Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Fünfzehntes Kapitel.

Jeder Tugendhafte meide das Würfel- und Kartenspiel – es gibt nichts Verruchteres. Wenn man aber das Unglück hat, unversehens in eine Spielergesellschaft zu gerathen, so suche man seinen Widerpart möglichst auszubeuteln, um ihm durch den Verlust, den man ihm zufügt, die Augen über sein verderbliches Treiben zu öffnen und ihn dadurch aus bessere Wege zu bringen.

Garve.

Wenn ein Indianermädchen einen Weißen liebt, so folgt daraus immer noch nicht, daß auch der Weiße das Indianermädchen liebt.

Chateaubriand.

Es war an einem Nachmittage als ich nach mehrtägigem Ritte in das Labyrinth einer wilden Gebirgslandschaft gerieth, die, wie ich glaube, zu dem Tract der berüchtigten Rocky Mountains gehörte. Ich ritt einen schmalen Bergpfad hinauf, an dessen einer Seite mächtige überhängende Felsmassen aufgepfeilert waren, während auf der andern ein Abgrund klaffte, der sich in eine schwindelerregende nächtliche Tiefe niederstreckte. Das Geröll wich unter den Hufen meines Pferdes fortdauernd und erhöhte nicht wenig die Gefahren meiner Lage. Glücklicherweise schien aber meine Stute an solche Bergparthien gewöhnt zu sein, denn sie schritt mit der Sicherheit eines Maulthiers hart an dem Rande des Abgrunds fürbaß. Endlich senkte sich der Pfad, und nun begannen die Schwierigkeiten erst recht. Es ging oft so steil abwärts, daß mein Roß das Klügste that, was es thun konnte, sich auf sein Hintertheil setzte und nun die steilsten Strecken hinabrutschte, ein Manöver, welches mein Herabkommen nicht wenig förderte.

Es war inzwischen Abend geworden; doch erhellte der Mond, der eben über die Berggipfel jenseits der Schlucht hinaufstieg, meinen schauerlichen Pfad, der sich jetzt nur noch in geringer Höhe über der Thalsohle erhob.

Um eine Felsecke biegend, erstaunte ich nicht wenig, als ich zu meinen Füßen ein hell und hoch aufloderndes Feuer erblickte, welches malerische Reflexe gegen die Felsgebilde zu meinen Füßen warf, und um welches einige Dutzend menschliche Gestalten zechend, würfelnd und lärmend gelagert waren.

Als sie mich, durch das Geräusch der herabrollenden Steine aufmerksam gemacht, über ihren Häuptern erblickten, sprangen sie auf und einige machten sich den Spaß – denn ein Spaß und nichts weiter sollte es doch wohl sein – ihre Büchsen gegen mich abzufeuern. Die Bergluft hatte jedoch meine Lunge wunderbar gestärkt, und wenn ich eine Kugel gegen mich herfliegen sah, sammelte ich schnell den Athem in meiner Lunge und stieß ihn dann wie ein mächtiger Blasbalg mit aller Gewalt von mir, der Kugel gerade entgegen. Diese, dem Sturmwind meines Athems begegnend und von ihm zurückgetrieben, fiel dann mitten unter die Gesellschaft machtlos zurück, was diese nicht wenig Wunder zu nehmen schien. Nachdem ich ein Dutzend Kugeln auf diese Weise zurückgeblasen hatte, ließen sie von ihrem Scherze ab, der einem Andern als mir ohne Zweifel sehr übel bekommen sein würde.

Bald war ich mitten unter dem Trupp, welcher aus Trappers oder Biberjägern bestand und mich, der von den Männern wahrscheinlich für einen Zauberer gehalten wurde, scheu und wild anblickte. Durch mein gemüthliches Wesen, meinen herzlichen guten Abend und meinen biedern Händedruck hatte ich sie jedoch bald für mich gewonnen und wurde von ihnen eingeladen, an ihrer Abendmahlzeit, in einem kräftigen und saftigen Wildbraten bestehend, Theil zu nehmen. Ich ließ mich nicht lange nöthigen und langte in einer Weise zu, die ihre Achtung vor mir nur vermehren konnte. Dazu kreiste die Flasche und da sie bald wahrnahmen, daß ich auch in diesem Geschäft etwas Ungewöhnliches leistete, zollten sie mir offen die Bewunderung, die ich nur zu sehr verdiene.

