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Sechstes Kapitel.

Man empfiehlt mir, schwimmen zu lernen. und ich befolge den freundlichen Rath. – Schwerer Verdacht an Bord des Lichters und ein Geheimniß, aus welchem Frau Radcliffe einen Roman gemacht haben würde.

»Jacob, dieß ist Marables, welcher die Polly führt,« sagte Herr Drummond, der mich einige Tage nach meiner Ankunft in seinem Hause in seine Schreibstube berufen hatte. »Marables,« wendete er sich hierauf gegen den Mann, »ich habe Euch gesagt, daß dieser Bursche als Lehrling für die Polly eingeschrieben ist. Ich erwarte, daß Ihr nach ihm sehet und ihn freundlich behandelt. Keine Schläge, keine Mißhandlung! Wenn er sich nicht gut beträgt (wiewohl ich überzeugt bin, daß er sich gut aufführen wird), so laßt es mich wissen, wenn Ihr von Eurer Fahrt zurückkommt.«

Während Herr Drummond also sprach, besah ich mir das Aeußere meines künftigen Vorgesetzten. Er war ein stattlicher hübscher Mann mit kleinen Augen, wohlwollenden Gesichtszügen und einiger Anlage zum Beleibtwerden. Sein Mund war nicht groß, und ein gutmüthiges Lächeln spielte auf seinen Lippen, als er antwortete:

»Ich habe noch nie ein lebendes Wesen – nicht einmal eine Katze mißhandelt, Herr.«

»Ich glaube es.« versetzte Herr Drummond; »aber ich will, daß Jacob in der Welt fortkomme, und darum sage ich Euch, er wird sich stets meines Schutzes erfreuen, so lange er sich untadelhaft beträgt.

»Ich stehe dafür, wir werden trefflich mit einander auskommen, Sir, wenn sich anders aus dem Schnitte seines Ausliegers ein Schluß ziehen läßt,« erwiederte Marables, und bot mir eine ungeheure, eben so breite, als lange Hand.

Nachdem wir einander vorgestellt waren, gab ihm Herr Drummond einige Verhaltungsbefehle und ließ uns allein.

»Komm und betrachte dir die Fähre,« sagte Marables; und ich folgte ihm zur Barke. Sie führte einen Mast, der je nach Erforderniß aufgerichtet oder niedergelassen werden konnte, und segelte den Strom aufwärts und abwärts bis zum Nore, in den Sommermonaten ihr Ziel bisweilen noch weiter hinaus rückend. Hinten hatte sie eine große Kajüte und vorn einen Verschlag. Da die Kajüte verschlossen war, so konnte ich sie nicht sehen.

»Das ist deine Schlafstätte,« sagte Marables auf den Verschlag deutend; »du hast sie ganz für dich. Der andere Mann und ich schlafen hinten.«

»Haben Sie also noch einen andern Mann bei sich?«

»Allerdings, Jacob,« versetzte er, und murmelte dann vor sich hin, »ich wollte, ich hatte ihn nicht – 's war' mir lieber, wir zwei säßen allein in der Barke, Jacob, oder meinetwegen auch, wenn man dich am Land behalten hätte,« fuhr er düster fort. »Es wäre besser gewesen, viel besser.«

Er ging nach dem Hintertheile, pfiff leise vor sich hin und sah traurig auf den Boden.

»Ist Ihre Kajüte groß?« fragte ich, als er wieder umkehrte.

»So ziemlich, aber ich kann sie dir jetzt nicht zeigen – er hat den Schlüssel.«

»Was, der Andere, der unter Ihnen steht?«

»Ja,« erwiederte Marables hastig. »Ich denke, du könntest noch am Lande bleiben, bis wir abfahren, Jacob; wir sind deiner Dienste hier nicht benöthigt.«

Ich hatte nichts einzuwenden; ich ging aber während der vierzehn Tage, die das Fahrzeug noch blieb, sehr häufig an Bord und gewann Marables bald sehr lieb. Er hatte eine Freundlichkeit an sich, die mein Herz gewann, und es that mir weh, ihn oft so schwermüthig zu sehen. Was mir am meisten auffiel, war der Umstand, daß ich die Kajüte in der ersten Woche nie offen fand, und Marables den Schlüssel nicht hatte; es kam mir höchst sonderbar vor, wie dem Führer der Barke von seinem Untergebenen seine eigene Kajüte verschlossen werden könnte.

