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Zehntes Kapitel.

Ich helfe meinen ehemaligen Lichtergefährten hängen für seinen Versuch, mich zu ertränken. – Ein Dienst ist des andern werth. – Die Sache wird in Newgate auf einmal abgemacht. – Ein Faden aus dem Netze der Rechtsgelehrsamkeit. – Mit den gehörigen Vorsichtsmaßregeln und Vorbereitungen macht der Domine seine erste Reise nach Gravesend.

Wenn ich mich recht entsinne, es war am 7. November, als Fleming und Marables in Old-Baley vor Gericht gestellt wurden. Bald nach zehn Uhr befand ich mich mit Herrn Drummond und dem Domine im Gerichtssaal. Sie waren die Ersten auf der Liste, und sobald der Richter seinen Sitz eingenommen hatte, wurden sie vorgerufen. Beide waren reinlich und gut gekleidet. An Fleming bemerkte ich nichts Besonderes; er war blaß, aber entschlossen; der Anblick Marables dagegen setzte mich in Erstaunen. Herr Drummond erkannte ihn Anfangs gar nicht; – von siebenzehn Stein war er wenigstens auf dreizehn heruntergekommen – seine Kleider hingen ihm schlaff am Leibe – seine rothen Wangen waren verschwunden – seine Nase war schneidend geworden, und sein volles rundes Gesicht hatte sich in ein Oval verzogen. Aber immer lag noch der gleiche Ausdruck natürlicher Gutmüthigkeit auf seinen Zügen und ein sanftes Lächeln spielte auf seinen Lippen. Seine Augen sahen sich scheu im Gerichtssaale um – er fühlte seine Schmach – das Blut stieg ihm bis über die Schläfe; dann wurde er plötzlich todesblaß und schlug die Augen zu Boden, als wünschte er nichts mehr zu sehen.

Nachdem die Anklage verlesen war, wurden die Gefangenen vom Gerichtsschreiber gefragt, ob sie sich schuldig oder nicht schuldig bekennten.

»Nicht schuldig,« antwortete Fleming mit keckem Tone.

»John Marables – schuldig oder nicht schuldig?«

»Schuldig,« erwiederte Marables – »schuldig, mein Lord,« und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen.