Diese Männer mit ihren durchwetterten, wie verschrumpftes Pergament aussehenden Gesichtern, ließen hierauf nicht eher ab, bis ich einwilligte, an ihrem Würfelspiel Theil zu nehmen, für welches die Trappers bekanntlich leidenschaftlich eingenommen sind. Sie sagten mir dabei offen ins Gesicht, daß sie mich für die Ehre, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben, rupfen wollten. Um ihnen Vertrauen einzuflößen, ließ ich sie anfangs gewinnen und verlor an sie mein Pferd, meine Flinte, und zuletzt meinen schönen Schnurrbart, auf den es einer der Trappers abgesehen hatte, weil er, wie er sagte, dieses kostbare Stück seiner Frau oder »Squaw« als Trophäe mit heimbringen wollte. Er sprang auch sofort auf, um sich meines Bartes zu bemächtigen; ich widersetzte mich jedoch und bemerkte: daß wir das Glück erst weiter versuchen wollten, um am Schlusse des Spiels über Gewinn und Verlust Abrechnung zu halten. Er weigerte sich darauf einzugehen und es kam darüber zwischen ihm und einem Jäger, der sich auf meine Seite stellte, zu einem heftigen Streit, in welchem sie zuletzt ihre Bowieknives, jene langen und breiten Messer, welche die Trappers am Gürtel zu tragen pflegen, entblößten und damit auf einander losgingen. Sofort bildete sich um die Kämpfenden ein Kreis, der dem blutigen Streite wie einem Lustspiele zusah und jeden glücklich geführten Stoß mit wieherndem Jubel begrüßte. Beide Kämpfenden bluteten bereits aus mehreren Wunden, als plötzlich der Anfänger des Zwistes einen so kräftigen Stoß mit dem Messer zwischen die Rippen erhielt, daß er mit einem Schrei zu Boden sank und es ganz unmöglich fand, wieder aufzustehen, aus dem einfachen Grunde, weil er eine Leiche war.

Der Kreis der Zuschauer löste sich sofort; der Getödtete wurde in den nahen Bergstrom geworfen und man setzte sich, als ob gar nichts vorgefallen sei, wieder zum Spiele. Ich gab diesem nun eine andere Wendung und gewann nicht nur mein Pferd und meine Flinte zurück, sondern auch eine Menge von Biberfellen, sämmtliche Büchsen und sogar drei oder vier Squaws (so nennen sie ihre Weiber), welche einige der tollsten Spieler eingesetzt hatten. So war ich plötzlich im Besitze von mehreren hoffentlich liebenswürdigen Trappersfrauen und die Verlierenden versäumten nicht, mit der Ehrlichkeit professioneller Spieler, mir die Orte zu nennen, wo ich sie finden und abholen könnte.

Ich hatte Alle rein ausgeplündert, so daß sie nichts mehr einzusetzen hatten. Da rief Einer: ich setze mein Beinkleid! und alle Uebrigen folgten seinem Beispiel. Wir würfelten weiter, und das Glück wollte mir so wohl, daß ich ihnen zuletzt auch die Beinkleider abgewonnen hatte, deren sie sich auch sofort mit größter Gemüthsruhe entledigten.

Lieben Freunde! sagte ich hierauf, ihr habt mich ausziehen wollen, und ich habe euch ausgezogen, im buchstäblichsten Sinne. Zur Strafe für eure Absicht, mich, euren Gastfreund, zu rupfen, werde ich eure Beinkleider behalten; in dieser Wildniß habt ihr euch vor Niemand zu schämen und da wir schönes warmes Wetter haben, auch keine Erkältung zu befürchten. Auf eure Biberfelle und Büchsen, die mir ohnehin eine zu schwere Last sein würden, als daß ich sie fortbringen könnte, verzichte ich. Diejenigen eurer Squaws, die das Glück mir zugewürfelt hat, werde ich, wenn ich sie treffen sollte, von ihren Ehemännern freundlichst grüßen. Und somit Gott befohlen, ihr Herren!

Ich hatte inzwischen die meist noch neuen, aus feinstem Biberfell gearbeiteten Beinkleider – mit denen ich, beiläufig sei es gesagt, eine Speculation im Sinne hatte – in ein großes Tuch gebunden und auf den Rücken meines Pferdes festgeschnallt. Ich schwang mich nun in den Sattel und sprengte, da inzwischen der Morgen angebrochen war und die Gegend im hellen Schimmer der Frühsonne vor mir lag, davon, die Richtung nach Osten einschlagend. Die Trappers ließ ich über meine Großmuth und mein plötzliches Erscheinen und Verschwinden ganz verwundert zurück, und ich verdenke es ihnen nicht, wenn sie, wie es schien, der Vermuthung Raum gaben, daß irgend ein gelangweilter Berggeist menschliche Gestalt angenommen und sich einen Spaß mit ihnen gestattet habe.

