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Fünftes Kapitel.

Wie ich an meinen Feinden gerächt werde. – Wir versuchen die Takte der Musik finden aber, daß wir ganz aus dem Takte sind. – Weil es nicht geht, gehen wir.

Ich reichte Tom die Hand. Er bemerkte meinen Verdruß, begleitete mich mit seiner gewohnten Teilnahme zum Kahn hinab und erbot sich, mit mir nach Fulham zu rudern und auf dem Lande zurückzukehren. Ich lehnte das Anerbieten ab, weil ich allein zu sein wünschte. Es war eine schöne mondhelle Nacht und die breiten Lichtstreifen neben den Schatten wie auch die ringsum herrschende Stille, entsprachen meinen Gefühlen vollkommen. Ich setzte meinen Weg auf dem Strome fort und erneuerte die Vorfälle des Tages in meinem Geiste – die Versöhnung mit Jemandem, den ich in meinem Leben nie mehr zu sprechen beabsichtigte; den kleinen Zwist mit Personen, mit denen ich mich nie entzweien zu können glaubte, und zwar zu einer Zeit, wo ich mir Mühe gab, ihnen einen Dienst zu erweisen: dann dachte ich an Sarah, als an eine Oase wirklicher Glückseligkeit in dieser einsamen Wüste, und verweilte bei diesem Gedanken um so länger, je erfreulicher und beruhigender er für mein immer noch aufgeregtes Gemüth war. Ich hatte bereits die Putneybrücke hinter mir und vergaß, daß ich nahe an meinem Landungsplatze war. In meine Träumereien versunken, ruderte ich noch höher hinauf, aber plötzlich wurde meine Gedankenreihe durch den Lärm lachender und redender Männer unterbrochen, die offenbar im Zustande der Trunkenheit waren. Sie fuhren in einem vierruderigen Kahne den Strom herunter, und kamen von einer sogenannten Lustpartie, die gewöhnlich mit Trunkenheit endet. Ich lauschte.

»Ich sage euch, ich kann am Ruder spinnen, wie nur irgend Jemand im Dienste des Königs,« sagte der Mann am Bug. »Seht einmal.«

Er zog sein Ruder aus dem Ringe, spann es in der Luft, verfehlte es aber unglücklicher Weise beim Hinabfallen. Es schlug durch den Boden und durchstieß zwei Planken des baufälligen Fahrzeuges, welches sich augenblicklich mit Wasser füllte.

»Hollah! Fährmann,« rief ein Anderer, der mich bemerkte, »schnell oder wir versinken!«

Ehe ich jedoch das Boot erreichen konnte, war das Wasser schon fast über die Duften gestiegen, und in dem Augenblicke, als ich eben anlegte, füllte es sich völlig und schlug um.

»Hilf, Fährmann, hilf mir zuerst, ich bin der Oberbuchhalter,« rief eine wohlbekannte Stimme. Ich streckte ihm mein Ruder entgegen, als er mit dem Wasser rang, und bald hatte er sich an dem Nachen festgeklammert. Hierauf suchte ich den Mann zu fassen, der das Unglück durch seine Ruderversuche herbeigeführt hatte; er sagte aber schnell: »Nein, nein, es sind ihrer zu viele, der Kahn würde sinken, ich will an's Land schwimmen.« – Und seinen Worten Kraft gebend, schwamm er mit vollkommener Geistesgegenwart dem Ufer zu und zeigte, trotz seiner Kleider, eine große Leichtigkeit und Gewandtheit.

Ich zog noch zwei weitere Personen herbei und glaubte alle gerettet, als ich, mich umwendend und nach der Brücke zurückblickend, in den hellen Strahlen des Mondes und »so rund als dessen Scheibe« das wohlbekannte Gesicht des dummen jungen Commis erglänzen sah, der sich so feindselig gegen mich bewiesen hatte und jetzt allen Kräften aufbot, um sich über dem Wasser zu halten. Ich trieb auf ihn zu und streckte mein Ruder über den Bug aus. Er war gesunken, schwang sich aber in diesem Augenblicke wieder in die Höhe und hatte sich mit den Uebrigen bald an den Rand des Kahnes angeklammert.

