Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Dreißigstes Kapitel.

Die türkische Botschaft in Wien hat am 30. Sept. eine Depesche erhalten, kraft welcher Sebastopol mit seinem ganzen Material, die gesammte Flotte und die Besatzung sich den alliirten Truppen übergeben hat. Es wird noch hinzugefügt, daß man der Besatzung später den Abzug gestatten wollte, aber daß sie sich selbst die Kriegsgefangenschaft ausgebeten hat.

Extrablatt deutscher Zeitungen vom 2. October 1854.

Am 23. September ist Sebastopol selbst von den Alliirten genommen worden.

Schlesische Zeitung, telegraphische Depesche aus Bukarest vom 28. Sept.

Eine auf der Mittheilung eines Schiffscapitäns beruhende, Omer Pascha zugekommene Nachricht meldet die Einnahme Sebastopols von der Land- und Wasserseite.

Oesterreichische Correspondenz.

Die Ausschiffung unserer Truppen an der krim'schen Küste ging sehr glücklich von statten; denn die Russen, welche sich wahrscheinlich vor meinem ersten Auftreten auf russischem Boden fürchteten, ließen sich nirgends blicken, und nur zahlreiche Schwärme von blutgierigen Mücken und Stechfliegen schienen uns die Besitznahme des Terrains streitig machen zu wollen. Ich beneidete die Russen nicht um solche Verbündete.

Dem Marschall St. Arnaud, dem ich ad latus beigegeben war, gefiel diese undramatische, jeden höheren Effects entbehrende Ausschiffung gar nicht. Er machte ein grimmiges Gesicht und rief:

Diese Memmen! Sie können nicht einmal den Anblick französischer Soldaten vertragen! Auch nicht ein Tropfen Blut! Was wird man in Paris zu einem Bulletin sagen, in welchem von keinem Blutvergießen die Rede ist? Ich werde mit meinem ersten Bulletin sehr schlecht debutiren, man wird es in Paris nicht lesen wollen und man wird auf die Absetzung eines Feldherrn dringen, der den Parisern gleich mit dem ersten Bulletin Langeweile macht.

In diesem Augenblicke setzte sich eine ungeheuer große Stechfliege auf seine rechte Wange und er rief: Teufel! wo kommt der Stich mit der Kosakenlanze her?

Ich, der ich zu seiner Linken stand, schlug mit der Hand die Stechfliege auf seiner Backe todt, so daß das Blut des Insects eine förmliche Blutlache in der Vertiefung seiner ausgehöhlten Wange bildete.

Excellenz, bemerkte ich, es war nur eine Stechfliege, eine geschworne Feindin der westlichen Civilisation!

Mein Schlag war aber etwas kräftig ausgefallen, denn seine Backe lief davon an, und ärgerlich fragte der Marschall: Ernst oder Spaß?

Die Wahrheit liegt in der Mitte, erwiederte ich.

Eine ziemlich fühlbare Wahrheit! bemerkte Lord Raglan trocken.

Wenigstens können Sie nun, Herr Marschall! sagte ich weiter, in Ihr Bulletin die Phrase einfügen, daß bei der Ausschiffung auch Blut geflossen und Ihre rechte Wange davon bespritzt worden sei. Haben Sie nicht Lust, sofort einige Razzien zu unternehmen, Herr Marschall? fügte ich hinzu.

Sein Gesicht glänzte vor Grimm und Vergnügen. O, eine Razzie! rief er, das ist doch noch dramatisch! das ist nervenaufregend! das ist Leben! Aber in Constantine, wenn ich mich recht erinnere, waren Sie stets ein Gegner dieser Razzien und verdammten sie, beschränkter gutmüthiger Deutscher, der Sie sind, als inhuman.

O, erwiederte ich, im Dienst der westlichen Civilisation ist Alles erlaubt, Plündern und Morden, Sengen und Brennen!

Sie sind mein Mann, Herr Ober-Geheim-Feldmarschall! rief St. Arnaud, und klopfte mir auf die Schultern; ich hoffe, wir werden uns verstehen.

Folgenden Tags unternahm ich für meine Person eine Recognoscirung gegen die russische Stellung und traf bald auf einen vereinzelten Posten, einen Tscherkessen, dessen prächtiger Panzerrock mir nicht wenig in die Augen stach. Auch seine schöne Bewaffnung und sein stattliches Pferd gefielen mir, und ich fühlte mit einiger Beschämung, daß ich gegen diesen Sohn der Berge eine sehr traurige Figur spielte; denn ich trug gerade meine ziemlich unscheinbare Felduniform und ritt einen Klepper, der in Folge der Ueberfahrt und vieler Strapazen sehr herunter gekommen war.

Ich ritt zu ihm heran und sagte auf russisch: Guten Tag, Kamerad!

Guten Tag! erwiederte er.

Kennst du den Homer, Kamerad? fragte ich.

Er antwortete, daß er den Homer nicht kenne, worüber ich mitleidig die Achseln zuckte. Ich explicirte ihm nun in aller Kürze die Ilias, kam an die Stelle, wo zwei Helden, ein griechischer und trojanischer, aus ritterlicher Höflichkeit ihre Rüstungen und Waffen gegen einander austauschten, und wußte seine Phantasie für die Nachahmung einer solchen ritterlichen Handlung so zu entflammen, daß er, als ich ihm anbot, Uniformen und Pferde gegen einander auszutauschen, sofort einwilligte, um wie er sagte, sich von den Helden Homers nicht an Großmuth und Edelsinn übertreffen zu lassen.

Wir stiegen also von unsern Pferden, entkleideten uns auf der Stelle und er zog meine Felduniform und ich seinen schimmernden Waffenrock an. Eben so tauschten wir unsere Waffenstücke und unsere Hengste aus.

Das Kleid macht den Mann, das fühlte ich jetzt deutlich. Meine Anschauungen wurden plötzlich ganz entschieden tscherkessisch, während der Tscherkesse auf gut deutsch den Kopf hängen ließ, sich trübselig von oben bis unten betrachtete und mit kläglicher Stimme bemerkte: Aber Kamerad, was wird nun aus mir? zu den Russen, aus denen ich mir ohnehin nichts mache und die sich am Ende auch aus mir nicht viel machen werden, kann ich doch in diesem Aufzuge nicht wieder zurück.

