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Drittes Kapitel.

Der Riß erweitert sich. – Ich werde Jäger, Wilddieb und Desperado. Einige treffliche Gedanken über meine Gesetzgebung in Bezug auf gemeine Rechte. – Der Gemeinhüter ungemein wild. – Ich warne ihn, mir nicht zu nahe zu treten. – Er weissagt, daß wir Beide an den Galgen kommen. – Einige sind Propheten in ihrem eigenen Lande. – Der Mann hat am Ende Recht.

»Holla! im Lichter da – holla, Lichterjunge!« waren die Worte, die ich vernahm, als ich in tiefen Gedanken auf dem Verdeck auf- und abschritt. Tom und sein Vater waren in der Kajüte; also unterlag es keinem Zweifel, daß sie mir galten. Ich sah mich um, und erblickte das grinsende, stupide, höhnische Gesicht des jungen Commis Gubbins. »Warum antwortet Ihr nicht, wenn man Euch ruft, he da?« fuhr der Hohlkopf fort. »Man fragt nach Euch, kommt augenblicklich herauf.«

»Wer fragt nach mir?« erwiederte ich, vor Zorn erröthend.

»Was kümmert Euch das? Wollt Ihr meinem Befehle gehorchen, oder nicht?«

»Nein, das will ich nicht,« entgegnete ich. »Ich stehe Gottlob nicht unter den Befehlen eines solchen Tölpels, und wenn Ihr mir zu nahe kommt, so will ich suchen, ob ich Euch nicht den Kopf einschlagen kann, und wenn er noch so dick ist, Euch und Eurem Herrn.«

Der Tölpel entfernte sich, und ich setzte meinen Spaziergang fort.

Wie ich nachher erfuhr, kam die Botschaft von Frau Drummond, welche mich zu sprechen verlangte, da ihr Sarah die wahren Umstände mitgetheilt hatte. Kaum hatte sie sich überzeugt, daß meine Angabe richtig war, so sprach sie mit ihrem Gatten, erinnerte ihn daran, wie musterhaft mein Betragen unter Herrn Tomkins gewesen, und sagte, diese plötzliche Umwandlung müsse denn doch auch ihre Gründe gehabt haben. Sarah war in's Comptoir gegangen und hatte sich die Rechnung verschafft, die der Hauptbuchhalter zerrissen hatte. Die Richtigkeit derselben bestätigte einen Theil meiner Behauptungen, und war ein Beweis, daß sie nur von der Bosheit zerrissen werden konnte. Herr Drummond sah ein, daß er zu schnell gehandelt hatte; selbst meine Weigerung, das Geld anzunehmen, erschien jetzt in einem andern Lichte. Er fühlte sich verlegen und gekränkt. Es gibt wenige Leute, die es zugestehen, daß sie sich geirrt haben. Er überließ es seiner Gattin, die Sache genauer zu untersuchen, und gab ihr die Erlaubniß, nach mir zu schicken. Wie die Botschaft ausgerichtet wurde, und was ihr Ergebniß war, habe ich erzählt. Frau Drummond erhielt die Antwort, ich werde nicht kommen, und mußte überdieß vernehmen, ich habe die Drohung ausgestoßen, dem Commis sowohl als Herrn Drummond den Kopf einzuschlagen; denn obgleich der Schurke wohl wußte, daß ich unter dem Worte »Herr« den ersten Gehülfen verstanden, so fand er es doch für angemessen, es auf Herrn Drummond zu beziehen. Die Wirkung dieser Antwort kann man sich denken. Sarah staunte, ihre Mutter war empört und Herr Drummond freute sich beinahe darüber, daß er sich nicht geirrt hätte. Der Riß wurde weiter als vorher, und aller Verkehr war abgeschnitten. Vieles in der Welt hängt von der richtigen Bestellung der Botschaften ab.

