Hermann Marggraff
Fritz Beutel
Hermann Marggraff

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Zehntes Kapitel.

Es gibt zwei Wesen, die dem Schuldner oder dem Schuldigen stets auf den Fersen sind und ihre Forderungen so lange betreiben, bis sie befriedigt sind – ein Gläubiger und die Nemesis.

Herder.

In der zottigen Brust eines Eisbären schlägt oft ein menschlicheres Herz als in der Brust des Menschen.

Seume.

So befand ich mich denn wieder auf mich allein angewiesen, auf dem kleinen hin- und hergeworfenem Boote zwischen Himmel und Meer. Die Insel, die ich beherrscht hatte, ruhte mit allem Lebendigen im Schooße des Oceans. Glücklicher Weise hatte ich jedoch die Reichsurkunde sammt der Subscriptionsliste meiner Unterthanen bei mir, durch die ich mein Anrecht an die Insel beweisen konnte, wenn sie je wieder aus der Tiefe emportauchen sollte. Ich war jedoch der Mann nicht, um mich lange mit müßigen Gedanken an das Vergangene zu beschäftigen; mit der mir eigenen Schnellkraft versetzte ich mich sofort in den Mittelpunkt der Situation, in der ich mich befand. Was gibt es zu beißen? was zu trinken? Diese Fragen drängten sich mir zunächst auf. Indeß hatte ein günstiges Schicksal auch dafür gesorgt. Das Boot war in letzter Zeit vielfach dazu benutzt worden, um von Klein-Austria Vorräthe von Austern und allerlei Seefischen herbeizuholen, die wegen des großen Salzgehaltes der See um jene Klippe schon vollständig eingesalzen im Meere herumschwimmen. Mit solchen Vorräthen war eine ganze Hälfte des Boots gefüllt; außerdem befand sich auch eine ansehnliche Quantität Mehlteig von den Semmel- und Kuchenbäumen der Insel auf dem Boote und zu meiner großen Freude entdeckte ich unter dem Austernhaufen auch einige Dutzend Flaschen Beutelländer Ausbruch, die wahrscheinlich mein Ober-Hofküchenmeister darunter zu eigenem Gebrauche versteckt und so den haushälterischen Blicken meiner Frau Liebsten entzogen hatte.

Aus der vulkanischen Katastrophe meiner Insel hatte sich ein sehr starker, aber gleichmäßig wehender Südwind entwickelt, der das mit einem Segel versehene Boot rasch vorwärts trieb, und durch meine Geschicklichkeit im Rudern und Steuern erhielt ich das Boot, trotz der heftigen Brise, in gerader Richtung; ich beherrschte die Wellen und Winde statt sie mich.

Bald trat die gebirgige Küste von Pipermannland in Sicht. Welches großartige Schauspiel eröffnete sich meinen Blicken! Alle Berggipfel waren zu Vulkanen geworden und schleuderten Feuergarben in den Himmel; Rauchsäulen, hunderte an Zahl, stiegen majestätisch in die Luft empor und vereinigten sich oben zu einer Rauchdecke, die sich über die ganze Insel und weit über das Meer ausbreitete und durch welche die Sonne wie eine glühende halbsterstickte Kohle hindurchschimmerte; die Metalle flossen, in der Lava geschmolzen, in feurigen Strömen von den Seiten der Berge hinab in das Meer, mit dem sie einen furchtbaren elementarischen Kampf zu bestehen hatten. Die Lava und die geschmolzenen Metallmassen drängten das Meer weit zurück und bauten sich zu gewaltigen Wänden auf, an denen die Fluth des Oceans emporschäumte und abprallte, kaum aber waren die glühenden Massen erkaltet, so stürzte das zum Weichen gebrachte Meer wieder über sie her, ohne doch ihre festgewordenen Glieder lösen und zerreißen zu können. Die ganze Insel war ein einziger gewaltiger Gluth- und Dampfkessel, das Meer ein einziger kochender und siedender Strudel, und das Gelärm so furchtbar, als ob zwanzig Sebastopol's in einem fortdauernden Geschützfeuer gegen einander begriffen seien.