Das sollst du auch nicht, Kamerad! sagte ich, begleite mich in das Hauptquartier der Verbündeten!

Wir ritten nun in das Hauptquartier zurück, wo ich mit meiner Erzählung des Vorgefallenen meinen beiden Collegen, den Marschällen, außerordentlich viel Spaß machte. Selbst St. Arnaud lachte, indem er bemerkte: Einer solchen homerischen Episode gebührt auch ein homerisches Gelächter! Ueberhaupt kommt mir unsere ganze Affaire höchst homerisch vor. Ich bitte mir auf jeden Fall aus, Achilles zu sein, Sie lieber Lord Raglan sind mein Patroklus, Herr Fritz Beutel ist Ajax und Nestor zugleich, Fürst Mentschikoff ist, mit einiger poetischen Licenz, Prinz Hector, die Helena, um die wir kämpfen, ist die westliche Civilisation, und Sebastopol ist Troja. Unser Homer wird sich ja unter den vielen epischen Lyrikern Ihres Vaterlandes gewiß finden, lieber Beutel!

Ein schlimmes Omen, bemerkte ich, wenn wir zehn Jahre lang vor Sebastopol liegen müßten, wie die Griechen vor Troja. Indeß haben die deutschen lyrischen Epiker oder epischen Lyriker nicht Zeit, einen zehnjährigen Krieg zu besingen; ihre Heldengedichte dürfen höchstens den Raum eines Weihnachtsbüchleins füllen; und so werden wir uns schon um ihretwillen beeilen müssen.

Wie vor Constantine! sagte St. Arnaud; heute Laufgräben gezogen, morgen Bombardement, übermorgen Bresche, Sturm, Einnahme, allgemeines Blutvergießen!

Der Tscherkesse, der zu diesem sehr interessanten Gespräch Anlaß gegeben, trat bei mir als Bedienter und Stiefelputzer in Dienst, denn, sagte er, seit er in dieser knappen grauen europäischen Uniform stecke, komme er sich ganz lakaienmäßig vor, und Bedienter zu werden sei sein höchster Ehrgeiz.

Es war am 20. September, als wir vor den Höhen der Alma standen und die ungeheuer feste Stellung durch unsere Fernröhre beobachteten. Das Ansehen stand uns frei; leider aber erkannten wir, daß diese Stellung auf gewöhnlichem Wege nicht zu nehmen sei.

Da fiel mir ein Gedanke ein. Lassen Sie mich nur machen, meine Herren Collegen! sagte ich.

Wie Sie wollen, bemerkten diese, denn wir erklären uns außer Stande, gegen eine solche uneinnehmbare Stellung etwas auszurichten.

Mein Entschluß war gefaßt, ich zog die Uniform meines Tscherkessen an, ritt langsam die Anhöhen hinauf und meldete mich bei den Vorposten als Tscherkessen so und so, der in Kriegsgefangenschaft gerathen sei und sich ranzionirt habe. Ich wurde nun vor den Fürsten Mentschikoff gebracht, der mich gehörig ausfragte. Ich gab ihm immer die Antworten, die ihm, wie ich wußte, die erwünschtesten sein mußten, und ich versetzte ihn dadurch in eine sehr joviale Stimmung, der er mit einigen Schlucken aus seiner Feldflasche aufs Beste nachhalf.

Mich für einen Andern als den zu halten, der ich zu sein vorgab, war unmöglich. Der Tscherkesse trug einen eben so langen Bart als ich, und seine Gesichtszüge hatte ich mir vollkommen einstudirt. Ich besitze die Kunst, mich Andern so ähnlich zu machen, daß ich mich häufig selbst mit dem von mir Dargestellten verwechselt habe, z. B. mit dem Besitzer dieses oder jenes Eigenthums, das mir in meinen Händen besser untergebracht zu sein schien als in seinen.

Am Schluß der Unterredung ersuchte ich den Fürsten, meinen Kameraden eine Freude bereiten zu dürfen, indem ich einen Vorrath des köstlichsten Schnupftabaks mitgebracht habe, der vorzüglich geeignet sei, die Lebenskräfte auch mitten in der Schlacht aufrecht zu erhalten.

Der General ließ mich zu seinen Lieblingsregimentern escortiren, die auf einer Anhöhe aufgestellt waren, welche den Schlüssel der russischen Position bildeten, und ich ließ hier meine Dose von Hand zu Hand gehen, indem ich sie immer wieder aus einer mächtigen Papierdüte auffüllte. Als mein Vorrath zu Ende war, ersah ich den geeigneten Augenblick, wandte mein Pferd um, drückte ihm die Sporen in die Seite, und sprengte wie im Sturmfluge die Höhen abwärts, gerade in das Hauptquartier der Verbündeten.

Hier forderte ich meine Collegen auf, den Sturm unverweilt zu unternehmen, und bezeichnete die Stelle, gegen die er zu richten sei. Auf meine Verantwortung! sagte ich.

Nun ging es im Sturmschritt vorwärts und unsere Soldaten verwunderten sich nicht wenig, daß gerade von der Anhöhe, gegen die sie losstürmten, keine Schüsse fielen. Noch verwunderter aber waren sie, als sie, in der Nähe angekommen, eine Fronte von vier oder fünf Regimentern erblickten, die in einem fortwährenden fürchterlichen Niesen begriffen waren und daher nicht daran denken konnten, sich ihrer Schießgewehre zu bedienen. Aehnlich ging es den Mannschaften einiger hier aufgestellten Batterien. Prosit! Prosit! riefen unsere Soldaten, denen dieser Anblick keinen geringen Spaß machte. Die Position wurde somit im ersten Anlauf genommen, die russische Stellung war durchbrochen, die Schlacht gewonnen, und nur hieraus erklärt sich der große Menschenverlust der Russen, der den unsern unverhältnißmäßig überstieg.