In einer halben Stunde hatten wir uns aus dem Gedränge herausgearbeitet und waren zu dem amerikanischen Schooner hinabgefahren, um eine Ladung Mehl einzunehmen, welche der alte Tom am Battensea-Werfte zu löschen beauftragt war. So war ich doch wenigstens für den Augenblick von dem Schauplatze meines Mißgeschickes entfernt. Ich kann nicht sagen, daß ich mich glücklich fühlte, aber doch freute es mich, daß ich weg war. Meine Gleichgültigkeit hatte einen Grad erreicht, den ich kaum zu ertragen vermochte. Eine schwere Bürde lastete auf meinem Gemüthe, die ich nicht abschütteln konnte – ein giftiger Wurm nagte an meinem Herzen – es war der Widerwille gegen die ganze Welt. Wie ganz anders waren die Gefühle, mit denen ich jetzt die wenigen Bücher betrachtete, die mir Herr Drummond und der Domine geschenkt hatten, um meine müßigen Stunden zu erheitern! Ich warf sie mit Verachtung auf die Seite und glaubte, ich würde sie nie wieder öffnen. Es war mir, als wären alle Bande abgeschnitten, die mich an's Ufer gefesselt hatten, als wäre ich wieder der Themse vermählt. Meine Vorstellungen, meine Wünsche erstreckten sich nicht weiter, und ich betrachtete den Strom und das geschäftige Treiben, das ihn belebte, wie ich ihn betrachtet hatte, ehe ich von ihm getrennt wurde – als wäre meine ganze Thätigkeit, meine ganze Zukunft von nun an zwischen seinen Ufern eingeschlossen. Im Verlaufe von vierundzwanzig Stunden war eine Veränderung mit mir vorgegangen, die mich wieder an die Gränze der Barbarei versetzte.

Meine Gefährten waren eben so trübsinnig, als ich; sie nahmen zu viel Antheil an mir, und besaßen zu viel Herzensgüte, um meine Lage nicht mitzuempfinden und selbst über die Ungerechtigkeit entrüstet zu sein, womit ich behandelt worden war. Die Beschäftigung zerstreute jedoch unsere schwermüthigen Gedanken auf einige Zeit. Wir hatten unsere Ladung an Bord und fuhren mit der Fluth wieder zurück.

Etwas nach zwölf Uhr ankerten wir oberhalb der Putneybrücke, und der junge Tom, der mich aufzuheitern wünschte, machte mir den Vorschlag, uns am Lande zu ergehen.

»Ja, thut das, meine Jungen, thut das, – es wird dir wohl thun, Jacob; 's taugt nichts, die ganze Ebbe über hier zu brüten. Ich will auf die Barke achten. Bindet das Boot gut an und nehmt die Handruder in's Wirthshaus mit. Ich will indessen das Essen flott machen, bis ihr zurückkommt, und dann wollen wir uns einen lustigen Abend bereiten, 's ist 'en armes Herz, das niemals fröhlich wird. Tom, nimm eine Flasche mit an's Land, laß sie auffüllen, und bring sie wieder. Hier ist Geld, aber ich sage dir, Tom: ›'s Wort in Ehren‹.«

»'s Wort in Ehren, Vater,« wiederholte Tom: und ich muß ihm Gerechtigkeit wiederfahren lassen – sein Versprechen hielt er jedes Mal, besonders wenn er »'s Wort in Ehren« gegeben hatte. Hätte man ihm Gallonen Branntwein anvertraut, er würde nicht einen Tropfen angerührt haben, sobald er dieses Pfand hinterlegt hatte.

»Jacob, hole schnell das Boot auf,« sagte Tom, als sein Vater in die Kajüte ging, um eine leere Flasche zu holen.

Tom eilte vorn in den Raum hinab und brachte eine alte Flinte zum Vorschein, welche er unter den Dielen hervorgezogen hatte, ehe sein Vater wieder auf's Verdeck kam. Wir nahmen ihm die Flasche ab, und Tom lockte dem Hunde Tommy.