Mühevoll arbeitete ich mich mit meinem Klepper durch mehrere Bergbäche, übersprang mit ihm eine Zahl Abgründe und ritt einen schwierigen Bergpfad entlang, bis ich plötzlich am Rande einer steilen hohen Felsenwand stand, von der ich die Aussicht in die Prairie hatte, die sich wie eine unermeßliche mit grünem Tuche bedeckte glatte Tafel vor meinem Blicke ausbreitete. Was nun anfangen? Umzukehren war niemals meine Art, auch mußte ich besorgen, in dem Felsenlabyrinth mich zu verirren oder gelegentlich Hals und Beine zu brechen. Vorwärts hieß also die Losung!

Ich überließ das Thier sich selbst und jagte es in die Berge zurück, was es sich auch, ohne über sein Schicksal weiter zu reflectiren, recht gern gefallen ließ. Es machte einige gewaltige Sprünge, und verschwand bald meinen Blicken. Nun band ich mir das Packet mit den Beinkleidern, das ich ihm vorher abgeschnallt hatte, so vor, daß davon Unterleib, Brust und Gesicht bedeckt wurden, gab meinem Körper einen gewaltigen Schwung, und sprang von der Felswand hinab. Während des Sprungs balancirte ich und regierte ich das Packet so geschickt mit den ausgebreiteten Armen, daß ich wie auf einem Fallschirm in die Tiefe gelangte. Ich plumpte zwar etwas stark auf; aber kein Körpertheil berührte den ohnehin durch ein Bergwasser durchweichten und mit hohem Grase dicht bewachsenen Boden, und so geschah mir kein Leid; auch nicht ein Finger that mir weh.

Ich löste nun meinen Körper von dem Packete los, verringerte es um ein Bedeutendes, indem ich die weniger gut erhaltenen Beinkleider als unnützen Ballast wegwarf, nahm das um die Hälfte erleichterte Pack auf den Rücken und schritt in Gottes Namen darauf los, mich meiner Flinte dabei als Stock bedienend.

Aber es war ein saurer Marsch. Kein Baum, kein Strauch gewährte mir Schutz gegen die heißen Sonnenstrahlen, kein Bach einen kühlenden Trunk für meine ausgedörrte lechzende Zunge. Es blieb mir nichts Anderes übrig als einige Prairienvögel zu erlegen und ihnen das Blut auszusaugen. Gegen Mittag fühlte ich mich so ermattet und erschöpft, daß ich mich ins Gras hinstreckte und, was auch geschehen möge, mich dem Schlafe überließ.

Ein wildes Stimmengewirr und Geheule erweckte mich. Ich schlug die Augen auf und sah mich von einem zahlreichen Haufen von Rothhäuten umgeben, die keine gute Meinung von mir oder keine gute Absicht mit mir zu haben schienen; denn sie schwangen ihre Tomahawks gegen mich und machten entsetzliche Grimassen, worauf ich nichts Besseres zu thun wußte als ihnen wieder Grimassen zu machen, was ihre Wuth nur vermehrte. Sie schlugen mich zwar nicht todt – denn sonst würde ich diese Memoiren nicht schreiben können – aber sie nahmen mich in ihre Mitte, zwangen mich, mit ihnen zu gehen, und führten mich in ihr nahes unter Bäumen und Gesträuchen wie in einer Oase gelegenes Dorf und in den Wigwam ihres Häuptlings, genannt Rah-Ge-Gah-Bah-Wo-Hu, d. h. der Prairienwolf.

Der Wigwam gefiel mir nicht sonderlich, denn er war über und über mit Kopfhäuten von Weißen ausgeschmückt, die bei diesen Indianern zur Zierrath der Wohnungen dienen, wie bei uns die Lithographien und Kupferstiche, auf mich aber einen sehr unangenehmen Eindruck machten. Auch schienen meine Begleiter, den Häuptling, der wahrscheinlich im Scalpiren eine besondere Virtuosität besaß, mit ihrem wilden Geschrei aufzufordern, an mir dieselbe Operation vorzunehmen. Einer und der Andere machte auch mit seinem Tomahawk einen Gestus, den ich nicht mißverstehen konnte. Ich für meinen Theil hatte beschlossen, mein kostbares Leben so theuer zu verkaufen als möglich, bewahrte jedoch meine den Wilden offenbar imponirende Gemüthsruhe in der Hoffnung, daß eine jener glücklichen Wendungen eintreten werde, wie sie bisher in meinen fatalsten Lebenslagen nie ausgeblieben waren.