In dieser Schlacht kam der gewiß seltene, vielleicht nie dagewesene Fall vor, daß einzelne russische Regimenter hunderte von Todten mehr auf dem Platze ließen, als lebend in ihren Reihen gegen uns gestanden hatten. So sehr überstieg das Gemetzel, das wir unter den Russen anrichteten, allen Glauben! Uns aber schadeten die feindlichen Kugeln nicht sehr, da wir so gedrängt standen, daß sie meist ohne Nachtheil für uns auf unsern Schultern liegen blieben.

Zur Erklärung meines genialen militärischen Manövers muß ich bemerken, daß ich mich während des Donaufeldzugs in meinen sehr zahlreichen Mußestunden mit der Bereitung von Schnupftabak beschäftigt hatte und daß es mir gelungen war, durch gewisse chemische Mittel einen Tabak herzustellen, der zwar nicht augenblicklich wirkt, dann aber auch ein mindestens halbstündiges ununterbrochenes Niesen zur Folge hat.

So und in keiner anderen Weise wurde die Schlacht an der Alma gewonnen, was auch die im Interesse St. Arnaud's verfaßten französischen Kriegsberichte sagen mögen. Der Wahrheit die Ehre! dem bescheidenen Verdienste seine Krone!

Fürst Mentschikoff zog sich nun mit den Trümmern seiner Regimenter, unter denen Einzelne noch bis mitten in die Festung hinein niesten – Hals über Kopf hinter die Mauern von Sebastopol zurück, hinter denen er verschwand wie das Mäuschen im Mauseloch. Wir drangen ihm auf dem Fuße nach, bis uns das Festungsthor vor der Nase zugeschlagen wurde, was wir sehr unhöflich fanden; denn ich und meine Collegen hatten mit Fug und Recht erwartet, Fürst Mentschikoff werde als artiger und gebildeter Mann am Thore stehen und uns einladen, ob es uns nicht gefällig sei, mit hineinzuspazieren und ein Gabelfrühstück bei ihm einzunehmen. Die unerwartete Unhöflichkeit, mit der man uns begegnete, kam uns ächt russisch vor, um so deutlicher aber erkannten wir die uns auferlegte Mission, dieser östlichen Barbarei für immer ein Ende zu machen, damit so etwas in künftigen Kriegen nicht wieder vorkommen könne.

Wenn man sich in solchen Fällen als gebildeter Mensch auf die Artigkeit und Humanität eines feindlichen Feldherrn verläßt und sieht sich dann schändlich betrogen, so ist dies bei militärischen Operationen immer im hohen Grade störend. So standen denn auch wir drei Marschälle, ich als Mittelsperson zwischen Beiden, eine Zeitlang wie angedonnert da, zuckten über diesen offenbaren Verstoß gegen alle Sitte verächtlich die Achseln, und St. Arnaud murmelte: Die Grobiane!

Doch, was half's? Man mußte überlegen, was nun weiter zu thun sei. Die Marschälle behaupteten, die Festung werde sich nicht nehmen lassen, ohne daß man sie vorher umzüngelt habe, worauf ich bemerkte:

Wenn alle unsere Soldaten, wir mit inbegriffen, unsere Zungen gegen die Festung herausstreckten, so wäre sie gerade umzüngelt genug, und wir würden dadurch zugleich den Russen die Verachtung bezeigen, die sie für ihre unartige Weise, uns zu behandeln, verdient haben. Nur fürchte ich, würde uns das wenig helfen.

Was meinen Sie dazu, Herr College? fragte St. Arnaud den englischen Marschall.

Ich denke auch, wie unser verehrter Herr College, sagte Lord Raglan, daß uns dies wenig helfen und wahrscheinlich russischer Seits nur das entsprechende Gegenmanöver zur Folge haben würde.

Aber der Gedanke ist gut, sagte St. Arnaud und leckte mit der Zunge grimmig an seinen Lippen, ich muß Blut lecken von diesen Thoren, von diesen Mauern!

Die Berathung schloß wie gewöhnlich damit, daß meine Collegen die Führung der Operationen gegen die Festung in meine Hände legten. Wenn ich erst auf meine eigene Kraft angewiesen bin, so weiß ich auch, was ich zu thun habe.

Ich stieg also auf eine Anhöhe, sammelte eine Parthie meiner zündendsten Blicke, schleuderte sie auf die Flotte so, daß die Pulverkammern davon getroffen wurden und sofort sprangen drei Linienschiffe, vier Fregatten und ich weiß nicht wie viele Corvetten und Boote mit ansehnlichem Getöse in die Luft. Ihre Trümmer stopften den Eingang des Hafens, und es hat sich in Folge dessen das Gerücht gebildet, daß die Russen eine Anzahl Linienschiffe und Fregatten versenkt hätten, um den Eingang zu sperren. Ich hätte die ganze Flotte in Brand gesteckt, aber ich fühlte, daß mit dieser ungeheuren Kraftentwicklung das Zündfeuer meiner Blicke erloschen war. Gegen die Kanonen der Festung richtete ich unsere Geschütze so, daß ihre Kugeln eine nach der andern gerade in die Mündungen der feindlichen Geschütze flogen, bis ihre Röhren vollständig damit gefüllt waren, so daß daraus nicht mehr geschossen werden konnte.

Endlich schritt ich zu meinem Hauptmanöver: ich hatte die gewandtesten unserer Soldaten darauf einexerzirt, sich rittlings auf die Kanonenröhre gerade vorn an der Mündung zu setzen und in dem Augenblicke, wo die Kugel beim Abprotzen hinausfuhr, sich auf die Kugel zu schwingen, wobei ich bemerke, daß wir nur Geschütze vom stärksten Kaliber und die Kugeln mithin einen solchen Umfang hatten, daß sie recht wohl ihren Mann tragen konnten. So schoß ich einige tausend Mann in die Festung und zuletzt ließ ich mich selbst hinein schießen. Die Kugel flog glücklicher- oder unglücklicherweise dem gerade zum Theater heraustretenden Admiral Kornilow vor den Kopf und mit der mir gewöhnlichen Artigkeit rief ich ihm zu: Entschuldigen Sie, Herr Admiral! es war nicht meine Absicht! Oh, ich bitte, sagte sein Kopf im Abfliegen, es hat gar nichts zu bedeuten!