»Nun, du wirst doch den Hund nicht mitnehmen. Wozu das? Ich brauche ihn hier, daß er mit mir Wache hält,« sagte der alte Tom.

»A bah, Vater! warum soll sich der arme Teufel nicht auch ein wenig verlaufen? Ich weiß gewiß, 's fehlt ihm am Gras, ich habe ihn schon seit ein paar Tagen beobachtet, und wir sind ja vor Dunkel wieder da.«

»Nun, wie du willst, Tom.«

Tommy sprang in's Boot, und wir stießen ab.

»Und nun, Tom, auf was bist du denn aus?« fragte ich, sobald wir zehn Ellen vom Lichter entfernt waren.

»Wir wollen auf der Gemeindehaide von Wimbledon ein paar Vögel schießen, Jacob; der Vater kann nur keine Flinte in meiner Hand sehen. Habe einmal auf meine alte Mutter geschossen. Ich pfefferte ihr ordentlich auf, ihr alter flanellener Unterrock war voll Schrot; aber er war zu dick, 's konnte keiner durch. Bist du auch so etwas von einem Schützen?«

»Ich schoß in meinem Leben noch nie eine Flinte ab.«

»Nun denn, wir wollen abwechseln mit dem Schießen, und aufwerfen, wer den ersten Schuß hat.«

Wir landeten, trugen die Handruder in's Wirthshaus und ließen die Flasche füllen. Dann stiegen wir die Putney-Halde hinan, während Tommy vor uns her sprang und vor Vergnügen mit dem Schweife geschäftig hin und her wedelte. Als wir beim Wirthshause zum grünen Mann an der Gränze der Gemeinheide von Wimbledon ankamen, bemerkte Tom lachend: »Ich möchte nur wissen, wo man grüne Männer finden kann! Vermuthlich wohnen sie in demselben Lande, wo die blauen Hunde zu Hause sind, von denen mein Vater bisweilen spricht. So, jetzt ist's Zeit zum Laden.«

Ein Pfeiffenwassersack voll Pulver mit einer gleichen Dosis voll Schrot ward hineingeschüttet, und als wir dieses Geschäft abgemacht hatten, befanden wir uns bald zwischen dem Ginster. Ein Halbpenny wurde in die Höhe geworfen. Er entschied, daß ich den ersten Schuß haben, und das Schicksal wollte es, daß eine Bachstelze das Ziel sein sollte. Ich faßte sie scharf auf's Korn, – wenigstens nahm ich mir gehörig Zeit dazu, denn ich verfolgte sie wenigstens drei bis vier Minuten lang mit der Mündung meines Flintenlaufes, während sie auf und ab spazierte. Endlich drückte ich. Tommy ließ ein freudiges Gebell vernehmen, und der Vogel flog davon.

»Ich muß ihn getroffen haben,« sagte ich; »ich sah, wie er mit dem Schwanze wackelte.«

»Eher ein Beweis für's Fehlen, als für's Treffen,« erwiederte Tom. »Hättest du ihn getroffen, so würde er nicht mehr mit dem Schwanze gewackelt haben.«

»Gleichviel,« sagte ich; »das nächste Mal mehr Glück.«

Hierauf schoß Tom eine Amsel von einem Ginsterbusch herab, lud die Flinte auf's Neue und reichte sie mir. Ich war glücklicher, als das erste Mal: ein Sperling, der drei Ellen von mir entfernt war, fiel der Geschicklichkeit meines Armes zum Opfer; und in meinem Leben fühlte ich mich nie so entzückt, als bei diesem ersten erfolgreichen Mordversuche.

