frau deine Mutter hatte holen lassen, und daß sie an Bord wohnte, und daß es deine Mutter zuerst ausschlug, weil sie wußte, daß ich's nicht leiden konnte, wenn sie auf dem Strome war, und doch hätte sie so gern ein Schiff gesehen, und dessenthalben sagte sie ja. So war's am Ende nicht schlimm, nur daß ein Weib nichts thun sollte, ohne ihren Mann – aber du siehst, Marie, all' das wäre nicht passirt, wenn ich nicht etwas gehört hätte von dem, was gesprochen wurde; und du hättest jetzt vielleicht eine Mutter und ich ein Weib, und das würde uns beiden recht gut thun. – Aber das unselige Hören – drum, wie ich gesagt habe, 's kommt mehr Schlimmes als Gutes aus diesem Sinnen – so viel hab' wenigstens ich erfahren. Und nun, Marie, dieweil du meine Geschichte gehört hast und wie deine Mutter gestorben ist, so nimm dich in Acht, daß du nicht in den nämlichen Fehler verfällst und es zu gern siehest, wenn man dir nachgafft, denn es kommt mir fast so vor, du hättest so ein bischen Hang dazu – doch ›der Apfel fällt nicht weit vom Stamm‹, heißt's im Sprüchwort, und das ist Menschennatur

Als Stapleton seine Erzählung beendet hatte, rauchte er schweigend seine Pfeife. Marie saß am Tisch, die Hände an die Schläfe gedrückt, anscheinend in tiefen Gedanken; und ich fühlte mich auch nichts weniger als zu Mittheilungen aufgelegt. Nach einer halben Stunde war der Bierkrug leer, und Stapleton stand auf.

»Ei, Marie, denke dem Ding nicht so nach; wir wollen in's Bett. Zeig' dem Jacob sein Zimmer und komm' herauf.«

»Jacob kann sein Zimmer selber finden, Vater,« versetzte Marie, »ich brauch' es ihm nicht zu zeigen; die Küche weiß er, und außer der ist nur noch ein einziges Gemach unten.«

Ich nahm mein Licht, wünschte ihnen gute Nacht, und ging nach meinem Lager, das zwar sehr ländlich, aber dennoch behaglich war.


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