Während dem stürmten die Engländer und Franzosen von außen, aber die Russen standen wie Mauern auf den Mauern und wie Schießlöcher vor den Schießlöchern und der Sturm wurde mit Eclat abgeschlagen.

Wir in der Stadt befanden uns nun in höchst fataler Lage. Wir hatten uns auf dem Platze vor dem Theater, in welchem sich gerade das russische Hauptquartier befand, gesammelt und standen einem sibirischen Regiment gegenüber, das aus lauter riesenmäßigen Leuten bestand, welche fürchterliche Augen machten und grimmige Gesichter schnitten. Aber schon drangen neue Bataillone aus den Seitengassen uns in Rücken und Flanke, und ich muß sagen, daß nur mein Herzklopfen die Feinde von einem überwältigenden Angriffe abhielt, denn es klopfte so stark, daß die Russen seine Schläge für Kanonenschüsse hielten und sich entsetzt nach den Kugeln umsahen, die wie sie fürchteten von irgend einer Seite her nun in ihre dichten Reihen einschlagen müßten.

In diesem Augenblicke zeigte sich eine seltsame Erscheinung am Himmel. Er verfinsterte sich und man erblickte ein Gewühl wunderlich geformter Geschöpfe, welche von den Russen für riesenmäßige Heuschrecken angesehen wurden. Dieses ungewöhnliche Schauspiel zog Aller Blicke so auf sich, daß wir sowohl als die Russen Gewehr im Arm dastanden und erwarteten, was aus diesem Phänomen werden solle. Ich mit meinem scharfen Auge erkannte bald, daß dies Gewimmel Sucurs war, welchen meine Tochter mir zuführte. Riesenhafte fliegende Fische aus Polynesien waren es und gewaltige fliegende Wassereidechsen. Auf jedem dieser grotesk geformten Luftpferde saß ein Krieger, im Gesicht tättowirt und mit langen Speeren, Bogen und Köchern bewaffnet. Voran ritt Cigaretta, die sich ganz allerliebst ausnahm. Sie trug auf ihren goldfarbenen lang herabwallenden Locken, die mit Perlenschnüren durchflochten waren, ein rothsammtenes Barett, mit einem weit hinten nach wehenden Federschmuck aus der Schwinge des Paradiesvogels, ein schwarzsammtnes knapp anliegendes Mieder und ein durch einen goldenen Gürtel zusammengehaltenes, weißes faltenreiches Gewand, welches wellenartig an ihrem Unterkörper herabfloß bis zu den Spitzen ihrer rothsaffianenen Schuhe. Mit der einen Hand leitete sie ihren Fisch an einem goldenen Zaum, in der andern führte sie einen schlanken biegsamen Speer.

Guten Tag, Papa! rief sie mir zu; nur immer drauf! Ich helfe dir! Ihre Trompeter und Hornisten bliesen nun auf ihren gewundenen Muschelhörnern eine lustige Kriegsfanfare, und ihre Leute entluden eine Wolke von Pfeilen auf die höchlichst verwunderten Russen oder stießen mit ihren langen Speeren nach ihren Köpfen. Aber es ist merkwürdig, wie die Russen stehen, wenn sie keine Stühle zum Sitzen haben. Nur ein Phanariote, Fürst Kantschukeno, der als Oberst in der griechischen Legion diente, stand nicht, sondern kniete auf offenem Platze nieder und rief, die Hände gegen Cigarretta ausstreckend: Himmlisches Wesen! sei meine Gattin, oder gib mir den Gnadenstoß! Ich bemerkte, daß meine Tochter, als sie des schönen Mannes ansichtig wurde, zusammenzuckte und darüber vergaß, den Ihrigen die nöthigen Befehle zu ertheilen, so daß die Reihen ihres fliegenden Heeres in Unordnung geriethen. Viele Krieger, von russischen Kugeln getroffen, stürzten und manche Fische und Eidechsen, denen die Kraft oder der letzte Tropfen Wassers in den Flossen ausgegangen war, fielen auf den Erdboden, zappelten hier erbärmlich und wurden sammt ihren Reitern von den Russen mit Bayonnetten niedergestochen. Ich aber mit den Meinen sah mich von allen Seiten her schwer bedrängt.

In dieser äußersten Noth fiel mir ein letztes äußerstes Mittel ein. In den Seitentaschen meines Waffenrocks trug ich einige Hefte der »Grenzboten«, mit deren unterhaltender Lectüre ich mich während meiner Mußestunden zu beschäftigen pflegte. Diese fielen mir noch zu rechter Zeit ein, und da ich an ihrer Wirksamkeit in wirklich kritischen Augenblicken nicht zweifelte, zog ich einige derselben heraus und warf sie entschlossen mitten in das Quarré der Russen.

Als die Russen das Zeichen sah'n
Fiel sie an der Verzweiflung Wahn –
Sie glaubten sich schon in der Hölle!

Kurz die Russen schrieen entsetzt: die Grenzboten! die Grenzboten! und stoben nach allen Seiten auseinander. Wir stießen, wohin wir auch mit unsern Bayonnetten stießen, nun auf keinen Widerstand mehrWenn ich mich vor zwanzig Jahren in derselben kritischen Lage befunden hätte, würde ich das gleiche Manöver mit dem Menzel'schen »Literaturblatt« versucht haben, und ich zweifle nicht, daß es dieselbe entscheidende Wirkung auf die Russen hervorgebracht haben würde.

Anmerkung Fritz Beutel's im Manuscript.

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Als Fürst Mentschikoff, der sich im Theatergebäude befand, dieses militärische Manöver und seine fürchterlichen Wirkungen wahrnahm, mochte er Alles verloren geben; denn er trat, ganz bleich im Gesichte, in die Säulenhalle und rief mir zu:

Marschall von Beutel! Lassen sich Ew. Excellenz herbei, die drei untersten Stufen heraufzusteigen, wie ich mich herbeilassen werde, die drei obersten Stufen herunterzusteigen. Lassen Sie uns auf der Mittelstufe über die Uebergabe der Festung conferiren! Nur bitte ich: keine »Grenzboten« mehr! setzte er schaudernd hinzu, als er sah, daß ich Anstalten machte, den davon laufenden Russen auch die beiden letzten Hefte meiner »Grenzboten« nachzufeuern.