Munter durchstreiften wir die Gemeinheide, indem wir bald in Sandgruben stürzten, die halb mit Wasser angefüllt waren, bald durch Sümpfe und Moräste zu Umwegen genöthigt wurden. Ein Schuß fiel um den andern; aber unsere Waidtasche wollte sich nicht füllen. Wenn wir aber auch schon nicht so zufrieden waren, wenn wir fehlten, als wenn wir trafen, so übte dies doch keinen Eindruck auf Tommy, der jeden Schuß mit einem Dutzend Sprüngen und einem Triumphgebell begleitete, das eine halbe Minute dauerte. Endlich wurden wir müde, und beschlossen, in einem Ginstergebüsch auszuruhen. Wir setzten uns, zogen unser Wild hervor und breiteten es vor uns aus. Es bestand aus zwei Sperlingen, einem Zeisig, einer Amsel und drei Kohlmeisen. Auf einmal raschelte es im Ginster, worauf ein lautes Anschlagen folgte. Es war der Hund, welcher Witterung bekommen hatte. Er drang in das Gebüsch ein und packte einen Hasen, welcher von irgend einem andern Waidmann in die Läufe geschossen war und sich bis hieher geschleppt hatte, um zu sterben. In einer Minute hatten wir ihn zum großen Verdrusse Tommy's in Besitz genommen. Der Hund schien der Ansicht zu sein, daß in einem solchen Punkte keine Theilung stattfinden könne. Er wollte seine Beute durchaus nicht lassen, bis er verschiedene mahnende Fußtritte bekommen hatte; aber als er gehörig weich geschlagen war, überließen wir uns ganz der Fülle des Entzückens. Wir legten das Thier zwischen uns in's Gras und bewunderten es eben von der Spitze seiner Löffel bis zum Ende seiner Blume, als wir plötzlich von einer Stimme begrüßt wurden, die ganz in unserer Nähe war.

»Hoho! ihr verdammten jungen Wilddiebe, habe ich euch einmal erwischt?«

Wir sahen empor und erblickten den Gemeinhüter. »Kommt nur mit mir; wir haben ein hübsches Quartier für euch zu Wandsworth. Schon lange bin ich auf euch aus. Gebt mir eure Flinte.«

»Ich habe keine große Lust,« erwiederte ich. »Die Flinte gehört uns, und nicht Euch.« Mit diesen Worten nahm ich das Gewehr und zielte auf ihn.

»Wollt ihr auch noch einen Mord begehen, ihr verruchten Jungen?«

»Wollt Ihr einen Raub begehen?« erwiederte ich trotzig. »Wenn Ihr das im Sinne habt, so versichere ich Euch, daß es mir auf einen Mord nicht ankömmt. Soll ich schießen, Tom?«

»Nein, Jacob, nein; du darfst nicht auf den Mann schießen.« erwiederte Tom, welcher bemerkte, daß ich ganz in der Laune war, meinen Worten Kraft zu geben. »Du kannst gar nicht,« fuhr er mir in's Ohr flüsternd fort, »'s ist nicht geladen.«

»Wollt Ihr mir die Flinte nicht geben?« wiederholte der Mann.

»Nein, ich will sie Euch nicht geben,« erwiederte ich und spannte den Hahn; »also packt Euch.«

»Oh! ihr schändlichen Jungen, – ihr werdet bald an den Galgen kommen, verlaßt euch daraus. Wollt ihr auch nicht mit mir gehen?«

»Ich meine fast, nein,« versetzte ich.

»Ihr weigert euch also? Bedenket, daß ich euch auf der That ertappt habe – als Wilddiebe, mit einem todten Hasen.«

»Nun, mit Weinen gewinnt man nichts,« erwiederte ich, »geschehene Dinge lassen sich nicht ändern.«

»Wisset ihr nicht, daß alles Wild, und aller Torf, und aller Morast, und aller Sand, und aller Ginster auf dieser Gemeinheide dem Sehr Ehrenwerthen Carl Spencer gehört?«

»Und vermuthlich auch alle Amseln, und alle Zeisige, und alle Sperlinge und alle Kohlmeisen?« versetzte ich.