Gegen Fleming waren drei Anklagen erhoben: – Angriff auf eine Person mit der Absicht, sie zu ermorden, Besitz gestohlener Güter, und Einbruch in einem Wohnhause an dem und dem Tage; aber ich erfuhr, daß noch gegen zwanzig weitere Beschuldigungen vorlagen, wenn diese nicht hingereicht hätten. Marables war der Theilnahme am letzten dieser drei Verbrechen angeklagt, indem er die gestohlenen Güter in Empfang genommen. Der Kronanwalt, der die Verhandlung eröffnete, wies nach, daß Fleming, alias Barkett, alias Wenn, und noch manche andere alias, lange Zeit an der Spitze der berüchtigtsten Diebsbande gestanden habe, welche die Hauptstadt seit einer Reihe von Jahren beunruhigt; daß ihn die Gerechtigkeit lange verfolgt, ohne eine Spur von ihm auffinden zu können, und daß man endlich angenommen, er habe das Königreich verlassen, um der Strafe des Gesetzes zu entgehen, der er durch seine Verbrechen verfallen gewesen sei. »Es zeigte sich jedoch,« fuhr der Staatsankläger fort, »daß er einen Schritt gethan hatte, welcher nicht allein die Polizeibeamten blendete, sondern es auch zugleich der Diebesbande möglich machte, ihr verbrecherisches Gewerbe ungestrafter als je fortzuführen. Er verbarg sich nämlich in einem Lichter auf dem Flusse, und wußte sich den Anschein zu geben, als sei er gewissenhaft in Erfüllung seiner Pflicht und erwerbe sein Brod als redlicher Mann. Dadurch gelang es ihm, seinen Einfluß sogar noch zu vergrößern und die Zahl seiner Spießgesellen, wie seiner verwegenen Entwürfe, zu vermehren. Das Hauptmittel der Entdeckung von Einbrüchen besteht in der Bezeichnung der gestohlenen Sachen und die größte Schwierigkeit für die Missethäter im Verkaufe derselben, da die Abnehmer wohl wissen, daß die Diebe völlig in ihrer Gewalt sind, und also diese nehmen müssen, was sie ihnen bieten. Aus diesem Grunde nun flüchtete sich Fleming, wie bereits bemerkt, vor dem Auge der Gerechtigkeit an Bord eines Themseschiffes und machte es zur Niederlage seiner gestohlenen Güter. Waaren, welche von ihm und seinen Genossen an einem bestimmten Orte geraubt worden waren, wurden in dem Fahrzeuge den Fluß hinauf und hinunter geführt und in weiter Entfernung abgesetzt. Deßhalb kamen sie nicht mehr an's Tageslicht, und die Polizei war außer Stande, sie wieder zu erkennen oder ihre Spur zu verfolgen. Dieses System wurde über zwölf Monate lang mit großem Erfolge in Anwendung gebracht, und wäre aller Wahrscheinlichkeit nach auch jetzt noch nicht entdeckt worden, wenn nicht Streit über die Austheilung des Gewinns entstanden wäre. Dieß veranlaßte zwei von den Diebsgenossen, die Sache bei der Behörde anzuzeigen; und diese Beide erhielten auch das Zugeständniß, wenn es nöthig werden sollte, bei einem Einbruche, wobei Fleming eine Hauptrolle gespielt hatte, als Königszeugen auftreten zu dürfen. Allein es liegt eine weit ernstere Klage gegen den Gefangenen vor – der Versuch eines Mordes an einem zu dem Lichter gehörigen Jungen, Namens Jacob Ehrlich, der, wie es scheint, vermuthete, was vorging, und als ein treuer Diener seines Herrn nicht nur Alles genau beobachtete, sondern auch seine Entdeckungen von Zeit zu Zeit andern Personen mittheilte. Dieser Knabe ist der Hauptzeuge gegen Fleming, wie gegen Marables, seinen Mitgefangenen, von dem ich übrigens bemerke, daß sich während der Verhandlung Umstände herausstellen werden, die Seine Lordschaft ohne Zweifel zu seinen Gunsten stimmen. – Um jedoch die Herren Geschworenen nicht länger hinzuhalten, will ich sogleich die Zeugen vorrufen.«

Man forderte mich vor und stellte die frühere Frage in Betreff eines Eides an mich. Der Richter war mit meinen Antworten zufrieden, und als ich mein Zeugniß abgelegt hatte, bemerkte ich, wie es der Richter sorgfältig mit meiner ersten Aussage verglich, um sich zu überzeugen, ob es völlig damit übereinstimme. Hierauf begann Flemings Anwalt sein Kreuz- und Querverhör mit mir, konnte mich aber in keine Widersprüche verwickeln. Indessen ergriff ich jede Gelegenheit, von Marables Gutes zu sagen. Endlich erklärte der Anwalt, er habe mich nicht weiter zu fragen. Ich wurde entlassen, und der Polizeibeamte vorgerufen, der mich aus dem Wasser gezogen hatte. Hierauf hörte man die Beraubten über die Art und Weise, wie sie um ihr Eigenthum gekommen waren, und legte ihnen die gestohlenen Sachen vor, die sie denn alsbald erkannten. Der Beweis war zu klar, um noch irgend einem Zweifel Raum zu geben. Die Geschworenen sprachen über beide Gefangene ohne Weiteres das »Schuldig« aus, empfahlen aber Marables angelegentlichst der Gnade der Krone. Der Lord Oberrichter erhob sich, setzte seine schwarze Mütze auf und hielt nachstehende Anrede an die Gefangenen. Im ganzen Saal herrschte eine Stille, daß man eine Nadel hätte fallen hören.

»Ihr, William Fleming, seid auf die Anklage des Besitzes gestohlener Güter, wozu noch das schwere Verbrechen des Mordversuches kommt, von einem Schwurgerichte Eurer Landsleute gerichtet. Es hat ein förmliches und unparteiisches Gericht über Euch gehalten und Euch schuldig erfunden, und wäret Ihr auch von diesen Anklagen freigesprochen worden, so lägen noch andere gleich schwere Punkte gegen Euch vor, welche dieselbe Strafe für Euch nach sich gezogen haben würden. Euer Leben war ein Leben voll Schuld, indem Ihr nicht nur selbst Verbrechen beginget, sondern auch Andere dazu verlocktet und anleitetet; und diese schändliche Laufbahn beschloßet Ihr mit dem Versuche des Mordes an einem Eurer Mitmenschen. Euch irgend Hoffnung auf Gnade zu machen, ist unmöglich. Euer Leben ist den beleidigten Gesetzen Eures Vaterlandes verfallen, und Euer Urtheil lautet: von diesem Gerichtssaale aus nach dem Orte, von dem Ihr gekommen seid, und von dort nach dem Orte der Hinrichtung gebracht zu werden, wo Ihr am Halse aufgehängt werdet, bis Ihr todt seid. Möge Gott in seiner unendlichen Barmherzigkeit Eurer Seele gnädig sein!«