Eines Tages ging ich früh an Bord und fand nicht nur die Kajütenthüre offen, sondern auch den andern Mann auf dem Verdecke, auf dem er mit Marables auf- und abging. Es war ein hübscher, großer, rühriger junger Mann, dem Ansehen nach noch nicht dreißig. Der Ausdruck der Kühnheit, der auf seinem Gesichte lag, bildete einen scharfen Gegensatz mit dem unstäten, stechenden Blick seines Auges. Er trug eine blaue Blouse über seinen Kleidern, und die Hosen, welche darunter hervorsahen, waren von feinerem Stoff als man sie bei Leuten seines Standes zu treffen gewohnt ist. »Dieß ist der Bursche, welcher bei der Barke eingeschrieben ist,« sagte Marables; »Jacob, dieß ist Fleming.«

»So, Junker,« bemerkte Fleming, nachdem er ein forschendes Auge auf mich geworfen hatte, »also du sollst bei uns wohnen – he? Nun, ich denke, es wird gut sein, wenn du dich mehr um deine Schlafstätte bekümmerst, als um deine Gesellschaft. Wenn du übrigens die Augen offen halten willst, so rathe ich dir, mit dem Munde das Gegentheil zu thun; denn wenn ich die Gesellschaft der Leute satt habe, so gebe ich ihnen bisweilen einen Stoß, der sie in den Strom wirft – nimm dich also in Acht, mein Junge.«

Nicht sehr erbaut durch diese Anrede, antwortete ich:

»Ich glaubte. Marables sei der Führer der Barke und von ihm habe ich Befehle zu erwarten.«

»Glaubtest du?« versetzte Fleming grinsend. »Kannst du schwimmen, Junge?«

»Nein,« antwortete ich, »wollt' aber, ich könnt's.«

»Nun, so folge meinem Rathe – lerne es so bald wie möglich, denn es ist mir wie vor, als müßte ich dich früher oder später einmal am Genick nehmen und deinem Vater nachschicken.«

»Fleming, Fleming, sei doch ruhig!« sagte Marables, der ihn schon mehrere Male an den Ellbogen gestoßen hatte. »Er scherzt nur, Jacob,« fuhr er gegen mich gewendet fort, als ich über die Anspielung auf den Tod meines Vaters unwillig wurde und über die andern Lichter nach dem Ufer zu ging.

»Nun, wenn ich über Bord geworfen werden soll,« erwiederte ich, mich umwendend, »so wird es gut sein, zuvor Herrn Drummond davon in Kenntniß zu setzen, damit er weiß, was aus mir geworden ist, wenn ich vermißt werde.«

»Pah! Unsinn!« sagte Fleming, indem er plötzlich sein Benehmen änderte und zu mir in die Barke trat, die unserem Lichter zunächst lag. »Gib mir deine Hand, Junge; ich wollte nur sehen aus welchem Teige du gebacken bist. Gib mir die Hand, es war nicht mein Ernst.«

Ich nahm die dargebotene Hand und ging an's Ufer. »Dessen ungeachtet will ich schwimmen lernen,« dachte ich; »denn ich glaube doch, daß es sein Ernst war.« Am nämlichen Tage noch nahm ich meine erste Schwimmstunde, und erwarb mir durch fortgesetzte Uebung in Kurzem diese höchst nothwendige Kunst. Hätte mir Fleming nicht gedroht, so hätte ich wahrscheinlich gar nicht an sie gedacht; aber wenn ich auch nicht über Bord geworfen wurde, so konnte ich doch über Bord fallen, und unter allen Umständen trägt man nicht schwer daran, wenn man sich irgend eine Fertigkeit aneignet.