»Das ist ganz gewiß – und ich bin Gemeinhüter. Gebt mir also diesen Hasen augenblicklich heraus.«

»Wir haben diesen Hasen nicht geschossen,« sagte Tom, »der Hund hat ihn gefangen, und er ist sein Eigenthum. Wir mischen uns nicht in diese Angelegenheit. Wenn ihn Euch Tommy überläßt, wohl und gut. Hier, Tommy, dieser Mann da sagt,« (auf den Hüter deutend) »daß dieser Hase« (auf den Hasen deutend) »nicht dir gehöre; willst du ihn nun bewachen, oder dem Mann überlassen?«

Auf das Wort »bewachen« legte sich Tommy mit seinen Vorderfüßen über den Hasen, wies dem Manne zwei furchtbare Reihen elfenbeinerner Zähne, heftete einen drohenden Blick auf ihn und murrte.

»Ihr seht, was er sagt; nun thut, was Euch beliebt,« fuhr Tom gegen den Mann gewendet fort.

»Ja – sehr wohl, – ihr werdet noch an den Galgen kommen, das sehe ich; aber ich will nun gehen und ein halb Dutzend Leute holen, um mir beizustehen; dann werden wir euch bald im Gefängnisse haben.«

»So sputet Euch,« versetzte ich, in die Höhe springend, und das Gewehr auf ihn anlegend. Auch Tommy sprang auf und wollte auf den Mann losstürzen, aber Tom faßte ihn beim Genick und hielt ihn. Der Gemeinhüter gab Fersengeld; sobald er aber aus der Schußweite war, wandte er sich um, ballte seine Faust gegen uns und eilte hinweg, um die gewünschte Verstärkung zu holen.

»Ich wollte, das Gewehr wäre geladen gewesen,« sagte ich.

»Was kommt dich an, Jacob? Würdest du auf ihn geschossen haben? Der Mann erfüllt nur seine Pflicht – wir haben hier nichts verloren.«

»Ich bin anderer Meinung,« versetzte ich. »Ein Hase auf einer Gemeinhaide gehört so gut mir als Lord Spencer. Eine Gemeinheide gehört Jedermann.«

»Das ist auch meine Ansicht; aber wenn er uns erwischt, so werden wir nichtsdestoweniger eingesperrt, und darum schlage ich vor, wir machen uns so schnell als möglich aus dem Staube, und zwar in der entgegengesetzten Richtung.«

Wir brachen auf, und da der Hüter in die Richtung von Wandsworth gegangen war, so schlugen wir die entgegenstehende ein; aber das Schicksal wollte, daß wir nach einem Laufe von einer Viertelstunde plötzlich den Mann mit drei oder vier Begleitern zurückkommen sahen. »Wir müssen rennen,« sagte Tom, »und uns irgendwo verstecken.«

Nachdem wir zehn Minuten lang aus Leibes Kräften gelaufen waren, stiegen wir in eine sumpfige Vertiefung, sahen uns sorgfältig um, ob sie uns nicht bemerken könnten, und als wir fanden, daß wir ihnen aus dem Gesichte waren, legten wir uns in ein dichtes Ginstergebüsche, das uns völlig verbarg. Tommy folgte unserem Beispiele. »Hier werden sie uns nicht finden,« sagte Tom, »wenn nur der Hund ruhig bleibt. Leg' dich Tommy. Wache und leg' dich.«

Der Hund schien zu verstehen, was man verlangte; er legte sich zwischen uns und hielt sich vollkommen ruhig.

