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Drittes Kapitel.

Der fahrende Schiffer wird ein fahrender Ritter, steht ein wunderschönes Antlitz und geht mit dem Strome. – Das Abenteuer scheint mehr Prozesse als Liebe zu versprechen, da es sich um Papiere handelt, die in der zinnernen Büchse sind.

Ich träumte von nichts als von dem Abenteuer, der Auftritt wiederholte sich in meinen Gesichten immer auf's Neue, und die beiden Musiktakte klangen mir beständig in den Ohren. Sobald ich gefrühstückt hatte, fuhr ich nach Herrn Turnbull's Landhaus und erzählte ihm, was mir begegnet war.

»Es war wirklich ein Glück, daß wir die Büchse gelandet hatten,« sagte er, »sonst säßest du vielleicht jetzt im Gefängnisse. Ich wollte, ich hätte nichts damit zu thun gehabt; aber 's ist wie du sagst, geschehene Dinge lassen sich nicht ändern. Auf jeden Fall gebe ich die Büchse nicht ab, bis ich weiß, wer sie mit Recht ansprechen kann, und ich glaube immer, daß dieß bei der Dame der Fall ist. Aber, Jacob, du mußt dich auf Kundschaft legen und ausfindig machen, wie es sich mit der Sache verhält. Glaubst du, dich der Tonweise noch zu erinnern, die er so oft gepfiffen hat?«

»Sie ging mir die ganze Nacht im Kopfe herum und ich habe sie auf dem ganzen Wege hierher eingeübt. Ich glaube, daß ich sie gefaßt habe. Hören Sie, Sir.« – Ich pfiff die beiden Takte.

»Ganz richtig, Jacob, ganz richtig; nimm dich nur in Acht, daß du sie nicht vergissest. Was hast du heute vor?«

»Nichts, Sir.«

»Wie wär's, wenn du den Fluß hinaufrudertest, um die Stelle aufzusuchen, an der wir gelandet haben? Wenn du sie ausfindig gemacht hast, magst du noch weiter rudern und sehen, ob du den jungen Mann nicht bei dem Nachen findest; auf jeden Fall kannst du vielleicht irgend eine Entdeckung machen – aber ich bitte dich, sei vorsichtig.«

Ich versprach es und trat mit dem größten Vergnügen meine Irrfahrt an, denn Dinge, die einem Abenteuer gleich sahen, vergnügten mich höchlich. Nachdem ich eine Viertelstunde stromaufwärts gerudert hatte, lag ich dem Orte gegenüber. Ich erkannte das zierliche Landhäuschen, die Brustwehrmauer, sogar die Stelle, wo wir angelegt hatten, und bemerkte, daß einige abgelöste Backsteine in den Strom gefallen waren. Im Hause schien sich nichts zu rühren, aber ich setzte meine Lustfahrt stromauf und stromab fort und beobachtete die Fenster. Endlich öffnete sich eines; eine junge Dame sah heraus und ich war überzeugt, daß es mit derjenigen, die wir am Abend zuvor gesehen hatten, eine und dieselbe war. Kein Lüftchen regte sich und Alles war in vollkommener Ruhe. Sie saß am Fenster und hatte den Kopf auf ihre Hand gestützt. Ich pfiff die beiden Takte. Sie erhob sich gleich beim ersten, und sah mich forschend an, als ich den zweiten vollendete. Ich blickte hinauf, sie schwenkte ihr Taschentuch und schloß das Fenster. In wenigen Minuten erschien sie im Garten und ging dem Strome zu. Alsbald ruderte ich unter die Mauer. Ich zog meine Handruder ein und hielt mich an der Mauer, nachdem ich mich im Nachen aufgerichtet hatte.

»Wer sind Sie? und wer schickt Sie?« fragte sie, auf mich niedersehend und mir eines der schönsten Gesichter zeigend, das ich jemals gesehen hatte.