»Nimm mich in den Nachen – Nimm mich in den Nachen, Fährmann!« rief der Oberbuchhalter, dessen Stimme ich erkannt hatte.

»Nein das Boot würde sinken.«

»Aber ziehe wenigstens mich hinein, wenn du auch die andern draußen lassest; ich bin der Oberbuchhalter.«

»Kann unmöglich,« versetzte ich, »Sie müssen sich am Rande halten, während ich Sie an's Ufer rudere; wir werden bald dort sein.«

Ich muß gestehen, daß ich einiges Vergnügen daran empfand, sie so im Wasser hängen zu lassen. Obgleich ihr Mangel an Geistesgegenwart und die dringende Eile des Selbsterhaltungstriebes einige Gefahr herbeiführen konnte, so würde ich sie doch alle in den Kahn aufgenommen haben; aber ich ließ sie absichtlich hängen und ruderte dem Landungsplatze zu, den wir bald erreichten. Der Mann, der vorausgeschwommen war, wartete bereits am Gestade.

»Habt Ihr alle gerettet, Fährmann?« fragte er.

»Ja, Sir, ich glaube so; ich habe vier.«

»Das Kerbholz ist richtig,« erwiederte er, »und vier größere Galgenstricke wurden noch nie aufgefangen; aber lassen wir das. Mein Unsinn war schuld, daß sie beinahe ertrunken wären, und darum bin ich froh, daß es so gut gegangen ist. Meine Jacke ist im Boot untergegangen, und ich muß Euch ein anderes Mal belohnen.«

»Danke Ihnen, Sir, 's ist gar nicht nöthig; es war keine geordnete Fahrt.«

»Nichtsdestoweniger sagt uns Euren Namen.«

»Oh, Sie können Herrn Hodgson, den Oberbuchhalter, fragen, oder dieses Vollmondgesicht hier, – die kennen ihn.«

»Was meint Ihr damit, Fährmann?« fragte Herr Hodgson, vor Kälte zitternd.«

»Unverschämter Bursche,« murmelte das Vollmondgesicht.

»Wenn sie auch Euern Namen wissen, so wollen sie ihn doch nicht sagen,« versetzte der Andere. »Ich will zuerst den meinigen nennen – Lieutenant Wilson von der Flotte; und nun laßt mich den Eurigen hören, damit ich nach Euch fragen kann; und sagt mir, an welchem Stege Ihr Euer Boot habt.«

»Mein Name ist Jacob Ehrlich, Sir,« erwiederte ich; »und Sie können meine Freunde fragen, wenn ihre Zähne nicht mehr so heftig klappern, ob er ihnen bekannt ist oder nicht.«

Bei Erwähnung meines Namens entfernten sich die beiden Commis, und der Lieutenant schickte sich mit den Worten, ich werde von Ihm hören, ebenfalls an, mich zu verlassen.

»Wenn Sie mir Geld geben wollen, Sir,« sagte ich, »so erkläre ich Ihnen unumwunden, daß ich es nicht annehme. Ich hasse diese beiden Menschen wegen Beleidigungen, die sie auf mich gehäuft haben; aber ich weiß nicht, wie es kommt, ich fühle eine Art von Vergnügen, sie gerettet zu haben, so daß ich mir keine bessere Rache wünsche. Leben Sie wohl, Sir.«

»Gesprochen wie ein Mann, Bursche – das ist eine edle Rache. Gut, also, ich werde nicht kommen; aber wenn wir uns jemals wieder treffen, so soll dieser Abend und Jacob Ehrlich nicht vergessen sein.«

Er reichte mir seine Hand, drückte die meinige warm und entfernte sich.