Am Tage vor der Abfahrt der Barke mit einer Ladung Kohlen nach Scheerneß besuchte ich meinen würdigen alten Domine Dobiensis.

» Salve puer!« rief der Greis, der in seinem Studirzimmer saß. »Schön. Jacob, du kommst gerade recht. Ich habe frei und will dir eine Lection geben. Setze dich, Kind.«

Der Domine schlug die Aeneis auf und begann sofort seinen Unterricht. Ich war so glücklich, ihn mit meiner Übersetzung vom Blatte weg zu befriedigen, und als er das Buch schloß, eröffnete ich ihm, ich sei gekommen, um ihm Lebewohl zu sagen, da wir am andern Morgen mit Tagesanbruch abfahren müßten.

»Jacob,« versetzte er, »du hast etwas gelernt bei dem Unterricht, den ich dir gegeben habe. Höre jetzt auch auf den Rath, den ich dir geben will. Viele werden zu dir sagen, dein Wissen habe keinen Werth für dich, denn wozu die lateinische Sprache bei einem Jungen an Bord eines Lichters? Andere werden denken, ich habe Unrecht gethan, dich so Vieles zu lehren, dein Wissen könnte dich eitel – nil exactius eruditiusque est – und unzufrieden mit deinen Verhältnissen machen. Ich weiß es, dieß ist nur zu oft der Fall, aber bloß aus dem Grunde, weil die Bildung nicht so allgemein ist, als sie sein sollte. Wären alle Menschen gebildet, so würde die erworbene oder angemaßte Überlegenheit der Bildung wegfallen und die Nation nicht nur weiser, sondern auch glücklicher sein. Sie würde richtiger urtheilen – würde die Maßregeln ihrer Beherrscher, welche sie nicht auf der Stelle versteht, nicht verdammen, und würde sich nicht durch das Geschrei und die falsche Darstellung der Unzufriedenen irre führen lassen. Doch ich darf nicht abschweifen, die Zeit ist kurz. Jacob, ich fühle, du wirft durch das Wissen, das ich dir eingeprägt habe, nicht verderbt werden; aber hüte dich, es zur Schau zu tragen, denn dieß gälte als ein Beweis von Eitelkeit, der dir Feinde machen würde. Bilde dich fort, so viel du kannst, aber nur zur gehörigen Zeit – denn Pflichten gegen den Vorgesetzten müssen zuerst erfüllt werden – bewahre was du hast, und sammle noch mehr, wenn du kannst. Betrachte es als einen verborgenen Reichthum, den du später auf Zinsen legen kannst. Jetzt bist du nur Lehrling auf einer Barke; aber, was kannst du nicht werden, Jacob, wenn du fleißig bist – wenn du Gott fürchtest, und recht thust? Ich will dir einige Beispiele nennen, um dich auf deiner Laufbahn zu spornen.«

Damit führte der Domine vierzig bis fünfzig Beispiele von Männern aus der Geschichte an, die sich zu den höchsten Stufen der Gesellschaft emporschwangen; aber obgleich ich recht eifrig lauschte, so werden es meine Leser wahrscheinlich nicht bedauern, wenn ich ihnen die Liste des Domine vorenthalte. Nachdem er die Reihe geschlossen hatte, gab er mir ein lateinisches Testament, die »Ganze Pflicht des Menschen« und seinen Segen. Die Hausmutter fügte noch ein großes Stück Kuchen dazu, und als ich in Herrn Drummonds Wohnung ankam, waren sowohl des Domine Lehren, als auch die weise Zugabe der würdigen Matrone trefflich verdaut.