»Niemand schickt mich, Madame,« versetzte ich, »aber ich war gestern Abend in dem Boote und bedaure sehr, daß es so unglücklich abgelaufen ist; aber Büchse und Mantel sind in Sicherheit.«

»Sie waren einer von den Männern im Boote. Ich hoffe, daß keiner verwundet wurde, als man Feuer auf Sie gab?«

»Nein, Madame.«

»Und wo ist die Büchse?«

»Im Hause des Mannes, der bei mir war.«

»Kann man ihm vertrauen? Denn sie werden eine große Belohnung aussetzen.«

»Ich sollte denken, Madame,« erwiederte ich lächelnd; »der Mann, der bei mir war, ist ein Gentleman von großem Vermögen, der blos eine Spazierfahrt auf dem Strome machte. Er trägt mir auf, Ihnen zu sagen, daß er die Büchse nicht abgeben werde, bis er wisse, wer rechtmäßige Ansprüche auf den Inhalt derselben habe.«

»Gott im Himmel, wie glücklich? Darf ich Ihnen glauben?«

»Ich hoffe, Madame.«

»Und wer sind Sie denn? Sind Sie nicht ein Fährmann?«

»Ja, Madame, das bin ich.«

Sie schwieg, sah mich eine Zeitlang forschend an und fuhr dann fort. »Wie haben sie die Melodie pfeifen gelernt?«

»Der junge Gentleman wiederholte sie gestern Abend, ehe Sie kamen, sechs- oder siebenmal. Ich übte sie diesen Morgen auf meiner Fahrt ein, da ich sie für ein Mittel hielt, Ihre Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Kann ich Ihnen irgend einen Dienst erweisen, Madame?«

»Dienst? – ja, wenn ich versichert sein könnte, daß ich Ihnen vertrauen dürfte – den größten Dienst. Ich bin hier eingesperrt – kann nicht einmal einen Brief abschicken – alle meine Bewegungen werden beobachtet – nur der Garten steht mir offen, und sogar hier werde ich bewacht, wenn ich auf- und abwandle. Heute sind die meisten Hausbewohner abwesend, um der Zinnbüchse auf die Spur zu kommen, sonst könnte ich nicht so lange mit Ihnen sprechen.« Sie sah ängstlich nach dem Hause und fuhr fort. »Warten Sie hier eine Minute, während ich ein wenig auf- und abgehe.« Ich blieb unter der Mauer, wo man mich vom Hause aus nicht gewahren konnte. Nach ungefähr drei oder vier Minuten kehrte sie zurück und sagte: »Es wäre sehr grausam – es wäre mehr als grausam – es wäre ruchlos von Ihnen, wenn Sie mich betrügen wollten; denn ich bin sehr unglücklich, sehr elend.« Thränen stürzten ihr in die Augen. »Aber Sie sehen nicht aus, als ob Sie mich betrügen könnten. Wie ist Ihr Name?«

»Jacob Ehrlich, Madame, und ich will meinem Namen treu bleiben, wenn Sie sich mir anvertrauen wollen. Ich habe meines Wissens noch Niemand betrogen, und versichere Sie, ich will auch Sie nicht täuschen – zumal, da ich Sie gesehen habe.«

»Wohl, aber Geld verlockt Jedermann.«

»Mich nicht, Ma'am; ich habe, soviel ich brauche.«

»Gut denn, ich will Ihnen vertrauen und denken, Sie seien vom Himmel zu meiner Hülfe geschickt worden; aber wie kann ich Sie sehen? Morgen ist mein Oheim wieder da, und dann kann ich Sie für keinen Augenblick sprechen. Man wird Ihnen auflauern und Sie vielleicht erschießen.«

»Gut, Madame,« versetzte ich nach einer Pause; »aber wenn Sie nicht sprechen können, so können Sie doch schreiben. Sie sehen, daß die Backsteine hier auf der Brustwehr locker sind. Legen Sie Ihre Briefe unter diesen Backstein – sogar bei Tag kann ich ihn hier wegnehmen, ohne bemerkt zu werden, und dann die Antwort an die gleiche Stelle legen, so daß Sie dieselbe abholen können, wenn sie in den Garten gehen.«

»Wie schlau! Gott im Himmel, welch ein herrlicher Gedanke!«

»Wurde der junge Mann gestern Abend im Handgemenge verletzt, Ma'am?« fragte ich.