»Ihr, John Marables, habt Euch der gegen Euch vorgebrachten Klagen schuldig bekannt; und es zeigte sich während der Verhandlung, daß Ihr, obgleich Theilnehmer an diesen Verbrechen, doch nicht in Eurer Schuld verhärtet seid.« (»Nein, nein!« rief Marables.) »Ich glaube es von Herzen, daß Ihr es nicht seid, und bedaure sehr, daß sich ein Mann, der nach den vorliegenden Zeugnissen vor dieser unseligen Verbindung redlich gelebt zu haben scheint, jetzt in einer so schmählichen Lage befindet. Indessen fordert die Stimme der Gerechtigkeit strenge Bestrafung, und Ihr seid nach dem Spruch des Gesetzes verurtheilt; aber ich hege das Vertrauen, eine Anrufung der Gnade Eures Souveräns werde nicht ohne Erfolg sein.«

Der Lord Oberrichter verlas Marables' Urtheil; die Gefangenen wurden abgeführt, und neue Verhandlungen nahmen ihren Anfang, während ich mit Herrn Drummond und dem Domine nach Hause zurückkehrte. Eine Woche darauf erlitt Fleming die Strafe des Gesetzes, und Marables wurde zu lebenslänglicher Deportation verurtheilt, welche jedoch noch vor dem Abgange des Schiffes auf sieben Jahre herabgesetzt wurde.

Nach einigen Tagen kehrte der Lichter zurück. Es war an einem schönen sonnigen Morgen, und ich lag noch im Bette, als mich eine wohlbekannte Stimme aus meinem Halbschlummer weckte, und mir seine Ankunft verkündigte.

»Strahlend ist der Morgenröthe Licht,
Süß der Thau, den junge Rosen nippen,
Strahlender der Blick, der Liebe spricht' –

»Tom, du Affe, binde das Tau fest und wirf die Schutzbretter über. Sei flink, oder der Alte brummt über seine rothe Schminke.

›Süßen Thau von der Erwählten Lippen‹.«

Ich sprang von meinem Lager auf, öffnete das Fenster, das von Krystallblumen schimmerte, und erblickte den Lichter, der eben an der Werfte angelegt wurde. Die Sonne funkelte, des alten Toms Gesicht war so heiter als der Morgen, und der junge Tom lachte, sprang und hauchte in die Hände. Bald war ich angekleidet und drückte meinen Schiffsgenossen die Hände.

»Nun, Jacob, wie gefällt dir Old-Bailey? War in meinem Leben nur Einmal dort, und will nie wieder hingehen, wenn ich nicht muß; es war damals, als Sam Schüßler auf Tod und Leben angeklagt war, aber mein Zeugniß rettete ihn. Ich will dir erzählen, wie das zuging. Tom, sieh' nach dem Frühstück. Ein Schüsselchen Thee ist der kalte Morgen schon werth; geh, spute dich.«

»Aber ich habe die Geschichte von Sam Schüßler noch nie gehört,« versetzte Tom.