Es war sechs Uhr des andern Morgen, als wir die Taue lösten und in den Strom stachen. Die Sonne war hinter den Bäumen aufgegangen, deren niedergebogene Zweige die geneigten Rasen vor den zahllosen Landhäusern des Adels und der Reichen überwölbten, welche die lachenden Ufer zieren, und die Königin des Tages goß einen Strom von Licht auf die glänzenden, rasch dahin eilenden Fluthen. Der schwere Thau, der während der Nacht gefallen war, hing an den Seiten der Barke und schimmerte gleich einer Halsschnur von Diamanten. Der Nebel hatte sich in die Lüfte verloren und verhüllte nur hie und da noch einen Theil der Landschaft. Boote mit Erzeugnissen der umliegenden Gemüsegärten glitten mit der Fluth hinab nach der Hauptstadt. Die Schiffer scheuerten die Fahrzeuge und harrten ihres Verdienstes. In gerader Linie stieg der Rauch der Kamine gen Himmel, und das ferne Zwitschern der Vögel auf den Bäumen vollendete die heitere Lust des Herzens, mit welcher ich meine Laufbahn als Lehrling begann.

Ich stand auf dem Vorderdeck und sah auf den Strom nieder, als mir Marables zurief, ich solle das Steuerruder führen, während sie frühstückten. Er wollte mir Verhaltungsbefehle geben, aber ich kam denselben zuvor, indem ich ihm bewies, daß ich den Strom so gut kannte, als er. Vergnügt über diese Entdeckung ging er in die Kajüte, wo Fleming das Frühstück bereitete, und ich blieb allein mit meinen Gedanken auf dem Verdeck. Während wir an den Gegenständen vorüberglitten, die ich seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, aber augenblicklich wieder erkannte, tauchten auch eben so schnell alle daran sich knüpfende Erinnerungen in mir aus. Dort war die Herberge am Strand, in welcher mein Vater den steinernen Krug zu füllen pflegte; hier, wo die Barke eben schwamm, hatte ich den größten Kaulbarsch, den ich je gefangen, heraufgeschnellt. Jetzt war ich an der Stelle angekommen, wo wir einst mit einem andern Fahrzeug zusammenstießen, und mein Vater mit der Pfeife im Munde, seinem »Nimm's kaltblütig«, welches die andern Schiffer so sehr erbitterte, stand, wie er leibte und lebte, vor meinen Augen. Hier – ja hier war es – genau an dieser Stelle – wo wir in jener verhängnißvollen Nacht, die mich zur Waise machte, vor Anker lagen, – hier war es, wo mein Vater verschwand, und als ich in die Tiefe blickte, war es mir, als müßte sich das Wasser wieder über ihm schließen, wie damals, und hier war es, wo der schwarze Rauch – der ganze Auftritt stand vor meiner Seele, meine Augen füllten sich mit Thränen, und einige Momente konnte ich meinen Weg nicht mehr unterscheiden. Aber bald sammelte ich mich wieder. Die erfrischende Luft, das blaue Himmelszelt über meinem Haupte, das geschäftige Treiben in meiner Umgebung und die Notwendigkeit, meiner Pflicht zu genügen, verdrängte meine schmerzlichen Erinnerungen; sobald ich aber die Stelle hinter mir hatte, war ich wieder heiter und zufrieden.

Nach einer halben Stunde hatte ich das Fahrzeug unter der Putney-Brücke hindurch geführt; ich leitete es eben zwischen den Untiefen, die den Schiffen eine Strecke weiter unten gefährlich werden, als Marables, als Fleming erschienen.

»Wie!« rief Marables, »schon unter der Brücke durch? Warum hast du uns nicht gerufen?«

»Ich bin schon hundertmal allein durchgeschossen, und zwar zu einer Zeit, als ich kaum zehn Jahre alt war,« versetzte ich. »Warum sollte ich Sie vom Frühstücke abrufen? Aber die Fluth geht hoch und der Strom ist reißend; ein Umschwung könnte nicht schaden, sonst treiben wir auf die Bank.«

»Nun!« bemerkte Fleming erstaunt. »Ich ließ mir's nicht träumen, daß er uns nützlich sein könnte; aber es ist umso besser.«

Hierauf flüsterte er leise mit Marables.