»Nein, ich glaube nicht bedeutend – aber ich möchte wissen, wo er ist, um ihm zu schreiben. Könnten Sie ihn ausfindig machen?« Ich erzählte ihr, wo wir ihn getroffen hatten, und was vorgefallen war. »Dieß war Lady Auburns Landsitz,« erwiederte sie, »er ist oft dort, – sie ist unsere Verwandte; aber ich weiß nicht, wo er wohnt, und ebensowenig, wie man ihn finden kann. Sein Name ist William Wharncliffe. Glauben Sie, ihn ausfindig machen zu können?«

»Ja, Madame, mit etwas Beharrlichkeit sollte das zu bewerkstelligen sein. Bei Lady Auburn müssen die Leute wissen, wo er ist.«

»Ja, von der Dienerschaft mögen es Einige wissen, aber wie wollen Sie zu diesen kommen?«

»Das will ich schon ausfindig machen, Ma'am. Es geschieht vielleicht nicht in Einem Tage oder zwei, aber wenn Sie jeden Morgen unter diesem Backsteine nachsehen wollen, werden Sie finden, falls ich Ihnen irgend eine Mittheilung zu machen habe.«

»Sie können schreiben und lesen?«

»Ich hoffe, Madame,« erwiederte ich lachend.

»Ich weiß nicht, was ich aus Ihnen machen soll. Sind Sie wirklich ein Fährmann?«

»Wirklich, und –« Sie drehte den Kopf, denn man hatte ein Fenster öffnen hören.

»Sie müssen fort – vergessen Sie den Backstein nicht.« Sie verschwand.

Ich schob meinen Kahn längs der Mauer hinunter, um so lange unbemerkt zu bleiben, bis ich an dem zum Landhause gehörenden Vordergrunde vorüber war. Dann nahm ich meine Handruder, stieß in den Strom, und da ich entschlossen war, einen Versuch zu machen, ob ich auf Lady Auburns Gute nichts erfragen könnte, mußte ich wieder am Garten vorbei, denn so lange ich unter der Mauer lag, war ich hinunter- statt hinaufgefahren. Ich sah die junge Dame an der Seite eines großen Mannes auf- und abgehen, der leidenschaftliche Geberden machte und mit großem Eifer zu sprechen schien, während die Dame das Haupt senkte. Nach einer Minute kamen sie mir aus den Augen. Die Schönheit und Sanftmuth, die im Gesichte der jungen Dame lag, hatte einen solchen Eindruck auf mich gemacht, daß ich alle meine Kräfte aufzubieten beschloß, um ihr einen Dienst zu erweisen. Nach Verfluß von ungefähr einer halben Stunde war ich bei der Villa angekommen, vor der wir den jungen Gentleman getroffen, und die nach Angabe der Dame der Lady Auburn gehörte. Ich sah weder im Garten noch im Hause irgend Jemand. Nachdem ich einige Minuten lang den Beobachter gemacht hatte, landete ich so nahe als möglich an der Villa, legte meinen Nachen an und schritt auf den Eingang zu. Sie hatte kein Pförtnerhäuschen, aber auf der einen Seite ein Bedientenzimmer. Nachdem ich unterwegs überdacht hatte, wie ich mich benehmen wollte, zog ich die Glocke. Ein altes Weib erschien und fragte mich in schnarrendem Tone, was ich suchte.

»Ich warte unten mit meinem Boot auf Hern Wharncliffe; ist er noch nicht gekommen?«

»Herr Wharncliffe? Nein – er ist nicht gekommen; hat auch nicht gesagt, daß er kommen wolle; wann habt Ihr ihn gesehen?« »Gestern. Ist Lady Auburn zu Hause?«

»Lady Auburn? – nein; sie ist diesen Morgen in die Stadt gegangen. Es geht jetzt Alles nach London, vermuthlich um keine Blumen und grünen Bäume mehr zu sehen.«

»Aber Herr Wharncliffe wird vermuthlich kommen,« fuhr ich fort, »also muß ich auf ihn warten.«

»Das könnt Ihr halten, wie Ihr wollt,« erwiederte das alte Weib, im Begriff, mir das Thor vor der Nase zuzuschlagen.

»Dürfte ich Sie nicht um eine Gunst bitten, Madame, ehe Sie das Thor schließen – mir nämlich ein Glas Wasser zu bringen, denn die Sonne sticht heiß, und ich habe lange gebraucht, bis ich heraufgekommen bin.« Und ich zog mein Taschentuch heraus und wischte mir den Schweiß vom Gesicht.