Rah-Ge-Gah-Bah-Wo-Hu, ein ernster würdevoller Mann in vorgerückten Jahren, erhob sich im Hintergrunde von seiner Hängematte, schritt auf mich zu, betastete meinen Schädel und sagte in gebrochenem Englisch halb für sich:

Wird einen schönen Scalp geben! Wieder eine sündhafte Yankeehaut mehr – das ist Labsal für das Herz des Prairienwolfs.

Ich bin kein Yankee, erwiederte ich auf englisch, ich bin ein Nationaldeutscher, heiße Fritz Beutel und stamme aus Schnipphausen.

Ein Deutscher! rief der Prairienwolf mit einem solchen Ausdruck von Freude, als es dem sonst immer phlegmatischen Kupferfarbigen nur möglich ist – ein Deutscher! Und zu den Seinen sich wendend, fügte er im befehlenden Tone hinzu: Daß Keiner mir an diesen weißen Mann die Hand lege!

Auf diese Wendung war ich nicht vorbereitet. Sollten, dachte ich, die Deutschen unter diesen Wilden in solchem Ansehen stehen? Sollte der Prairienwolf in mir den Repräsentanten jener Nation respectiren wollen, welche zuerst den Dampf in Anwendung brachte, wenn auch nur zur Bereitung bairischer Dampfnudeln?

Der Prairienwolf hatte inzwischen seinen gewohnten Ernst wieder angenommen, reichte mir, während die Uebrigen in ehrfurchtsvollem Schweigen sich zurückzogen, die Friedenspfeife und sagte:

Ich freue mich, in dir, weißer Mann! einen Angehörigen desjenigen Volks kennen zu lernen, das ich unter allen Nationen der Erde am Meisten liebe. Einer von euren Dichtern, Seume, hat die edle That eines kanadischen Wilden gefeiert, der mein Vorfahr war. Aus den kanadischen Wäldern von den verruchten Englishmen verdrängt, hat sich unser Stamm in diese traurigen Einöden zurückziehen müssen. Darum hassen wir die Engländer und die Yankees, die uns wie Raubthiere das Wild hetzen, aufs Grimmigste. Aber die Deutschen haben uns nichts gethan, und wir thun ihnen auch nichts. Wir fragen dich nicht einmal um deinen Paß, deine Sitten- und Schulzeugnisse oder ob du bereits militärfrei bist. Indem ich dich in meinen Schutz und meine Obhut nehme, preise ich mich glücklich, meine Dankbarkeit einem Landsmann des Dichters Seume darthun zu können. Wie lautet doch das Gedicht?

Glücklicherweise hatte ich Seume's Gedicht »Der Wilde« in der Blumenlese gefunden, die mir auf Beutelland durch einen so wunderbaren Zufall in die Hände gerathen war, und da ich es in meinen Musestunden auswendig gelernt hatte, fiel es mir nicht schwer, es so gut es ging englisch zu wiederholen. »Und er schlug sich seitwärts in die Büsche«, schloß ich.

»Und er schlug sich seitwärts in die Büsche«, wiederholte der Prairienwolf ernst und nachdenkend, und mit einer Art liebenswürdiger Wildheit fügte er hinzu: O, hätte ich euren Seume bekommen können, ich würde ihn aus Liebe scalpirt und seine Kopfhaut in meinen Wigwam aufgehängt haben, mir und ihm zur Ehre und meinen Enkeln und Urenkeln zur Erinnerung an sein schönes, indianischgesinntes Herz.

Ich blieb nun mehrere Wochen unter diesen Wilden und erwarb mir ihre Liebe und Verehrung durch bedeutende Dienste, die ich ihnen in ihren Feldzügen gegen feindliche Stämme leistete; denn so närrisch sind diese Wilden, daß sie, die gegen die Yankees zusammenhalten sollten, sich unter einander zerfleischen, gerade wie dies die Deutschen zu Zeiten auch gethan haben. Unter andern streckte ich in einem Treffen durch einen wohlgerichteten Schuß aus meiner Doppelflinte den feindlichen Häuptling nieder und zum Lohne dafür wurde mir der Scalp desselben in feierlicher Versammlung als Trophäe überreicht. Dieser Scalp dient mir noch jetzt als Hutfutter und zeigt sich sehr dauerhaft.