Ich verstand mich dazu, dem Fürsten drei Stufen entgegenzukommen, denn ich sah ein, daß der Fürst sich erniedrigte, nicht ich, indem er ja herab-, ich aber hinaufstieg. Schon dadurch befand ich mich augenscheinlich im Vortheil.

Als Jeder seinen Fuß auf die Mittelstufe gesetzt hatte und wir einander gegenüberstanden, sagte der Fürst: Excellenz! Sie haben uns auch gar zu arg mitgespielt! Alles andere hätten Sie uns an den Kopf werfen können, nur diese furchtbaren »Grenzboten« nicht, und ich weiß nicht, ob es nach dem Kriegsrecht erlaubt ist, ein so vernichtendes Mittel im Kriege anzuwenden. Indeß fühle ich, daß ich leider nicht in der Lage bin, Ew. Excellenz hierüber Vorstellungen zu machen. Wir sind in Ihrer Gewalt, die Sie jedoch, soweit ich Ihre edle Gesinnung kenne, nicht mißbrauchen werden. Die Fortsetzung physischen Widerstands ist uns nach Ihrem letzten Manöver unmöglich, und aus einem moralischen Widerstande würden Sie sich nichts machen. Unterhandeln wir also über die Uebergabe der Festung, wenn es Ew. Excellenz genehm ist.

Ich entgegnete dem Fürsten mit gleicher Artigkeit, bedauerte, daß im Dienste der westlichen Civilisation die Anwendung auch der barbarischsten Mittel erlaubt sein müsse, und da dem Fürsten die Sache eben so langweilig zu sein schien, als sie mir war, so wurden wir bald über die Capitulationsbedingungen einig.

Hiernach wurde die Festung sammt allem Kriegs- und Mundvorrath, sammt allem Material und sammt der ganzen Flotte, so viel ich davon übrig gelassen hatte, den Verbündeten ohne weitere Bedingungen übergeben.

Wir wollten eben die Feder ansetzen, um das Actenstück zu unterzeichnen, als eine Deputation russischer Offiziere, mit einem General an der Spitze, in das Theatergebäude Einlaß begehrte und erhielt. Sie wurden mir vorgeführt und der General redete mich folgendermaßen an:

Excellenz! die gesammte Garnison Sebastopols läßt Sie aufs dringendste ersuchen, sie sämmtlich zu Kriegsgefangenen machen zu wollen. Es würde uns dies zur höchsten Ehre und zum schönsten Vergnügen gereichen. Wir können unsere Soldaten kaum noch halten, so sehr verlangt es sie, sich in die Arme der westlichen Civilisation zu stürzen, vorausgesetzt, daß sie dazu nichts weiter zu lernen brauchen. Wir haben gehört, daß mit dieser Civilisation ein sehr gutes Leben verbunden ist, und wir wünschen daher, in die Capitulation die Bedingung aufgenommen zu sehen, daß sich die Garnison kriegsgefangen ergibt, doch mit der ausdrücklich hinzugefügten Klausel »des guten Lebens wegen«, damit darüber später kein Irrthum obwalten kann.

Ich bin ein menschenfreundlicher Mann und gönne Jedem und namentlich mir selbst ein gutes Leben; ich willigte daher ein, und nahm in die Capitulation den weiteren Artikel auf: Die Besatzung von Sebastopol ergibt sich als kriegsgefangen, unter der ausdrücklichen Bedingung: des guten Lebens wegen.

Da ich nun diese Capitulation doch nicht einseitig abschließen konnte, so beschloß ich, mit dem Actenstück sofort in das Hauptquartier der Verbündeten zurückzureiten, um die Unterschrift meiner Collegen, der beiden Marschälle, zu erhalten.

Als ich aus dem Theatergebäude auf den offenen Platz wieder hinaustrat, sah ich die Krieger meiner Tochter damit beschäftigt, ihre fliegenden Fische und Wassereidechsen in den Fluthen des Hafenbassins zu baden und zu erfrischen. Cigarretta selbst aber stand in der Mitte des Platzes und plauderte sehr vertraulich mit dem jungen Phanarioten Michael Kantschukeno, was mich einigermaßen befremdete. Kaum nahm Kantschukeno mich wahr, als er sofort auf mich zutrat und sagte: Excellenz, erlauben Sie mir, mich Ihren Sohn nennen zu dürfen, indem ich hiermit um die Hand Ihrer reizenden Tochter, der verwittweten Königin von Tua-Hateine, anhalte.

Meiner Tochter einen strafenden Blick zuwerfend, antwortete ich: Hat das so große Eile? Ergibt sich meine Tochter so schnell, wie Stadt und Festung Sebastopol? Das hätte ich von meiner Tochter, der Tochter Fritz Beutel's, nicht erwartet.

Ich bin nicht erobert worden, Vater! sagte Cigarretta, sondern ich habe erobert – das ist der Unterschied.

Der Eroberte, derjenige, der capitulirt hat, bin ich, sagte Fürst Michael.

Niemals, mein Herr! rief ich. Niemals werde ich meine Tochter einem Manne geben, der für die östliche Barbarei kämpft – niemals!

Cigarretta stampfte mit ihren kleinen saffianbeschuhten Füßen auf den Boden und erklärte mit der ihr eigenen Energie: Nun erst recht! Ich selbst bin Barbarenkönigin, und ich rechne es mir zur Ehre an, dies zu sein. Geht mir mit eurer schlaffen, raffinirten, ausgemergelten Civilisation, die selbst den Krieg nur noch mit Maschinen zu führen weiß, den Mann möglichst der Gefahr entrückt und immer nur darauf sinnt, mit ihren Geschützen auf Entfernungen zu wirken, wohin die Geschütze des Feindes nicht reichen. Fort mit dieser feigen hinterlistigen Civilisation! Nur in der Barbarei ist Wahrheit, Muth, Poesie, Straffheit und Lebensfülle! Fürst Michael, ich werde Ihr Weib!