»Ja, ich will Euch eins holen,« antwortete sie, das Thor schließend und sich entfernend.

»Dieß scheint nicht sehr viel zu versprechen,« dachte ich bei mir selbst. Das alte Weib kehrte zurück, öffnete das Thor und reichte mir ein Krügchen Wasser. Ich trank etwas, dankte ihr und gab das Krügchen zurück.

»Ich bin sehr müde,« sagte ich, »wenn ich nur sitzen könnte, um auf den Herrn zu warten.«

»Sitzt Ihr nicht, wenn Ihr rudert?« fragte das alte Weib.

»Ja,« antwortete ich.

»Dann müßt Ihr müde sein vom Sitzen, denke ich, und nicht vom Stehen; jedenfalls wenn Ihr sitzen wollt, könnt Ihr in Eurem Boote sitzen und es zu gleicher Zeit hüten.« Mit dieser Bemerkung schloß sie das Thor vor mir zu und ließ mich ohne weitere Umstände stehen.

Nach dieser entschiedenen Abweisung von Seiten des alten Weibes konnte ich nichts Anderes thun, als ihrem Rathe folgen, das heißt, gehen und mein Boot hüten. Ich ruderte zu Herrn Turnbulls Landgut und erzählte ihm mein gutes und mein böses Geschick. Da es schon spät war, mußte ich auf seinem Studirzimmer ein Mittagessen einnehmen, und wir besprachen uns hier über den Vorfall. »Gut,« sagte er am Schlusse unserer Berathung; »du mußt mir erlauben, Jacob, diese Sache als meine eigene zu behandeln, denn ich war die Veranlassung, daß wir überhaupt darein verwickelt wurden. Du mußt Alles anwenden, was in deinen Kräften steht, um diesen jungen Mann aufzufinden, und ich werde so lange tagweise Stapletons Boot miethen, bis wir unsern Zweck erreicht haben. Du darfst ihm aber nichts davon sagen, sonst könnte er neugierig werden. Morgen gehst du zu dem alten Beazeley?«

»Ja, Sir, morgen können Sie mich nicht miethen.«

»Doch sehe ich dich morgen früh, denn ich muß dich sprechen, ehe du abfährst. Hier ist Stapletons Geld für gestern und heute, und nun gute Nacht.«

Am andern Morgen war ich in aller Frühe bei Herrn Turnbull. Er hatte die Zeitung vor sich. »Das habe ich erwartet,« sagte er. »Lies diese Anzeige.« Ich las Folgendes: – »Letzten Freitag Abend zwischen neun und zehn Uhr wurde von einem Landgute zwischen Brentford und Kew eine zinnerne Büchse mit Documenten und Papieren in einen Kahn hinabgereicht, und die Eigenthümer derselben waren verhindert, mitzufahren. Es wird hiemit bekannt gemacht, daß den Kahnführern eine Belohnung von zwanzig Pfund ausbezahlt wird, wenn sie dieselbe an die Herren James und John White, Lincolus-Inn-Fields Nr. 14 abgeben. Da Niemand anders bevollmächtigt ist, besagte Zinnbüchse mit Papieren in Empfang zu nehmen, so muß jede anderweitige Anfrage unbeachtet bleiben. Alsbaldige Aufmerksamkeit auf diese Anzeige wird sehr verpflichten.«

»Es müssen Papiere von nicht geringer Wichtigkeit in der Büchse sein, Jacob, das ist unstreitig,« sagte Herr Turnbull. »Indeß, hier sind sie, und hier bleiben sie, bis ich mehr davon weiß. Ich will versuchen, was ich mit dem alten Weibe anfangen kann, denn ich sehe, daß die Villa auf drei Monate zu vermiethen ist – hier ist die Anzeige auf der letzten Spalte. Ich werde heute in die Stadt gehen und vom Agenten eine Karte holen; es müßte schlimm gehen, wenn ich nichts erforschen könnte. Ich sehe dich morgen wieder. Nun kannst du gehen, Jacob.«

Ich eilte hinweg, denn ich hatte versprochen, zur Zeit des Frühstücks beim alten Tom zu sein; ich ruderte stark, und nach einer Stunde legte ich an dem Landungsplatze vor seinem Hause an.


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