Marables schüttelte den Kopf. »Mache keinen Versuch, Fleming; es geht nicht.«

»So sagtest du einst auch von dir selbst,« versetzte Fleming lachend.

»Ja – ja!« erwiederte Marables, die Hände, die er auf der Brust gekreuzt hatte, mit einem Blicke schmerzlicher Bewegung zusammenpressend, »dennoch sage ich, du machst keinen Versuch: nein, sage ich, du darfst keinen Versuch machen.«

»Darf keinen Versuch machen?« versetzte Fleming in stolzem Tone.

»Ja,« erwiederte Marables kaltblütig, »ich sage, du darfst keinen Versuch machen, und ich bürge für meine Worte. Nun, Jacob, gib mir das Ruder und gehe zu deinem Frühstück.

»Ich gab das Ruder in Marables' Hände, und war im Begriff, in die Kajüte zu gehen, als mich Fleming am Arme faßte und im Kreise herumdrehte.

»Junge, wir wollen lieber gleich beginnen, womit wir aufhören müssen. Verstehe mich wohl, die Kajüte darfst du nie betreten, und verstehe mich ferner, wenn ich dich je in der Kajüte treffe, sei es Tag oder Nacht, so schlage ich dir alle Knochen entzwei. Deine Schlafstätte ist vorn; und was deine Mahlzeiten betrifft, so kannst du sie entweder hier unten verzehren, oder auf dem Verdeck speisen.«

Aus dem, was ich bis jetzt gesehen hatte, konnte ich schließen, daß Fleming aus irgend einem Grunde über Marables zu gebieten hatte; dessen ungeachtet erwiederte ich:

»Wenn es Herr Marables so anordnet, dann ist's schön und gut; nur er hat die Leitung dieser Barke.«

Marables äußerte nichts. Er erröthete, schien sehr verdrießlich und blickte gen Himmel.

»Du wirst finden,« fuhr Fleming mit leiser Stimme gegen mich fort, »daß ich hier befehle – sei also klug. Vielleicht mag der Tag einst kommen, wo du nach Gefallen in der Kajüte aus- und eingehst, aber das hängt von dir ab. Bald, wenn wir einander näher kennen –«

»Nein, Fleming, nie!« unterbrach ihn Marables in lautem und festem Tone. »Es darf nicht sein.«

Fleming murmelte etwas, was ich nicht verstehen konnte, und ging in die Kajüte, um mir mein Frühstück zu holen. Ich verzehrte es mit großem Appetit, und erbot mich dann, das Ruder zu übernehmen. Marables ließ sich den Vorschlag gefallen und zog sich mit Fleming in die Kajüte zurück, wo ich sie lange mit einander flüstern hörte.

Es war ungefähr Dreiviertelebbe, als die Barke Millbank erreichte. Marables kam auf das Verdeck, ergriff das Ruder und befahl mir, nach dem Vorderdeck zu gehen und den Anker in Bereitschaft zu halten.

»Den Anker in Bereitschaft halten!« rief ich, »wir haben noch eine gute Stunde bis zur Fluth.«

»Das weiß ich so gut, als du, Jacob; aber wir werden heute nicht weiter fahren. Spute dich, und halte Alles bereit.«

Ich ging nach dem Vorderdeck. Als der Anker sammt dem Kabel in Bereitschaft lag, ließen wir ihn fallen und bogen in die Strömung. Ich dachte, dieß sei gerade nicht der geeignetste Weg, den Pflichten gegen den Herrn der Barke nachzukommen; weil ich aber nicht wußte, welche Weisungen Marables erhalten hatte, so schwieg ich. Sei es, daß Fleming für zweckmäßig hielt, mich zu blenden, oder daß wirklich einem Befehle Folge geleistet werde; er fragte Marables, daß ich es hören konnte:

»Willst du an's Land gehen, um die Briefe Herrn Drummond's Korrespondenten zu übergeben, oder soll ich für dich gehen.«

»Es ist besser, du gehst,« erwiederte Marables gleichgültig.