Es bedurfte meiner ganzen moralischen Kraft und meiner ganzen genialen Berechnung, um mich in diesem Gewirbel, Gestrudel und Getobe mit meinem Boote flott zu erhalten. Als ich aber auf einer vorspringenden Klippe die Gestalt meiner Beate, geborne Pipermann, erblickte, wie Loreley mit weit hinten nachflatterndem Gelock dasitzend, in Verzweiflung die Hände ringend und nach mir die Arme um Hilfe und Rettung ausstreckend, da hätte ich beinah meinen sittlichen Halt verloren. In der That versuchte ich, mein Boot durch die sich hochbäumenden Wogen hindurchzuzwängen, aber zu einem solchen Wagniß reichte meine Kraft doch nicht hin; ich wurde immer wieder zurückgeschleudert und sah mich genöthigt, Beate ihrem Schicksale zu überlassen. Der Südwind packte das Segel meines Boots und trieb mich wieder von der Insel ab. Ich glaubte, Beate würde wie Sappho enden und sich von der Klippe ins Meer stürzen; ich erkannte jedoch mit meinen scharfen Augen, daß ihr eine hinter ihr stehende männliche Gestalt ein Fläschchen reichte, aus dem sie einen kräftigen Zug that, worauf sie beruhigter schien. Gift war es ohne Zweifel nicht; die Farbe des Getränks glich – Dank meinen gesunden Augen – derjenigen edeln alten Cognacs. Kein Zweifel, Krischan Schroop war der hinter ihr stehende Mann und in einem vierbeinigen Geschöpf, das an ihm emporsprang, glaubte ich den treuen Hund Hector zu erkennen. Aber, wie war Schroop so plötzlich nach Pipermannland gekommen? Wie hatte sich Hector wieder ins Leben verirrt? Oder war die ganze Gesellschaft nur ein Phantasiebild, eine Gruppe wesenloser Spukgestalten? Indeß hatte ich keine Lust, mir darüber den Kopf zu zerbrechen; dazu war mir mein Kopf viel zu lieb. Ich gönnte meiner treulosen Ehehälfte die Herzensstärkung, die sie zu sich genommen, und mit etwas beruhigterem Gemüth ruderte ich weiter.

Noch war ich nicht weit aus dem Wogenwirbel heraus, als eine rückprallende Welle mir einen abgerissenen Menschenarm, der eine Guitarre festhielt, in das Boot spülte. Es war der rechte Arm Rackerino Rackerini's! Die Strafe für seine Frevelthaten hatte ihn erreicht. Den Arm nahm ich, und präsentirte ihn höflichst einem Haifisch, der gerade in diesem Augenblick nach mir schnappte und sich mit diesem traurigen Bissen befriedigt erklärte; denn er tauchte an dem Arm kauend wieder in das Meer zurück. Ich hohnlachte über beide, sowohl über Rackerino Rackerini als über den Hai, der sich in dieser Weise abspeisen ließ. Rackerini's bleiches Haupt mit der Krone darauf, und seinen blutigen verstümmelten Rumpf im Hermelinmantel, sah ich später in einiger Entfernung aus den Wellen emportauchen. Beide Arme fehlten. Wahrscheinlich hatte sie ihm ein grimmiger Hai abgerissen.

Die Guitarre, so Unsägliches sie mir auch zu Leide gethan, behielt ich bei mir, sie war ja nur ein unschuldiges Instrument in der Hand des ruchlosen Italieners gewesen. Und obschon zwischen der Guitarre und mir der Unterschied bestand, daß meine Existenz für den Augenblick gar keinen Boden, die ihre doch wenigstens einen Resonanzboden hatte, so war sie doch eben so verlassen als ich, und Verlassene pflegen einander nicht zu verlassen. Eine reinere Hand sollte nun ihren Saiten einen reineren Geist einhauchen und den bösen Dämon aus ihnen vertreiben, der ihnen eben so Ohr als Ehe zerreißende Töne eingeflößt hatte. Sie leistete mir auch während der Weiterfahrt gute Dienste, diese Guitarre; sie vertrieb mir manche langweilige Stunde, denn da ich nichts zu thun hatte, legte ich mich auf die Musik, und vermöge der außerordentlichen mir angebornen Fähigkeit, es in jedem Zweige menschlicher Hanthierung und Kunstübung in erstaunlich schneller Zeit zur Vollkommenheit zu bringen, erreichte ich bald im Gesang und Guitarrenspiel einen ganz eigenthümlichen Grad von Meisterschaft.