Eines Vorfalls aus dieser Episode meines Lebens muß ich hier noch gedenken. Eine junge Indianerin hatte mir schon längst unzweideutige Beweise ihrer Zuneigung gegeben. Sie hieß Ma-Nu-La-Hit-Tih, (die Falkin), zeichnete sich durch ihre Sanftmuth aus und fühlte sich durch mein ritterliches gebildetes Wesen zu mir hingezogen. Ohne Zweifel hatte meine schmelzende Baßstimme das Ihrige beigetragen, dies Kind der Wildniß für mich zu bezaubern. Denn Abends pflegte ich mich auf einen Stein vor dem Wigwam zu setzen und zu den Tönen meiner Guitarre zarte Studenten- und Commerslieder zu singen, und die jungen Damen des Dorfes versammelten sich dann um mich her und flüsterten: Welche süßen Töne! Sie hingen mit ihren Ohren förmlich an meinen Lippen.

Eines Tages, als ich mich gerade in der Hängematte dehnte, höre ich ein durchdringendes Geschrei, in welchem ich die Stimme des Mädchens zu erkennen glaubte. Ich eile hinaus, und erblicke hinter dem Wigwam eine sich an einem einzeln stehenden Baume emporrichtende Riesenschlange, aus derem Bauche das Geschrei herauszudringen schien. Wer schildert mein Entsetzen – ein Entsetzen, wie ich es nie empfunden habe! – als ich wahrnahm, daß das arme Mädchen bereits im Schlunde des Ungeheuers steckte und immer tiefer und tiefer darin versank, während ihre Weh- und Angstrufe aus dem gräßlich geöffneten Rachen der Schlange herzzerschneidend empordrangen. Dies hören, auf die Schlange zuspringen, ihr mit meinem Tomahawk den Leib der Länge nach aufspalten und die Unglückliche aus ihrem von Fleischwänden gebildeten Kerker befreien, war das Werk eines Augenblicks. Ohnmächtig kam Ma-Nu-La-Hit-Tih ans Tageslicht, doch erholte sie sich bald wieder und bewies mir fortan eine grenzenlose Hingebung und Anhänglichkeit, wie das Käthchen von Heilbronn ihrem geliebten Ritter.

Die Haut der Schlange stopfte ich, um, außer der Hingebung des Mädchens, doch etwas für meine That zu haben, aufs kunstvollste aus.

Aber mein Trieb, die Welt kennen zu lernen und neue Abenteuer aufzusuchen, ließen mir das Leben unter diesen Wilden bald langweilig erscheinen. Ich trat daher vor den Prairienwolf und erklärte ihm kurz und bündig, daß ich entschlossen sei, mein Glück wo anders zu versuchen und nächsten Tags in der Morgenfrühe das Dorf zu verlassen.

Der Prairienwolf willigte nur ungern ein. Als ich ihm jedoch versichert hatte, daß ich, nach Deutschland zurückgekommen, seine an mir geübte Großmuth unfehlbar in einem Gedicht verherrlichen und mich des »Frankfurter Intelligenzblattes« als Organ bedienen werde, um die Interessen der Indianer gegen die Verfolgungen der Yankees in Schutz zu nehmen, so leuchteten ihm die Vortheile, welche diese Zusage ihm in Aussicht stellte, sehr bald ein, und er ließ mich nicht nur ziehen, sondern gab mir auch noch sein bestes Pferd und einen Sack mit Lebensmitteln mit auf den Weg.

Als ich folgenden Morgens zu Pferde stieg, trat der Prairienwolf zu mir heran, reichte mir die Hand und sagte: Biederer deutscher Freund! Grüße deine schönen Landsmänninnen von mir, empfiehl mich den Redacteuren sämmtlicher Intelligenz-, Tage- und Wochenblätter, vermelde auch den ehrwürdigen Lyrikern deines zwar fernen, aber meinem Herzen sehr nahestehenden Vaterlandes meinen Respect und sage ihnen, daß der Prairienwolf sich seines von Seume besungenen Vorfahren würdig gezeigt hat und jeder Zeit bereit sein wird, den Feinden deutscher Lyrik und Journalistik verdientermaßen die Haut über den Kopf zu ziehen und mit ihren Scalpen die Wände seines Wigwams auszutapezieren. Der große Geist reite mit dir!