Wir lagen ungefähr eine halbe Stunde hier, als wir Stimmen hörten. Ich bat Tom, mir das Pulver zu geben, um die Flinte zu laden; aber er schlug es ab. Die Stimmen kamen näher. Tommy ließ ein dumpfes Knurren vernehmen. Tom hielt ihm das Maul mit den Händen zu. Endlich waren sie bei dem Gebüsch, und wir hörten den Gemeinhüter sagen:

»Sie sind nicht über die Heide, das ist ausgemacht – sie können nicht weit sein, die kleinen Strauchdiebe; sicherlich sind sie in dieser Vertiefung. Kommt herab.«

»Aber ich will verdammt sein, wenn ich nicht bis an die Kniee im Schlamm stecke,« rief einer von den Männern; »ich gehe keinen Schritt weiter hinein; »Gott straf' mich, wenn ich's thue.«

»Gut, so laßt uns wenigstens den Rand des Morastes untersuchen,« versetzte der Hüter. »Ich will Euch den Weg zeigen.«

Die Stimmen entfernten sich; und es war ein Glück für uns denn wir hatten in der letzten Minute beständig mit dem Hunde zu kämpfen gehabt. Ich hielt seine Vorderpfoten, und Tom klemmte ihm das Maul zu. Bald war Alles ganz ruhig; aber noch immer wagten wir uns nicht aus dem Verstecke hervor.

Wir blieben noch eine halbe Stunde liegen. Da wurde es allmälig finster, und als wir aufstanden, hatte sich der Himmel, der bis dahin ganz hell gewesen war, mit Wolken überdeckt. Tom streckte den Kopf in die Höhe, sah sich rings um, und da er Niemand mehr bemerkte, machte er den Vorschlag, so schnell als möglich umzukehren. Aber kaum hatten wir das Gebüsch hinter uns, als es so stark zu schneien begann, daß wir, zumal es ganz finster war, unsern Weg nicht mehr unterscheiden konnten. Mit jeder Minute wurde das Schneegestöber heftiger, und der Wind trieb uns die Flocken in's Gesicht, daß wir ganz geblendet wurden. Dennoch kämpften wir dagegen an und hofften alle Augenblicke die Straße zu erreichen, auf der wir es leichter gehabt hätten. Wir gingen schweigend weiter. Ich trug die Flinte, Tom hatte den Hasen auf den Schultern und Tommy lief hinter uns her. Länger als eine Stunde arbeiteten wir uns durch den Ginster, ohne eine Straße finden zu können. Die Nacht war pechschwarz; der Wind heulte, unsere Kleider waren mit Schnee beladen und wir fühlten uns bereits äußerst ermüdet.

Endlich waren wir ganz erschöpft und machten Halt. »Tom,« sagte ich, »wir sind gewiß vom geraden Wege abgekommen. Wir hatten den Wind auf der Steuerbordseite, denn unsere Kleider wurden in dieser Richtung vom Schnee bestürmt, und jetzt haben wir ihn im Gesicht. Was Teufels sollen wir anfangen?«

»Jedenfalls müssen wir fortgehen, bis wir auf irgend etwas stoßen,« versetzte Tom.

»Und dies wird wohl nichts anders sein, als eine Sandgrube,« erwiederte ich; »aber gleichviel, 's nächste Mal mehr Glück! Ich wollte nur, ich hätte den Schurken von Gemeinhüter da. Wie wäre es, wenn wir umkehrten und den Wind wieder auf die Steuerbordseite nähmen, wie früher; wir müßten doch endlich auf etwas kommen.«

Es geschah; aber mit jedem Augenblicke vermehrten sich die Schwierigkeiten. Wir sanken in den Sumpf oder fielen über das abgehauene Gestrüppe, und hätte ich Tom nicht gehalten, als er eben niederglitt, so wäre er in eine Sandgrube gestürzt. Bald sahen wir uns gezwungen, die Richtung zu verändern; wir verfolgten eine Viertelstunde lang einen andern Weg, bis wir vor Kälte und Mattigkeit völlig erschöpft, die Hoffnung aufgaben.