Ich wurde weiter und weiter getrieben, immer nordwärts, immer in gleichmäßigem Curs, immer mit demselben Südwind. Woche an Woche ging darüber hin; aber es wollte sich kein Land sehen lassen. Meine Vorräthe nahmen zum Entsetzen ab; ich mußte darauf denken, mir Nahrungsmittel, auf welche Weise es auch sei, zu verschaffen. Glücklicherweise wimmelte es von Vögeln in jener Gegend, die oft in dichten Schwärmen über mein Boot dahinzogen, so dicht, daß sie ein förmliches Schutzdach gegen den Regen gewährten, der schon seit einigen Tagen vom Himmel herabströmte. Mich nach hinten überbiegend brauchte ich nur eine Ladung Schrot in den Haufen zu entsenden, worauf sie zu ganzen Dutzenden in das Boot niederfielen. Nun erinnerte ich mich, daß die Kalmücken dadurch das Fleisch mürbe zu machen pflegen, indem sie es auf ihren Ritten unter den Sattel legen. Diese Reminiscenz aus dem Gebiete der höheren Kochkunst leitete mich auf das richtige Verfahren, das ich in meiner Lage anzuwenden hatte. Meine Beinkleider – wenn es von ihnen zu sprechen erlaubt ist – waren von meiner Beate an einem hier nicht weiter zu nennenden Theile mit einem tüchtigen Stück Leder versehen worden, um sie recht dauerhaft zu machen. Ich legte nun zwischen das Brett, auf dem ich saß, und oben bemeldeten gut versohlten Theil meiner Beinkleider das erlegte Geflügel und rutschte dann so lange darauf hin und her, bis es mürbe und eßbar war. Anfangs wollte mir zwar die Kost aus dieser Garküche nicht recht munden, aber Noth lehrt nicht blos beten sondern auch essen, und nach einiger Zeit fand ich das so zubereitete Geflügel, das ich mit Pulver zu würzen pflegte, außerordentlich schmackhaft.

Es wurde allmälig kalt, recht kalt und von Tage zu Tage kälter; einzelne Eisschollen begannen bereits bei dem Boot vorüberzutreiben, und hätte ich mich nicht noch immer in der Strömung des Südwindes befunden, so würde ich mich in meiner dünnen tropischen Kleidung sehr übel befunden haben. Namentlich waren die Nächte außerordentlich kalt; ich verkroch mich dann in den Berg von Federn, welche ich den erschossenen Seevögeln allmälig ausgerupft hatte, und schlief darunter ganz prächtig. Hatte ich vor dem Schlafengehen noch einige Tropfen des Beutelländischen Ausbruch genommen, so transpirirte ich sogar und indem sich die Federn in meine Transpirenz (ich empfehle dieses Wort für das unfashionable »Schweiß«) festsetzten, stand ich förmlich als Vogel auf, an welchem die eingefederten Arme die Flügel bedeuteten. Ich fühlte mich ordentlich zum Fliegen aufgelegt, was mir jedoch, trotz allem in die Höhe Springen, nicht gelingen wollte, wogegen die Vögel mich für Ihresgleichen ansahen und sich mir so zutraulich näherten, daß ich sie mit den Händen greifen und dutzendweise fangen konnte.