»Was kümmert sie dich?« Ich erzähle sie dem Jacob.«

»Aber ich will sie auch hören – so fanget an, Vater. Ich will Euch vom Stapel helfen. Also, sehet, Sam Schüßler –«

»Meister Tom, wer zu früh in die Schüssel langt, dem klopft man auf die Finger. Nimm dich in Acht, daß ich dich nicht durchklopfe. Fort, Schlingel, und bereite das Frühstück.«

»Ich will aber nicht; wenn ich Euern Schüßler nicht bekomme, so sollt Ihr auch kein Schüsselchen Thee bekommen. Ich habe es mir einmal in den Kopf gesetzt.«

»Ich will dir was sagen, Tom; du wirst keine Ruhe haben, bis ich dir beide Beine abschlage. Es geht mir stark im Kopfe herum, als sollte ich dem Wagner etwas zu verdienen geben.«

»Danke, Vater, ich finde meine Beine sehr nützlich.«

»Nun,« fiel ich ein, »wie wäre es, wenn wir die Geschichte bis zum Frühstück verschöben, ich will Tom an die Hand gehen, daß es schneller fertig wird.«

»Es sei so, Jacob. Tom hat so seine eigene Weise, ich habe ihn verzogen. Ich machte ihn selbst so vernarrt in meine Fäden, also war ich ein Thor, es ihm zu verargen.

»› Der Mensch ist ein Fahrzeug, das Leben der Fluß,
Auf dem er sich schwimmend erhalten muß,
Und Freude ist eine so leichte Fracht,
Daß Kummer ein Narr nur an Bord gebracht
«.

»Nun will ich an's Land gehen zum Herrn und fragen, was es zunächst zu thun gibt. Reiche mir meinen Stock, damit ich sicherer über die Planken steigen kann. Du weißt, ein sicherer Stuhl muß drei Beine haben.«

Der alte Tom humpelte an's Land. Nach Verfluß einer Viertelstunde kehrte er zurück und brachte ein halb Dutzend geräucherte Häringe mit. »Hier, Tom, brate diese Rothröcke. Jacob, wer ist der lange alte Kerl mit seinem teufelsmäßigen Schiffsschnabel, den ich so eben bei dem Herrn getroffen habe? Unsere Fahrt geht für dießmal nach Scheerneß und ich solle ihn bei Greenwich an's Land setzen.

Wer? – der Domine?« erwiederte ich, nach des Alten Beschreibung.

»Sein Name fängt mit einem D an, aber so heißt er nicht.«

»Dobbs?«

»Ja; das ist näher hingerathen; er will als Passagier mit uns hinunterfahren und einen kranken Freund besuchen. Nun, mein Herzblatt, bring' deine Schüsseln und Töpfe, mein Magen bedarf einer kleinen Ausfütterung.«

Wir setzten uns zum Frühstück, und sobald der alte Tom seinen Hunger gestillt hatte, erinnerte ihn sein Sohn an die Geschichte von Sam Schüßler.

»Gut, ihr sollt sie haben. Sam Schüßler war mein Schiffsgefährte an Bord eines Grönländers, einer unserer besten Harpuniere und ein so guter, stiller, redlicher Schlafgenosse, als je einer in einer Hängematte schaukelte. Er war mit einem so hübschen Stück Fleisch versplißt, als du je eines gesehen hast, aber sie war nicht ganz so brav, als hübsch. Wir schickten uns zur Abfahrt an, und sein Weib hatte einige Wochen mit ihm an Bord gelebt; denn Sam war teufelmäßig auf sie aus, und konnte es nicht dulden, wenn sie ihm aus dem Gesichte kam. Da wir in wenigen Tagen unter Segel gehen wollten, machten wir unsere Mannschaft vollzählig, und jeden Tag kamen neue Leute an Bord.