Nachdem sie mich verlassen hatten, blieb ich, betäubt von den Vorfällen des Tages, noch eine Zeitlang stehen. Die Versöhnung – der Zwist – die Rache! Ich war noch in Gedanken vertieft, als ich den Hufschlag eines Pferdes hörte. Dies rief mich in die Wirklichkeit zurück, und ich schob mein Boot auf den Strand, um nach Stapleton's Hause zurückzukehren, konnte mich aber dabei eines gewissen Verdrusses nicht erwehren. Ich fühlte eine Art von Abneigung gegen Marie Stapleton, wofür ich mir keine Rechenschaft abzulegen vermochte; allein der Grund lag in meinem Zusammentreffen mit Sarah Drummond. Das Pferd hielt an der Brücke; der Reiter gab es seinem Diener, der auf einem andern saß, zu halten, und kam zu mir herab an mein Boot. »Bursche, ist es zu spät für dich, um dein Boot noch einmal in's Wasser zu lassen? Ich will dich gut bezahlen.«

»Wo wünschen Sie hin zu fahren, Sir? Es ist bereits zehn Uhr vorüber.«

»Ich weiß es, und ich hoffte kaum noch einen Schiffer hier zu finden; aber ich machte einmal den Versuch. Willst du mich ein paar Meilen weit den Strom hinaufrudern.«

Ich betrachtete den Mann, der mich anredete, und freute mich den Gentleman in ihm zu erkennen, der Herrn Turnbull und mich gemiethet hatte, um ihn nach dem Garten zu rudern, wo er nach dem Versuch mit der zinnernen Büchse festgenommen worden war; ich gab mich jedoch nicht zu erkennen.

»Gut, Sir, wenn Sie es wünschen, so habe ich nichts dagegen,« versetzte ich, die Schulter gegen den Bug meines Kahnes stemmend und ihn wieder in den Fluß schiebend. Aus alle Fälle ist dieß ein Tag voll Abenteuer, dachte ich, als ich mein Ruder einsetzte und den Strom hinauf fuhr. Ich besann mich einige Augenblicke, ob ich mich dem jungen Manne nicht zu erkennen geben sollte, beschloß aber endlich, es lieber nicht zu thun. Ich will einmal sehen, dachte ich, was er für eine Person ist, und ob er die gute Meinung verdient, welche die junge Dame von ihm zu haben scheint.

»Welche Seite, Sir?« fragte ich.

»Die Linke,« war die Antwort.

Ich wußte das zum Voraus und ruderte schweigend gegen die Gartenmauer hin, die sich an das Stromufer herabzog. »Jetzt rudert an diese Mauer hinan und macht kein Geräusch,« war der Befehl, dem ich gehorchte, indem ich gerathe an die Stelle hintrieb, wo die hervorragenden Backsteine abgelöst waren. Er stellte sich aufrecht in den Nachen, pfiff die beiden Takte, wie früher, wiederholte sie, wartete fünf Minuten und beobachtete die Fenster des Hauses. Es erfolgte jedoch keine Antwort, und ebenso wenig zeigte sich auch uns die mindeste Spur, daß noch irgend Jemand auf sei oder sich nähere.

»Es ist zu spät,« sagte er; »sie ist zu Bett gegangen.«

»Ich dachte mir's, daß eine Dame im Spiele sei;« bemerkte ich. »Wenn Sie ihr Mittheilungen zu machen wünschen, so glaube ich, sie befördern zu können.«

»Könntest du?« versetzte er. »Warte einen Augenblick, ich will nachher mit dir sprechen.«

Er wiederholte die Tonweise noch einmal; nachdem er wieder zehn Minuten lang gewartet hatte, setzte er sich auf die Spiegelbank und hieß mich zurückrudern. Nach einem minutenlangen Schweigen sagte er zu mir:

»Du glaubst ihr Mittheilungen machen zu können, sagst du? Wie willst du das angreifen?«

»Wenn Sie einen Brief schreiben wollen, Sir, so will ich den Versuch machen, ihn in ihre Hände gelangen zu lassen.«

»Wie?«

»Das mögen Sie mir überlassen, Sir – ich will schon Mittel und Wege finden; aber Sie müssen mir die Dame beschreiben, damit ich den Brief nicht einer falschen Person übergebe – und müssen mir überdieß sagen, wer im Hause wohnt, vor dem ich mich nicht sehen lassen darf.