Im Grunde gefiel mir dieser Trotz, diese Entschiedenheit; ich bemerkte mit Freuden, daß Cigarretta ein Urcharakter sei, wie ich selbst, und ich fühlte in diesem Augenblicke in der That, daß Urmenschen, wie ich und meine Tochter, Stoffe in sich trügen, die mehr mit der Barbarei als der Civilisation verwandt seien.

Indeß hatte ich keine Zeit, mich mit meiner Tochter in längere Auseinandersetzungen einzulassen, ich ritt daher weiter und rief meiner Tochter nur zu: Thue, was du willst, Kind Beutel's und der Natur!

Im Hauptquartier angekommen, fand ich die beiden Marschälle in entsetzlicher Wuth über das Mißlingen eines zweiten Sturms, den sie, unkundig der Dinge, welche im Innern der Stadt vorgegangen waren, inzwischen unternommen hatten. Wie rissen sie die Augen auf, als ich ihnen das Vorgefallene erzählte und ihnen das Actenstück mit den Capitulationsbedingungen überreichte!

Flunkerei! sagte erst St. Arnaud, Schwindelei! Lord Raglan, Aufschneiderei! St. Arnaud, Narrenspossen! Lord Raglan.

Als sie aber das Actenstück näher prüften, konnten sie an der Wahrheit nicht mehr zweifeln. Aber sie nahmen es gar nicht mit der Freundlichkeit auf, die ich erwartet hatte; Eifersucht, Neid, gekränkter Ehrgeiz, verbissener Aerger malten sich in ihren civilisirten Zügen, durch die jedoch die innere Barbarei dämonisch hindurchblickte. Sie gönnten mir den Ruhm meiner Thaten nicht, lieber verschmähten sie die kostbare Beute, die ich ihnen zu Füßen legte.

Wie kann ich aus dem, was Sie uns erzählen, ein regelrechtes Bülletin machen, das nach dem Geschmack der Pariser wäre? rief St. Arnaud; schon deshalb kann ich diese Capitulation nicht ratificiren. Es ist überhaupt noch nicht so viel Blut vergossen, als in meinem Feldzugsplane und im Interesse der Pariser liegt. Ehe mir nicht das Blut bis zur Taille reicht, eher nehme ich keine Capitulation an – Blut bis zur Taille! Blut bis zur Taille!

Lord Raglan aber sagte: Kriegsgefangen? die ganze Besatzung? Und zwar damit wir ihr ein gutes Leben verschaffen? Wo ist es erhört, daß man Kriegsgefangenen ein gutes Leben verschafft? England steckt schon bis über die Ohren in Schulden, und nun soll wohl das Parlament noch Gelder für Porter, Ale, Champagner und Delicateßwaaren bewilligen, um diese Barbaren auf Kosten der westlichen Civilisation zu füttern. Denken Sie denn, daß die Kaufleute der City ihr Geld auf der Straße finden? Fürchten Sie sich nicht vor den niederschmetternden Leitartikeln der Times? Diese Barbaren – und wollen ein gutes Leben haben! God save the Queen!

In seiner Wuth fing Lord Raglan an, God save the Queen zu singen, wobei er höchst komische Grimassen machte, da er gerade kein großes Gesangstalent besaß. Ich hatte den Lord nie in einer so fürchterlichen Aufregung gesehen, denn für gewöhnlich war er sehr wortkarg.

Also wollen Sie den Vertrag nicht ratificiren, Sie barbarischer Vertreter der westlichen Civilisation? rief ich.

Blut bis zur Taille! Blut bis zur Taille! rief St. Arnaud; God save the Queen! sang Lord Raglan. Non, non! No, no! riefen sie dann. Oui, oui! Yes, yes! rief ich; Blut bis zur Taille! Blut bis zur Taille! rief wieder St. Arnaud, in gewohnter Weise mit der Zunge grimmig an der Lippe leckend, God save the Queen! sang Lord Raglan mit wuthunterdrückter Stimme und ärgerlich die Cravatte in die Höhe zupfend, in die zuletzt sein ganzes Gesicht versank, daß davon nichts mehr zu sehen war, als die Nasenspitze, die unheimlich aus der schwarzen Verschanzung hervorblickte.

Sind Sie mit Ihrem Liede noch nicht zu Ende? fragte ich, mir scheint es in der That Lied am Ende zu sein. Sie wollen also nicht?

Non, non! – No, no!

Nun, so falle auf Sie die Verantwortung, Sie Barbaren-Marschälle in der Civilisationsmaske! rief ich, wandte mein Pferd und sprengte in die Festung zurück.

So kam es, daß die von mir eroberte Festung in den Händen der Russen blieb. Die berühmte oder berüchtigte Tartarennachricht aber hatte nicht gelogen, die Welt ist nicht getäuscht worden, die Wiener Zeitungen haben sich auch in diesem Falle, wie immer, als untrügliche Quellen historischer Wahrheit ausgewiesen. Die Nachricht von der Uebergabe der Festung hatte sich inzwischen verbreitet. Ein Karpfen hatte sie aufgeschnappt, nämlich das Actenstück, das ich in einem Anfalle gerechter Entrüstung in das Hafenbassin geworfen hatte; er war bis vor den Eingang des Hafens geschwommen, wurde hier aufgefischt und zu einem Diner zubereitet, welches ein englischer Schiffskapitän kurz vor seiner Abfahrt seinen Freunden gab. Beim Zerlegen des Fisches hatte man das noch ziemlich leserliche Actenstück gefunden; ein anwesender Lord, der es in seiner einsamen Villa als den köstlichsten Schatz seiner historischen Curiositätensammlung verwahrt, hatte es dem Schiffskapitän um die Summe von 10,000 Pfund Sterling abgekauft, der Schiffskapitän aber die Nachricht davon nach Varna gebracht, von wo sich die Kunde durch den berühmten Tartaren weiter verbreitete. Die Kunde von der Uebergabe Sebastopols hat somit auf die natürlichste Weise, die es geben kann, ihren Weg in die Länder des Westens gefunden.