»Eines Morgens kam auch ein hübscher großer Bursche, mit einem Zopfe, so dick, wie ein Ankertau, und bot seine Dienste an. Er ward vom Schiffer angenommen und ging wieder an's Land, um sein Gepäcke zu holen. Während er noch auf dem Verdecke war, ging ich hinunter, und als ich Sam sah, der sein Weibchen auf den Knieen schaukelte, während sie mit seinen Schmachtlocken spielte – sagte ich zu ihm, es wäre ein schöner Kerl von stattlichem Aussehen droben, den wir zum Schiffskameraden bekommen würden. Sam's Weib, das wie alle Weiber etwas neugierig war, steckte ihren Kopf durch die Hauptluke und schielte nach dem Burschen. Dann zog sie ihn schnell wieder zurück und entschuldigte sich, sie müsse geschwind auf's Vorderdeck. Sie blieb einige Zeit aus, und als sie zurückkam, sagte sie zu Sam, sie wolle an's Land gehen. Da sie nun mit einander übereingekommen waren, daß sie an Bord bleiben sollte, bis wir den Strom hinter uns hätten, so konnte sich Sam diese Erklärung nicht zurechtlegen; aber das Weib bestand darauf, und ging fort zum großen Verdruß des betroffenen Sam's. Am Abende begab sich Sam an's Land und machte sie ausfindig, und was glaubt ihr, was die kleine Jesabel zu ihm sagte? – Nun, daß einer von den Matrosen unverschämt gewesen sei, als sie nach dem Vorderdeck gegangen, und daß sie deßwegen nicht habe länger an Bord bleiben mögen. Sam wurde teufelmäßig wild und verlangte, sie solle den Matrosen nennen; aber sie streichelte ihn und wollte es ihm nicht sagen, weil sie fürchtete, es möchte Händel setzen, die ihm übel bekommen könnten. Endlich beschwichtigte sie ihn mit ihrem Hätscheln, und er ging ruhig an Bord. Gut. Wir blieben noch drei Tage und fuhren dann den Fluß hinunter nach Greenwich, wo wir den Kapitän an Bord nehmen und absegeln sollten, sobald ein günstiger Wind aufspränge. Der schöne, große Bursche war bei uns, als wir den Strom hinunterfuhren, und wie Sam auf seiner Kiste saß und seine Suppenschüssel vor sich hatte, zieht der andere einen Tabaksbeutel von Seehundsfell heraus – es war ein rares Stück von einem Beutel, von dem weißgefleckten Bauchstücke eines Seehundes.

»›Kamerad‹, schreit Sam, ›ich sage dir, gib mir meinen Tabaksbeutel. Wo hast du ihn aufgegabelt‹?

»›Deinen Tabaksbeutel?‹ sagt der Andere zu ihm: ›ich habe den Seehund erschlagen, und meine Liebste hat mir den Beutel gemacht‹.

»›Ob das nicht frech ist! Du könntest einem lebendigen Menschen schwören, daß er todt sei, Kamerad. Tom‹, sagt er zu mir, ›ist das nicht mein Tabaksbeutel, den mir mein Weib gab, als ich von der letzten Fahrt heimkam‹?

»Ich betrachtete ihn, erkannte ihn wieder, und sagte: ›Ja er ist's‹. Der große Kerl läugnete es, und da gab es eine teufelmäßige Schimpferei. Sam schalt ihn einen Dieb, und er warf den Sam durch die große Lücke hinab unter die Frachtfässer. Nach diesem machten sie's regelmäßig mit einander aus, und Sam wurde lederweich geklopft, so daß er nachgeben mußte. Als der Kampf vorüber war, nahm ich Sam's Hemde, um es ihm wieder anzuziehen.

»›Das ist mein Hemde‹, schrie der lange Geselle.

»›Es ist Sam's Hemde‹, entgegnete ich; ›ich kenne es.‹

»›Ich sage dir, es ist mein‹, versetzte der Mann. Mein Schatz gab es mir diesen Morgen zum Anziehen, als ich aufstand. Das andere ist sein Hemde‹.