Und er bleibe bei dir, Papa Prairienwolf! erwiederte ich, und sprengte davon.

Kaum war ich aus dem Dorf heraus, als die »Falkin« aus einem Gebüsche mit ausgebreiteten Armen auf mich zueilte und mich flehentlich bat, sie mit mir zu nehmen, da sie ohne mich nicht leben könne. Ach, die »Falkin« weinte, und Weiberthränen hat mein weiches Herz niemals widerstehen können. Ich lud sie ein, sich hinter mich auf das Pferd zu schwingen und mich mit ihren bronzefarbigen Armen zu umschlingen.

Diesen Tag und auch den folgenden stieß uns nichts besonders Merkwürdiges zu, aber wohl den dritten.

Ich hatte nämlich die vom Prairienwolf angegebene Richtung verfehlt und war in einen Sumpf gerathen, der bei den Indianern unter dem Namen des »Schlangenlochs« übel berüchtigt ist. Glücklicherweise hatte die furchtbare Hitze einen sich durch den Sumpf hindurchziehenden erhöhten Strich trocken gelegt, welcher dem Pferde einen festen Tritt gestattete. Dieser mäßige Erdrücken wie der ganze Sumpf war mit einem förmlichen Walde von riesenhohen Pilzen bestanden, deren Stiele hoch und stark wie Baumstämme waren, und deren Köpfe ungeheuren Regenschirmen glichen. Zu beiden Seiten des Dammes bot sich ein entsetzliches Schauspiel dar. Im Sumpfe wühlten die Vipern, Nattern und Schlangen knäuelartig durcheinander; unten mit den Schwänzen und den Leibern wie in einander verflochten, reckten sie die Köpfe zu Tausenden in die Höhe, und gräßlich klang das Gezisch ihrer flammenartig hin und her spielenden Zungen. Sie bekämpften sich unter einander, stachen sich gegenseitig zutodt, und die größeren verschlangen und verspeisten die kleineren. Es war ein Anblick, wie er ekelhafter und widriger nicht gedacht werden kann.

Trotz der Nähe dieser scheußlichen Gesellschaft, konnten wir der Versuchung nicht widerstehen, uns unter dem Dache eines Riesenpilzes niederzustrecken, um wieder einmal des zwei Tage lang entbehrten Genusses theilhaftig zu werden, unsern Mittagsschlaf im Schatten halten zu können. Denn auf der Strecke, die wir bis dahin durchritten hatten, war von uns kein Strauch, kein Baum, kein Fels angetroffen worden, der uns auch nur vorübergehenden Schutz gegen die Gluth der Sonnenstrahlen gewährt hätte. Die »Falkin« erklärte, eine Weile ruhen zu müssen, und wenn es ihr Tod sei. Wir suchten auf dem Damme die erhabenste Stelle aus, die sich so weit über den Sumpf erhob, daß wir uns mit Recht vor dem Angriffe einer der Sumpfvipern geschützt glauben durften. Leider aber hatten wir vergessen, den durchlöcherten Stamm des Pilzes zu untersuchen, in dessen Schatten wir uns niederlegten.

Wir mochten nun wenige Augenblicke geschlummert haben, als mich ein ängstlicher Schrei erweckte, der aus dem schönen Munde der »Falkin« kam. Ich erhob mich sofort, und sah, wie die Unglückliche mit dem Ausdruck des Entsetzens und einem krampfhaften Zittern aller Glieder eine fußlange, dünne, gelblich gefärbte Natter abzuschütteln suchte, welche sich in ihren bronzefarbenen Arm verbissen hatte; die Schlange hatte sich so fest eingebohrt, daß, als ich sie mit aller Gewalt hinten ergriff, mir zwar ihr schlüpfriger Leib in den Händen, ihr Kopf aber im Fleische der »Falkin« stecken blieb.

Das ist die Pilzschlange, stöhnte das Mädchen, die giftigste von allen. Ich muß sterben.

Kein Mensch muß müssen, erwiederte ich; aber sage mir, liebes Herz! zu welcher Species gehört diese Schlange und welchen lateinischen Namen führt sie?

O, quäle mich nicht, wehklagte sie; mit mir geht es zu Ende.

Ich muß dies wissen, sagte ich, denn jede Species hat ihr eigenes Gegengift. Es muß Alles nach dem System und der Regel gehen.