Die Zeichen mehrten sich, daß ich bereits in die arktische Region versetzt war. Auf dem Meere trieben Eisschollen und Eisinseln und bald sah ich mich auch von mächtigen Eisbergen umgeben, die in den groteskesten Formen sich hunderte von Fuß in die Luft erhoben. Bald bildeten sie gothische, wie aus blauem und grünem Glase errichtete Thurmpyramiden, bald Triumphpforten, bald Brücken, bald lang ausgehölte Grotten oder Tunnels, durch die ich hindurch fuhr, bald glichen ihre Zacken einer langen Front von Bayonnett- und Lanzenspitzen, die im Scheine der Sonne, das Auge fast blendend, wunderbar schimmerten. Es war ein prächtiger aber mir gerade nicht sehr erfreulicher Anblick; denn die Eiskälte, die mich jetzt von allen Seiten anwehte, drang durch meine leichte Kleidung bis auf mein Gebein und der warme Hauch des südlichen Luftstromes konnte diesen mächtigern Gegenwirkungen nicht mehr Widerstand leisten.

Zu diesem Schrecken der Eiswelt gesellten sich bald noch andere Schrecken und Gefahren; denn als ich eines Morgens mich aus meinem Federbette erhob, sah ich mein Boot zu meinem Entsetzen von einem Dutzend weißzottiger Ungeheuer umringt, welche den mit scharfen Zähnen wie mit Pallisaden besetzten Rachen gegen mich aufsperrten und mich mit blutgerötheten Augen heißgierig anglotzten. Ich schlug zwar einigen mit dem Ruder dermaßen auf den Kopf, daß sie im Meere Kobold schossen und in die Tiefe, mehr todt als lebendig, niedertauchten; aber die Zahl meiner gefährlichen Gegner wuchs zusehends, mehrere hatten schon die Zähne in die Planken des Boots geschlagen und suchten sich so in das Boot, das dadurch in bedenklicher Weise sein Gleichgewicht verlor, hinaufzuschwingen. Ich befand mich so in jener häßlichen Situation, welche dem Pariser Maler Biard, dem ich später die Geschichte erzählte, den Stoff zu seinem unter dem Namen »Der Kampf mit den Eisbären« berühmten Bilde gab. Ich sah keine Rettung mehr, und in meiner Seelenangst und wie von einem wunderbaren Instinkt getrieben, ergriff ich die Guitarre und spielte die Melodie »blühe, liebes Veilchen«, indem ich sie mit meiner sehr schmelzenden Baßstimme accompagnirte.

Sofort ging eine wunderbare Veränderung mit den Thieren vor; sie ließen, von der wunderbaren Macht der Töne ergriffen, die Köpfe hängen, spitzten die Ohren, begleiteten ruhig schwimmend das Boot und klatschten mit ihren Vordertatzen Beifall. Als ich geendet hatte, nickten sie mit ihren Köpfen, als wollten sie sagen: »noch mehr!« oder »Da Capo!« und ich mußte wieder anfangen. Einer der Eisbären, offenbar der größte Musikenthusiast unter ihnen, fuhr aus Entzückung über meinen Vortrag aus der Haut, worauf ich nichts Besseres zu thun wußte, als sofort in sie hineinzufahren, was mir sehr wohlthat; denn dieser Pelz sicherte mich gegen jede Einwirkung der arktischen Kälte vollkommen. Ich weiß seitdem, wie es einem Eisbären in seiner Haut zu Muthe ist, und ich muß sagen, nicht übel, wenigstens sehr bärenmäßig. Die übrigen Eisbären fanden sich wenigstens an den Nerven so angegriffen, daß sie immer träger und träger nebenher schwammen und zuletzt gänzlich einschliefen. Was weiter aus ihnen geworden, weiß ich nicht; denn ich ruderte nach überstandener Gefahr weiter.