»Sehr wahr,« versetzte er. »Ich kann nur so viel sagen, wenn es dir gelingt, so will ich dich reichlich belohnen; aber sie wird so streng bewacht, daß ich fürchte, es ist unmöglich. Indessen, ein Verzweifelnder halt sich an einem Strohhalm, wie ein Ertrinkender, und darum will ich sehen, ob du im Stande bist, mir nützlich zu sein.«

Er belehrte mich sodann, daß Niemand im Hause sei, als ihr Oheim und seine Diener, die sie sämmtlich als Kundschafter umgaben; daß ich gar nichts thun könne, als warten, ob sie vielleicht in den Garten komme, was der Fall sein könne, und daß ich vielleicht eine Gelegenheit erspähe, wenn ich mich von Morgens acht Uhr bis Abends unter der Brustwehr der Mauer verberge. Nach diesen Mittheilungen bestellte er mich auf den nächsten Morgen um sieben Uhr an den Fuß der Brücke, wo er mir einen Brief übergeben wolle, den ich dann zu befördern suchen möge. Wir waren jetzt zu Fullham angekommen. Er stieg aus, drückte mir eine Guinee in die Hand, setzte sich auf sein Pferd, das sein Diener einstweilen auf- und abgeführt hatte, und ritt davon. Ich schob mein Boot auf den Strand und ging, ermüdet von den Ereignissen des Tages, nach Hause. Marie Stapleton, welche aufgeblieben war, um mich zu erwarten, hätte gar zu gern gewußt, warum ich so spät komme, aber ich wich ihren Fragen aus, und sie verließ mich in der verdrießlichsten Laune, was mir jedoch höchst gleichgültig war.

Am andern Morgen erschien der Diener mit dem Brief und sagte, er habe Befehl, bis auf den Abend zu warten. Ich ruderte den Strom hinauf, legte ihn, wie ich mit der Dame verabredet hatte, unter den lockern Backstein und fuhr auf die andere Seite des Flusses, wo ich den ganzen Garten übersah und Alles beobachten konnte, was vorging. In einer halben Stunde kam die junge Dame in Begleitung eines andern Frauenzimmers aus dem Hause und ging langsam im Sandwege auf und nieder. Nach einiger Zeit blieb sie stehen und sah auf den Strom, während ihre Begleiterin den Spaziergang fortsetzte. Als hätte sie wenig Hoffnung, etwas zu finden, rückte sie den Backstein mit dem Fuße auf die Seite; sobald sie aber den Brief bemerkte, ergriff sie ihn schnell und verbarg ihn in ihrem Gewande, während sie ihre Blicke auf den Strom warf. Es war windstill, und ich pfiff den Musiktakt. Sie hörte ihn, wandte sich ab und eilte in's Haus. Nach Verfluß von einer halben Stunde kehrte sie wieder zurück, ersah sich die Gelegenheit und schob etwas unter den Backstein. Ich wartete noch ein paar Minuten, bis sie mit ihrer Begleiterin in's Haus zurückging. Dann ruderte ich unter die Mauer, hob den Backstein auf, fand einen Brief und eilte damit nach Fulham, wo ich ihn dem Diener einhändigte, der so schnell als möglich wegritt. Zufrieden mit dem günstigen Erfolge meines Versuches und voll Begierde, die näheren Umstände dieser außerordentlichen Angelegenheit zu entdecken, kehrte ich nach Hause zurück.


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