Wir besahen das andere, und beide gehörten dem Sam. Als Sam dieß hörte, rechnete er, zwei Mal zwei ist vier, und wurde eifersüchtig und unleidlich. Es kam ihm seltsam vor, daß sein Weib so darauf drang, das Schiff zu verlassen, als dieser lange Bursche an Bord kam; und über dem Tabaksbeutel und dem Hemde stand ihm der Verstand gar stille. Sein Weib hatte ihm versprochen, nach Greenwich hinunterzukommen, um ihn abfahren zu sehen. Als wir Anker warfen, gingen Einige von der Mannschaft an's Land – und unter andern auch der lange Geselle. Sam, dessen Kopf aufgeschwollen war, wie ein Kürbis, sagte zu einem seiner Kameraden, er möchte seinem Weibe hinterbringen, daß er nicht an's Land kommen könne: sie solle zu ihm kommen. Gut. Es war ungefähr neun Uhr, eine dunkle Nacht, aber die Sterne schimmerten – da sagte Sam zu mir: ›Tom, wir wollen an's Land gehen; man wird meine blaugeschlagenen Augen in der Finsterniß nicht sehen‹. Als wir das Boot aussetzten, sagte der zweite Mate zu Sam, er möchte seine eiserne Harpune für ihn an's Land nehmen, man solle das Loch für den Stiel größer machen. Wir gingen, und das Erste, was Sam aufsuchte, war natürlich das Haus, wo er wußte, daß sein Weib sein würde. Er ging die Treppe hinauf nach ihrer Stube, und ich folgte ihm. Die Thür war nicht verschlossen, und wir gingen hinein. Da lag der kleine Satan von einem Weib und schlief in den Armen des langen Gesellen. Sam konnte seine Wuth nicht bezwingen. Er stieß die eiserne Harpune, die er in der Hand hatte, dem langen Gesellen durch den Leib, ehe ich es verhindern konnte. Es war ein schrecklicher Anblick. Der Mann ächzte, und sein Kopf sank über das Bett herab. Das Weib kreischte und machte den Sam noch wüthender, indem sie sich auf des Mannes Leiche warf und sie mit Thränen wusch. Sam wollte das Eisen herausziehen und es ihr durch den Leib stechen, aber es war unmöglich. Der Lärm brachte die Leute im Hause in Aufruhr, und bald war der Mord entdeckt. Die Konstabeln kamen, Sam wurde ins Gefängniß geschleppt, und ich ging an Bord und erzählte die ganze Geschichte. Gut. Wir wollten eben lichten, denn wir hatten für Sam, der auf Tod und Leben angeklagt war, und den armen Burschen, den er getödtet hatte, bereits zwei andere Matrosen gefunden; da kam ein Kerl vom Gericht mit einer Vorladung oder Supphene ( subpoena), wie er es nannte, und preßte mich in seinen Dienst, worüber ich meine Fahrt verlor. Ich ward an's Land gesetzt und erhielt freie Kost und Wohnung, bis die Verhandlung vorgenommen wurde. Der arme Sam stand wegen Mordes vor den Schranken. Der Herr mit dem schwarzen Mäntelchen und der Amtsperrücke begann seinen Faden zu spinnen und behauptete, der Geselle selig, der sich Will Errol geschrieben habe, sei bei seinem eigenen Weibe gelegen, als ihn Sam harpunirt habe.

»›Das ist erlogen‹, schrie Sam. ›Er lag bei meinem Weib‹.

»›Mylord‹, sagte der Ankläger, ›das ist nicht der Fall; es war sein eigenes Weib, und hier sind die Trauungsscheine‹.

»›Falsche Papiere‹, brüllte Sam. ›Hier sind die meinigen‹.

Und er zog sie aus einer zinnernen Büchse hervor und reichte sie den Richtern hin.

»Der Oberrichter meinte, das sei nicht der Weg, um eine Untersuchung zu führen, und Sam müsse sein Maul halten. So ging denn die Verhandlung fort, und anfangs hatte Jeder seinen eigenen Weg. Dann kam die Reihe an uns. Ich wurde aufgerufen, anzugeben, wie's gegangen sei, und da sagte ich dann, wie der Mann bei Sam's Weib gelegen sei, ferner wie dieser die eiserne Harpune in der Hand gehabt und sie ihm durch den Leib gerannt habe. Dann verglichen sie die Scheine, und da ergab sich's, daß die kleine Jesabel beide geheirathet hatte; aber den Sam hatte sie zuerst geheirathet, also hatte er das erste Recht an sie. Als sie sich aber später in den andern verliebte, dachte sie, es ließe sich auch machen, wenn sie zwei Sehnen an ihrem Bogen hätte. So erklärte denn der Oberrichter, sie wäre Sam's Weib, und man könne es einem Manne auch ohne eine Harpune in der Hand nicht verargen, wenn er einen umbringe, den er mit seinem Weibe im Bette anträfe. So wurde denn Sam freigesprochen; aber sein Weib ließen sie nicht ungerupft, da sie den Mord durch ihre schlechte Aufführung veranlaßt hatte. Sie verurtheilten sie wegen Biggerie (Bigamie), wie sie es nennen, und schickten sie auf Lebenszeit über's Wasser. Sam richtete von nun an seinen Kopf nicht mehr in die Höhe. Der Mord, den er an einem Unschuldigen begangen hatte, und das Benehmen seines Weibes drückten ihn zu Boden. Er ging auf den Fischfang, und ein Wallfisch schlug das Boot mit seinem Schwanz entzwei; Sam wurde betäubt und sank unter, wie ein Mühlstein. So, jetzt wisset ihr, was diese kleine Jesabel für ein Unheil anrichtete, weil sie zwei Männer haben mußte. Möge sie dafür in der Hölle braten.«