Als ich über den Platz vor dem Theatergebäude dahinsprengte, stand Cigarretta mit dem Fürsten Michael Kantschukeno noch immer in der Mitte des Platzes, wo sie schon in dem Augenblicke gestanden hatten, als ich aus Sebastopol wegritt.

Kinder! rief ich ihnen zu, eurer Vermählung steht nun auch von meiner Seite nichts mehr entgegen. Heirathet euch barbarisch und liebt euch civilisirt, oder umgekehrt – ich habe ja doch nichts davon. Nadelgeld sollst du von mir erhalten, Cigarretta; so viel Nadeln du in der Wirthschaft brauchst, will ich gern bezahlen. Sonst macht euch auf keine Ausstattung weiter Rechnung, aber empfangt meinen väterlichen Segen, an dem ja doch Alles gelegen ist.

Dem sehr natürlichen Ausdrucke ihres Dankgefühls ausweichend, sprengte ich rasch bei ihnen vorüber, dem Theatergebäude zu.

Der Aeußerung vom Nadelgeld habe ich Erwähnung gethan, weil Cigarretta – eine würdige Tochter ihres Vaters – mir später das Nadelholz in Rechnung brachte, womit sie ihre Zimmer heizte; denn sie behauptete, das seien ja auch Nadeln, die sie in der Wirthschaft brauche, obschon bloße Tannennadeln. Ich lachte und zahlte.

Vom Pferde abgestiegen, begab ich mich in das Theatergebäude zu meinem angehenden Freunde Mentschikoff und sagte:

Fürst! mit unserem Vertrag ist es nichts; meine Collegen, die Marschälle, wollen ihn nicht anerkennen.

Die – ich hätte bald etwas gesagt, erwiederte Mentschikoff. Nun, mir ist's recht, mir ist alles Eins, wie die Wiener sagen. Es wird Alles darauf ankommen, was Sie nach einer solchen Bloßstellung zu thun gedenken. Bleiben Sie und der Himmel neutral, dann will ich mit unsern Belagerern schon fertig werden.

Allerdings werde ich neutral bleiben, erwiederte ich, ohnehin bin ich ein Deutscher, und es ist der natürliche Beruf des Deutschen, immer nur neutral zu sein. »Was geht das mich an? Ich habe ja doch nichts davon!« ist eine Lieblingsphrase meiner Landsleute. Soll ich hiervon eine Ausnahme machen?

Verehrter Freund! rief Mentschikoff entzückt, jetzt stehen Sie auf der Höhe der deutschen Politik! So wollen wir Russen den Deutschen. Ach, der Deutsche ist so liebenswürdig in seiner Neutralität, er begreift es gar nicht. Womit kann ich mich Ihnen erkenntlich zeigen?

Fürst! erwiederte ich, wollen Sie mir eine Freude bereiten, so verehren Sie mir Ihren berühmten weltgeschichtlichen Paletot, der ja doch die ganze Geschichte eigentlich veranlaßt hat. Wenn ich wieder nach New-York komme und eine Ausstellung unternehme, so wird er das Hauptstück sein und mich zu einem steinreichen Mann machen. Schade daß Sie von diesem Paletot nicht mehrere Exemplare besitzen.

Oh, nehmen Sie! sagte Mentschikoff, und mit der liebenswürdigsten Bereitwilligkeit zog er den Paletot, den er zufällig trug, sofort aus und überreichte ihn mir; er wird Sie in Ihrer Neutralitätspolitik bestärken, er ist gut gegen Regen und Sonnenschein und hält jedes Wetter ab!

Ich bemerkte, daß noch der Alexander-Newski-Orden daran saß und machte den Fürsten darauf aufmerksam.

Thut nichts! sagte der Fürst, eine Kleinigkeit! ich lasse mir einen neuen kommen. Haben Sie doch alle Orden der Welt verdient! Wäre ich der Czar, so würde ich einen neuen Orden, den Orden der heiligen Neutralität, stiften und Sie zum ersten Ritter und Comthur desselben ernennen.

Ich habe nur noch Weniges hinzuzufügen. Ich blieb neutral wie ich dem Fürsten versprochen hatte. Ich bezog mit meiner Tochter und ihrem jungen Gemahl ein prächtiges Lustschloß in der Nähe von Baktschisarai, der alten Hauptstadt der Khane. Meine Tochter gab den Russen ihre Heerschaar in Dienst, und diese hat bei der Vertheidigung von Sebastopol wacker mitgewirkt, ebenso ihre fliegenden Fische und Wassereidechsen. Diese wurden erst ins Hafenbassin getaucht, tüchtig getränkt und dann gegen das feindliche Lager getrieben, wo sie den Alliirten gegen die Köpfe flogen oder aus ihren Flossen das Wasser in die Laufgräben rinnen ließen und diese bis zum Rande füllten. Die Berichte der Alliirten sprechen daher häufig von fürchterlichen Mosquitos und verderblichen Regengüssen; sie wollen die Wahrheit nicht eingestehen.

Der Gang, den die Belagerung von Sebastopol genommen hat, ist in seinen äußern Thatsachen bekannt, aber nicht die innere Geschichte dieser merkwürdigen Belagerung. Wer über diese zu historischen Zwecken unterrichtet sein will, wende sich in portofreien Briefen an mich und lege einen Louisd'or bei; ich werde ihm so viele Aufklärungen und Enthüllungen verschaffen, daß ihn der Louisd'or nicht reuen wird.

Meine Collegen, Marschall St. Arnaud und Lord Raglan, starben aus Gram, Eifersucht und Aerger. Von den Feldherren der ersten Periode der Belagerung bin ich allein noch übrig, ich verdanke dies namentlich meiner umsichtigen Neutralitätspolitik, die freilich auch in einem kerngesunden Körper wohnt, was nicht immer der Fall ist. Allen Verlockungen, die darauf berechnet waren, mich für die eine oder andere Seite zu gewinnen, habe ich mit seltener Beharrlichkeit widerstanden. Frankreich bot mir nicht Einen, sondern gleich ein Dutzend Marschallstäbe an, und England schickte mir Atlaszeug, um mir daraus drei Dutzend Ordensbänder des Hosenbandordens fertigen zu lassen; ich schickte aber das Präsent wieder heim, und bemerkte im Briefe nur: »mit Verachtung vom Neutralitätsstandpunkte zurück;« mit gleicher Entschiedenheit wies ich aber auch alle Zumuthungen Rußlands von mir, obschon es mir unter der Hand die Zusage machen ließ, daß ich nach glücklicher Beendigung des Kriegs zum General-Aufseher aller sibirischen Zobel mit Großfürstenrang ernannt werden sollte.