Für das Gift der Pilzschlange, süßer weißer Freund, wimmerte sie, gibt es kein Gegengift.

Für alles Gift, mein Schatz, sagte ich, gibt es auch ein Gegengift; für jede alte häßliche Jungfer gibt es eine jugendliche Schönheit als Gegengift; so wird auch gegen das Gift der Pilzschlange ein Kraut gewachsen sein.

Inzwischen sah ich an dem Antlitz der »Falkin« eine große Aenderung vorgehen. Ihre Glieder flogen und zitterten, ihre Augen sanken in ihre Höhlen zurück, sie stammelte nur noch die Worte: Fritz! ich sterbe in deinen Armen – dieser Tod schmerzt nicht.

Damit streckte sie ihre Glieder; sie war todt. Ich war Manns genug, auch diesen Gram zu überwinden; aber mich von dem schönen bronzenen Bilde zu trennen, war mir unmöglich; ich nahm, als ich das Pferd bestieg, die süße Leiche vor mir auf den Schooß und sprengte, um von dieser scheußlichen Stätte fortzukommen, im wilden Carriere den Damm entlang, zu dessen Ausgang ich in ein Nest häßlicher mich grimmig anzischender Schlangen gerieth, die aber von meinem wackern Roß mit den Hufen zertreten und zermalmt wurden.

Das Gift der Pilzschlange, wie ich nun wahrnahm, hat die eigenthümliche Wirkung, daß es alle Säfte im menschlichen Körper aufsaugt und austrocknet. Der Leichnam meiner schönen Freundin verwandelte sich unter meinen Händen in eine Mumie und war zuletzt so leicht und zugleich so durchsichtig wie ein Stück mit Oel getränktes Pergament.

Nach abermals zwei Tagen gelangte ich in eine Gegend, welche, je weiter ich kam, desto mehr Spuren von Cultur und Anbau zeigte. Einzelne Blockhäuser, Farmen, Gärten, Maisfelder und Aecker schwanden bei mir wie ein in Bewegung gesetztes Panorama vorbei. Endlich erblickte ich gerade vor mir, hinter Gebüsch auftauchend, eine nicht unansehnliche Stadt, und auf diese sprengte ich mit verhängten Zügel los, während die schmächtigen Feldarbeiter und die wohlbeleibten Farmer am Wege stehen blieben und den tollen Reiter verwundert anstarrten. – Auch als ich in die Stadt einritt, erregte ich nicht wenig Aufsehen. Man denke sich einen Reiter, an der Hüfte ein Beil, über die Schultern eine Flinte und eine Guitarre, hinter sich ein ansehnliches Bündel mit Beinkleidern, vor sich den ausgestopften Balg einer Riesenschlange und eine weibliche Mumie, der ich den Scalp des von mir getödteten indianischen Häuptlings wie eine Nachtmütze auf den Scheitel gestülpt hatte, endlich an der Seite des Pferdes herabhängend ein Sack mit Lebensmitteln – und man wird es gewiß sehr natürlich finden, wenn die Leute stehen blieben und mich mit weitgeöffneten Augen musterten. Selbst die eingebornen Amerikaner müßigten ihrer Geschäftseile einige Augenblicke ab, um einen fragenden oder verwunderten Blick auf mich zu werfen, indeß geschah dies stets nur vorübergehend, denn der Amerikaner hat immer Eile und nicht genug Zeit, um sich zu verwundern und neugierig zu sein.

Ganz anders meine lieben deutschen Landsleute, welche die Mehrzahl der Stadtbevölkerung bildeten, und die ich gleich an ihren gutmüthigen, simpeln Gesichtern erkannte, wiewohl ich sehr bald wahrnahm, daß sie es trotz dieser anscheinenden Einfalt recht dick hinter den Ohren hatten. Mit der müßigen dummen Neugier, wie sie den Deutschen eigen ist, standen sie da und gafften mir mit offenen Mäulern nach, bis ich ihren Blicken verschwunden war. Und ich glaube, selbst dann noch waren sie lange Zeit nicht vermögend, sich vom Platze zu rühren. Nur die flachshaarigen Buben liefen mir jubelnd und schreiend nach, während die alten Weiber über das reitende Wunder die Hände über dem Kopfe zusammenschlugen.