»Nun, das ist ein hübscher Faden, Vater,« sagte Tom, als die Erzählung zu Ende war, »hatte ich jetzt nicht Recht, wenn ich ihn hören wollte?«

»Nein,« versetzte der alte Tom, seine breite Hand ausstreckend und seinen Sohn beim Kragen fassend; »und jetzt erinnerst du mich eben daran, ich will dir alte Schulden bezahlen.«

»Der Herr beschütze Euch, Vater, Ihr seid mir nicht das Geringste schuldig,« sagte Tom.

»Ja, doch, und ich will dir jetzt eine volle Quittung ausstellen.«

»Ach Gott! sie ertrinken,« rief Tom, mit allen Zeichen des Entsetzens seine Hände ringend.

Der alte Tom ließ ihn plötzlich los und blickte nach der angedeuteten Richtung. Tom entwischte und brach in ein Gelächter aus. Ich lachte ebenfalls, und zuletzt stimmte auch der Vater mit ein.

Ich ging an's Ufer und fand, daß es mit Tom's Meldung seine Richtigkeit hatte – der Domine saß bei Herrn Drummond am Frühstück. Der neue Unterlehrer hatte die Aufsicht über die Knaben, und die Vorsteher hatten dem Schulmeister vierzehn Tage Ferien gestattet, weil er einen alten Freund in Greenwich besuchen wollte. Aus Sparsamkeit sowohl, als aus Neugierde hatte sich der alte Mann die Erlaubniß erbeten, die Reise auf dem Lichter zu machen. »Noch nie,« bemerkte er gegen mich, »noch nie, Jacob, habe ich meinen Fuß auf das Ding gesetzt, das auf dem nassen Element schwimmt; auch jetzt würde ich es nicht thun, wenn es mir nicht um das Geld wäre, das, wie du wohl weißt, nicht in Fülle bei mir anzutreffen ist. Ich bin darauf gefaßt, daß manche Gefahren auf mich warten werden; ich habe in den Büchern davon gelesen, und wohl durfte Horaz bei dem Gedanken an den Mann, der sich zuerst auf dieses Element wagte, in die Worte ausbrechen Illi et robur aes triplex. Doch versicherte mich Herr Drummond, der Lichter sei stark genug, um der Gewalt der Winde und Wellen zu widerstehen; und so will ich es denn im Vertrauen auf die Vorsehung wagen, Jacob, te duce

»Nicht doch, Sir,« erwiederte ich über die Vorstellung lachend, die sich der Domine von den Gefahren der Stromschifffahrt gemacht zu haben schien, »der alte Tom ist Dux

»Alter Tom?« » Old Tom« heißt eine Branntweinsorte. wo habe ich doch diesen Namen gesehen? Ja, jetzt erinnere ich mich; er stand mit großen Buchstaben auf einem Fäßchen im Kellerstübchen des Wirthshauses zu Brentford; aber was er bedeuten sollte, fragte ich nicht. Welche Verwandtschaft mag hier stattfinden?«

»Keine Verwandtschaft,« erwiederte ich, »aber eine sehr vertraute Freundschaft. In einer halben Stunde haben wir Ebbe, Sir; sind Sie bereit, an Bord zu gehen?«

»O gewiß; ich habe alle Vorbereitungen getroffen. Ich habe meine Kleider in meinem Bündel, und meinen Regenschirm und meinen Oberrock, sowie meinen Spenzer, zum gewöhnlichen Tragen. Aber wo ich schlafen soll, hat man mir noch nicht gesagt. Vielleicht schläft man gar nicht – › tanto in periculo‹?«

»Doch, Sir, wir schlafen; Sie sollen mein Bett haben, und ich will mit dem jungen Tom theilen.«

»Hast du denn eben sowohl einen jungen, als einen alten Tom an Bord?«

»Ja, Sir, und einen Hund, der Tommy heißt.«

»Gut, so wollen wir uns einschiffen, und du sollst mich mit diesem Thomaskleeblatt bekannt machen. Inde Tomos dictus locus est‹. (Gluck, Gluck.) Ovid, ich danke dir.«


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