Meine Ländereien in der Krim sind neutral erklärt, kein Russe darf sie ohne meine ausdrückliche Erlaubniß betreten oder auch nur zu betreten beabsichtigen, und wenn es den Alliirten die Seeveste Sebastopol wirklich zu nehmen gelingen und es ihnen alsdann gelüsten sollte, das Neutralitätsprivilegium meiner Besitzungen zu verletzen, so sollen sie erkennen, mit wem sie es zu thun haben.

Indeß dürfte doch sehr bald der Augenblick gekommen sein, der es mir gestattet, aus meiner Neutralitätspolitik herauszutreten und in den Welthändeln eine active Rolle zu spielen. Ich bin in der letzten Zeit mit Hunderten von Kirgisen und Baschkiren zusammengetroffen, die Alle ein feines rothes Haar, welches ohne Zweifel aus dem Barte des Kaisers Friedrich Barbarossa stammt, im zweiten Knopfloche von oben rechts trugen. Es ist dies, wie die Leser wissen, das Zeichen des Geheimbundes, welchen Friedrich der Rothbart gestiftet und zu dessen künftigem Oberhaupt er mich ausersehen hat. Leider wußten mir die Leute auf meine Frage nur in baschkirischen und kirgisischen Lauten zu antworten, doch das schadet nichts, wenn sie nur sonst gut deutsch gesinnt sind. Wer aber könnte für Barbarossa's deutschen Einheitsplan fürchten, wenn selbst die Söhne der kirgisischen Steppen für ihn schwärmen und wie ich leider an mir selbst erfahren mußte, gelegentlich auch stehlen!

Hiermit schließe ich meine Memoiren. Ich habe meine Freunde und Verwandte in einer Weise untergebracht, wie dies auch dem erfindungsreichsten Romanschriftsteller, der dabei nur seine Phantasie zu Rathe zöge, schwerlich gelingen würde. Krischan Schroop ist im fernen Kalifornien glücklicher Farmer und als gelegentlicher Wallfischfänger seiner Frau fortwährend behilflich, dem Leben die besten Seiten, die es bietet, solide Speckseiten abzugewinnen. Meine erste Gattin, Beate Regina Cordula Veronica Pipermann, besorgt, wie man weiß, in New-York decenten alten Junggesellen die Wäsche, während ihr Gatte, Prinz Knitschogarsk, als Hauptthranhandlungsagent bereits ein hübsches Kapitälchen zusammengebracht haben soll. Freund Winkerle, fast verschollenen Andenkens, ist Türke bester Qualität geworden, wobei freilich das Türkenthum ebenso wenig gewonnen als das Christenthum verloren haben mag, und hat in Varna eine Barbier-, Bade- und Wirthschaftsstube für Angehörige aller Religionen, jedoch mit besonderer Berücksichtigung der Bestzahlenden angelegt. Hans von Piesack hat den Dienst bei den Baschi Bojuts, nachdem seine eigenen Leute ihn rein ausgeplündert, quittirt, steht jetzt in Sebastopol, wo ich ihn selbst sprach, als Oberkanonier in der Bastion Nr. 3 Nordseite und wird es wohl auch noch, obschon er nicht mehr jung ist, vor seinem Lebensende bis zum Offizier bringen, falls nicht eine feindliche Kanonenkugel seinem verfehlten Leben vorher ein Ende macht, was er sehr zu wünschen scheint, um seines Himmelsbrod statt des unverdaulichen russischen Kommißbrodes essen zu können. Peter Silje gedeiht als Geheimsecretär des türkischen Ministers des Auswärtigen und als Besitzer des diplomatischen Notenverfertigungsbureau und hat von neutralen Staaten, die seine besten Kunden sind, wieder einige Aufträge erhalten, klagt aber doch im Allgemeinen sehr über Abnahme des Geschäfts, und seine Frau klagt natürlich noch mehr, zumal sie jetzt die größte Arbeit hat, da sie das neutrale Fach verwaltet. Meine Tochter, verwittwete Königin von Tua-Hateine, habe ich in brillanten Verhältnissen als krim'sche Fürstin untergebracht und sie hat mir dafür zum Danke so eben einen kleinen Enkel in die Arme gelegt, der seinem Großvater höchst ähnlich zu werden verspricht. Endlich bin ich unparteiisch genug gewesen, sowohl über meine Rivalen St. Arnaud und Lord Raglan als über meine beiden Eltern und elf Geschwister Gras wachsen zu lassen – kann ich mehr thun? Was mich betrifft, so beobachte ich von der hohen Warte der ironisirenden Neutralitätspolitik den Gang der Weltereignisse, um, wenn meine Zeit gekommen ist, von Neuem in das Räderwerk der Weltgeschichte einzugreifen.

Wo ich in diesem Buche gedichtet zu haben scheine, habe ich auch zugleich die Wirklichkeit geschildert, und wo ich die Wirklichkeit geschildert zu haben scheine, habe ich zugleich auch gedichtet. Nur wer, so lange er lebt, sein Leben mit- und durchdichtet, lebt wirklich, und nur was sich nie und nirgends begeben hat, das allein veraltet nicht, nach dem Ausspruch eines großen Dichters, das allein also ist wirklich und dauernd. Was heute nicht möglich scheint, war vielleicht gestern möglich oder wird morgen möglich sein. Alle erleben Dinge, die sie vorher gar nicht für möglich hielten, und hundertmal hört man den Ausruf: das ist nicht möglich! und doch ist es nicht blos möglich, sondern es ist wirklich geschehen. Wenn der Leser zum Schlusse des Buchs auch sagen sollte: So etwas ist noch nicht erlebt worden, so wird er eben so gern gestehen: So etwas kann erlebt werden, wenn man eben – Fritz Beutel ist.


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