Bald darauf begaben sie sich zum Essen in die Kajüte, und Fleming brachte mir meinen Antheil nach dem Verdeck.

Jetzt setzte die Fluth ein, und wir legten uns in die Strömung. Da ich nichts zu thun hatte und sowohl Marables, als Fleming mich zu vermeiden schienen, nahm ich das lateinische Testament des Domine und beschäftigte mich mit Lesen. Ungefähr eine Viertelstunde vor Dunkel erschien Fleming, um an's Land zu gehen. Er war anständig, ich möchte fast sagen elegant, in Schwarz gekleidet, und um seinen Hals schlang sich eine weiße Binde. Der Anblick dieser Verwandlung überraschte mich so sehr, daß ich ihn Anfangs nicht erkannte, und als ich mich von meinem Erstaunen erholt hatte, gingen meine Gedanken natürlich auf das Räthsel über, wie ein Mann, der als Untergebener auf einer Barke arbeite, auf einmal in der Kleidung und mit dem Anstande eines Gentleman auftreten könne. Marables legte das kleine Boot an, welches am Stern hing. Fleming sprang hinein und stieß ab. Ich folgte ihm mit den Augen, bis ich ihn am Landungsplatze anlegen sah; dann wandte ich mich gegen Marables und sagte:

»Das kann ich Alles nicht verstehen.«

»Glaub's wohl,« erwiederte Marables; »aber ich kann es dir erklären, wenn du mir ehrlich versprechen willst, kein Wort auszuplaudern.

»Sobald Sie mich überzeugen, daß Alles in Ordnung ist, verspreche ich das,« war meine Antwort.

»Was die Ordnung betrifft, Jacob, so wollen wir das dahingestellt sein lassen; aber wenn ich dir beweise, daß unserem Herrn kein Eintrag dadurch geschieht, so hoffe ich, wirst du das Geheimniß bei dir behalten. Indessen darfst du nicht schlechter von der Sache denken, als sie wirklich ist. Nein, ich will deinem guten Herzen vertrauen. Du wirst mir nicht schaden, Jacob?«

Hierauf sagte mir Marables, Fleming habe einst bessere Tage gesehen, und ihm während der langen Krankheit und bei dem darauf folgenden Tode seiner (Marables) Frau eine Summe Geld vorgestreckt; später sei er etwas leichtsinnig geworden, habe sich in Schulden gestürzt, und werde nun von den Gerichten verfolgt. In dieser Bedrängniß habe er sich an ihn gewendet, und sei von ihm an Bord der Barke aufgenommen worden, wo man ihn gewiß nicht suchen würde; er habe Freunde und müsse Nachts an's Land gehen, um sie zu besuchen und ihre Hülfe in Anspruch zu nehmen, während dessen seine Verwandten einen Vergleich mit seinen Gläubigern zu Stande zu bringen suchten. »Wie konnte ich umhin,« sagte Marables nach seiner Erzählung, »einen Mann abzuweisen, der so gütig gegen mich gewesen war? Und welchen Nachtheil hat Herr Drummond davon? Kann oder will Fleming seine Arbeit nicht verrichten, wenn wir ausladen, so bezahlt er einen Stellvertreter, und Herrn Drummond geschieht nicht im Mindesten Eintrag.«

»Das mag Alles wahr sein,« sagte ich; »aber ich kann nur nicht begreifen, warum ich die Kajüte nicht betreten soll, und warum er hier den Gebieter spielt.«

»Nun, du siehst, Jacob, ich bin ihm Geld schuldig, und er läßt mich eine Wochenmiethe aus der Kajüte ziehen, um meine Schuld nach und nach abzutragen. Verstehst du mich jetzt?«

»Ja, ich verstehe, was Sie gesagt haben,« erwiederte ich.