»So geht's nicht, Tom,« sagte ich, als der Wind seine Wuth verdoppelte. »Ich glaube, es wäre besser, wir warteten in dem Ginster, bis das Unwetter vorüber ist.«

Tom's Zähne klapperten vor Frost; aber bevor er etwas erwiedern konnte, klapperten sie vor Schrecken. Wir hörten ein lautes Gekreische über unsern Köpfen. »Was war das?« rief er. Ich gestehe, daß ich mich eben so sehr entsetzte, als Tom. Das Gekreische wiederholte sich. Es hatte einen ganz übernatürlichen Ton. Es war keine menschliche Stimme, sondern ein Mittellaut zwischen Kreischen und Klirren. Und abermals wiederholte es sich und erstarb im Winde. Ich raffte meinen Muth zusammen und blickte nach der Richtung, aus welcher der Schall kam; aber die Finsterniß war so dicht und der Schnee blendete mich so sehr, daß ich nichts sah. Wieder und wieder schlug der furchtbare Klang an unser Ohr, und wir blieben, von Schrecken gelähmt, regungslos stehen; sogar der Hund kauerte sich zitternd zu unsern Füßen nieder. Keiner sprach ein Wort – Keiner rührte sich. Die Flinte war mir aus der Hand gefallen und der Hase lag zu Tom's Füßen; wir hielten einander schweigend an der Hand, und so blieben wir mehr als eine Viertelstunde lang stehen, während mit jedem Augenblicke unsere Kräfte mehr und mehr unter den Wirkungen der Kälte, der Mattigkeit und des Entsetzens dahin schwanden. Hätte der Sturm noch länger angehalten, so wären wir aller Wahrscheinlichkeit nach umgekommen; aber er ging vorüber. Das Schneegestöber ließ nach, die Wolken rollten vorwärts, und tausend funkelnde Sterne leuchteten am klaren Himmel, uns aus unserer körperlichen und geistigen Ermattung erweckend. Der erste Gegenstand, auf den meine Blicke fielen, war ein Pfosten, der zwei Ellen von uns entfernt stand. Ich betrachtete ihn von unten nach oben, und sah zu meinem Entsetzen ein in Ketten aufgehängtes Gerippe über unseren Köpfen hin und her schwingen.

Kaum hatte ich mich von dem ersten Schrecken erholt, mit dem mich dieser Anblick erfüllte, als ich Tom, der noch immer regungslos dastand, darauf aufmerksam machte. Er sah empor, prallte zurück und fiel über den Hund – sprang wieder in die Höhe und brach in ein Gelächter aus, das so laut war, als es seine erstarrten Kinnbacken gestatteten.

»Das ist der alte Jonny Abershaw,« sagte er; »ich kenne ihn wohl und weiß jetzt auch, wo wir sind.«

Und so verhielt sich's auch. Abershaw war vor ungefähr drei Jahren auf der Gemeinheide von Wimbledon in Ketten aufgehängt worden, und der übernatürliche Laut, den wir gehört hatten, wurde durch die Reibung des rostigen Eisens hervorgebracht, wenn das Gerippe im Winde hin und her trieb.

»Jetzt ist Alles gut, Jacob,« sagte Tom, zum glänzenden Firmament emporsehend und den Hasen aus die Schultern nehmend; »in fünf Minuten sind wir auf der Straße.«

Ich schulterte das Gewehr und wir brachen auf.

»Bei Gott, der Schurke von Gemeinhüter hatte Recht,« fuhr Tom fort, als wir unsern Weg wieder angetreten hatten. »Er sagte, wir würden bald an den Galgen kommen, und siehe, er hat's getroffen. Nun, das war einmal ein hübsches Entkommen. Der Vater wird in köstlicher Laune sein.«

»Das nächste Mal mehr Glück, Tom,« versetzte ich; »aber an alle dem ist Niemand anders, als jener Torf- und Sumpf-Schurke schuld. ch wollte, er wäre hier.«

»Nun, was würdest du mit ihm anfangen?«

»Ich würde den alten Abershaw herabnehmen und ihn dafür hinhängen, so wahr ich Jacob heiße.«


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