Noch im Laufe desselben Tages fuhr ich an eine Eisinsel an, auf der ich unverweilt ausstieg, einen so traurigen Aufenthalt sie auch gewährte. Ich hatte aber doch wenigstens einen festen, und nicht einmal sehr glatten Boden unter mir, da das Eis überall mit einer dünnen Schichte Schnee überdeckt war. Des ewigen Ruderns auf dem Meere in dem schmalen Boote war ich herzlich müde, und ich beschloß, mich bis auf Weiteres auf dieser Insel anzusiedeln und was nun weiter zu thun sei ruhig zu überlegen. Ich kann nicht sagen, wie wohl es mir that, wieder einmal tüchtig und auf weitere Strecken ausschreiten und den Freuden der Jagd obliegen zu können; denn es fehlte hier nicht an Thieren, wie sie der arktischen Zone eigenthümlich sind, und die durch irgend einen Zufall hierher verschlagen waren. Auch an Treibholz mangelte es nicht. Aber wie sollte ich das feuchte, durch- und übereiste Holz in Brand setzen? Die Noth macht jedoch erfinderisch, und kurz gesagt, ich legte mich auf die Verfertigung von Brennspiegeln. Ich fand das Eis auf dieser Insel ganz glasartig; es war durchsichtig wie Glas, es zersprang wie Glas, man konnte es schneiden wie Glas, kurz es hatte alle Eigenschaften des Glases. Ich nahm nun eine Eisscheibe und versuchte mit meinem Demantmesser, welches ich noch von Pipermannland mitgenommen, sie so zu bearbeiten, daß sie die Wirkungen eines Brennspiegels hervorbrächte. Das gelang mir zwar gleich anfangs nicht, aber an Eis hatte ich eben so wenig Mangel als an Zeit und Geduld, und nach vielen fortgesetzten Versuchen, war das Meisterstück fertig. Ich stellte die Eisscheibe gegen die Mittagssonne, und ich hatte die Freude, daß eine Parthie Treibholz, auf welche sich die Strahlen der Sonne vermittelst des Brennspiegels concentrirten, nach kurzer Zeit in Brand gerieth. Ich will gleich hier bemerken, daß ich es in der Bereitung von Eisbrennspiegeln durch weitere Versuche zu einer außerordentlichen Vollkommenheit brachte. Ich verfertigte Brennspiegel von fünfzig Fuß Durchmesser, mit denen ich, wie ich glaube, Schiffe und Häuser hätte in Brand setzen können.

Noch fehlte es mir an einer Wohnung, indeß sollte ich auch zu dieser durch einen merkwürdigen Zufall gelangen. Eines Tages nämlich sah ich einen breiten Rücken wie den Rücken eines Hügels aus dem Meere emportauchen, der sich meinem gegenwärtigen Aufenthaltsort zuwälzte, und ich erkannte bald, daß es ein ganz riesenhafter Wallfisch war. Wahrscheinlich hatte er die Insel nicht wahrgenommen, denn er lief gerade auf ihren Südrand auf, so daß die Eismasse, auf der ich mich befand, förmlich kippte, obschon sie wohl mehrere hundert Fuß in den Ocean hinunterreichte. Da lag der Koloß da, unfähig sich zu rühren und in meine Gewalt gegeben. Wie aber diesen lebenden Fleischberg tödten? Ich wußte jedoch bald Rath und pflanzte meinen wirkungsreichsten Brennspiegel so auf, daß die concentrirten Sonnenstrahlen gerade die Stelle trafen, wo ich sein Herz klopfen hörte. Die Procedur war nicht so grausam, als es scheinen mag; denn kaum traf das Sonnenfeuer seine Haut, so war er auch schon mitten durchgebrannt wie ein Strohhalm. In seinem aufgesperrten Rachen, den ich mit einigen tüchtigen Kloben Treibholz stützte und auseinanderhielt und dessen Seiten ich mit Holzwerk austäfelte, schlug ich nun meine Wohnung auf, errichtete darin einen Kochherd aus Eisstücken, wie ich denn auch meine Meubles: Sopha, Tische, Sessel u. s. w., ja selbst meine Kochgeschirre aus hundertjährigem und daher der Wirkung des Feuers unzugänglichem Eise verfertigte, und bereitete mir darin aus Eisfuchsfellen und Eiderdaunen ein sehr bequemes Nachtlager. Als Schornstein für den Abzug des Rauches dienten mir die Augen des Wallfisches, die ich ausgegraben und zu denen ich aus dem Rachen des Thieres einen Kanal eröffnet hatte. Seine Speckschinken, die ich auf dem Kochherde in des Thieres Rachen briet, gewährten mir ein vorzügliches Nahrungsmittel. Daß ein Kadaver in diesen Breiten nicht in Verwesung übergeht, brauche ich wohl nicht zu bemerken, und ich hätte Jahrelang von dem Fleische des Wallfisches zehren können, wenn es dem Schicksal gefallen hätte, mich so lange auf dieser Eismasse festzuhalten. Indeß gefiel es so dem Schicksale nicht, was mir auch ganz angenehm war. Zwar herrschte jetzt in diesen Regionen der Sommer, der jedoch sehr kurz ist und selbst durch die künstlichsten Mittel nicht verlängert werden kann; und wie sollte ich den langen lichtlosen Winter zubringen, in dieser furchtbaren Einsamkeit, ohne Feuerung (da mir ja die Brennspiegel im Winter keinen Nutzen gewähren konnten), auf der allen Winden ausgesetzten, rings vom Meere umflossenen Eisscholle? Nur unter Menschen, dachte ich, sollten es auch Samojeden, Eskimos oder Grönländer sein! Freilich hatte ich die Hoffnung, daß die Eisinsel durch hinzufrierende Eismassen mit dem Festlande verbunden werden könnte, aber wer mag es wagen, in der Winterfinsterniß sich weit von seinem Lagerplatze zu entfernen? Wagte ich doch selbst jetzt nicht, auf meinem Boote in die Eis- und Wasserwüste hinauszusteuern!