»Gut, Jacob, ich hoffe, du wirst es nicht weiter sagen. Es würde mich nur in Verlegenheit bringen und nichts Gutes herbeiführen.«

»Dieß hängt von Flemings Benehmen gegen mich ab,« entgegnete ich. »Ich lasse mich einmal nicht von ihm verunglimpfen und mißhandeln, verlassen Sie sich darauf. Er hat an Bord dieser Barke nichts zu schaffen, das ist klar, und ich bin hier verpflichteter Lehrbursche. Ich wünsche Ihnen nicht zu schaden, und da ich voraussetze, Fleming werde nicht lange bleiben, so will ich nichts sagen, so lange er mich ordentlich behandelt.«

Marables verließ mich, und ich dachte über seine Worte nach. Die Erzählung war sehr scheinbar, befriedigte mich aber nicht. Ich beschloß, genau Acht zu geben und, im Falle irgend etwas vorkommen sollte, was einen weitern Verdacht erwecken könnte, Herrn Drummond bei unserer Rückkehr in Kenntniß zu setzen. Bald darauf kam Marables zurück, und sagte, ich könnte zu Bett gehen; er wolle auf dem Verdeck bleiben, um Flemings Rückkehr abzuwarten. Ich war's zufrieden und ging in meinen Verschlag; aber diese Erlaubniß wollte mir nicht behagen, denn es schien mir, als wäre er gerne meiner los gewesen. Ich blieb daher wach und überlegte, was ich gesehen und gehört hatte. Ungefähr um zwei Uhr Morgens vernahm ich Ruderschläge, und das Boot stieß an die Barke. Ich blieb in meinem Verschlag, steckte aber den Kopf durch die Luke, um zu sehen, was vorging. Der Mond stand am Himmel, und es war beinahe so helle, wie am Tage. Fleming warf das Tau herauf, und als es Marables gefaßt hatte, gab er ihm einen blauen, anscheinend wohlgefüllten Sack, dessen Inhalt klingelte, als er auf das Verdeck gelegt wurde. Dann bot er ihm ein zweites Bündel hinauf, das mit einem gelbseidenen Taschentuch umwickelt war. Jetzt stieg Fleming auf das Verdeck, und Marables ging mit dem Tau in der Hand nach dem Hintertheil, um das Boot an den Stern zu befestigen. Dann trat er wieder zu Fleming, der neben dem blauen Sacke stehen geblieben war. Ich hörte Letzteren mit leiser Stimme fragen, ob ich im Bette seie, worauf Marables bejahend antwortete. Alsbald zog ich meinen Kopf zurück, um nicht entdeckt zu werden, und legte mich nieder. Lange wälzte ich mich unruhig umher; Gedanke um Gedanke, Vermuthung um Vermuthung, Argwohn um Argwohn, Zweifel um Zweifel zuckte durch mein Gehirn, bis ich endlich in Schlaf sank und zwar in einen so festen Schlaf, daß mich Fleming wecken mußte. Ich stand auf, und als ich das Verdeck betrat, sah ich. daß wir schon vor mehr als zwei Stunden Anker gelichtet und alle Brücken hinter uns hatten. »Du hast einen ordentlichen Schlaf, Jacob,« sagte Fleming mit anscheinend guter Laune; »gehe jetzt zu deinem Frühstück, es wartet schon seit einer halben Stunde auf dich.« Aus dem Benehmen Flemings zog ich den Schluß, daß ihm Marables unsere Unterhaltung mitgetheilt hatte, und wirklich erfuhr ich auch von dieser Zeit, während unserer ganzen Fahrt, eine freundliche und vertrauliche Behandlung von ihm. Aber das Verbot wegen der Kajüte ward nicht aufgehoben, und ich äußerte nicht mehr den Wunsch, sie zu betreten.


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