Aber irgendwo mußte ich doch absteigen. Ich redete daher eine Gruppe von deutschen Gaffern, welche an der nächsten Straßenecke standen, mit den Worten an:

Liebe Landsleute! wo gibt's hier ein Absteigequartir für einen berittenen Gentleman?

Die Leute brauchten nicht wenig Zeit, ihre vor Verwunderung offenen Mäuler zu schließen und in Ordnung zu bringen, worauf dann endlich einer der Männer Geistesgegenwart genug hatte, mir folgende Auskunft zu geben:

Wir haben hier halt so ein Wirthshäusle »Zur deutschen Eintracht«, wo's alle Sonntage die schönsten Keile gibt.

Ist auch ein Stall dabei, um mein Pferd unterzubringen? fragte ich weiter.

Einen Stall möcht's freilich nicht geben, erwiederte der Landsmann, aber es ist halt eine Kegelbahn dabei und die ist geräumig genug, daß man derweile ein Rößle darin unterbringen könnte.

Ich ließ mir nun das Wirthshäusle »Zur deutschen Eintracht«, wo es alle Sonntage die schönsten Keile gab, zeigen und fragte dann nach dem Namen der Stadt.

»Schnipphausionopel«, war die Antwort.

Ich war sehr verwundert. Wo hat denn das Nest den Namen her? fragte ich.

Das wissen wir nicht, war die einstimmige Antwort. Den Namen hatte das Städtle schon, als wir hierherkamen, fügte der Eine hinzu.

Mit diesem Räthsel beladen, das mir zu lösen unmöglich war, ritt ich nach dem Gasthofe, stieg hier vom Pferde und fragte: ob ich Unterkunft finden könne.

Der dicke Wirth sah mich wegen meines ganzen Aufzugs etwas verwundert an, und sagte nach langer Musterung: das könne schon sein, da ein Zimmer im Hause leer stehe; aber er habe kein Obdach für das »Gäule«.

Ich bemerkte ihm, daß dieses »derweile« ja in der Kegelbahn untergebracht werden könne, worauf der Wirth mit seiner inzwischen dazu getretenen Frau eine längere Berathung pflog, nach deren Beendigung er mir erklärte: das würde sich allerdings machen lassen, da man das Pferd im Kegelzimmer ja so anbringen könne, daß die Kegelgäste nicht allzusehr durch dasselbe genirt würden.

Während das Pferd in der Kegelbahn untergebracht wurde und ich mit Hilfe des Hausknechts meine Habseligkeiten und Curiositäten in das leerstehende, aufs einfachste möblirte Zimmer brachte, sah ich mich von einem halb Dutzend blauäugiger Kinder umringt, welche sich die Worte zuflüsterten: Ein Raritätenmann! ein Raritätenmann! Das Beste, meinte eins aus dem jungen Volke, wird wohl im Bündel und im Sacke stecken.

Ich hatte nun Zeit genug zu überlegen, was weiter zu thun sei. Geld hatte ich nicht bei mir. Die drei russischen Orden, die ich fortdauernd in der Tasche bei mir trug, hätte ich zwar bei einem Goldarbeiter verkaufen können; aber ich hatte mit ihnen größere Pläne im Sinne und wußte, daß sie mir in Ländern, wo man solche Decorationen nach ihrem ganzen sittlichen Werth zu schätzen weiß, noch große Dienste leisten könnten. Es schien mir also für den Augenblick nichts weiter übrig zu bleiben, als zu versuchen, ob es nicht möglich sei, für meinen Vorrath an hirschledernen Beinkleidern im Orte Käufer zu finden. Hierzu war aber nöthig, eine Anzeige in ein öffentliches Blatt einzurücken.

Ich erkundigte mich demnach bei dem Wirthe, ob nicht in der Stadt ein vielgelesenes Blatt erscheine, in das ich eine Annonce rücken lassen könne. Er erwiederte, daß in Schnipphausionopel zwei Blätter erschienen, ein englisches und ein deutsches. Das letztere halte er mit; aber erst übermorgen erscheine eine neue Nummer, und von den älteren sei keine mehr vorhanden, da seine Frau sie zu Wirthschaftszwecken verwendet habe. Die Expedition des Blattes befände sich gleich am Ende der Straße. Den Titel desselben könne er sich nicht merken; er sei gar so curios.

Folgenden Tags begab ich mich in aller Frühe in die Zeitungsexpedition, wo ich eine seltene Ueberraschung erlebte, die ich mir jedoch der größeren Spannung wegen, für das nächste Kapitel aufspare.


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