Das Schicksal oder die mir verbündeten Elemente und Gewalten kamen mir zu Hilfe.

Eines Tages sah ich eine lange Reihe schwimmender Eisberge sich gegen die Insel plötzlich in Bewegung setzen, und sie gewährten einen höchst prachtvollen und majestätischen, aber auch für mich sehr bedenklichen Anblick. Denn ich frage jeden Touristen, der von der Terrasse in Bern die Hochalpen bewundert, was er dazu sagen würde, wenn diese Berge, Gletscher und Schneekolosse, die Jungfrau voran, sich plötzlich gegen seinen Standpunkt in Bewegung setzen und ihm näher und näher rücken sollten – ich frage ihn, was er dazu sagen würde? Das Einzige, was ich thun konnte, war, mich mit Geduld zu wappnen und in mein Schicksal zu ergeben.

Die Eisberge stießen mit furchtbarer Gewalt an den Südrand der Insel, welche dabei entsetzlich schwankte, aber den Stoß der ersten kleineren Berge aushielt. Diese zerdrückten mein Boot, brachen aber, da sie von sehr mürber Substanz waren, an der Eismasse, die ich bewohnte, krachend zusammen und hüllten die ganze Insel und mich selbst in eine dichte Wolke von Eissplittern, von denen glücklicherweise mich keiner traf. Jetzt aber stießen die mächtigeren und festeren Eisberge an die Insel – Ein Ruck, Ein Stoß, und die Insel selbst setzte sich in Bewegung, indem sie von den Eisbergen immer vor sich hergeschoben wurde, etwa wie ein Dampfwagenzug von einer hinter ihm angebrachten Locomotive. Auch die Schnelligkeit der Bewegung war etwa dieselbe.

Es dauerte nicht sehr lange, so gab es einen neuen Stoß, und die ganze Eismasse stand still. Wir waren an ein Eisfeld von so mächtiger Ausdehnung gerathen, daß ich seinen Umfang, nach einem raschen Ueberblick, auf mehrere hundert Quadratmeilen schätzte.

Ich besann mich nicht lange, ergriff meine Flinte und einen meiner besten Brennspiegel, versah meine Jagdtasche mit den nöthigen Vorräthen und begab mich, in meine Eisbärenhaut gehüllt, auf eine Excursion weiter nach Norden. Wie erstaunte ich, als ich gegen Abend plötzlich in einiger Entfernung einen stattlichen Dreimaster erblickte, der hier eingefroren lag und auf dem die englische Flagge aufgehißt war. Ich that, was Jeder in meiner Lage auch gethan haben würde – ich schritt dem Schiffe freudig klopfenden Herzens entgegen.


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